„Er war mein bester Freund und später zweiter Vater“ sagte Liedermacher Ernst Molden einmal über den viel zu früh verstorbenen Willi Resetarits. Nicht die einzigen Rosen, die er ihm zu Lebzeiten streute. Er bezeichnete ihn u.a. auch als „besten Volkssänger der letzten hundert Jahre“ und „einzigen österreichischen Superstar“. Im Gegenzug nannte ihn Resetarits liebevoll „Commendatore Ernesto“. Gemeinsam waren die beiden, ergänzt um Walther Soyka (Harmonika/Gesang) und Hannes Wirth (Gitarre/Gesang) bis zum plötzlichen Unfalltod von Resetarits als „Molden Resetarits Soyka Wirth“ eine Hausmarke. Die Band oder besser die „Viererbande“, wie Resetarits zu sagen pflegte, hat nicht nur vier Platten veröffentlicht, sondern auch um die 400 Konzerte gespielt. Eines davon kommt am 24.1. als Album raus, und es ist ein besonderes, denn es fand im ersten Coronasommer unter erschwerten Bedingungen statt. Nur jeder zweite Stuhl im Stadtsaal war besetzt und die Besucher:innen trugen alle Schutzmasken. „Wir lasen in ihren Augen“ schreibt Molden in den Liner Notes zum Album, und es wurde ein besonderer, ein denkwürdiger Abend. Dass es, wenn man über ein Album als Abschluss einer fünfzehnjährigen gemeinsamen Bandgeschichte spricht, ein wenig wehmütig wird, liegt in der Natur der Sache. Aber Ernst Moden sprach mit Markus Deisenberger nicht nur über Trauer und Verlust, sondern auch über die Geborgenheit und „dieses Glück, das wir empfunden haben.“
Das Café am Heumarkt, in dem wir gerade sind, ist einer dieser Orte, die es vielleicht nur in Wien gibt. Ein Ort, der nichts sein will, was er nicht ist. Ein ehrlicher Ort, den ich durch dich kennengelernt habe und über den ich mich jedes Mal, wenn ich da bin, freue, weil es ihn noch gibt. Dass er nicht kaputtrenoviert wurde.
Ernst Molden: Ja, wir werden es auch weiterhin frequentieren, bis es irgendwann auseinanderfällt.
Von diesem besonderen Ort zu einem anderen: Dem Stadtsaal in Mariahilf. Dort habt ihr im ersten Coronasommer ein Konzert gespielt. Jeder zweite Platz nur war besetzt, alle Besucher:innen trugen Masken. Eigentlich klingt das nach einer schwierigen Ausgangssituation. Andererseits waren alle so hungrig nach Kultur wie selten zuvor, und das hat man wahrscheinlich auch gespürt. Glück im Unglück also?
Ernst Molden: Wir ja auch. Wir selbst waren hungrig nach Kultur. Ich hole jetzt ein bisschen aus: Die Band Molden Resetarits Soyka Wirth hat es fünfzehn Jahre gegeben – von 2007 bis 2022. Währenddessen haben wir zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Konzerte mitgeschnitten. Die zentrale Kommunion dieser Band war ja das Live-Spielen. Und an uns wurde immer wieder herangetragen, ob wir denn nicht ein Live-Album machen wollen. Schon allein wegen der launigen Ansagen, wegen der Wuchtln. Irgendwie haben wir uns dann aber immer dagegen und für neue Nummern und ein Album im Studio entschieden. Als der Willi dann gestorben ist, wussten wir: Wir haben sechs relativ aktuelle Aufnahmen zwischen 2019 und 2021, zwei aus dem Orpheum und vier aus dem Stadtsaal. Fritz Aumayr vom Stadtsaal hat uns dann die Aufnahme, für die wir uns letztlich entschieden haben, geschickt und der Walter, der Hannes und ich haben reingehorcht und mehr oder weniger synchron zum Weinen angefangen, weil uns der Willi einfach so abgegangen ist. Gerade wenn er eine Wuchtl schiebt oder diese ganz spezielle Art zu hören war, mit der er seine Lieder begann – das alles ging uns durch Mark und Bein. Ich habe dann abgebrochen mit den Worten: „Es tut mir leid, ich kann mir das jetzt nicht anhören.“ Und so haben wir erst einmal zwei Jahre gewartet, bis wir uns die Aufnahmen letztes Jahr im Sommer dann doch noch angehört haben.
