„Für uns stellte sich einzig die Frage, was das Beste für einen Song ist“ – MILE & FLIP im mica-Interview

Es ist das Zusammentreffen von zwei Generationen des österreichischen Hip-Hops, das hier stattfindet, die Kollaboration zwischen einem echten Veteranen und einem vor allem in der jüngeren Vergangenheit auf sich aufmerksam Machenden – FLIP, seines Zeichens Mitbegründer und Mitglied der legendären Formation TEXTA, und MILE, Teil der im Moment sehr angesagten Band SHARKTANK, haben sich zusammengetan, um in Sachen Hip-Hop ein wenig Staub aufzuwirbeln und dem Format „ein Rapper, ein Produzent“ neues Leben einzuhauchen. Mit „No Hard Feelings“ (Ink Music; VÖ: 30.9.) erscheint nun das erste gemeinsame Album der beiden. Im Interview mit Michael Ternai erzählten FLIP und MILE, wie es zu dieser generationsübergreifenden Zusammenarbeit gekommen ist und dass sowohl die gemeinsame Wellenlänge als auch ihre Wertschätzung füreinander wichtig sind.

Flip, du bist schon seit 30 Jahren Teil der österreichischen Hip-Hop-Szene und damit quasi einer ihrer Pioniere. Mile, du gehörst der jüngeren Generation der Szene an.Wie seid ihr überhaupt auf die Idee gekommen, gemeinsam etwas zu machen?

Flip: Kennengelernt haben wir uns bei einem DJ-Gig in Weiz im Sommer 2015. Dort habe ich gemeinsam mit meinem Texta-Kollegen Dan aufgelegt. Bevor wir auf die Bühne gegangen sind, hat Mile noch ein paar Nummern performt. Ich habe das, was ich gehört und gesehen habe, sehr cool gefunden und ihn gefragt, ob er nicht Lust habe, zu unseren Sachen etwas zu freestylen. So haben wir uns angefreundet. Danach haben wir lose Kontakt gehalten und sind uns online gegenseitig gefolgt. Irgendwann hat mich Mile dann angeschrieben und gefragt, ob ich nicht Lust habe, etwas mit ihm zu machen. Dann hat er mir ein paar Sachen geschickt und mich um ein paar Beats gebeten.

Aber da war ein gemeinsames Album noch kein Thema. Mit der Zeit haben wir aber gemerkt, dass die Chemie zwischen uns passt, und so sind die Dinge dann immer mehr ins Laufen gekommen.

Mile: Richtig konkret wurde es dann 2020 während eines Lockdowns. Ich kann mich erinnern, dass es draußen recht kühl und dunkel war, als ich die ersten Beats von Flip zugeschickt bekommen habe. Bei der ersten Session haben wir dann drei Songs aufgenommen, was uns darüber nachdenken ließ, vielleicht eine EP zu machen. Bei der nächsten Session sind dann nochmals Songs dazugekommen und irgendwie hat mich Flip immer weiter dazu motiviert, immer noch einen Track zu machen. Am Ende ist dann ein ganzes Album rausgekommen. Es war einfach ein richtiger Lauf da. Die Beats waren cool und es war wirklich schön, Texte über diese zu schreiben.

Eigentlich hätte es ein ruhigeres Album werden sollen, aber am Schluss kam dann doch noch die Producer-Mentalität von Flip durch, der meinte, das Album vertrage noch zwei, drei echte Banger, also zwei Nummern, die mehr nach vorne gehen. Hört man sich das Album jetzt an, erkennt man, dass die für die Abwechslung wichtig sind.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Mile, was schätzt du an den Beats von Flip am meisten?

Mile: Was ich an Flips Beats schätze, ist, dass sie so bandig klingen. Sie haben etwas sehr Organisches an sich. Ich dachte immer, dass Flip im Grunde genommen alles samplet, und das extrem gut. Inzwischen bin ich draufgekommen, dass er extrem viel live einspielt.

