„Harte Arbeit zahlt sich nicht immer aus” – ADRIAN GOIGINGER im mica-Interview

Im aktuellen Film “Rickerl” (Kinostart: 19.1.2024) entführt Regisseur Adrian Goiginger in die aussterbende Welt der Wiener Beisl und Spelunken. Die Hauptrolle in der Musiker-Milieu-Studie hat er Voodoo Jürgens auf den Leib geschneidert. Voodoo spielt einen Wiener Gassenmusiker, der sich selbst in seinem “patscherten Leben” am meisten im Weg steht, aber ein bisschen auch sich selbst, bevor er mit seinem ersten Album “Ansa Woar” den Durchbruch schaffte. Mit Markus Deisenberger sprach Regisseur Goiginger darüber, warum er genau diesen Film drehen wollte, weshalb es nicht das Wichtigste ist, mit der Kunst Geld zu machen und wieso in Rickerl überall geraucht wird, sogar beim AMS.

Was hat dich dazu bewegt einen Film über einen Wiener Musiker zu machen?

Adrian Goiginger: Ich war schon immer ein großer Austropop- oder besser Dialektlied-Fan. Austropop ist ja ein eher schwieriger Begriff, weil da alles reingeworfen wird. Aber Ambros, Danzer, Fendrich, Ludwig Hirsch – das hat mir immer schon getaugt. Und Voodoo Jürgens, finde ich, trägt diese Fackel weiter. Gemeinsam mit dem Nino aus Wien. Das sind die beiden, die das derzeit am Spannendsten machen, von ihren Texten und Auftritten her. Ja, und dann habe ich Voodoo Jürgens einfach gefragt, ob er sich das prinzipiell vorstellen könnte, in einem Film, in dem auch seine Lieder vorkommen würden, die Hauptrolle zu spielen.

Das heißt ohne ihn hätte es den Film nicht gegeben?

Adrian Goiginger: Richtig. Es war nicht so, dass ich einen Film über einen Musiker machen wollte und dann gecastet hätte. Nein, ich habe Voodoos´ Songs gehört und mir gedacht: Krass. Eigentlich müsste man da etwas machen. Ja, und dann haben wir uns getroffen und zwei, drei Jahre lang an der Story gefeilt. So hat sich das Schritt für Schritt entwickelt.

War Voodoo sofort begeistert oder hast du ihn überreden müssen?

Adrian Goiginger: Mein Glück war, das er meinen ersten Film “Die beste aller Welten” schon kannte. Er kannte somit meine, ich seine Werke. Wir wussten also, dass wir dieselbe Sprache sprechen. Dann haben wir uns zu einem Probe-Dreh getroffen, um herauszufinden, ob ihm das taugt und ob ich ihn inszenieren kann.

Und?

Adrian Goiginger: Es hat super funktioniert und viel Spaß gemacht. Im Anschluss daran haben wir uns ganz oft im Café Weidinger getroffen, unserem Stamm-Café, und über unsere Kindheit, unsere Jugend geredet und seine Texte analysiert. So haben wir über Jahre hinweg die Story entwickelt.

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Ein Work in Progress also?

Adrian Goiginger: Ja, und das finde ich auch wichtig. Ein Drehbuch kann man nicht einfach so runterschreiben, sondern man braucht immer wieder ein halbes Jahr, in dem man es weglegt, dann wieder hernimmt, überarbeitet. Das ist ein schöner Prozess, den ich gern mag, und es hat mit Voodoo viel Spaß gemacht, weil er offen war und viel beigesteuert hat.

Bisschen schräg ist es natürlich schon, dass ein Salzburger diesen Film macht. Schon die Eingangs-Szene könnte wienerischer nicht sein: Ein als Totengräber arbeitender Wiener Musiker spielt in der Friedhofshalle. Wie kamst du als Salzburger zum Wienerlied und Dialekt-Pop?

