„GENAU SEHEN, WOHIN MAN GEHEN SOLLTE“ – CASTELLO, SIX, ZÖCHBAUER (CPM-LAB) IM MICA-INTERVIEW

Das COMPOSER PERFORMER MUSIC-LAB im Rahmen des Festivals WELLENKLAENGE, in Zusammenarbeit mit der MUSIKFABRIK NÖ, ist ein Workshop zur Entwicklung neuer Musik sowie neuer Klänge und Kompositionen, von der Idee bis zur Umsetzung. Das CPM-LAB richtet sich an Instrumentalistinnen und Instrumentalisten, Improvisatorinnen und Improvisatoren, Elektroakustikerinnen und Elektroakustiker bzw. Performerinnen und Performer, die auch ihre eigenen Werke kreieren. Innerhalb von wenigen Tagen werden Stücke gemeinsam mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern und Referentinnen und Referenten erarbeitet. Diese werden dann am Ende auf der Seebühne des WELLENKLAENGE-FESTIVALS zur Aufführung gebracht. Vom vielköpfigen Ensemble bis zum Solo ist dabei besetzungstechnisch alles möglich. Michael Franz Woels hat dem Initiator SIMON ZÖCHBAUER, sowie den beiden weiteren Referentinnen und Referenten DAVID SIX und ANGÉLICA CASTELLÓ ein paar Fragen zu ihrer musikalischen Sprache, zum auratischen Thema Bühnenpräsenz und zum ontologischen Festival-Motto „Streben & Sterben“ gestellt.

Der Unterricht des Composer Performer Music-Lab ist mit Wanderungen, einem Seerundgang und einer Bootsfahrt verbunden. Wie wichtig ist für dich als Musiker der Kontakt, das In-Beziehung-Treten mit der dich umgebenden Natur?

Simon Zöchbauer: Für mich ist Natur gleichzeitig anregend und beruhigend. In Lunz am See gibt es wirklich sehr reichhaltige und wunderschöne Natur, die uns in der Unterrichtszeit jedes Jahr inspiriert und in unsere Kompositionen einfließt. In den letzten Jahren haben Teilnehmerinnen und Teilnehmer des CPM-Labs mit Hydrophonen Unterwassergeräusche aufgenommen. Auch mit Klängen des Waldes und der weiteren Umgebung wie dem Seebad und einer alten Sägemühle wurde in Form von Field Recordings gearbeitet. Die Landschaft in Lunz am See lässt die Workshopwoche wie ein Refugium wirken. Man kann tief eintauchen in Musik, Klänge und Natur.

„MENSCHEN, DIE UNTERSTÜTZEND UND WOHLWOLLEND MIT NEUEN KÜNSTLERISCHEN IDEEN UMGEHEN.“

Wenn du dich zurückerinnerst, wer oder was hat dir dabei geholfen, deine eigene musikalische Sprache zu finden? 

Simon Zöchbauer: Zu Beginn war Improvisation ganz zentral, würde ich sagen. Sie gab mir – und tut es noch immer – die Möglichkeit, aus der Intuition heraus zu kreieren; ungeachtet welchen Stil ich nun verfolge. Die Summe aus den bisherigen künstlerischen Erfahrungen, plus dem jetzigen Moment, mit allem, was dazu gehört, das sind: Mitmusikerinnen und Mitmusiker, Stimmung, Raum – alles was ich wahrnehme und wovon ich mich beeinflussen lassen kann. Im Lauf der Zeit war es die kontinuierliche Arbeit an neuer Musik plus das Hören von Musik und der Besuch von Live-Konzerten, die meine Wahrnehmung und meinen Stil geprägt haben. Was man oft außer Acht lässt: Den richtigen Rahmen, in dem das passieren will und der förderlich für die Entwicklung des eigenen künstlerischen Weges ist. Dazu gehören Menschen, die unterstützend und wohlwollend mit neuen künstlerischen Ideen umgehen und Wertschätzung entgegenbringen. Das Ensemble bei Burkhard Stangl an der mdw und dann die Erfahrungen in meinen eigenen Ensembles waren dafür auf jeden Fall sehr wichtig. Und immer der soziale Rahmen, also die Menschen, die am Selben arbeiten. Und ich glaube auch, dass sich künstlerische Sprache immer wieder neu findet beziehungsweise erweitert. Sie ist kein finales Stadium, sondern verändert sich kontinuierlich.

Simon Zöchbauer (c) Michèle Pauty

David Six: Ganz bestimmt Martin Stepanik, einer meiner Lehrer an der Bruckner-Uni. Seine Unterrichtsmethode war ganz bewusst an der Suche nach der ganz persönlichen musikalischen Sprache am Instrument ausgerichtet – auch innerhalb des Uni-Kontexts. Er gab ihr möglichst viel Raum und er konnte mich, was das angeht, auch sehr gut motivieren. Um das zu erreichen, gab es im persönlichen Übe- und Arbeitsplan auch immer den Punkt „Musikhören“. Dabei ging es darum, sich gezielt und regelmäßig neuer Musik auszusetzen. Und ich denke, dass so eine Praxis beim Finden der eigenen Sprache schon sehr hilfreich ist. Es versteht sich von selbst, dass man nebenbei möglichst viel Zeit am eigenen Instrument verbringen sollte.

