Herausforderer, Selbstausbeuter und Poll Winners – WETTBEWERBE IM JAZZ

Ein zweiteiliger Streifzug durch das Thema „Wettbewerb im Jazz“. Im ersten Teil wird die Transformation des Wettbewerbsgedanken in der amerikanischen Jazzgeschichte abgetastet, im zweiten Teil springen wir zur österreichischen Gegenwart und interviewen mit VINCENT PONGRÁCZ und MANU MAYR zwei junge Vertreter der heimischen Jazzkunst – beide selbstverständlich Wettbewerbsgewinner  –, wobei erneut eine Transformation des Wettbewerbsprinzips festzustellen ist. Am Ende stellt sich die Frage, ob beide Teile dieses Beitrags nicht selbst in einem Wettbewerb stehen.

Teil I: Die zornige Historie

Das Thema „Wettbewerb“ hat eine lange, zwiespältige Geschichte im Jazz. Marko Deisinger erwähnt in seinem Artikel „Musikwettbewerbe im Laufe der Geschichte“ ein erstes „Drum Battle“, das am 13. September 1952 in der New Yorker Carnegie Hall zwischen Gene Krupa und Buddy Rich stattfand. Dieses historische Datum wird wesentlich aussagekräftiger, wenn man ein latentes Thema in der Geschichte des amerikanischen Jazz berücksichtigt, nämlich die Diskriminierung und die Benachteiligung afroamerikanischer Musiker, die trotz vieler versuchter Brückenschläge zwischen „Schwarzen“ und „Weißen“ bis heute soziale Realität geblieben sind. So erzählt Michael Jacobs in seinem Buch „All that Jazz“, dass Benny Goodman in seiner Blütezeit über Jahreseinkünfte von 35.000 Dollar verfügte, während sich aufstrebende junge Talente wie der Jazzgitarrist Charlie Christian von einer Wochengage von siebeneinhalb Dollar auf einhundertfünfzig Dollar hocharbeiten mussten. Hinzu kam, dass das „weiße“ Jazzpublikum lange Zeit vorwiegend „weiße“ Musiker hören wollte. Es gehörte zum Alltag, dass sich „weiße“ Jazzmusiker Spieltechniken und „Licks“ von ihren „schwarzen“ Kollegen in Harlem abschauten, um damit in „weißen“ Clubs das Zehnfache zu verdienen. „Als ich das erste Mal nach New York kam, empfahlen mir alte schwarze Jazzer, bloß keine weißen Musiker für meine Band zu mieten“, erzählt Steve Coleman im Interviewband „Respekt!“ von Christian Broecking. „Weil der Weiße alles imitieren und nach einer Reihe von Jahren damit reich und berühmt wird, während ich arm bleiben würde.“

Kein Wunder also, dass das kollektivimprovisatorische Idyll, das Jazz als universelles Miteinander versteht, vor den sozialen Realitäten lange Zeit wenig Bestand hatte. Das „Drum Battle“ zwischen Rich und Krupa fand im Rahmen der Reihe „Jazz at the Philharmonic“ statt, die vom legendären Impresario Norman Granz veranstaltet wurde. Granz war ebenfalls ein „Weißer“, allerdings bekannt für seine Loyalität gegenüber afroamerikanischen Musikern. Dennoch verdiente er mit dieser Veranstaltungsreihe gutes Geld. „Er entwickelte ein Konzept, dem er jahrzehntelange treu blieb: er versammelt auf der Bühne Musiker, die recht unterschiedliche Spielweisen vertraten, und versuchte eine Art Wettbewerbsstimmung zu erzeugen und so eine Jam Session in Gang zu bringen. Manchmal übertrieb er dabei: sicher waren solche ‚Battles‘ publikumswirksam, aber der musikalische Inhalt blieb auf der Strecke“, so Michael Jacobs.