Adrian Goiginger: Naja, in Salzburg gibt es da nichts. Es gibt allenfalls noch STS aus der Steiermark. Aber von der älteren Garde kamen alle aus Wien, und ich bin mit dieser Musik groß geworden. In der Hippie-Drogen-Kommune, in der ich aufgewachsen bin, lief ständig Ambros, Danzer und Arik Brauer. Auch die Serien “Ein echter Wiener geht nicht unter” und den “Kaisermühlenblues“ habe ich als Kind geschaut. Und Alltagsgeschichten von Elisabeth Spira.

Im Film gibt es auch verborgene Austropop-Perlen wie z.B. Heinrich Walchers “I bin am Sand” zu hören. Wie kamst du auf so eine eher unbekannte Nummer?

Adrian Goiginger: Das war ein Vorschlag von Voodoo, der im Kreativen und bei der Auswahl der Songs viel mitgestaltet hat. Das haben wir gemeinsam gemacht.

Noch einmal zur ersten Szene des Films am Friedhof: Da singt nach kurzer Zeit das ganze Publikum bei einem Song mit, den es vorher noch nie gehört hat. Spätestens da ist die Marschroute klar: Es geht um die Kraft der Musik und was sie in einem auslösen kann, oder?

Adrian Goiginger: Auch, ja. Absolut. Die einen fangen zum Singen an, die anderen zum Schlägern (in der späteren Hochzeits-Szene, Anm.), aber vor allem ging es mir darum zu zeigen, dass das, was Rickerl aka Voodoo singt, von innen herauskommt. Das ist nichts an den Haaren Herbeigezogenes. Er erzählt von seinem Leben, von dem, was er sieht. Deshalb hat es für uns auch gepasst, dass er am Friedhof einen Song über den Tod singt. Das ist es auch, was seine Musik so toll macht. “Tulln”, der vielleicht bekannteste Song von Voodoo, hat autobiographische Momente. Genau das hat mich auch an seiner Musik berührt: Dass man merkt: Da verarbeitet einer sein Leben in der Kunst – so wie ich es auch in meinen Filmen mache.

Bild Voodoo Jürgens & Adrian Goiginger beim Dreh
Voodoo Jürgens & Adrian Goiginger beim Dreh (c) Alessio M. Schroeder

Der Film bedient das Wien-Klischee des schäbigen Schmähs, spielt mit ihm. Wie geht man als Regisseur mit der Gefahr um, dabei abzurutschen, kitschig zu werden?

Adrian Goiginger: Das ist immer ein schmaler Grat. Bei jedem Film gibt es die Gefahr, dass man in Klischees abdriftet. Bei meinem ersten Film war es die Gefahr des Drogen-Klischees, bei “Der Fuchs” war die Gefahr, ins Weltkriegs-Klischee abzudriften. Was bei Rickerl geholfen hat, ist, dass Voodoo Jürgens und fast alle anderen Schauspieler auch echte Weiner sind, in dieser Welt aufgewachsen sind. So ist man automatisch geschützt davor, dass es klischeehaft wird, weil die einfach so reden, wie sie reden, echt sind, und es hat einen Schmäh und Humor, ist zynisch und morbid. Ich habe auch gut daran getan, nicht zu viel konkret vorzugeben, was die Dialoge betrifft.

Es wurde am Set also auch improvisiert?

Adrian Goiginger: Ja, sie haben teilweise improvisieren dürfen. Voodoo ist auch jemand, der über Drehorte Bescheid weiß. Das war mir ganz wichtig, dass er, der Klischees nicht aushält, da mitentscheidet. Ob es dann immer zu 100% aufgeht, müssen aber eh andere entscheiden.

Der Film ist eine Reise durch die Welt der Beisl und Spelunken. Ich habe da sofort an “Golden days before they end”, ein Buch des Fotografen Klaus Pichler und des Journalisten Clemens Marschall denken müssen. Die beiden haben sich drei Jahre lang in Wiener Beisln, rumgetrieben und dabei die Menschen, die sie trafen, und deren Geschichten verewigt.

