Der Pianist und Komponist THOMAS CASTAÑEDA konnte sich in den letzten Jahren vor allem mit dem von ihm mitbegründeten Ensemble DONAUWELLENREITER einen Namen machen. Als VÉLVEZ tritt der gebürtige Tiroler nun erstmals als Solokünstler in Erscheinung. Auf seinem eben erschienenen Solodebüt „I will never die“ (col legno) verarbeitet er die Erfahrungen und Eindrücke, die er während seines mehrmonatigen Studienaufenthaltes in Kolumbien gemacht hat. Im Interview mit Michael Ternai erzählte VÉLVEZ über die Initialzündung zum Soloalbum und darüber, warum es auch mit Scheitern zu tun hat.
Du warst in den letzten Jahren viel unterwegs. Du hast Wien Richtung Tirol verlassen und bist nach einiger Zeit weiter nach Kolumbien. Was hat dich dazu bewogen, die „große Welt“ zu bereisen?
Vélvez: Ich war ja schon sehr lange in Wien. Irgendwann bekam ich das Gefühl, dass sich die Dinge im Kreis drehten und ich einfach etwas Abstand brauchte. Ich bin dann aufs Land nach Tirol gezogen, in die Nähe von dort, woher ich herkomme. Das war eine gute Entscheidung und für mich ideal, auch einmal irgendwo etwas abgelegen zu leben. Von dort aus bin ich nach einer Weile relativ spontan nach Kolumbien gefahren, es war eine Reise ins Blaue. Einen großen Plan hatte ich nicht, vielleicht, dass ich meine Kreise etwas vergrößern wollte. Ich kannte einen Österreicher, der seit geraumer Zeit dort lebt und gerade dabei war, sich ein Haus zu bauen. Ich lernte ihnzufällig auf einer Party kennen und kam so auf die Idee, ihn zu besuchen. Er war, bevor er auswanderte, in Österreich im Musikbusiness tätig und hatte Kontakte zu Musiker*innen in Kolumbien, was mir natürlich sehr gelegen kam. Ich war dann eine längere Zeit in Bogotá und irgendwann ergab es sich, dass ich gefragt wurde, ob ich im Rahmen einer Konzertreihe in der Steinway Piano Hall ein Konzert spielen wolle. Ich hatte noch nie ein Solokonzert gegeben, aber ich sagte zu.
Hattest du überhaupt ein Programm?
Vélvez: Ich habe eine Woche lang aus allem, was ich konnte, aus all den Motiven, die ich selber immer verfolgt habe, und den speziellen Spieltechniken, die ich mir über die Jahre individuell angeeignet habe, ein kleines abendfüllendes Programm zusammengebastelt und es hat sehr gut funktioniert. Auf jeden Fall habe ich dieses Konzert zum Anlass genommen, ein Soloprojekt voranzutreiben.
Du hast vorher erwähnt, dass du das Gefühl hattest, dich im Kreis zu drehen. Meinst du damit musikalisch?
Vélvez: Natürlich auch musikalisch, aber nicht nur. Es ist auch der Ort, der da eine Rolle spielt. Es ist wichtig, dass der Ort, an dem man ist, einem irgendetwas gibt. Und das kann sich abnutzen. Das war mit Wien bei mir der Fall. Daher musste ich einfach gehen. Diese „Tiroler Klausur“, wenn man so will, hatte etwas Psychologisches. Ich wollte mich ein wenig von der Welt abnabeln. Kolumbien dagegen war so etwas wie eine Expedition, um neues Terrain zu erkunden.
Welche Eindrücke hast du von deinem Aufenthalt in Kolumbien mitgebracht?
Vélvez: Colombia ist ein wunderschönes Land. Natürlich auch mit vielen Problemen, vor allem sozialer Natur. Auf der anderen Seite gibt es diese unfassbare Schönheit und die Kultur. Es war eine sehr eindrückliche Reise, auch weil ich sehr viele Leute getroffen habe und ich bin mit einem Kopf voller Eindrücke zurückgekehrt.
Das am Beginn erwähnte Konzert war also die Initialzündung für dein Soloprojekt.
Vélvez: Wenn ich ehrlich bin, ist das nicht ganz richtig. Ich hatte schon viel früher die Idee zum Solo und damals, im Jahr 2015, hatte ich es so angelegt, dass ich mich eine Woche ins Schloss Stubenberg in der Steiermark einquartierte. Dort gibt es einen guten Flügel. Ich dachte ich könnte mich dort tagelang einsperren und ekstatisch improvisieren. Die Idee, die ich damals hatte, war, sehr lange zu spielen, um möglicherweise in neue Sphären einzudringen. Am Ende dieser mehrtägigen Session hatte ich fünfunddreißig Stunden Material zusammen. Letztendlich muss ich aber gestehen, dass ich total gescheitert bin, weil ich mit dem, was dort entstanden ist, überhaupt nicht glücklich war. Die Aufnahmen hattenkeine Ruhe, sie klangen sehr getrieben und hektisch. Der Versuch ist also komplett in die Hose gegangen. Die Ambition für eine Solo-CD existieren also schon länger. Nur habe ich sie damals erst einmal ad acta gelegt. Erst in Bogotá hat sich die Idee wieder aktiviert. Nach meiner Rückkehr nach Österreich habe ich dann nach einer gewissen Zeit begonnen, meine Ideen auszuarbeiten. Irgendwann war ich dann soweit, dass ich mich für zwei Tage in einem Studio eingemietet und das Album aufgenommen habe. That‘s it.