Es war ein ähnliches Bild wie Jahrhunderte zuvor in Europa, als Fürsten und Regenten musikalische Wettkämpfe zu ihrer kunstsinnigen Erbauung veranstalten ließen – und dabei die Musiker wie Artisten in der Zirkuskuppel vorführten. Nicht dass diese artistische Performance nicht von den meisten Musikern selbst gewollt war, aber eine Spur von herrschaftlicher Herablassung und Überheblichkeit steckt trotzdem in diesem Prinzip. Im Jazz des 20. Jahrhunderts war die Erbauung eher ein Nebeneffekt, es ging vor allem ums Business – und dieses wiederum machte man mit dem „heißesten Scheiß“, den vor allem Musiker afroamerikanischen Ursprungs lieferten. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Geburtsgeschichte des Bebop zu Beginn der 1940er-Jahre deuten, die in moderaten und kämpferischen Versionen überliefert ist. In der moderaten Version verstand sich Bebop als Erneuerungsbewegung gegenüber der damals schon etwas stereotyp gewordenen Swingjazz-Ära, außerdem feierte der noch traditionellere New-Orleans-Stil ebenfalls ein Revival. Alles alte Hüte also, Zeit für etwas Neues! Epizentrum der Bewegung war der New Yorker Club „Minton’s Playhouse“. Dass aufgrund des damals herrschenden Aufnahmeverbots, dem „Recording Ban“, der auf einem Boykott der Musikergewerkschaft fußte, kaum Tondokumente existieren, hat ebenfalls zur Entstehungslegende des Bebop beigetragen.

Die andere Version erzählt davon, dass der Bebop mit dem Erwachen eines „schwarzen“ Unrechtsbewusstseins zu tun hatte, dass die Musik deswegen harmonisch anspruchsvoller, expressiver, schneller und aggressiver wurde,„damit ihnen die Weißen nicht wieder ihre Musik stehlen konnten“. Ein Wettbewerb also, in dem es weniger ums Gewinnen ging, sondern darum, andere Musiker von der Bühne zu schmeißen, eine Demütigung zurückzuzahlen, die tiefe Wunden hinterlassen hatte. Von daher nimmt es nicht wunder, dass die Entwicklung eines unverwechselbaren Personalstils, der auf Anhieb erkennbar und möglichst nicht nachahmbar war, bald zu einer Art heiliger Gral im Selbstverständnis vieler afroamerikanischer Musiker wurde. Das lässt sich unzähligen Interviews nachlesen – von Miles Davis über John Coltrane bis hin zu Archie Shepp: „Sobald man etwas auflegt, weiß man: Das ist Archie! Und darauf bin ich stolz“, sagt ebendieser in dem schon erwähnten Buch „Respekt!“.

Broeckings Buch aus dem Jahr 2011, das Interviews aus zwei Jahrzehnten mit nahezu allen namhaften Jazzmusikern rund um die Ära der „Fire Music“ in den 1960ern versammelt, ist zu diesem Thema generell ein guter Lesetipp – nicht nur weil die Musiker selbst ausführlich zu Wort kommen, sondern weil Broecking offenlegt, wie sehr die Geschichte des Jazz aus afroamerikanischer Sicht bis heute als verlorene Schlacht um Anerkennung und Respekt erlebt wird. „Jazz kam in den Sechziger Jahren aus der Mode, weil dieses Wort suggerierte, dass man minderwertige Musik spielen würde“, erzählt etwa Bill Dixon. Und Archie Shepp erteilt der Weiterentwicklung des Jazz in Richtung Free und später Improvisation ebenfalls eine Abfuhr: „Free Jazz […] ist eine Musik, die so gut wie nie von Schwarzen gehört wurde“, weswegen er davon abgekommen sei. Der etablierte Jazz wiederum sei eine Musik für eine „weiße Mittelschicht“, weswegen Shepp sich in späten Jahren eher auf den Blues fokussierte. Kein Ausweg also, wohin man sieht, alles von den „Weißen“ okkupiert …