Adrian Goiginger: Das Buch habe ich im Büro bei mir stehen, das war eine ganz große Referenz. Ich habe es mir damals, als ich anfing, den Film vorzubereiten, gleich gekauft und habe es der Szenen- und Kostümbildnerin gegeben, damit Sie weiß: So soll es vom Stil her sein. Genau darum geht es ja auch im Film: Dass die Hauptfigur lieber in der Vergangenheit lebt als in der Gegenwart, und das wollten wir in möglichst vielen Facetten rüberbringen. Auch beim Rauchen zum Beispiel.

Es wird im Kino und sogar beim AMS-Termin geraucht.

Adrian Goiginger: Ja, aber auch der Look mit dem analogem 16mm-Format, das spielt alles zusammen, damit es hoffentlich ein stimmiges Bild ergibt. Das Rauchen gehört auch dazu. Witzig, dass Österreich heute eines der Länder mit den strengsten Gesetzen ist, viel strenger als in Deutschland. In Deutschland gibt es in jeder Stadt Raucherlokale. In Österreich war das Rauchen im Beisl doch eine Art Kulturgut und kaum vorstellbar, dass es irgendwann einmal nicht mehr so sein würde. Wir haben ja kurz überlegt, ob wir den Film 2018 spielen lassen, als man in den Kneipen noch rauchen durfte, uns dann aber dagegen entschieden und dafür, dass man in unserem Film überall rauchen darf.

Nicht der einzige Anachronismus des Films: Rickerl nimmt sein Demo nicht mit dem Smartphone, sondern mit einem alten Kassettenrekorder auf und tippt seine Texte auf einer mechanischen Schreibmaschine. Der Film lässt sich auch als Ode an eine Epoche der Musikerzeugung lesen, die es so nicht mehr gibt. Sein Manager sagt gegen Ende des Films den schönen Satz: „Reich werma damit ned werdn, aber vielleicht is des a wurscht.” Ist die Moral von der Gschicht´: Letztlich siegt die Musik, auch wenn es nur für einen 500-Euro-Vorschuss reicht?

Adrian Goiginger: Ja. Ich glaube, wenn du deine Musikkarriere mit dem Ziel startest, möglichst viel Geld zu machen, dann geht sich das vielleicht für ein, zwei Performances aus. Man denke nur an Milli Vanilli. Auch für mich als Regisseur wäre es nicht möglich nur daran zu denken, was viel Geld bringt. Rickerls Manager sagt das ein bisschen lapidar, aber ich finde es auch poetisch und wahr, dass es nicht das Wichtigste ist, mit der Kunst Geld zu machen. Wenn es gut ist, kommt´s eh. Beim Voodoo war es in echt auch so. Ich glaube nicht, dass er mit seinem ersten Album “Ansa Woa” auf einen großen kommerziellen Erfolg geschielt hat. Der ist gekommen, weil die Musik wahnsinnig viele Leute berührt hat. Wenn der Film in der Hinsicht etwas vermitteln soll, dann, dass man den Themen, die einen begeistern, treu bleiben soll. Ich persönlich glaube, dass man dann auch die beste Chance hat, andere zu berühren. Gleichzeitig hoffe ich, dass wir das Oldschool-Ding nicht zu sehr glorifizieren. Das kann man so machen, aber ich will nicht als den einzigen tollen Weg zeigen, der Technik zu entsagen und der Vergangenheit nachzuhängen. Ich hoffe der Film zeigt das ambivalent.

Bild Voodoo Jürgens & Adrian Goiginger beim Dreh
Voodoo Jürgens & Adrian Goiginger beim Dreh (c) Alessio M. Schroeder

Der Film trägt den ironischen Untertitel: “Musik ist höchstens ein Hobby”. Wie oft hat man das zu dir gesagt auf deinem Weg?

