„FÜR MUSIK GIBT ES KEINE GRENZEN, WIR VERSTEHEN EINANDER AUCH OHNE SPRACHE“ – BASMA JABR IM MICA-INTERVIEW

Die Sängerin BASMA JABR stammt ursprünglich aus Syrien und agiert seit dem Jahr 2014 von Wien aus: Jürgen Plank hat mit Jabr über das Konzept ihres Albums „Furat“ gesprochen, das im Jahr 2023 aufgenommen wurde und heuer auch beim Festival „Wellenklänge“ präsentiert worden ist. Das Besondere daran: auf „Furat“ interpretiert BASMA JABR neben dem von ihr selbst komponierten Titelstück Lieder von arabischen Sängerinnen der 1920 bis 1960er-Jahre. Außerdem berichtet die charismatische Sängerin, die im Herbst 2024 auch wieder im Theater am Spittelberg zu sehen sein wird, von Musikprojekten, die sie bis in die U.S.A. geführt haben. Und sie erzählt, warum sie als Sängerin den Beinamen Lilien-Verkäuferin erhalten hat.

Der Albumtitel „Furat“ bedeutet übersetzt „Euphrat“ und verweist somit auf das Zweistromland, wo es einst Hochkulturen gegeben hat. Warum beziehst du dich auf diese Region?

Basma Jabr: „Furat“ ist für mich eine Metapher für meine Geschichte: woher komme ich? Wo bin ich gerade? Wo bin ich gelandet? Meine Geschichte ist wie ein Fluss. In der arabischen Welt ist Furat auch ein Frauenname, deswegen möchte ich mich mit den Frauen auseinandersetzen, mit ihrer Musik, mit ihrer Rolle in der arabischen Musikszene. Deswegen habe ich Lieder gesammelt, die auch im Zusammenhang mit den Sängerinnen und deren Geschichten zu hören sind. Mein Albumtitel „Furat“ ist auch eine Metapher in Bezug auf die Frauen, deren Musik ich präsentiere. Ich hole diese Musik in die Gegenwart.

Wie bist du musikalisch vorgegangen und wer sind nun diese Sängerinnen, deren Lieder du interpretierst? Was haben die Sängerinnen gemeinsam?

Basma Jabr: Der Oud-Spieler Muhannad Nasser hat für das Album neue Arrangements erstellt. Das Titelstück habe ich geschrieben, es erzählt meine eigene Geschichte. Die Lieder auf dem Album stammen aus der Zeit zwischen 1920 und 1960, gesungen von Sängerinnen wie Munira Al-Hawazwaz, Zakia Hamdan oder Souad Tawfiq.Munira Al-Hawazwaz heißt eigentlich Munira Abdulrahman, sie hat aber ein Lied mit dem Titel „Al-Hawazwaz“ gesungen und wurde danach Munira Al-Hawazwaz genannt. Das war bei mir ähnlich. Ich finde es sehr inspirierend, wenn wir so ein schönes Feedback bekommen. In Syrien war mein Beiname die Lilien-Verkäuferin, weil ich ein Lied mit diesem Titel gesungen habe. Bis heute nennen mich viele Leute Lilien-Verkäuferin oder Blumen-Verkäuferin. Das ist für mich sehr inspirierend.

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Das Lied ist also stark mit einer Sängerin verknüpft und prägt mitunter sogar einen neuen Namen.

Basma Jabr: Genau, das ist dann nicht nur ein Lied, sondern bedeutet für die Sängerinnen eben mehr. Zakia Hamdan zum Beispiel war eine sehr starke Frau, sie hat in Syrien oft romantische Lieder interpretiert und war ein Symbol für die Befreiung von Frauen in der Region. Das Lied von ihr, das ich interpretiere, ist eine traurige Liebesgeschichte, aber Zakia Hamdan war ein Idol in der arabischen Musikszene. Sie war nicht nur als Musikerin, sondern auch als Mensch ein Vorbild, ein Idol.

Haben die eben angesprochenen Sängerinnen auch eine gesellschaftspolitische Rolle gespielt und sich etwa für Frauenrechte eingesetzt?

Basma Jabr: Eine politische Rolle haben diese Frauen nicht gespielt. Aber es ist wichtig, nicht nur ihre Musik zu präsentieren, sondern auch ihre Geschichte.

Bleiben wir noch kurz bei Munira Al-Hawazwaz, du hast ihren Song „Tejfi“ gesungen und ein Musikvideo dazu gedreht. Welches Konzept steht hinter diesem Video?