Nicht alle Wortmeldungen in „Respekt!“ urteilen so düster über die Entwicklung des Jazz, aber wichtiger ist an dieser Stelle ohnehin die Erkenntnis, dass es in der amerikanischen Jazzgeschichte die vermutlich extremste Form eines musikalischen Wettbewerbs gab, eines Wettbewerb, der in Wahrheit ein Überlebenskampf um künstlerische Integrität war, bei dem die Künstler immer im Hintertreffen waren – und das Establishment stets gewann. (Und dieses war in Bezug auf afroamerikanische Musiker eben stets „weiß“.) Dieses Missverhältnis wurde aus der Sicht vieler afroamerikanischer Musiker nie ganz ausgeglichen – und es bestimmt den amerikanischen Diskurs über Jazz bis heute, was sich besonders in der Kontroverse um den von Startrompeter Wynton Marsalis und Jazzkritiker Stanley Crouch eingeleiteten Neotraditionalismus im amerikanischen Jazz widerspiegelt. Während viele Kritiker monierten, dass Marsalis und Crouch die jüngste und kreativste Phase des amerikanischen Jazz ab den 1960ern einfach ignorieren, streitet Marsalis umgekehrt den (damaligen) Avantgardisten einfach die musikalische Kompetenz ab. Mehr als das: Marsalis antwortet mit einer Kampfansage, mit einer Herausforderung zum Wettbewerb: „Alles, was ich über die andere, die sogenannte Avantgarde noch sagen kann, ist folgendes: Ich bin bereit, mich mit jedem zu messen: Aber […] ich denke, dass die meisten dieser Avantgardisten nicht spielen können.“ Die Deutungshoheit über eine Musik soll also über ein virtuoses Kräftemessen beantwortet werden, als würde Marsalis sagen: „Gehen wir draußen vor die Tür, um die Sache von Mann zu Mann zu bereinigen …“ In gewisser Weise auch eine Spielart des Wettbewerbsgedanken.

So eine Kampfansage klingt in unseren (europäischen) Breiten fast atavistisch, was natürlich viele Gründe hat. Einer davon ist, dass sich in Europa der Free Jazz schon vor Jahrzehnten in Richtung freie Improvisation entwickelt hat, wo der Aspekt eines kreativen Kräftemessen stark in den Hintergrund gedrängt wurde, da der eigene Personalstil mitunter als eine Art Privattraditionalismus betrachtet wird, der überwunden werden muss. Derek Bailey, einer der kompromisslosesten Improvisationsmusiker, meinte, dass man am ehesten dann frei improvisiert, wenn man jedes Mal neu aufeinandertrifft. „Ich fand, die besten Momente in einer Improvisation geschehen oft ziemlich am Anfang der Beziehung mit einer anderen Person oder einer Gruppe von Leuten. Später entwickeln sich andere Dinge und man geht davon aus, dass es eine Verbesserung ist. Ich bin mir nicht sicher“, so Bailey. In der Improvisationsmusik trifft man aufeinander, um sich von Vorgaben aller Art zu befreien, nicht um Vorgaben zu erfüllen, was den Wettbewerbsgedanken denn auch eher als Fehler im System erscheinen lässt.

Im Jazz ist diese Sichtweise nicht ganz so extrem ausgeprägt, allerdings gibt es heutzutage wohl kaum einen ernstzunehmenden Streit (oder Wettbewerb) um die Frage, was im Jazz oder in der freien Improvisation angesagt ist – schon gar nicht in Europa. Hier gibt es ein weitgehend entspanntes Nebeneinander, Improvisation ist zwar historisch betrachtet eine Weiterentwicklung von Jazz, was aber nur noch selten zu hochnäsigem Sendungsbewusstsein verleitet. Jazz wird heute ohnehin in allen möglichen Spielformen quer über alle Genregrenzen praktiziert, was die Möglichkeit, sich miteinander zu messen, zusätzlich einschränkt. Und natürlich darf nicht übersehen werden, dass es im Jazz seit jeher eine sehr klassische Form des musikalischen Wettbewerbs gibt, schließlich gibt es, seitdem es Zeitschriften über Jazz gibt, auch entsprechende Wettbewerbe, die „Polls“. Das legendäre US-Magazin „Down Beat“ etwas wurde 1934 gegründet und seit dem Gründungsjahr gibt es eine „Readers Poll“, seit 1953 auch eine „Critics Poll“ –  Jahreswertungen für „beste Musiker“ in unzähligen Vokal- und Instrumentalkategorien und viele weitere Unterkategorien vom „besten Album“ bis hin zum „besten Newcomer“. So gesehen bietet sich – zumindest im etablierten Segment des Jazz – ohnehin jedes Jahr die Gelegenheit, sich als musikalischer Gewinner (oder eben Verlierer) zu erleben, ungeachtet der Frage nach der Vergleichbarkeit individueller musikalischer Ausdrucksformen, um die es im Jazz ja doch ganz wesentlich geht.