Wieso dann?
Ernst Molden: Der Charlie Bader (von der Medienmanufaktur, Anm.) hat insistiert, dass wir doch reinhorchen mögen. Dazu muss man wissen: Wir haben nach dem Tod vom Willi zu dritt ein bisschen weitergespielt, dann mit dem Andrej Prozorov ein paar Konzerte gespielt, und es war auch schön, aber immer auch traurig. Weil der Willi die riesige Leerstelle war, er einfach nicht mehr da war. Es war uns also klar: Wir müssen andere Sachen machen. Diese gemeinsamen Lieder werde ich zwar spielen, d.h. sie werden schon gespielt werden, aber man kann nicht einfach Molden Soyka Wirth machen, weil wir darunter leiden und das Publikum darunter leidet, dass er nicht mehr da ist. Weil er so sehr in den Sound reingehört. Und da haben wir den Entschluss gefasst, das zu machen, dieses Live-Album rauszubringen, als Abschluss der fünfzehnjährigen Bandgeschichte.
Warum genau diese Aufnahme und nicht eine der anderen fünf?
Ernst Molden: Wir haben uns die Aufnahmen genau angehört – leidend, aber auch begeistert, weil es einfach eine gute Band war. Zunächst wollten wir eine Best-of-Version machen: ein Lied aus dem Stadtsaal, eines aus dem Orpheum und so weiter. Aber ich habe bald gemerkt, dass ich bei diesem einen Konzert hängen bleibe. Es war das erste nach dem Lockdown, und dieses Glücksgefühl war so groß, das wir nach den drei Monaten empfunden haben, in denen wir als „verbotenes Gewerbe“ nicht spielen durften und nicht wussten, wann sich die Situation normalisieren würde.
Man verfolgte täglich die Kurven im Standard und hatte ein unsicheres Gefühl. Gleichzeitig habe ich in den wenigen Momenten, die möglich waren, gemerkt, wie glücklich es uns macht zu spielen – und wie wichtig es den Menschen ist. Während der Lockdowns habe ich gemeinsam mit meinem Sohn Balkonkonzerte gegeben. Anfangs öffneten auf der Landstraße nur ein paar Leute ihre Fenster, und eine Handvoll Zuschauer hörte zu. Am Ende waren es sechshundert Menschen, die unten auf der Straße standen, wenn wir spielten.
Die Leute haben in dieser Zeit begriffen, dass Netflix und ein Lieferando-Menü kein Ersatz sind für einen Menschen, der leidenschaftlich gerne auf Konzerte geht.
Und das Netflix-Kastl ist irgendwann ja auch mal leergeschaut…
Ernst Molden: Ja, und selbst ist man auch leerer als vorher. In diesem einen Konzert aber waren zwar ein paar Hacker und man hat gemerkt, dass wir ein bisschen steif vom dreimonatigen Nichtspielen geworden waren, aber wir waren beseelt, und haben uns, weil wir so glücklich über einander waren, schon beim Soundcheck leicht einen umgehängt. Wir sind also mit einem leichten Damenspitz auf die Bühne gegangen und waren glücklich, obwohl die Besucher:innen Masken trugen und nur jeder zweite Platz besetzt war. Am Anfang hab ´ich runtergeschaut und mich gefragt, wie ich denn da merken soll, ob ein Song oder ein Schmäh ankommt oder nicht. Man sieht es in den Augen, hab´ ich mir gedacht.
Oder man glaubt es zu sehen…
Ernst Molden: Oder man redet es sich ein, genau. Beim Anhören dieser sechs Konzerte war jedenfalls dieses Konzert das, bei dem die Freude am besten durchgekommen ist. Deshalb haben wir es genommen. Willi singt wie ein Engel, mit ein paar Hackern vielleicht, aber wie ein Engel mit ein paar Hackern. Mir war wichtig, dass die Leute, die das hören, bemerken, dass der Willi der beste Volkssänger der letzten hundert Jahre war. So wie er da den Tod singt – das war die schönste Performance vom Tod, die es jemals gab. Außerdem bin ich als Fan von Live-Footage auch ein Fan davon, wenn es ein Abend ist und die Nummern nicht von mehreren Abenden „zusammengeschustert“ wurden. Gerade ist ein Dr. John-Album rausgekommen, „The Montreux Years“, auf dem über zwölf Jahre verstreute Montreux-Auftritte von ihm zu hören sind. Das hat keine Homogenität, weil er halt einmal so und ein anderes Mal ganz anders drauf war. Einzeln ist das gut, aber nicht zum Durchhören. Unser Album dagegen kann man durchhören wie man sich einen Film anschaut.