Angélica Castelló: Viele Begegnungen und Momente der Freude, wenn etwas funktioniert. Es gibt immer wieder ganz besondere Menschen, die genau sehen, wohin man gehen sollte. Im Studium hat mich mein Blockflötenlehrer Paul Leenhouts Amsterdam als Mentor quasi gezwungen, kreativ zu sein. Er hat erkannt, dass das am besten für mich passt.

„FRAGEN, DIE IN DER PRAXIS EINES FREISCHAFFENDEN KÜNSTLERINNEN- und Künstler-LEBENS SEHR RELEVANT SIND.“

Welchen zusätzlichen Input bringen die Gäste Thomas Grill und Julia Lacherstorfer?

Simon Zöchbauer: Thomas Grill war ab dem allerersten CPM-Lab dabei und wird uns in der Workshopwoche und im Jahresprogramm als Gast besuchen. Er ist spezialisiert auf elektroakustisches und konzeptuelles Arbeiten. Im Laufe des Jahresprogrammes werden wir einen Nachmittag mit seinen Studierenden am ELAK verbringen und am Abend ein gemeinsames Konzert an der mdw – Wien machen. Mit Thomas zu arbeiten, bedeutet für mich immer eine Erweiterung meines gewohnten Wahrnehmens und Musikmachens. Julia Lacherstorfer wird uns an einem Nachmittag besuchen, um mit uns an einer Projektentwicklung zu arbeiten, also dort einsteigen, wo es über die Musik hinaus geht – Konzeptuelles, Fotos, Message, Booking etc. Sie wird über jene Dinge sprechen, die wichtig sind, um ein Projekt am Musikmarkt zu verankern.

Angélica Castelló: Ich bin ja das erste Mal im CPM-Lab-Team, ich sehe alles sozusagen aus der Sicht des Frischlings. Ich kenne Thomas Grill sehr gut. Sein Zugang zu Klang ist ein sehr klarer, genauer und tief gedachter. Sein Zugang zum Hören wird den Studierenden viel bringen. Der praktische Input von Julia Lacherstorfer, pragmatische und bürokratische Aspekte eines Musikerinnen- und Musikerdaseins werden im Studium oft zu wenig behandelt. Ich habe das alles erst in der Praxis lernen müssen und dabei viele Fehler gemacht.

Angélica Castelló (c) Oliver Hangl

David Six: Julia Lacherstorfers Beitrag wird ganz wesentliche Fragen zum praktischen künstlerischen Schaffen beantworten: „Wie entwickle ich ganz konkret mein eigenes Projekt? Welchen Zeitrahmen braucht es dafür? Wie und wo kann ich für die Umsetzung Fördermittel beantragen? Wie komme ich zu meinen Rechten als Komponistin und Komponist? Wie trete ich mit der Presse in Kontakt?“ Dies sind Fragen, die in der Praxis eines freischaffenden Künstlerinnen- und Künstler-Lebens sehr relevant sind.

Was ist die Idee hinter dem neuen Jahresprogramm? In welcher Form wirst du dich daran beteiligen? 

David Six: Ausschlaggebend für die Idee zum Jahresprogramm war der vielfach geäußerte Wunsch von Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Sommerkurses nach einer Fortsetzung des Workshops – verteilt übers ganze Jahr. Der Wunsch ist auch nachvollziehbar, da in der Woche beim Sommerkurs wirklich sehr viel kreatives Potential geboten wird und eine Begleitung und Unterstützung bei der Weiterentwicklung desselbigen sehr gewinnbringend sein kann. Ich bin im Jahresprogramm als Ansprechpartner für alle kreativen sowie praktischen Fragen zu haben, wobei ein Schwerpunkt natürlich beim Instrument Klavier als auch beim Thema Rhythmusgestaltung liegen wird. Dabei freue ich mich schon sehr auf die Einzelunterricht-Sessions und die gemeinsamen Wochenenden, sowie auf das Beobachten der individuellen Entwicklungsvorgänge der teilnehmenden Studentinnen und Studenten.

Simon Zöchbauer: Die Idee des Jahresprogrammes ist, den künstlerischen Prozess, der in der Workshopwoche angestoßen wurde, über die Spanne eines Jahres fortzusetzen. Der künstlerische Weg ist nicht in einer Woche abgeschlossen, sondern braucht Kontinuität, um sich zu formen und zu entwickeln. Den Rahmen dafür bietet das CPM-Lab Jahresprogramm mit Einzelunterricht und Gruppenwochenenden und dem Abschlusskonzert, bei dem die neuen Werke gespielt werden. Ich selbst werde beim CPM-Lab die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei Fragen zu ihren Kompositionen begleiten, Improvisations-Sessions leiten und versuchen, den großen Überblick zu behalten.