„Man muss auch sagen, dass dieses Album wieder ein gewisses Scheitern mit sich gebracht hat.“
Das Album ist voller Gefühl, warm im Klang und doch spürt man auch das Spontane, das der Musik zugrunde liegt. Man spürt die persönliche Ebene die hinter den Stücken steht. Das Album ist sehr von Emotionen geleitet.
Vélvez: Man muss sagen, dass dieses Album wieder ein gewisses Scheitern mit sich gebracht hat. Eigentlich war schon die Idee da, konkreter ins Studio zu gehen. Ich habe im Jänner 2021 damit angefangen, Arrangements zu basteln, habe aber bemerkt, dass das nicht so gut läuft, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte eine Handvoll Arrangements, bin aber über eine gewisse Schwelle der Vorbereitung aber nicht hinausgekommen. Ich entschied mich aber dennoch dazu, ins Studio zu gehen und die Sachen aufzunehmen. Ich wusste ja, dass ich Klavierspielen kann. Ich habe also begonnen, im Studio die vorbereiteten Arrangements einzuspielen. Nach zwei Stunden haben ich dann einmal in die Aufnahmen reingehört und war von dem Ergebnis nicht wirklich überzeugt. Danach beschlossen mein Tonmeister Franz Schaden und ich, dass wir die Sache ganz anders angehen und ich eine improvisierte Session hinlege. Und das war die genau richtige Entscheidung. Diese zweistündige Aufnahmesession vom Abend des ersten Tages hat es fast komplett auf das Album geschafft. Man kann durchaus sagen, dass in dieser Session gefühlsmäßig das ganze verrückte Jahr 2020 ebenso drinnen war wie auch alles, was ich vorher gemacht und in meinem Leben musikalisch zusammengebastelt hatte. Klar sind auch viele Motive dabei, die man ansatzweise von den Donauwellenreitern her kennt und auch solche die man über die Jahre in seinen Erfahrungspool aufgenommen hat. Die Aufnahmen an den beiden Tagen im Studio waren letztendlich nur ein spontanes kreatives Momentum.
Hast du dir es selber wirklich so schwer vorgestellt, zu diesem Momentum zu gelangen?
Vélvez: Ja, schon, weil ich mit einem ähnlich improvisatorisch angelegten Projekt ja schon davor einmal kläglich gescheitert war. Deshalb hatte ich einen gewissen Respekt davor, diesen Zugang zu wählen. Der Grund, warum ich Arrangements vorbereitet hatte, war, weil ich mit diesem Ansatz schon einmal eingefahren bin. Das Ergebnis meines zweiten Anlaufs ist aber etwas, zu dem ich stehe.
Weil du gerade die Donauwellenreiter erwähnt hast: War es für dich sehr anders, auch einmal allein zu arbeiten?
Vélvez: Es ist in Wahrheit viel leichter, wenn man jemanden hat, dem man den Ball auch mal wieder zurückspielen kann. Die Schwierigkeit, die ich bemerkt habe, und der Grund, warum es etwas länger gedauert hatte, waren, dass ich keine Referenzen hatte. In einer Band geschieht im kreativen Prozess viel im Austausch. Alleine dagegen ist das schwieriger, vor allem in Momenten, in denen man nicht weiß, wie es weitergehen soll. Auf der anderen Seite genießt man aber natürlich eine größere Freiheit, weil man weniger Kompromisse eingehen muss. Aber auch alleine muss man Kompromisse eigengehen. Es macht ja keinen Sinn die ganzen vier Stunden der Aufnahmesession zu veröffentlichen. Das interessiert keinen Menschen. Und da muss ich sagen, dass mir da Franz als Referenz eine große Hilfe war. Jemanden an der Seite zu haben, der etwas außerhalb steht, ist eine große Unterstützung.
Du bist als Musiker ja schon jahrelang unterwegs und hast einige Alben aufgenommen. Du hast dahingehend schon eine Routine. Hat es dennoch Momente gegeben, in denen du dich selber überrascht hast? Hast du gewisse Aha-Erlebnisse gehabt?
Vélvez: Ja, die hatte ich. Etwa die Hälfte der Stücke des Albums hat als Inhalt die Spielart und die Motive, die ich von mir kenne, die ich einfach immer wieder verwende und an denen ich mich immer wieder abarbeite, wenn ich improvisiere. Demgegenüber sind auf dem Album Stücke zu finden, die ich in einer Art gespielt habe, wie ich es davor noch nie getan hatte. „Saudade“ ist so ein Stück. Dieses ist rein aus der Improvisation heraus entstanden. Genauso die Titel „What comes next“ und „Like a feather“. Auch die sind quasi aus dem Nichts entstanden. In Wahrheit ist mir hier genau das gelungen, was ich vor einigen Jahren zwar probiert, ich mir aus der Übermotivation heraus aber kaputt gemacht habe.
Was nimmst du für dich bzw. für deine anderen Projekte aus diesem Soloprojekt mit?
Vélvez: Grundsätzlich lässt dich ein Soloprojekt als Musiker*in reifen. Dinge, alleine am Klavier zu spielen, muss man sich anders überlegen, man muss sie anders spielen als in einem Ensemble. Wenn man alleine ist, muss das ganze Werkl alleine funktionieren.
Wirst du mit dem Album auf Tour gehen?
Vélvez: Ja, klar. Das Release-Konzert ist am 5. Mai in der Sargfabrik. Dann am 12. Mai gibt es ein Konzert im Kulturhof in Villach. Und auch für den Sommer gibt es schon einige Termine, unter anderem ist ein großes Open Air im Schlosshof in Landeck in Tirol geplant. Und hoffentlich noch viele mehr.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Michael Ternai
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Vélvez live
05.05. Sargfabrik
12.05. Kulturhof, Villach
08.08. Schlosshof, Landeck
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