Und das war es, was mich abgeholt hat. Auch weil es nicht allzu weit von dem entfernt ist, von wo ich herkomme und wo ich mich wohlfühle. Es ist zwar nicht Sharktank, aber es ist Hip-Hop.
Ich wollte immer schon einmal ein Boom bap, quasi eine Art give back to the culture, von der ich komme. Und dafür war Flip irgendwie die beste Anlaufstelle. Wobei mir das erst später klar wurde. Ich habe lange überlegt und mir wirklich viele Sachen angehört, ich überlegte, wer in Österreich für so ein Projekt infrage käme. Und erst wirklich viel später fiel mir ein, dass es da ja noch den Flip gibt. Ich habe mir seine Instragram-Seite angeschaut, auf der ja viele Beats von ihm zu hören sind, und mir gedacht: „Die sind wirklich Dope.“ Und dann ist es eigentlich geschehen. Flip hat mir eigentlich sofort ein paar Vorschläge geschickt.

Bist du bei den Beats eigentlich auf die Wünsche von Mile eingegangen bzw. hast du Beats speziell für ihn produziert?

Flip: Nein, gar nicht. Ich habe mittlerweile ja schon eine recht breite Palette an Beats. Es wäre ja auch langweilig, immer dieselben zu machen. Aber ich habe schon gewisse Beats im Vorhinein selektiert, von denen ich das Gefühl hatte, dass die passen würden. Nachdem wir dann die ersten Sachen ausgewählt haben, wussten wir im Grunde genommen, in welche Richtung es ungefähr geht, und haben entsprechende Sounds bzw. Tracks ausgewählt, damit das Gesamtbild am Schluss ein rundes ist.

Das war gegenseitiger Prozess. Und ich bin der Meinung, dass man einem MC schon die Freiheit lassen soll. Es soll ja motiviert sein. Was bringt mir das, wenn ich sage, dass dieses Instrumental auf das Album muss, während er sich denkt: „Was soll ich dazu schreiben?“ Es ist schon wichtig, dass es dem MC und Rapper auch taugt. Das ist das Um und Auf. Erst dann ergibt sich eine Synergie. Das heißt, man muss als Produzent das Ego schon auch ein wenig zurückschrauben.

„Es reizt mich einfach, verschiedene Styles auszuprobieren.“

Die Nummern kommen auf jeden Fall erfrischend oldschool, verspielt und stilistisch vielfältig daher. Sie erinnern mich im Sound irgendwie an die 1990er-Jahre.

Flip: Mir ist Musikalität wichtig. Wenn ich etwas sample, dann schaue ich schon, dass das nicht irgendein fader Loop ist, sondern einer, mit dem man wirklich etwas anfangen kann. Es reizt mich einfach, verschiedene Styles auszuprobieren.

Bedeutet, eine gute Chemie zu haben, auch automatisch, dass man immer einer Meinung ist und das Werkl von ganz allein läuft? 

Mile: Es hat natürlich Momente gegeben, in denen man sich gegenseitig Inputs gegeben hat. Es ist schon vorgekommen, dass Flip mir gesagt hat: „Der Verse ist schon ganz cool, aber da nach hinten raus gibt es ziemlich viele Lücken. Wie wäre es, wenn du dir überlegen würdest, da und da ein paar Wörter einzubauen.“ Wenn du in einer kurzen Zeit Lyrics für ein ganzes Album schreibst, dann kommst du irgendwann an den Punkt, an dem zwar 90 Prozent passen, es aber doch ein paar Stellen gibt, wo du Hilfe bzw. Instant-Feedback von jemanden mit Rap-Erfahrung brauchst. Und ein solches Feedback nehme ich dann auch gern an. Dieser Ablauf hat auf jeden Fall Erfolge gebracht. Wir haben die Sachen recht schnell umgesetzt. Ich denke, warum es so reibungslos funktioniert hat, hatte auch viel damit zu tun, dass wir im Studio beide mit relativ wenig Ego an die Sache herangegangen sind. Für uns stellte sich einzig die Frage, was das Beste für einen Song ist. Und das Beste für einen Song ist nicht immer, dass ich in Doubletime rappe oder der Bass so knallt, dass man sonst kein Instrument mehr hört. Es geht darum, die richtige Balance zu finden, und da muss man sich eben gegenseitig die Bälle zuspielen. Und das hat sehr gut funktioniert.