In eurem Song „Café Malipop“ gibt es die Textzeile, die das Gefühl beschreibt, wenn man sich an einem Ort so wohl fühlt, dass einem das ganze Drumherum völlig egal wird. „…und gangad die Wöd unter, bin i ma sicher, dass. mir da herin nichts zuastessn dat“ heißt es da. War es so ein Gefühl, das ihr damals hattet? Dass einem das Elend, die Gemeinheit der Welt für zwei Stunden nichts anhaben kann?
Ernst Molden: Genau so eine Situation war das, ja! Eine dreifache Geborgenheit: Einmal in der Band. In diesem Quartett. Wir haben gemeinsam vierhundert Konzerte gespielt, vier Studioalben gemacht, sind in jedes Kuhdorf gefahren mit unserem Programm, und es hat nie ein Gefühl der Verstimmung gegeben zwischen diesen vier Menschen. Nur gegenseitiges Liebhaben und Bewunderung jedes einzelnen für die drei anderen. Die Geborgenheit in der Freundschaft. Dann die Geborgenheit im Stadtsaal, wo wir schon zehn Jahre oder noch länger gespielt hatten. Diese Geborgenheit am Ort, also. Und natürlich die Geborgenheit im Publikum – und das alles in einer solchen Extremsituation, wo man zwangsmäßig von den Freunden, vom Publikum und den Veranstaltungsorten getrennt war. Und plötzlich kommt alles wieder zusammen, wenn auch unter verschärften Umständen, aber doch. Das war schon sehr besonders. Gemeinsam wider den Weltuntergang.
Willi Resetarits war für dich ein „bester Freund und später zweiter Vater“. Du hast die Laudatio anlässlich der Verleihung des Amadeus für sein Lebenswerk gehalten. Und dann war er plötzlich von einem Tag auf den anderen nicht mehr da. Im Falter hast du damals geschrieben: „Was machen wir jetzt?“ Und es klang nach echter, nach purer Verzweiflung.
Ernst Molden: Das ist, wenn ich einen schlechten Tag erwische, immer noch so. Leider muss man sagen, dass die Trauer und die Verzweiflung über seinen Verlust nicht besser werden. Auch wenn man sich auf eine Art dran gewöhnt, hadere ich doch jeden Tag aus einem bestimmten Grund damit, dass der Willi nicht mehr ist. Gewisse Sachen habe ich nur ihn fragen können, und das fällt plötzlich weg. Diese Rolle, die er für mich gespielt hat, wird niemand anderer für mich spielen können. Er fehlt jedem einzelnen von uns dreien. Aber er fehlt auch – für uns spürbar -der ganzen Gesellschaft. Wenn man sieht, was sich jetzt politisch abspielt, fragen wir uns ständig: „Was hätte der Willi gemacht? Was hätte er gesagt, was getan? Gehen wir auf die Straße? Schreiben wir ein Lied? Geben wir ein Interview? Was tun wir?“ Man konnte ihn das alles fragen. Parallel dazu gibt es jeden Tag eine Situation, in der mir der Willi einfällt. Beim Schuhe zubinden etwa. Als ich fünfzig wurde, hat er zu mir gesagt: „Fällt dir das auf? Jetzt bist du fünfzig. Wenn du dir in der Früh die Schuhe bindest, bevor du rausgehst, dass du dich gleich noch mal am Boden umschaust, ob noch etwas zu tun ist, damit du dich nicht umsonst wieder aufrichtest.“ Solche Sachen hat der Willi ununterbrochen gesagt, und ich habe keine dieser Sachen vergessen. Keine. Er war der Zen-Meister und wir anderen drei seine dienenden Zen-Mönche. Und dafür hat er uns gelehrt. Darum auch meine Frage damals: „Was machen wir jetzt?“ Das weiß ich bis heute nicht, außer dass wir weitermachen. Das hätte er sicher gewollt.
Du hast damals auch den folgenden Satz gesagt: „Unser Dach ist weg, fortgerissen von einem einzigen Windstoß.“ Wenn man bei dem Bild bleibt: Hat der Wiener Dialektpop ein neues Dach oder regnet es – mehr als zwei Jahre danach – immer noch ins Haus?