Allerdings stehen sowohl der Jazz wie auch die Improvisation heutzutage einer anderen, nicht weniger existenziellen Herausforderung gegenüber: dem Wettbewerb um die Aufmerksamkeit eines tendenziell dahinschwindenden Publikums. Vor diesem Hintergrund kommen als weitere Themen die Selbstvermarktung und die Selbstausbeutung ins Spiel und ebenso die Frage nach Wettbewerben als kunst- und kulturpolitische Fördermaßnahmen. Diese Aspekte sollen an dieser Stelle speziell für das Kapitel Österreich beleuchtet werden – allerdings unter anderen (methodischen) Vorzeichen.

II: Das vielgestaltige Jetzt

Weg von der allgemeinen bzw. amerikanischen Geschichte des Jazz und hin zur Gegenwart, zur Praxis, zur aktuellen Situation von Jazz in Österreich. Teil 2 dieses Beitrags ist ein Interview mit zwei relativ jungen Jazzmusikern aus Österreich. Vincent Pongrácz (geboren 1985) lebt derzeit in Dänemark und leitete vor drei Jahren noch die Stage Band im Porgy & Bess. Er gewann 2014 den Publicity Preis der SKE und präsentierte sich zuletzt auf der 2015 erschienen CD „Rastlos“, eingespielt mit dem von ihm gegründetenSynesthetic Octet, als talentierter Arrangeur und Komponist. Sein KollegeManu Mayr (geboren 1989) spielt ebenfalls in diesem Oktett, ist zugleich Mitglied des renommierten Wiener Labels Jazzwerkstatt Records und ebenfalls mehrfacher Preisträger in Sachen Jazz. Mit seiner „ElektroJazzRockImproGroove“-Kombo Kompost 3 ist ihm vielleicht das am meisten beachtete Jazzprojekt der letzten Jahre geglückt. Gibt es also zwei bessere Gesprächspartner, um über das Thema zu reden?

Wie stark ist der Wettbewerbscharakter in der heimischen Jazzszene ausgeprägt?

Vincent Pongrácz: Es entwickeln sich immer Gruppen von Musikerinnen und Musikern, die eine gewisse Qualität und einen gewissen Zugang zu Musik hüten, was Vor- und Nachteile hat. Darum kann es mitunter schwierig sein, sich als junge Einzelmusikerin beziehungsweise junger Einzelmusiker zurechtzufinden. Meistens entsteht aber eine natürliche gegenseitige Anziehung, wenn Musikerinnen und Musiker ähnliche Interessen haben oder eine Geisteshaltung teilen. Das hat aber eigentlich nichts mit Wettbewerb zu tun. Wenn man mag, was jemand macht, dann unterstützt man sich oder spielt zusammen.

In der Improvisation gibt es das Ideal, sich völlig auf den anderen einzustellen und im gemeinsamen Spiel frei von allen Konventionen zu werden.

Vincent Pongrácz: Ja, aber man sortiert in der Regel automatisch Leute aus, mit denen man nicht so gut kommunizieren kann oder bei denen man keine Offenheit spürt. Es ist schwierig, eine längerfristige Beziehung einzugehen, also sowohl musikalisch wie auch privat, aber wenn es funktioniert, ist unglaublich viel möglich. Was zwischenmenschlich stattfindet, reflektiert sich ja meistens sofort ins musikalische Spiel.

Ist immer gleich klar, dass man mit einer Musikerin oder einem Musiker nicht kann, oder gibt es da auch Überraschungen?


Vincent Pongrácz:
Ich finde schon, dass es Überraschungen gibt, aber das liegt vielleicht daran, dass ich früher manchmal recht schnell über Menschen geurteilt habe, und dann hat sich beim Spielen herausgestellt, dass die vagen Vorurteile doch nicht zutrafen.