Adrian Goiginger: Nicht so oft. Ich hatte Glück, weil ich im Gegensatz zu Voodoo extrem früh gestartet bin und meinen ersten Film machte, der gleich erfolgreich war, aber das wäre sicher gekommen, wenn ich ein paar Jahre länger gebraucht hätte.

Nach dem Motto: Was machst du beruflich? Filme. Ja, schon, aber was machst du beruflich?

Adrian Goiginger: Genau. Beim “Fuchs” war es tatsächlich noch so, dass mich Leute gefragt haben, ob ich davon leben könne. Es ist offenbar sehr weit weg von der Vorstellungswelt vieler Menschen, dass man davon leben kann, Musik oder Filme zu machen. Voodoo Jürgens hat mir gesagt, dass ihm das sehr oft gesagt wurde, auch von Leuten, die es gut mit ihm meinten. Er hat ja auch das Lied “A oarge Hackn” geschrieben, da ist diese Textzeile drin.

Letztlich steht sich Rickerl aber doch selbst am meisten im Weg?

Adrian Goiginger: Ja, das ist offensichtlich. Wir wollten aber zeigen, warum er sich selbst im Weg steht. Wenn du von deinem Vater immer runtergeputzt wirst und der auch noch begründet, warum das, was du machst, seiner Meinung nach Scheiße ist, tut das schon richtig weh. Gleichzeitig läuft dir die Zeit davon. Je älter du wirst, desto schwieriger wird es. Das merke ich auch in meiner Branche. Ich habe einige Kollegen, die seit zehn, fünfzehn Jahren auf den ersten Durchbruch warten. Dann wird es von Jahr zu Jahr zäher. Man fängt an, sich selbst zu manipulieren und nicht mehr daran zu glauben, und das ist schade. Und so gibt es extrem viele Leute, auch sehr talentierte, die aufhören oder einen anderen Weg einschlagen. Ich weiß nicht, wie lange ich es weitergemacht hätte, wäre der Erfolg ausgeblieben. Rickerl muss das erst mit seinem Vater klären, sich davon lösen, um den Mut aufzubringen, sich der Welt mit seinen Liedern zu präsentieren.

Wie sehr muss man den Erfolg wollen und was muss man bereit sein dafür zu opfern?

Adrian Goiginger: Voodoo hat in einem Interview letztens gesagt, dass sich harte Arbeit nicht immer auszahlt. Es gehört auch Glück dazu, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Wenn ich meinen ersten Film nicht gemacht hätte, würde es auch ganz anders ausschauen. Wenn Voodoo in seiner englischsprachigen Band geblieben wäre, hätte er wahrscheinlich auch nicht den Erfolg gehabt, den er jetzt hat.

Eine Referenz dafür ist “Inside Llewyn Davis” von den Coen Brüdern: Darin geht es um einen Musiker, der zur selben Zeit wie Bob Dylan lebt und auch wie er immer im Gaslight Café spielt. In der letzten Szene hat er das Pech, den falschen Slot zu haben. Nach ihm spielt Bob Dylan und der richtige Kritiker ist da. Hätte er den Slot gehabt, wäre vielleicht alles anders gelaufen. Solche Geschichten gibt es unendlich viele in der Kunst-Branche.

Auch in deinem ersten Film “Die beste aller Welten” nimmst du ein ganz bestimmtes Milieu unter die Lupe. Was ist für dich das Faszinierende daran, in die unteren Gesellschaftsschichten einzutauchen?

Adrian Goiginger: Es ist ziemlich nah an mir dran. Ich kenne viele Figuren wie Rickerl aus meiner Vergangenheit. Ich habe Liebe und Verständnis für Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Ich fühle mich wohl, wenn ich deren Geschichten erzählen kann. In dieser Welt ist viel Herz und viel Leben. Da liegen viele verborgene Schätze vergraben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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Voodoo Jürgens