Ernst Molden: Jemanden wie den Willi gibt es nicht mehr. Es hat sich ja nicht nur die Musikszene auf ihn als die große Überfigur einigen können, sondern die ganze Gesellschaft. Wenn du auf die späten Ostbahn-Kurti-Konzerte auf der Kaiserwiese gingst, war die Trennung in Rechts und Links in Ansätzen schon vollzogen, wie überall auf der Welt. Beim Willi aber waren die Rechten und die Linken, und haben sich einen Abend lang in der Verehrung für den Ostbahn-Kurti vertragen. Wo sonst gibt es einen anderen Künstler, auf den sich dieses komische, zerrissene Land einigen kann? Er fehlt aber auch, was das unbedingte Fördern junger Menschen angeht. Das versuchen zwar andere auch, aber er war da ganz besonders. Dass das „Werkl“ nach ihm auch weitergeht, war ihm ungemein wichtig. Dem hat er sich mit ganzer Seele und aus seiner tiefsten inneren Persönlichkeit heraus gewidmet. So ein Würschtl hast du gar nicht sein können, dass der Willi nicht, wenn du ihn angerufen hast und ihm gesagt hast, dass du ein Album rausbringst und ihn verehrts, spontan auf einem Lied mitgesungen hätte oder zumindest bei der Präsentation Mundharmonika gespielt hätte. Der ist immer gekommen. Er hat mir auch einmal erklärt warum: Als er in den 1950er Jahren aus dem Südburgenland nach Wien kam, hat er kaum Deutsch gesprochen und versucht in den großen, als bedrohlich empfundenen Favoritner Parks bei den dortigen Kinderbanden Anschluss zu finden. Seine größte Hoffnung war, dass sie ihn mitspielen lassen. Deshalb hat er jeden und jede, die wollte, mitspielen lassen. Er hat das immer gemacht. Das Gesetz des unter allen Umständen Dazugehörendürfens. Daher kommt auch das, was er in seinen Radiosendungen machte: Dass er jüngere Kolleg:innen förderte, ihnen einen Auslage gab. Auch mir. Unabhängig von Förderungen und Veranstaltern. Weil bevor dich ein Veranstalter überhaupt anschaut, musst du ja kontextualisiert sein. Willi hat völlig Unbekannte genommen und kontextualisiert. Weil sie in plötzlich in seinem Dunstkreis waren, wurden sie völlig anders aufgenommen, wenn sie wo hinkamen.
Seine Rede zur Verleihung des Amadeus für sein Lebenswerk hat Willi Resetarits damals dazu genutzt, um ein Umdenken im Live-Geschäft zu fordern. Es solle nicht nur die 130 Euro-Konzerte geben, sondern ein breites, niederschwelliges Angebot. Als Vorbild hat er Irland genannt. Dort werde in nahezu jedem Pub Live-Musik gespielt. „Darüber müssen wir reden!“, hat er gesagt. Hat man auf ihn gehört?
Ernst Molden: Er wollte, dass jedes Wirtshaus wieder Live-Musik macht. Doch er wurde zu wenig gehört. Bei uns läuft es so: Wenn ein Newcomer spielt und nicht mindestens hundert Karten verkauft sind, wird der Gig sofort abgesagt. Wenn du nicht genug eigene Leute mitbringst, war’s das schon wieder. Gleichzeitig gibt es diese obszön großen Shows.
Man müsste strukturell fördern, dass wie in Irland in fast jedem Pub Live-Musik stattfindet. Wenn du als Band jeden Freitag in einem Wirtshaus spielst, entwickelst du sehr schnell Routine. Hierzulande hast du selbst als wirklich gute Band mitunter nur zwei Gigs im Jahr: Einen im Rhiz und einen ein halbes Jahr später in der Stadtwerkstatt. Das sind die Aussichten. In Irland spielst du hingegen einmal pro Woche im „Sterbenden Schwein“. Es ist selbstverständlich, dass es dort Live-Musik gibt.
Aber man darf nicht nur klagen: Vergleicht man die Situation mit 1996, als ich anfing, war es damals viel schwieriger. Es gab kaum Live-Bands, dafür viele DJs. Natürlich war das auch der Stil der Wiener Elektronikszene und eine andere Zeit. Doch die Zahl der Lokale, in denen man heute spielen kann, ist erheblich gestiegen.