Gibt es einen Wettbewerb zwischen den Stilepochen im Jazz? Improvisationsmusikerinnen und -musiker blicken ja mitunter etwas verächtlich auf Jazzmusikerinnen und -musiker herab.

Manu Mayr: Unser Ideal, für das wir auch eintreten, ist der Austausch mit dem Gegenüber und der Respekt für das Gegenüber, was den Wettbewerbsaspekt eher ausschließt. Sobald man eine konkrete Vorstellung einer Musik verwirklichen will, sie also eher als Genremusik mit klar umrissener Tradition begreift, gibt es ganz einfach technische Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen – egal ob man Hardbop oder Cool oder auch zeitgenössische Musik spielt. Dem wollen wir uns entziehen, wir wollen uns nicht innerhalb klassischer Genregrenzen bewegen. Insofern ist der Wettbewerbsgedanke obsolet, wir wollen mit allen Menschen zusammenspielen, ungeachtet ihrer technischen Fähigkeiten.

Würden Sie mit einem Peter Brötzmann oder einem Evan Parker zusammenspielen?

Manu Mayr: Ja, warum nicht. Mit dem Synesthetic Octet bewegen wir uns allerdings im zeitgenössischen Groove und dafür gibt es Anforderungen, dass man etwa als Teil der Rhythmusgruppe Improvisationsteile bewältigen oder als Bläser komplexe mikrotonale Passagen bewältigen kann. Bei Kompost 3beziehen wir auch moderne Kompositionstechniken mit ein, ebenso Hip-Hop-Grooves und Popaspekte. Es gibt den Anspruch, etwas Neues, Modernes zu machen, zugleich aber auch die Liebe zum Kitsch, zu 08/15, zum Trash.

Veröffentlicht Jazzwerkstatt Records auch improvisierte Musik?

Manu Mayr: Bisher wurden nur zwei oder drei CDs mit einem hohen Improvisationsanteil veröffentlicht. Aus meiner Perspektive ist der CD-Markt für Improvisationsmusik noch stockender als der für Jazz. Da sind es wohl eher die alten Ikonen, die mitunter auch mit jungen Musikerinnen und Musikern CDs veröffentlichen und damit in ihrer Nische stabile Verkaufszahlen erzielen.

Machen Sie die Erfahrung, dass sich manche Musikerinnen und Musiker mitunter vordrängen oder auf der Bühne besonders glänzen wollen?

Vincent Pongrácz: Nicht in der improvisierten Musik, aber in Jazzgenres, wo es hohe technische Ansprüche gibt, spürt man mitunter schon, dass es auch um das Herzeigen von Muskeln geht, was vielleicht in einem gewissen Abschnitt des Lernprozesses verständlich, aber generell eher infantil ist. Und wirklich glänzen tun die dann auch nicht, eher blenden. Wobei hingegen eine Art freundlicher oder inspirierender Wettbewerb durchaus existieren kann, wenn es um Expressivität geht. Zu einer größtmöglichen Freiheit im Ausdruck gehört auch eine gewisse technische Versiertheit. Dann kann das eine gute Art von Wettbewerb sein, ein Ansporn, das Instrument in einem bestimmten Genre zu meistern.

„Der Beste im Jazz“ zu sein heißt doch meist, technisch am versiertesten, am schnellsten spielen zu können – aber kann man mit weniger Noten nicht mitunter schöner, erfüllender spielen?

Manu Mayr: Für mich ist die Frage, ob jemand besser oder schlechter spielt, obsolet. Wenn ich das von einer anderen Musikerin oder einem anderen Musiker vermittelt bekomme, kommt ein Zusammenspiel ziemlich sicher nicht zustande.

Vincent Pongrácz:
Wenn es auf der Bühne zwei Soli gibt, das eine ist virtuos, aber ausdrucksarm, dann kriegt das ausdrucksstärkere Solo in der Regel mehr Applaus.

Manu Mayr: Nicht immer. Schlagzeugsolos sind in der Regel nur dummes Reingedresche, kriegen aber in der Regel den meisten Applaus. Lautstärke und Geschwindigkeit sind schon etwas, auf das ein Publikum gerne reagiert.

