Gerold Amanns “Hassgeschichte” als “NeueMusikLesebuch”
Ulrich Gabriel publiziert Musik in einem neuen Format Es gehört zur Persönlichkeit von Gerold Amann, dass er sich einesteils für viele Dinge des politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens interessiert, andererseits treiben ihn Missstände sowie Dumm- und Torheiten oft zur Weißglut. Vor mehr als zehn Jahren komponierte Gerold Amann die “Hassgeschichte”, doch sie ist aktueller denn je. Die Uraufführung fand unmittelbar nach der Fertigstellung unter der Leitung von Peter Herbert in New York statt. Nachdem die überarbeitete Fassung im vergangenen Jahr in Bludenz erstmals gespielt worden ist, fasste der Verleger, Musik- und Kunstschaffende Ulrich Gabriel den Entschluss, diese außergewöhnliche Komposition in einem neuartigen Format zu veröffentlichen. Vor kurzem wurde Amanns Hassgeschichte als “Neue Musik Lesebuch”, erschienen in der “Unartproduktion”, vorgestellt.
Anlässlich der Präsentation des “Neue Musik Lesebuches” im ORF Publikumsstudio in Dornbirn erzählte Ulrich Gabriel über die Grundgedanken dieses neuartigen Produktes. “Im Unterschied zur Bildenden Kunst und zur Literatur kennt die komponierte Musik außer dem Tonträger als Massenprodukt einerseits und der Partitur für den Spezialisten andererseits bisher kein haptisches Produkt, das nicht nur das Klangergebnis, sondern auch den Bauplan, die Struktur und die Organisation liefert. Das Neue Musiklesebuch tut das”, so der Herausgeber.
Das geschmackvoll aufbereitete Buch mit einem ins Cover integrierten Tonträger bietet Informationen über den Komponisten, eine Werkbesprechung, den zugrunde liegenden Text und die Noten in einer übersichtlichen Form. Weil die Abschnitte der “Hassgeschichte” inhaltlich in Szenen gegliedert sind, denen jeweils ein Text zugrunde liegt, ist der musikalische Ablauf gut nachvollziehbar. Quasi in Anlehnung an eine Grafik aus der Bildenden Kunst, liegt das Buch mit fortlaufender Nummerierung und vom Komponisten signiert in einer kleinen Auflage vor.
Zweifellos ist das eine zukunftsweisende Idee. Auch die von Ulrich Gabriel weiterführenden Überlegungen zu einem “Musiksalon” könnten den Ausgangspunkt für spannende Hör- und Leseerlebnisse mit Neuer Musik sein.
Von Evas Brut, dem Iltisgesang und dem Doppelzüngigen. Zur Hassgeschichte von Gerold Amann
“Ich trage sehr viel Wut in mir”, sagt Gerold Amann von sich selbst und in manchen seiner Kompositionen bahnt sich diese einen Ausdruck. So auch in der “Hassgeschichte”, die eigentlich in lockerer Atmosphäre, in einem Gastgarten in Kreta ihren Anfang genommen hat. Damals verfasste Gerold Amann zum Zeitvertreib das Polindrom “Ruhe liegt im Tier – reit mit geile Hur”. Im Laufe der weiteren Beschäftigung entwickelte der Komponist daraus sieben Anagramme und entwarf entsprechende Szenen. “Bei den Anagrammen habe ich nach verschiedenen Methoden und Vorbildern gesucht und auch formal unterschiedliche Ansätze angewandt”, erinnert sich Gerold Amann. Beispielsweise beschäftigte er sich auch mit Zauberformeln aus der Spätantike und mit Zaubersprüchen aus dem Alpenraum, die teilweise auch als Grundlage dienten. Die einzelnen Episoden wurden in einen Ablauf gebracht, jedoch ohne einem konkreten inhaltlichen Leitfaden zu folgen. “So sind verschiedene Geschichten den Hass, die Hexerei und die Zauberei betreffend entstanden”, fasst der Komponist zusammen.
Zauberzeichen schaffen Atmosphäre
In der Partitur sind Zauberzeichen abgebildet, die jeweils Hinweise und eine Atmosphäre für die kommende Szene schaffen sollen. Die Abbildungen stammen aus dem Buch “Magie im volkstümlichen Bereich” von Helmut Nemec und verdeutlichen, dass der Komponist keinesfalls von einem esoterischen Ansatz inspiriert war, sondern die Verankerung seines künstlerischen Schaffens auch in der Volkskultur sucht. “Ich habe damals unter anderem dieses Buch verwendet, um mich in die ,Hassgeschichte’ einzuarbeiten”, so der Komponist.
Doppelzüngig
Drei Hauptprotagonisten füllen die einzelnen Szenen des etwa einstündigen Werkes mit Leben. “Evas Brut” ist quasi die Menschenart, der “Iltis-Gesang” verkörpert das Animalische und das Geisterreich. “Vor allem in diesen Passagen möchte ich Parallelstimmen, damit meine ich elektronisch verfremdete Stimmen, hinzufügen”, präzisiert Amann seine Vorstellungen. Eine übergeordnete Figur stellt der Dämon dar, der mit gespaltener Zunge spricht. “Beinahe der gesamte Inhalt der Hassgeschichte ist doppelzügig zu verstehen, aber genau in den Passagen des Dämons stelle ich mir auch Effekte vor, die durchaus auch an Effekte aus Horrorfilmen Anleihen nehmen können, ich denke beispielsweise an den Film ,Das Omen'”.
