„There Is No Music on A Dead Planet“: Dieser Slogan, angelehnt an das „No Future On A Dead Planet“ der Fridays For Future-Bewegung, beantwortet seit fast eineinhalb Jahren auch in Österreich die Frage: „Was hat die Musikbranche mit der Klimakrise zu tun?“
Eine Frage, die sich eine kleine Gruppe von Menschen aus der österreichischen Musikszene schon länger stellte und am 22. April 2022 den Österreich-Ableger der weltweiten Initiative Music Declares Emergency startete. Das Datum war bewusst gewählt: Seit 1970 wird an diesem Tag weltweit der Earth Day begangen, der auf die Umweltproteste nach dem Santa Barbara Oil Spill im Jahr 1969 zurückgeht. Mehr als 50 Jahre später kommen zu den Umweltproblemen von damals – Ölkatastrophen, Atomwaffentests und Walfang – zwei damals noch unbeachtete, miteinander verbundene Bedrohungen dazu: Die Klimakrise und der rasante Verlust der Biodiversität.
Auf der Suche nach Mitstreiter:innen aus der österreichischen Musikszene musste zu Beginn mit einem Missverständnis aufgeräumt werden: Der Initiative geht es nämlich nicht darum, Artists, Fans, Veranstalter:innen, Venues oder Labels ein schlechtes Gewissen einzureden. Denn verantwortlich für den miserablen Zustand des Klimas ist die Politik, die beim Klimaschutz seit Jahrzehnten versagt. Die Artists sollen ein Sprachrohr sein, um Fans zu mobilisieren und den Druck auf die Politik zu erhöhen. So wie bereits eine Woche nach dem Start von Music Declares Emergency Austria die Hearts Hearts bei den Amadeus Awards auf der Bühne des Volkstheaters „ein radikales Umdenken der politischen Entscheidungsträger:innen“ in Sachen Klimaschutz fordern und für den Sager „There’s No Music On A Dead Planet“ tosenden Applaus ernten.
Das von der untätigen Politik über Jahrzehnte geschickt platzierte Narrativ, es liege am Individuum, eine der größten Krisen der Menschheit mit Verhaltensänderung abzuwenden, sorgte auch für eine der großen Herausforderungen bei der Mobilisierung von Artists. Der Irrglaube, man dürfe sich nur dann öffentlich für etwas einsetzen, wenn man selbst bereits alles richtig mache, hatte sich schon zu sehr in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Übersehen wird dabei, dass es im bestehenden System praktisch unmöglich ist, alles richtig zu machen – und darum geht es bei Music Declares Emergency: Gemeinsam einen Systemwandel einzufordern, der die Politik zur Verantwortung zieht und klimagerechtes Handeln erleichtert, dass es von der Ausnahme zur selbstverständlichen Norm wird.
Die Declaration von Music Declares Emergency formuliert vier weltweit gültige Forderungen der Bewegung und ein Bekenntnis dazu, selbst zur Lösung der Klima- und Biodiversitätskrise beizutragen. Sie hat weltweit rund 7.000 Unterstützer:innen, darunter Artists wie Billie Eilish, The 1975, Wet Leg, Idles, Massive Attack oder Deichkind. MDE Austria hat daraus abgeleitet konkrete Forderungen für Österreich formuliert, in Form eines Offenen Briefes. Um Unterstützung für den Offenen Brief zu mobilisieren, startete MDE Austria zum Jahrestag der Gründung eine Kampagne, die von zahlreichen österreichischen Artists mit einem Videostatement unterstützt wurde.
Am Content Day im Wiener Dockyard Studio gaben sich die Bands die Klinke in die Hand, um ihre Botschaften zu recorden. Produzieren kann MDE Austria Kampagnen- und Kommunikationsmaterial übrigens nur, weil viele Menschen, Organisationen oder Institutionen ehrenamtlich, pro bono oder zum Selbstkostenpreis mithelfen, dem Klima- und Artenschutz in Österreich mehr Gehör zu verschaffen. Eine kleine Starthilfe gab es vom WWF Österreich, seither trägt sich der Verein durch Mitgliedsbeiträge und durch kleinere Honorare z.B. für Vorträge (oder diesen Beitrag) selbst.
Die Nachfrage nach Expertise, nach Input und Auseinandersetzung mit dem Thema Klimaschutz in der Musikbranche, ist da. Panels beim Südwind Straßenfest, beim Waves Festival, im Loft, am Stream Festival in Linz, im Weser Schlachthof, bei mica – music austria oder am Popfest Wien und bei der Konzertreihe Musik am Fluss fanden mit Beteiligung von Music Declares Emergency-Aktivist:innen statt oder wurden von MDE selbst organisiert. An der Universität für Musik und Darstellende Kunst gab’s in Kooperation mit mica – music austria einen Workshop zur „Klimaneutralen Musiklandschaft“, für die nächsten Monate gibt es bereits zahlreiche Anfragen zur Teilnahme oder Mitgestaltung von Panels, Events und Programmen. Die Medien sind ebenfalls aufmerksam geworden und fragen MDE-Mitglieder als Interviewpartner:innen an. Berichtet haben u.a. Ö1, FM4, Der Standard oder die Salzburger Nachrichten.