Kompost 3 hat ja voriges Jahr einen Jazzpreis gewonnen, oder?

Manu Mayr: Nicht nur einen. Mit Kompost 3 haben wir den Bremer Jazzpreisund den BAWAG P.S.K. Next Generation Jazz Award, der heuer im Dezember wieder im Porgy & Bess verliehen wird und bei dem ich dann selbst in der Jury sitzen werde, gewonnen. Das sind allerdings keine allzu renommierten Preise.

Das klingt jetzt eher nicht so begeistert.

Manu Mayr: Es gibt viele Gründe, warum man einen Preis gewinnt, mitunter sind es auch steuerliche Vorteile. Es ist unter dem Nenner eines Wettbewerbs ziemlich leicht, fünf oder sechs Bands an einem Abend spielen zu lassen. Ich könnte zum Beispiel den „Manu Mayr Jazzpreis“ machen und sagen: „Die Gewinnerband kriegt 2.000 Euro“, und ich lasse fünf Bands quasi gratis spielen. Die machen dann alle Werbung für ihr Finalkonzert, es kommen vielleicht 200 Leute zum Konzert, die zahlen jeweils 15 Euro und ich habe 3.000 Euro an Einnahmen. Das ist jetzt natürlich nicht das Big Business (der Club hat ja auch noch Kosten), aber wenn ich das als Kultursponsoring und als Werbung für mich begreife, zahlt es sich aus. Was ich damit sagen will: Ein Jazzpreis müsste wesentlich fetter sein. In der Schweiz gibt es einen Jazzpreis, da erhalten die Nominierten 15.000 Franken und die Gewinner nochmals 30.000 Franken. In Österreich hingegen wird nur der Gewinner prämiert – und das noch mit einer wesentlich geringeren Summe. Aber die Situation ist so, dass man im Grunde genommen froh sein muss, dass es überhaupt Sponsoren für Jazz gibt.

Gibt es keine höher dotierten Jazzpreise in Österreich?

Manu Mayr: Es gibt im Grunde genommen nur die SKE-Jahrespreise, die an Einzelpersonen gehen, die sind aber nicht explizit für Jazz vorgesehen. 2012 erhielt etwa der Gründer und Leiter des Ensembles Studio Dan, Daniel Riegler, den mit 12.000 Euro dotierten Publicity Preis der SKE, 2014 eben Vincent Pongrácz. Daneben gibt es ein paar kleinere Preise. Meine Meinung ist: Es sollte mehr Geld für Jazz geben. Wenn man schon in fast jedem Bundesland ein Jazzinstitut oder etwas Ähnliches hat, braucht es mehr öffentliche Wahrnehmung. Das müssen jetzt nicht unbedingt Wettbewerbe sein, aber es kann nicht sein, dass man den Studierenden nach dem Studium sagt: „Ihr habt keine Möglichkeiten, von eurem Studium zu leben!“

Exkurs: Die Situation der Jazzförderung in Wien sieht tatsächlich nicht allzu rosig aus. 2010 veröffentlichte Stefanie Bramböck die Studie „Die Wiener Jazzszene“, die in ihrem Untertitel schon viel von der Problematik verrät, über die sie berichtet: „Eine Musikszene zwischen Selbsthilfe und Institution“. Bramböck gibt sich bei ihrer Bestandsaufnahme zwar eher moderat im Tonfall, aber nachzulesen ist jedenfalls, dass der Anteil von Wiener Jazzförderungen im Vergleich zur Gesamtförderung von Musik im Schnitt bei ungefähr drei bis vier Prozent liegt – und es gibt keine Anhaltspunkte, dass sich daran in den letzten fünf Jahren etwas geändert hat. Auf der mica-Website finden sich etwa unter der Rubrik „Preise/Auszeichnungen/Wettbewerbe“ für den Raum Wien 19 Einträge, vorwiegend Preise im Bereich Klassik und zwei allgemeine Auszeichnungen für künstlerische Leistungen. Ein Eintrag führt weiter zu den Auszeichnungen der Stadt Wien (auch primär allgemein künstlerischer Natur) und schließlich ist ein Eintrag explizit dem Jazz gewidmet: der „Hans Koller Preis“. Nur dass dieser Preis seit 2009 nicht mehr vergeben wird, weil sich der Sponsor damals zurückzog.