Hass schüren und kontrollieren
Für die Darstellung der beiden Gruppen “Evas Brut” und “Iltis-Gesang” sieht Gerold Amann jeweils zwei gemischte Vokalquartette vor. Den Dämon gestalten eine Alt- und eine Tenorstimme, die unisono geführt werden, jedoch in speziellen Passagen “doppelzüngig” auseinander driften. Insbesondere der Dämon übernimmt die Rolle des Verbreiters und Überbringers von Gerüchten, er sät den Hass und kontrolliert ihn auch.
Grundlegend für den Klangcharakter des Werkes ist, dass die Instrumente verstärkt sind und elektronisch manipuliert werden. Gerold Amann verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass er von einer Vermischung zwischen E-Musik und Jazz oder gar E- und Pop-Musik nichts hält, jedoch legt er als wesentlichen Grundgedanken für die Konzeption der Hassgeschichte fest, dass für ihn der Reiz darin besteht “das Instrumentarium für völlig andere stilistische Elemente zu verwenden, ohne in irgendeiner Weise stilistisch etwas zu vermischen. Denn hier sind elektronisch manipulierte Sounds auch als Ausdruck der Bösartigkeit, der Magie und des Hexischen zu verstehen.”
Wurde bei der New Yorker Aufführung aus organisatorischen Gründen auf die elektronische Verfremdung der Stimmen und Instrumente verzichtet, so manipuliert bei der Bludenzer Interpretation der Elektroniker Josef Novotny die Stimmen und Instrumente. “Es genügt ja nicht, hier und dort einen Hall oder sonstige Effekt einzusetzen, wenn Elektronik, dann bedarf es einer präzisen Auseinandersetzung”, weiß der musikalische Leiter Peter Herbert.
Musikalische Gestalt
Da Buchstaben und Wörter sowie deren Ordnungen die Textgrundlage der “Hassgeschichte” bestimmen, bemühte sich Gerold Amann auch um eine gebundene Form der musikalischen Organisation. Er verknüpfte die Buchstaben mit Tonhöhen. Vor dem Kompositionsprozess bestimmte Ordnungsmuster dienten als Ausgangspunkt für die musikalische Gestaltung. Dazu verwendete der Komponist Vorbilder für modale Ausdrucksformen, die auch aus der Antike bekannt sind. Auf diese Weise entstand eine in sich kreisende Musik, die einer strengen inneren Ordnung folgt, ohne dass diese jedoch unmittelbar hörbar ist. “Die Hassgeschichte ist eine klug konstruierte Komposition, die zwischen filigranen Instrumentalstücken und fast mächtigen Tuttipassagen changiert, und das ergibt einen ganz eigenen, faszinierenden Spannungsbogen”, fasst Peter Herbert zusammen.
Hassgeschichten heute
Die Relevanz der “Hassgeschichte” in der heutigen Gesellschaft sieht Gerold Amann auch darin, dass Zorn und Wut und das Beleidigtsein auf die anderen immer auch in der Angst und Unsicherheit begründet liegen. Gerne zitiert er in diesem Zusammenhang den Philosophen und Kulturwissenschaftler Peter Sloterdijk, denn “er sagt eigentlich das, was ich denke und das was mich selbst bewegt”, erläutert Gerold Amann seine Intentionen. “Wenn man liest und hört was auf der Welt los ist, entsteht in mir eine Mischung aus Wut und Angst und ich glaube, ich bin nicht der einzige, dem es so geht. Vieles geschieht von Hass und Gewalt bewegt und dafür gibt es verschiedenste Gründe. Ich will nicht den Hass schüren, sondern darauf aufmerksam machen. Die ,Hassgeschichte’ ist auch im Interesse eines weniger hasserfüllten Lebens zu verstehen”, so Gerold Amann und Peter Herbert resümiert, “leider ist die Hassgeschichte aktueller denn je.” Silvia Thurner
Nachweis: Kultur. Zeitschrift für Gesellschaft und Kultur, 4/2008 sowie auf der Homepage www.kulturzeitschrift.at
Factbox
Gerold Amann: Hassgeschichte. NeueMusikLesebuch01. Hrsg. Von Ulrich Gabriel, Unartproduktion 2009. (Internet: www.shop.unartproduktion.at)
Hassgeschichte für Alt, Tenor, zwei Doppelchöre und sechs Instrumentalisten
Lembe Lokk, Alt
Camillo dell’Antonio, Tenor
Zwei Doppelchöre:
Ursula Langmayr und Anna Hauf, Sopran. Margot Oitzinger, Alt. Rudolf Brunnhuber, Altus. Bernd Lambauer und Florian Ehrlinger, Tenor. Matthias Helm und Dieter Kschwendt, Bass
Alex Ladstätter, Klarinette. Bernd Konzett, Kontrabass. Benny Omerzell, E-Piano. Toni Eberle, E-Gitarre. Flip Phillip, Vibraphon. Christian Eberle, Perkussion
Josef Novonty, Sound-Design
Peter Herbert, Dirigent