„EIN ORT, DEN MAN SICH ANEIGNEN KANN, UM KLANGINFORMATIONEN WEITERZUGEBEN.“

Was kann bei der Erlangung von Bühnenpräsenz für musikschaffende Performerinnen und Performer hilfreich sein?

Angélica Castelló: Mein Schwerpunkt ist die instrumentale, elektronische Improvisation. Nicht nur die freie Improvisation, sondern eine Art konzeptionelle, thematische Improvisation, die zu einem Werk, zu einer Komposition führt. Die Bühne ist ein magischer Ort, ein Ort der Rituale. Ein Ort, den man sich aneignen kann, um Klanginformationen weiterzugeben. „Hat Bühnenpräsenz mit Aussehen, mit Eleganz, mit Haltung zu tun?“ Sicher auch. Menschen mit Bühnenpräsenz erinnern mich an Priesterinnen und Priester, Zauberinnen und Zauberer, mit einem starken Glauben an Klang und Raum. 

Simon Zöchbauer: Bühnenpräsenz hängt in meinen Augen mit der Fähigkeit zusammen, gleichzeitig bei sich und in Kontakt mit der Umgebung zu bleiben. Um das zu erreichen, braucht es viele Komponenten, die positiv zusammenwirken: Vorbereitung der Stücke, technische Beherrschung des Instrumentariums, Idee des Ausdrucks, Fokus, Kommunikation mit den Mitmusikerinnen und -musikern und dem Publikum, die Fähigkeit, sich zu öffnen und sich mitzuteilen. All das kann zu einer Art Flow-Zustand führen. Ich denke, dass Bühnenpräsenz ein Zusammenspiel aus den vorherigen Dingen ist und wahrscheinlich noch vielen anderen nicht genannten. 

David Six: Ich würde sagen, die Bühnenpräsenz kommt mit der Praxis. Je mehr man auf Bühnen steht, desto mehr lernt man auch sich dort wohlzufühlen. Und wo man sich wohlfühlen kann, kann man sich auch mit seinem gesamten Geist und Körper ausbreiten und wird dadurch zunehmend präsenter. Am wichtigsten ist wahrscheinlich aber immer noch der Spaß an der Sache. 

Bild David Six
David Six (c) Theresa Pewal

Was assoziierst du mit den beiden Begriffen des heurigen Jahresthema: Streben und Sterben? 

Angélica Castelló: Streben und Sterben ist für mich eine Bewegung. Das ist das, was wir zu tun haben. Auch das Sterben ist nichts Endgültiges, es ist eine Art von Bewegung. Ich sehe das zyklisch. Wenn ich ein Werk vollende, ist auch ein Sterben dabei. Das Sterben ist ein Loop, immer in Bewegung: rauf, runter, nach vorne, nach hinten, etc. Ein Motto voller Energie … 

David Six: Ich denke mir die beiden Begriffe meistens genau in dieser Reihenfolge – und nicht umgekehrt (lacht). Dieses Motto ist sehr universell und vielseitig einsetzbar: Die Blumen in der Vase auf meinem Schreibtisch folgen dem Motto, ebenso wie die Willenskraft eines Baba Allaudin Khans, der noch bis zur letzten Minute am Instrument geübt hat. Für mich stellt sich die Frage, wo und wie man für sich selbst die besten Aussichtsplattformen bauen kann, von denen aus sich das eigene Streben mit etwas Abstand gut beobachten, wertschätzen und vielleicht auch sogar lenken lässt, bevor es unweigerlich wieder abstirbt.

Simon Zöchbauer: Für mich ist der Aspekt der Nachhaltigkeit unseres Strebens vorrangig. Wenn unser Streben nicht unserem gemeinsamen Wohl dient, sondern auf Kosten von Umwelt oder Mitmenschen passiert, setzt Sterben ein – Artensterben, Sterben unserer sozialen Beziehungen oder von Kultur. Der Antrieb hinten dem Streben interessiert mich: Worauf zielt er ab? Die Frage des Warums stellt sich hier unweigerlich und führt zu den großen Fragen des Lebens. Sich diese manchmal zu stellen, hilft mir, einen weiteren Blick auf mein Handeln zu bekommen und mich zu fragen, ob mein Streben nun in erster Linie mir dient oder eine Idee verfolgt, die über mich hinaus geht und für viele Menschen etwas Positives bewirken kann. Wenn mir das gelingt, fühlt sich das deutlich befriedigender an, und ein Gefühl von Getragen-Sein stellt sich ein.

Herzlichen Dank für das Interview!

Michael Franz Woels

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Composer-Performer Music Lab
24.-30.07.2021

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Link:
wellenklaenge
Musikfabrik Niederösterreich