Auch der Workflow war cool. Wir haben immer ein wenig gequatscht und dann aufgenommen. Wenn es für uns gepasst hat, haben wir uns gesagt: „Cool.“ Klar hätten wir da und dort auch mehr probieren können. Im Endeffekt aber musst du irgendwann einmal sagen, was deine Philosophie ist. Willst du, dass alles supertight und jede Silbe perfekt zu hören ist oder sollen die Nummern eine gewisse Stilistik oder einen gewissen Vibe haben? Und ich glaube, bei uns war es eher der Vibefaktor, der immer mehr die Oberhand gewonnen hat. Dementsprechend hat es sich super ergänzt.

Flip: Das funktioniert auch nur dann gut, wenn der MC sein Handwerk beherrscht. Ich habe schon viel mit Rapper:innen zusammengearbeitet, und es ist schon mehrmals vorgekommen, dass ich mit einigen von ihnen einen Song aufgenommen habe, den wir dann zwei Wochen später, als sich alles gesettelt und die*der Rapper*in ihren*seinen Text wirklich beherrscht hat, nochmals komplett neu aufnahmen. Das spricht für die Qualität von Mile. Was mir an ihm noch gefällt, ist, dass er auch singen kann und diese spezielle Mischung aus Melodie, Rap und diesem Souligen mitbringt. Das finde ich sehr spannend. Und wir haben klarerweise versucht, genau diesen Aspekt hervorzuheben, weil das etwas ist, was nicht allzu viele können, wie ich finde.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Ihr habt auch recht interessante Features dabei. Wie etwa den amerikanischen Rapper Fashawn.

Flip: Eigentlich sind es zwei Tracks, bei denen ein Feature dabei ist. Bei den Features ist es darum gegangen, dass sie den Songs etwas hinzufügen. Ich kenne ja mittlerweile einige Leute und habe Mile einige aufgezählt, von denen ich glaubte, sie könnten passen. Und unter diesen war eben auch Fashawn dabei. Da hat Mile schon ordentlich gegrinst.

Mile: Ja, da hat es geklingelt. Ich bin immer noch geflasht, dass er tatsächlich auf einem Track [„Somebody Else“; Anm.] drauf ist. Dass er sich die Zeit genommen hat, sich irgendwo in Kalifornien hinzusetzen und für den Track einen Verse zu schreiben, ist schon sehr cool. Und du merkst auch, dass er sich mit dem Text beschäftigt hat und nicht einfach irgendetwas drübergeschrieben hat. Der Track behandelt mehr oder weniger das Thema Selbstzweifel und da hat Fashawn dazu einen sehr persönlichen und reflektieren Beitrag geliefert. Ich glaube, nicht viele Rapper:innen würden bei einem Feature so offen sein.

„Dass ich jetzt nicht über irgendwelche Objekte oder über mein Auto rappe, ist ja klar.“

Weil wir gerade von Texten reden. Welche Themen handelst du auf dem Album ab? Du meintest ja, dass du auch während der Lockdowns Texte geschrieben hast. Inwieweit hat die dunkle Stimmung der Pandemie die Musik und die Texte beeinflusst? Und was meint ihr mit „No Hard Feelings“?

Mile: Vielleicht dahingehend, welche Beats ich ausgewählt habe. Generell war es aber so, dass es mir in dieser Zeit ja nicht schlecht gegangen ist. Ich war halt viel daheim. Ich habe in dieser Zeit aber viel John Lennon gehört und habe mir gedacht, dass es cool wäre, wenn ich als Rapper es versuchen würde, diese Stilistik von den Texten her auf meine Art und Weise rüberzubringen. Dass ich jetzt nicht über irgendwelche Objekte oder über mein Auto rappe, ist ja klar. Es geht viel um meinen Sohn, wie sich diese Momente, die ich gerade erlebe, anfühlen, und um die Hoffnungen, die ich für ihn habe.