Die Pikanterie dabei ist unter anderem, dass Wien in den letzten Jahren mehrfach als „europäische Jazzmetropole“ gehandelt wurde, während zugleich ein teilweise erbitterter Streit darüber geführt wurde, inwieweit diese Lorbeeren tatsächlich zutreffen. Es wird einerseits beklagt, dass es zu wenige Spielstätten, eine zu geringe öffentliche Förderung, eine generelle kulturpolitische Ignoranz gibt, während andererseits vor institutionalisiertem Jazz gewarnt wird, der nur noch von öffentlichen Geldern lebt. Eigeninitiative sei Trumpf, aber zugleich wird von allen Seiten bestätigt, dass es für junge Jazzmusiker heutzutage praktisch kaum noch Möglichkeiten gibt, von ihrer Musik zu leben. Jazz als Liebhaberei, das führt dann zwangsläufig zu einer Geringschätzung des Genres.

Wie lässt sich dieses Dilemma durchbrechen?

Manu Mayr: Eben durch ein Ausbrechen aus Genregrenzen, wie es zum Beispiel Kompost 3 versucht. Es gibt so viele aktuelle Musik, die sich im Internet abspielt, man kriegt so wenig davon mit, weil jeder in einer „Bubble“ im Internet lebt, Konzerne investieren Millionen, um Aufmerksamkeit zu erkämpfen, und irgendwie muss man es erreichen, dass die Leute wieder zu suchen beginnen, sich wieder für Musik zu interessieren beginnen.

Man könnte zum Beispiel an eine Kooperation mit Wanda denken.

Manu Mayr: Also, die mag ich ja nicht … Aber Bilderbuch zum Beispiel, die finde ich super. Lukas König, unser Schlagzeuger, rappt auf dem neuenBilderbuch-Album. Und die Kooperation mit Fatima Spar und demJazzorchester Vorarlberg geht auch in diese Richtung, nur ist es heutzutage eben schwierig, eine Bigband zu booken.

Vincent Pongrácz: Auf das Publikum zuzugehen heißt ja nicht unbedingt, dass man Kompromisse eingehen muss. Man muss oft nur Zugänge zu Leuten finden, denen diese Musik gefällt.

Manu Mayr: Ich glaube, es gibt irrsinnig viele Leute, die gar nicht wissen, dass es eine Musik gibt, die ihnen gefällt. Kompost 3 zum Beispiel ist eine Band, in der wirklich jedes Mitglied seit der Gründung 2009 viel Energie hineingesteckt hat – und jetzt tut sich was. Viele Dinge haben sich im Laufe der Jahre professionalisiert. Seit einem Jahr arbeiten wir auch mit der BookingagenturMiooow zusammen. Es ist schön, zu beobachten, wie man sich über Jahre hinweg eine Art Fan-Base erspielen kann und langsam, aber stetig mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wir reden nicht darüber, dass wir in der Stadthalle vor 2.000 Leuten spielen wollen, aber wenn wir einmal im Jahr imPorgy & Bess spielen, dann sollte es schon knackevoll sein. Und zumindest so weit sind wir schon mal.

Vincent Pongrácz: Beim Synesthetic Octet habe ich das Gefühl, dass das Rad gerade langsam ins Rollen kommt, aber man muss den Dingen auch ihre Zeit geben. Es ist schon so, dass man viel investiert, aber es ist kein Opfer, ich mache es gerne, es liegt mir am Herzen. Aber ich bin mir sicher, dass es viel mehr begeisterte Hörerinnen und Hörer für diese Musik gibt als die, die sie schon kennen.