Basma Jabr: Ich habe mich mit dem Regisseur Mohammad Abou Chucker getroffen und besprochen, dass unser Video nicht nur von der Liebe erzählen soll, sondern wir wollten uns eine andere Geschichte abseits von Klischees ausdenken. Es handelt sich schon um eine Beziehungsgeschichte, da geht es um eine Mutter und ihren Sohn. Sie ist geschieden, hat ihre eigene Arbeit und ihr eigenes Leben, trotzdem denkt sie immer über ihren Sohn nach und würde sich wünschen, mit ihm zu leben. Sie möchte ihn nach der Scheidung zumindest am Wochenende sehen und wartet immer sehnsüchtig auf diese Termine. Sie möchte ihren Sohn so oft wie möglich sehen, aber ihr Ex-Mann hat dafür kein Gespür. Und so ist ihr Herz gebrochen und sie stirbt letztlich – anders als im Liedtext – in unserem Musik-Video daran. Wir wollten einfach eine andere traurige Liebesgeschichte erzählen.

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Du verwendest traditionelle Instrumente wie die Oud, eine Laute, und gibst den Liedern einen neuen Klang. Findest du die Arrangements gemeinsam mit deinen Musikern? Etwa mit dem Oud-Spieler Orwa Saleh, der auch beim Konzert im Theater am Spittelberg im Sommer dabei war?

Basma Jabr: Ich bin auch ein Fan von klassischer, arabischer Musik, aber es ist für mich etwas Besonderes, dass ich diese alten Lieder und Traditionals zu meiner Musik mache. Ich möchte die traditionellen Klänge zum Beispiel mit Jazz-Elementen vermischen und präsentieren. Wir sind hier, in dieser Zeit und in diesem Raum, in dem wir agieren. Und ich finde es schön, die alten Klänge mit neuen Arrangements, in einem neuen Gewandzu präsentieren. Ich habe viel mit Muhannad Nasser gesprochen und er hat daraufhin die Arrangements eingerichtet. Das ist nicht einfach, dabei muss man auch mal ums Eck denken. Ich wollte auch nicht zu viele Änderungen haben. Es könnte ja auch Reaktionen geben, die sagen: ihr habt zu viel geändert. Oder: ihr habt fast nichts geändert. Das ist eine Gratwanderung. Ich habe zum Album aber inzwischen viele positive Feedbacks für die neuen Arrangements bekommen.

Sind neben deinem eigenen Stück hauptsächlich Traditionals auf deinem Album enthalten?

Basma Jabr: Es ist ein Volkslied dabei und es gibt Traditionals, bei den meisten Stücken kennt man aber die Komponist:innen. Ich habe das Titelstück selbst geschrieben, um ein Zeichen zu setzen, dass Frauen außer Sängerinnen auch Komponistinnen sein können.

Ist es im arabischen Raum normal, dass sich diese alten Lieder mit der Zeit verändern?

Basma Jabr: Ich glaube, ja. Es ist normal, über die Zeit ändern sich die Lieder durch die verschiedenen Interpret:innen. Ich bin ein Fan davon, nicht willkürliche Änderungen zu machen, sondern sich dem Material mit Respekt zu nähern.

Du hast beim Projekt „Voices Of Vienna“ mitgewirkt, was habt ihr in diesem Rahmen umgesetzt?

Basma Jabr: Da waren sechs Sängerinnen mit verschiedenen musikalischen Hintergründen auf einer Bühne vereint und sind mit einem klassischen Orchester in einen Dialog eingetreten. Das Projekt spiegelt Wien wider, die Vielfalt der Musik-Szene und der Gesellschaft hier. Das war ein sehr schönes Projekt.

Welche Stücke habt ihr mit „Voices Of Vienna“ gespielt?

Basma Jabr: Das erste Konzert war mit vollem Orchester, jede Sängerin hat zwei Lieder mit dem Orchester gesungen, ich habe meine eigenen Kompositionen „Lumi“ und „Min Al-Ham“ präsentiert. Und wir haben ein traditionelles Wienerlied miteinander gesungen und jede der Sängerinnen hat ein eigenes Set gespielt. Wir haben mit dem Tonkünstler-Orchester im Musikverein gespielt und ich habe zum Teil auch mein Projekt „Furat“ vorgestellt.

Unlängst bist du in den U.S.A. aufgetreten, wie war das?

Basma Jabr: Ja, vor kurzem war ich in den U.S.A., mit einem ähnlichen Konzept, ebenfalls mit sechs Sängerinnen. Das Projekt heißt „Let Her Sing“.In manchen Regionen der Welt ist es für Frauen verboten, zu singen. Etwa in Afghanistan. „Let her sing“ will für Frauen ein Türöffner dafür sein, mehr Musik zu machen und mehr Musik zu präsentieren.

Bild Basma Jabr
Basma Jabr (c) Georg Cizek-Graf

Außerdem hast du im Kurzfilm „Unter Fremden“ als Schauspielerin mitgewirkt. Im Film geht es um Migration, um Einwanderungsbehörden, um Bürokratie, mit der man zu tun hat, wenn man sich auf dieser Welt bewegt – insbesondere mit einem Pass, der nicht aus einem westlichen Land stammt. Wie siehst du dieses Thema?