Der Titel „No Hard Feelings“ ist eigentlich eher zufällig entstanden. Es hat für den Titel anfangs mehrere Vorschläge gegeben. Irgendwann habe ich Flip dann auf Whatsapp eine Nachricht geschrieben und wegen irgendetwas rumgestresst, weil etwas erledigt werden musste. Ich schrieb ihm: „Sorry fürs Stressen, No Hard Feelings, aber …“

Flip: Ich dachte mir sofort: Das ist der Titel. Wir haben wirklich lange hin- und herüberlegt gehabt, nur haben wir bis dahin nichts wirklich Griffiges gefunden. Und ich finde, der Titel passt auch gut zum Album, weil er auch etwas retrospektiv ist. Man kann in den Titel in gewisser Weise ja auch eine Art Abrechnung von Mile mit seiner Jugendzeit hineininterpretieren. Das Aufwachsen als schwarzes Kind in Weiz, die Rassismen, die einem da entgegengebracht werden. Das Schöne ist, dass von Mile jetzt nicht der Mittelfinger kommt, sondern einfach nur: „No Hard Feelings, all diese Erfahrungen haben mich schließlich zu dem gemacht, der ich jetzt bin. Das Ding ist für mich abgeschlossen. Ich bin jetzt nicht sauer über das, was mir passiert ist.“
Man nimmt ja aus schweren Zeiten immer auch Erfahrungen mit, manchmal vielleicht auch etwas Positives. Und ich glaube, das ist auch irgendwie die Attitude, die Einstellung zum Leben, die wir teilen. Instinktiv merkst man eh gleich, dass man ähnlich tickt und ähnliche Meinungen zu Themen hat.

Ich bin ja auch jemand, der nach einem Streit oder Ähnlichem mit „No Hard Feelings“ kommt. Was bringt es, zehn Jahre lang über etwas zu sudern? Ich finde, das ist keine schlechte Lebenseinstellung. Natürlich ist nicht alles Honig und Kuchen, aber das gehört genauso zum Leben. Es geht darum, dass man aus den Dingen lernt und etwas Positives mitnimmt. Und ich habe das Gefühl, dass sich das auf unserem Album sehr persönlich und authentisch widerspiegelt.

Ist das Album für euch ein einmaliges Projekt oder denkt ihr schon auch daran, es längerfristig am Leben zu halten? Ihr seid beide nicht unbedingt wenig ausgelastet.

Mile: Wir haben auch schon Konzerte gespielt und haben auch vor, dies in naher Zukunft zu tun. Ich glaube schon, dass wir weiter Musik machen werden. Die Frage, ob dann jedes Mal ein Album herauskommen muss, ist eine andere Frage. Man muss halt schauen, wie es sich im Geflecht der vielen Aufgaben ausgeht. Aber als wir beide begonnen haben, haben wir auch nicht damit gerechnet, dass es ein Album wird. Es ist halt einfach passiert. Solange das Gefühl der gegenseitigen Wertschätzung da ist, wird mit Sicherheit etwas passieren. Aber um ehrlich zu sein, habe ich mir, bevor du diese Frage gestellt hast, nicht wirklich groß Gedanken darüber gemacht. Ich bin jetzt einfach froh, die Platte in der Hand zu halten und dass wir Konzerte spielen werden. Das andere, denke ich, ergibt sich dann eh von selbst.

Flip: An mir soll es auf jeden Fall nicht scheitern. Ich habe noch so viel Musik bei mir gespeichert, dass sich wahrscheinlich noch zehn Mile-&-Flip-Alben ausgehen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Ternai

++++

Links:
Mile (Facebook)
Mile (Instagram)
Flip (Instagram)
Flip (Facebook)
INK Music