Teil III: Transformation

Also? Kann man aus diesen beiden Texten ernsthaft ein Fazit ziehen? Eigentlich nicht, denn irgendwo besteht hier ein seltsames Missverhältnis, eine unausgesprochene Gegnerschaft zwischen den beiden Texten. Es ist, als stünden beide Texte selbst in einem Wettbewerb, ein Wettbewerb zwischen europäischem und amerikanischem Jazz. Man könnte die etwas fragile Schlussfolgerung ziehen, dass europäischer Jazz ebenso ein Wettbewerb ums Überleben ist, wenn auch mit weitaus harmloseren gesellschaftspolitischen Aspekten. Junge Jazzmusiker von heute leben nicht in segregierten Vierteln, sie werden nicht auf offener Straße diskriminiert, sie haben keine eingeschränkten Bürgerrechte. Aber ebenso wie ihre Vorgänger müssen sie immer noch um ihr Publikum buhlen, ein Publikum, das zwar keine Ressentiments hat, aber aus aufmerksamkeitsökonomischen Gründen mindestens ebenso schwer zu gewinnen oder gar zu begeistern ist. Zugleich wird Jazz als Kunstgattung seitens des staatlichen Kulturbetriebs nicht wirklich ernst genommen, was insgesamt doch ein eher trauriges Gesamtbild vom Jazz als bedrohte Kunstgattung ergibt. Aber wenigstens müssen sich die Europäer nicht mit der afroamerikanischen Problematik herumschlagen. Oder müssen sie doch?

Es gibt noch eine andere Sichtweise, der zufolge diese transkontinentale Rivalität noch lange nicht gegessen ist. Ein Zitat des Saxofonisten David Murray bringt das hübsch auf den Punkt: „Die Europäer mögen ja sogar glauben, dass ihnen der Jazz jetzt gehört. […] Es gibt europäischen Jazz, ganz klar. Wenn man den Blues und Gospel aus dem Jazz herausfiltert, hat man die beiden wesentlichen Elemente der afroamerikanischen Erfahrung gelöscht. Doch was für einen Jazz hat man dann ?“ Da ist er wieder, dieser existenzielle Wettbewerb, dieser Kampf um die afroamerikanische Herkunft des Jazz, um den Respekt vor den Urhebern. Natürlich können junge Musiker, die sich heute für Jazz begeistern, diese womöglich immer noch bestehende Schuld nicht schultern, aber es bleibt ein Schatten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Egal wie viel Respekt und Ehrerbietung man den afroamerikanischen Schöpfern des Jazz entgegenbringen mag, das Kaufen ihrer Tonträger bringt jedenfalls vor allem den Plattenfirmen und nicht den Urhebern Profite (und wem gehören die Plattenfirmen?).

Andererseits hat diese Argumentation natürlich selbst ein Problem. Um es mit den Worten des (farbigen) Saxofonisten Fred Anderson zu sagen: „Alle haben ihr Publikum, ich kümmere mich jedenfalls nicht darum, ob die Musiker weiß oder schwarz sind. Wer sich auf die Fragestellung einlässt, hat ein Problem .“Damit könnte man die Sache eigentlich abschließen, allerdings verschwindet damit ein nicht ganz uninteressanter Aspekt. Man könnte das durch eine Umformulierung von Murrays Zitat ausdrücken: Wenn man den Kampf um die Reputation, den Protest „schwarzer“ Musiker gegen „weiße“ Ausbeuter aus dem Jazz herausfiltert, was für einen Jazz hat man dann? Der Kampf bzw. Wettbewerb als elementares Motiv im Jazz. Jazzmusiker spielen nicht in noblen Salons um den wohlfeilen Applaus ihrer Gönner, sie spielen ums Ganze, um ihre gesamte künstlerische Existenz. Doch gerade diese existenzielle Bedingtheit des Jazz hat offenbar eine große Transformation hinter sich. Wie auch immer man darüber urteilen mag, es ist jedenfalls nicht unspannend, die Geschichte des Jazz unter diesem Blickwinkel zu betrachten.

Curt Cuisine

Foto Vincent Pongracz & Synesthetic Octet (c) Astrid Knie
Foto Manu Mayr (c) Astrid Knie

Die Diskussions- und Vortragsreihe mica focus wird unterstützt durch dieAbteilung für Wissenschafts- und Forschungsförderung der MA7 Wien.