Was allerdings fehlt, ist das kommerzielle Interesse an der Musik. Das könnte man fördern, indem man Wirte ermutigt und unterstützt. Dafür braucht es keine riesige Anlage. In New Orleans spielt in jedem Tschocherl eine Band.
Dabei haben wir heute Musiker:innen, die es damals in dieser Vielfalt nicht gab – in jedem Genre: vom neuen Wienerlied über Elektronik bis hin zu Metal. Es gibt großartige Bands in allen Bereichen.
Du hast auch Nummern ganz konkret für Willi Resetarits geschrieben. Gibt es da eine neue Muse oder klafft da jetzt eine Lücke?
Ernst Molden: Ich habe ziemlich früh in der Arbeit mit ihm gemerkt, dass er alles singen kann. Und selbst wenn er´s nicht singen konnte, hat er sich ein Lied so gebogen, bis es zu seinem wurde. Er nahm das Lied und kroch rein wie in eine zweite Haut. Diese Frank Sinatra-Qualität, dass du so gern singst und das Singen so deiner Persönlichkeit entspricht, dass du eigentlich jedes Material singen kannst, haben nur ganz wenige.
Ich habe oft gemerkt, dass etwas, wenn es für mich zu arg war, bei ihm ging. Dass er es singen konnte.
Hast du ein Beispiel?
Ernst Molden: Lieder wie „September“ oder „Das ewige Leben“. Wenn ich das singe, kommt schnell der Kitsch-Verdacht auf. Wenn er es sang, wirkte das immer richtig.
Wer singt diese Lieder jetzt?
Ernst Molden: Da gibt es eine Vakanz bzw. mach ich´s halt jetzt selber schlecht. Es ist bald drei Jahre her, dass er gestorben ist. Gewisse Lieder haben wir seitdem nicht berührt. Dann habe ich aber gemerkt, dass sie mir fehlen und begonnen sie selber zu spielen, aber anders. Es gibt die Zeit vor dem April ´22, und die Zeit danach.
Der letzte Song des Albums ist mit der „Hammerschmidgossn“ auch der, mit dem alles angefangen hat. Das erste Lied, das du für den Willi geschrieben hast – ein besonderes Symbol nehme ich an, oder?
Ernst Molden: Anfang 2007 war ich bei Trost und Rat (einer von Willi Resetarits gestalteten und moderierten und auf Radio Wien ausgestrahlte Sendung, Anm.). Da waren die „Bubenlieder“ gerade aktuell und er hat mich im Studio musizieren lassen. Ich habe zwei Nummer gespielt und er hat mit der Harp mitgespielt, ich war total „starstruck“. Nach der Sendung sind dann alle Beteiligten traditionell in die Funkhauskantine und haben sich einen umgehängt. Ich bin mit, fand es lustig, war aber, bevor ich völlig in den Rausch abglitt, geistesgegenwärtig genug, um den Willi zu fragen, ob ich denn nicht mal was für ihn machen könnte. Damit habe ich eigentlich eher gemeint, dass ich mal als Support-Act spiele. Er hat damals, schon ziemlich „wach“ gemeint: „Du kannst schon was für mich machen, ja. Du kannst mir ein Lied schreiben.“ Das war schon eine Ansage. Ich habe ihn mit Zwölf kennengelernt, als mir eine als links verschriene Tante die Proletenpassion schenkte – eher um meinen Vater zu ärgern als mir eine Freude zu machen. Eine „Kommerl“-Platte für den Buben. Ich habe zwar nicht ganz begriffen, worum es da geht, war aber ergriffen von der Ernsthaftigkeit und der Schönheit des Gesangs. Zehn Jahre später kam dann der Ostbahn-Kurti auf, und ich war Fan der ersten Stunde, bin ihm in jedes Schutzhaus nachgefahren. Stell dir vor: Du bist Fan, und dein Held sagt, du sollst ihm ein Lied schreiben. Ich habe nachgefragt, ob im Dialekt oder auf Hochdeutsch, weil ich damals ja nur auf Hochdeutsch geschrieben habe. „Das ist mir ganz egal“, hat er gemeint, und ich hab´ daraufhin meine ganzen Ostbahn-Platten rausgekramt, habe ihn studiert, habe aufgesogen, wie er singt. Ich kann ja Wienerisch. Ich bin zwar im 19. Bezirk bei den Eltern schönsprachig aufgewachsen, aber durch meine Großmutter und meine Volkschule im Karl-Marx-Hof kann ich schon Dialekt. Also probierte ich ein Dialektlied. Und die Hammerschmidgossn wurde es, weil ich wusste, dass der Willi zwanzig Jahre vor mir dort war. Er hat dort beim NAC, dem Nussdorfer Athletikclub, die Auswärtsspiele des FAC – das war der Klub, für den er spielte – bestritten. Er hat mir einmal erzählt, sie hätten damals noch alle die Semperit-Patschn getragen, während die Nussdorfer alle schon richtige Fußballschuhe hatten. Er kennt diese Gassen, den Platz und die Gstättn drüber.