Auch große Veranstalter haben bereits angeklopft, die um ihren Impact auf das Klima wissen. Übrigens, laut einer Erhebung in UK entfällt der größte Anteil der Emissionen bei Festivals auf „Audience Travel“ – ein Grund, warum das Thema Mobilität besonders im Fokus steht. Und die Erhebung zeigt auch, dass nicht die mit dem Tourbus anreisenden Artists das Problem sind – sondern fehlende Öffi-Anbindung, falsche Anreize (Gratis-Parkplätze, aber teure Zugtickets) oder eine autozentrierte Raumplanungspolitik. Fehlentwicklungen, für die die Politik verantwortlich ist, und die auch nur auf der politischen Ebene behoben werden können.
Natürlich haben aber auch Veranstalter und Venus die Möglichkeit, Anreize für die umweltfreundliche Anreise zu setzen, weshalb Mobilität auch ein Thema im eigens für Österreich erstellten Green Hospitality Rider ist.
MDE weltweit
Seit der Gründung von MDE Austria kamen Ableger in Polen, Ungarn, Brasilien und Indonesien dazu. Mittlerweile gibt es MDE in 14 Ländern. Das „Mutterschiff“ MDE UK ist die größte Organisation und sorgt für Kooperationen mit international bekannten Artists wie Billie Eilish und großen Festivals. Mit dem „Fan Club for Climate“ hat MDE UK auch eine Online Community ins Leben gerufen. Musikfans können sich dort registrieren, sich für ehrenamtliche Tätigkeiten melden, bei Klimachallenges mitmachen und Tickets für Konzerte oder Festivals gewinnen. MDE Deutschland hat eine Serie von Ratgeber für die Musibranche erstellt, z.B. in den Kategorien Logistik, Team+Orga, Beleuchtung, Hygiene und natürlich – Anreise.
Was kann ich tun?
Wer bei MDE Austria andocken will oder mehr erfahren will kann uns gerne schreiben oder einfach beim monatlichen Stammtisch (Termine auf Insta und FB) vorbeikommen – so wie das viele Artists schon gemacht haben, ohne sich gleich zu einer aktiven Rolle zu committen. Wer nicht gleich musikalisches Sprachrohr der Klimabewegung werden will, hat auch andere Möglichkeiten. So haben Dutzende Artists keine Sekunde gezögert, sich bei den AAMAs 2022 und 2023 mit dem „No Music On A Dead Planet“-Slogan fotografieren zu lassen. Ein kleines Bekenntnis, das aber dafür sorgt, dass sich immer mehr Artists aus der Deckung trauen und sich deklarieren (Danke übrigens auch an den AAMA-Veranstalter IFPI, der ebenfalls keine Sekunde gezögert und uns den Zugang zum Red Carpet ermöglicht hat).
Der aktuelle Sommer mit Absagen oder Abbrüchen von Open Air Events aufgrund von Extremwetterereignissen zeigt auf, dass die Musikbranche den Klimaschutz nicht nur aus altruistischen Motiven braucht. Und warum braucht der Klimaschutz die Musik? Weil Artists etwas haben, das Expert:innen, Wissenschafter:innen und Umweltschutzorganisationen unbedingt brauchen, um etwas verändern zu können: Ein Publikum. Und zwar ein Publikum, das gut zuhört. Und die Geschichte der erfolgreichen Protestbewegungen lehrt uns auch: Was die Menschen mobilisiert, sind nicht nur Fakten und Information; gesellschaftliche Veränderung braucht Inspiration. Hier kann die Musik eine wichtige Verbündete der Klimabewegung sein.
Autorin: Hanna Simons, Gründungsmitglied von Music Declares Emergency Österreich, stv. Geschäftsführerin WWF Österreich
Kontakt:
Music Declares Emergency Austria (Instagram)
kontakt@musicdeclares.at
Unterstützer:innen aus Österreich (Auswahl):
AYMZ I Anger I Dorian Concept I Onk Lou I Elav I Skero I Sigrid Horn I Fred Owusu I Hearts Hearts I Amelie Tobien I Pippa I Leftovers I Folkshilfe I Yasmo I Ina Regen I Lion Season I Ernst I Lausch I Momo und der Void I Lil Julez I Anna Buchegger I Picobello I Neuschnee I James Choice I Mynth I Nnoa I GOT’YA I Clara Luzia I Dubblestandart I Abby Lee Tee I Paul von Pauls Jets I FLUT I Naked Cameo