Basma Jabr: Das ist eine lange Geschichte, ich bin wegen des Krieges in Syrien nach Österreich gekommen. Und in Syrien war ich wegen des Krieges in Kuwait. Ich möchte die Chance nutzen, Sängerin zu sein, ohne darauf hinzuweisen, dass ich vor Krieg geflüchtet bin. Auch wenn Krieg eine große Rolle in meinem Leben gespielt hat. Das Leben in Wien ist vielfältig. Viele sind auf der Flucht, um ein besseres Leben zu haben und um vor Kriegen zu fliehen.

Als Krieg im Irak war, sind viele Menschen nach Syrien geflohen und nach einigen Monaten war eine Veränderung in der Gesellschaft zu bemerken: es gab neue Dialekte, eine neue Kultur, Kleidung und neue Restaurants. All das haben die Geflüchteten mitgebracht, dadurch wird jede Gesellschaft bereichert und bunter. Die Rolle in diesem Kurzfilm ist auch meine Geschichte, denn jetzt bin ich wegen der Kriege hier.

Wie erlebst du die Musikszene in Österreich, in Europa?

Basma Jabr: In Syrien habe ich als Architektin gearbeitet und die Musik war mein Nebenjob. Für drei Jahre war ich als Architektin tätig und ich denke, das ist genug. Im Jahr 2016 habe ich mich gefragt, was ich sein will. Damals habe ich alles geändert und beschlossen, ausschließlich Sängerin sein zu wollen. Mit dieser Entscheidung bin ich sehr zufrieden.

In Syrien können Frauen ziemlich frei singen, auftreten und ihre Musik präsentieren. Im Jahr 2008 habe ich mehrere Konzerte in einem Opernhaus in Damaskus gespielt. Vor dem Krieg gab es eine gute Musikszene, all das hat der Krieg zunichte gemacht.

Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Österreich und Syrien. Ich denke, mit der Vielfalt der Menschen, kommt auch vielfältige Musik nach Österreich. Ich habe oft mit unterschiedlichen Musiker:innen gespielt und habe da viele vibes aufgenommen, die mich geprägt haben. Wenn ich meine Stimme heute höre und Aufnahmen aus dem Jahr 2017, dann bemerke ich Unterschiede. Wien ist sehr offen in Bezug auf Musik, mit „Voices Of Vienna“ war ich sehr zufrieden, denn dadurch ist mehr Dialog in Richtung klassische Musik entstanden.

Was würdest du dir für die Zukunft wünschen?

Basma Jabr: Ich wünsche mir mehr Raum und mehr Unterstützung für meine Musik und für die Musik von Musiker:innen, die aus anderen Kulturen hierher kommen. Wir sind ein wichtiger Teil von Wien und mehr Chancen wären gut.

Inwiefern wirkt dein Album nach Syrien zurück?

Basma Jabr: Schon, das Album ist ja auf den Plattformen. Nicht nur aus Syrien, sondern auch aus Tunesien, Irak, Marokko, Saudi-Arabien bekomme ich schöne Feedbacks für mein Album.

„ES IST SCHÖN FÜR MICH, MIT MENSCHEN ÜBER DIE MUSIK IN VERBINDUNG ZU KOMMEN“

Bild Basma Jabr
Basma Jabr (c) Georg Cizek-Graf

Welche Pläne hast du für die nächste Zeit?

Basma Jabr: Im Juli und August waren wir mit dem Album auf Tour, außer beim Kultursommer Wien und in Lunz haben wir unter anderem auch bei einem Festival in Moggio, in Italien, gespielt. Mein Plan ist, noch mehr Konzerte zu spielen. Ab und zu bekomme ich Einladungen von Festivals, aber mehr als 70 Prozent der Konzerte organisiere ich selbst. Die nächsten Schritte sind: mehr Konzerte spielen und ein neues Album machen.

Moggio ist ein kleiner Ort in Nord-Italien, wie war dein Auftritt dort?

Basma Jabr: Die Leute dort sind unglaublich, sehr emotional. Nach dem Konzert gab es einige der besten Momente meines Lebens für mich. Es gab viele Emotionen, auch Tränen und Umarmungen.

Viele Leute haben mit mir gesprochen und obwohl ich die italienische Sprache nicht verstehe, habe ich sie verstanden, sie haben auch mich durch die Musik verstanden. Für Musik gibt es keine Grenzen, wir verstehen einander auch ohne Sprache. Natürlich fragt mich das Publikum manchmal nach der Bedeutung von einzelnen Texten. Aber allgemein gesprochen: wir verstehen einander und ich kann alles mit Musik ausdrücken. Das ist ein sehr schönes Gefühl und deswegen bin ich sehr zufrieden, weil ich Musikerin bin. Es ist schön für mich, mit Menschen über die Musik in Verbindung zu kommen.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Live:

18. bis 20.10.2024: Klingwind, Musikverein Wien, siehe: https://www.musikverein.at/konzert/?id=0005cf92

18.11.2024: Theater am Spittelberg, Spittelberggasse 10, 1070 Wien, 19:30h, siehe: http://www.theateramspittelberg.at

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