Dass ich mein erstes wienerische Lied geschrieben hatte, war ein Aha-Erlebnis. Dass das so einfach geht, weil die Sprache so beweglich ist. Ich hatte schon fünf Alben auf Hochdeutsch geschrieben und mich geplagt, wie sich jeder mit der deutschen Sprache plagt, weil sie so sperrig ist. Und dann fließt dir das Wienerische durch die Hände wie flüssiges Metall, du kannst es biegen und stauchen, machen was du willst, und vor allem genau das, was ich schildern wollte, diese Gefühl, dass du an einen Ort kommst, den du als dir gehörig einstufst, weil du dort deine Kindheit verbracht hast. Du gehst also dorthin und stellst fest, dass sich der Ort verändert hat. Oder du. Aber es hat sich etwas verändert. Du findest den Ort nicht mehr – ein relativ abstraktes philosophisches Problem, das viel mit Altern und „Reifen“ zu tun hat. Wie sagst du das jetzt im Dialekt? Ganz einfach: Es reicht, dass du ein Bild nach dem anderen auf Wienerisch aufschreibst. Aus den Bildern ergibt sich das Gefühl, das ich gesucht habe. Das war ein Erlebnis. Dann habe ich ein Demo gemacht. Zwei Tage hab ich an dem Song geschrieben, zwei Wochen hab ich an einem Demo herumgebastelt, für das ich mich vor dem Willi Resetarits nicht zu schämen brauche. Schließlich habe ich es ihm geschickt und er hat gesagt: „Super, nehmen wir auf. Ein schönes Lied.“ Lange hat er das für den Stubnblues geplant, das ist aber nicht zustande gekommen. Als ich dann mit meiner Band ein Album aufnahm, hat Walter Gröbchen gemeint, dass Willi es dann halt auf meinem Album singen soll. Naja, und irgendwann hab ich mich getraut. Und er so: „Ja, sicher. Wann nehmt ihr das auf? Nächste Woche? Super, ich komm vorbei.“ Und ab dem Folgejahr gab es die Band. Hannes Wirth kannte ich aus dem Umfeld, weil er bei A Life A Song A Cigarette spielte. Den hab´ ich gefragt, und Walther Soyka hat sich uns angetragen, weil ihm das gefiel, was wir da machen. Am Anfang waren noch andere dabei, es hat sich aber bald herauskristallisiert, dass wir vier eine besondere Chemie haben.
Du hast bei der Laudatio über Willi über die Kraft gesprochen, die einem das Nichtdazugehören verleihen kann, und es hat so geklungen, als hättest du das nicht nur auf ihn, deinen Freund, gemünzt, sondern als wüsstest du auch persönlich sehr genau, wovon du sprichst.
Ernst Molden: Klar, ich kenne das schon. Wien ist eine sehr cliquenorientierte Gesellschaft. Mein Vater wurde von den Döblinger Kreisen sofort fallen gelassen, als er kein Geld mehr hatte. Ich habe relativ früh für mich herausgefunden, dass ich nirgends dazugehören möchte. Ich habe Einzelfreundschaften gepflegt und in kleinen Bands gespielt.
Noch dazu habe ich antizyklisch angefangen, indem ich zur Hochzeit der Wiener Elektronik mit Songs daherkam. Da habe ich auch schnell gemerkt: Die Leute, auf die es ankommt, sind die, die unter allen Umständen bei mir sind, weil sie das mögen, was ich mache. Beim Willi war das ähnlich: Der ist zwar in einem hohen Maße mehrheitsfähig geworden, gehörte aber auch nirgendwo dazu. Als der Austropop seine Hochzeit hatte, hat er noch hochdeutsche Polit-Songs gemacht Als die 1980er mit New Wave kamen, ist er auf Rock´n´Roll auf Wienerisch umgesprungen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Markus Deisenberger#
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