„FÜR MICH SELBER WAR DER GRÖßTE ERFOLG, DASS ICH FREUDE AM LIVE SPIELEN GEFUNDEN HABE“ – NESS IM MICA-INTERVIEW

Mit 1,3 Mio. Menschen hat die 19-jährige NESS eine Anzahl an monatlichen Spotify-Hörer:innen, die ihr in dem Alter erstmal so schnell niemand nachmacht. Nachdem ihre Karriere 2021 mit einer Starmania-Teilnahme begann, hat sich NESS in kürzester Zeit steil nach oben gearbeitet und befindet sich aktuell mitten in ihrer zweiten eigenen Tour. Erst im September erschien ihre EP „Frag für ne Freundin“, in der die Singer-Songwriterin wie gewohnt persönliche Themen und Erlebnisse verarbeitet und dabei tief in ihre Seele blicken lässt. Mit Katharina Reiffenstuhl hat NESS über die Entstehungsgeschichte ihres meistgestreamten Songs, ihre Einstellung zur Musikmetropole Berlin und über ihr Idol BILLIE EILISH gesprochen.

Du hast vor kurzem eine neue EP rausgebracht. Was steckt hinter „Frag für ne Freundin“?

NESS: “Frag für ne Freundin” ist bei einem Writing-Camp in Berlin entstanden. Der Spruch “Frag für ne Freundin” war ja auf Social Media mal so ein Ding. Und ich dachte mir, das wäre lustig, wenn man das in einen Song verpackt, aber nicht positiv. Man nimmt ein trauriges Thema und macht den Song ein bisschen schneller. Es war irgendwie ein sehr spannender Prozess, und so ist das dann entstanden – einfach mit dem Hintergedanken: “Fehl ich dir? Ich frag’ für ne Freundin.” Dieses bisschen verlegene. 

Deine Lieder zeichnen sich durch diese extrem persönlichen Themen und Melancholie aus. Ist Musik dennoch etwas, woraus du positive Energie schöpfen kannst?

NESS: Auf jeden Fall. Für mich ist das eine Form von Selbsttherapie, weil ich oft Dinge habe, über die ich nicht so gut sprechen kann. Dann schreibe ich darüber. Meine Songs sind immer meine privaten Erlebnisse und Geschichten, und sobald ich eine Emotion fühle, kann ich die voll gut in Songs reinpacken. Wenn irgendwann eine Phase in meinem Leben kommt, wo ich mich ausschließlich gut fühle, dann wird es da definitiv auch solche Songs geben. Das war bis jetzt einfach nicht so, deshalb sind die Songs so, wie sie sind. Ich finde es aber auch total schön, dass ich damit anderen Leuten auch irgendwie helfen kann.

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Du trittst als Identifikationsfigur für queere Menschen auf. Hattest du eine queere Identifikationsfigur, als du jünger warst?

NESS: Nicht wirklich. Ich hatte immer Billie Eilish, aber sie hat ja ganz lange von sich selbst gesagt, sie sei straight as a ruler. (lacht) Das hat dann quasi nicht so ganz in mein Bild gepasst. Aber gerade, was Kleidungsstil angeht, habe ich mich sehr viel wohler gefühlt, als ich gesehen habe, dass sie das auch trägt. Da habe ich dann gemerkt, es ist so wichtig, dass man irgendjemanden hat, dem man ähnlich ist. Das hat mir sehr geholfen. Auch mit ihrem Outing jetzt, nicht, weil das jetzt noch unbedingt notwendig gewesen wäre, aber es hat mich einfach sehr gefreut zu hören. Das war ein Full-Circle-Moment für mich. 

Bei dir ist karrieretechnisch alles sehr schnell gegangen. Was war dein persönlich größter Meilenstein?

NESS: Total schwer zu sagen. Ich glaube, für mich selber war der größte Erfolg, dass ich Freude am live spielen gefunden habe. Weil ich sehr lange sehr unsicher war und dachte, dass ich das nicht kann und nicht gut genug bin. Mittlerweile stehe ich da oben und denke mir “Was wäre meine Karriere ohne live spielen und ohne diese Leute?”. Das gibt mir eigentlich am allermeisten in dem, was ich mache. Und das ist jetzt ein schöner Part von mir, den ich genießen kann. Ansonsten würde ich sagen, dass das Feature mit HE/RO ein Riesenerfolg für mich war. Damals haben die noch unter DIE LOCHIS Musik gemacht, da war ich der allergrößte Fan. Für mein inneres Kind war das wie 15 Mal Geburtstag und Weihnachten gleichzeitig. 

„JETZT GERADE IST EIN BISSCHEN FEATURE-STOPP“

Bild Ness
Ness (c) Fabian Karner

Gibt es noch ein anderes Feature, bei dem du hoffst, dass es eines Tages zustande kommt?

NESS: Ich habe ganz lange immer BADMOMZJAY gesagt, weil ich die Kombination aus Rap und melancholischerer Balladen-Musik ganz spannend fände. Gerade habe ich aber nichts Bestimmtes im Kopf. Ich konzentriere mich gerade sehr viel auf Solo-Musik, bin aber auch unfassbar dankbar für die Features, die ich schon machen durfte. Jetzt gerade ist ein bisschen Feature-Stopp, sage ich mal.

Du stehst jetzt kurz vor deiner nächsten Tour, oder?

NESS: Ja, also die Deutschland-Tour war schon, ich war in letzter Zeit ständig unterwegs. Ab 18. Oktober geht’s mit der Österreich-Tour los.

Wie war es bisher? 

NESS: Unfassbar schön. Es ist einfach total cool, weil man die Leute kennenlernt. Das ist total komisch. Man sieht sonst nur Zahlen auf Spotify, aber die Gesichter dazu nicht. In Köln habe ich die Live Music Hall spielen dürfen, was für mich unglaublich ist. Da passen 1.300 Leute rein und der Fakt, dass so viele Menschen für mich kommen, ist wirklich abnormal. Ich gehe nach den Konzerten meistens raus und da lernt man sich schon immer ein bisschen kennen. Das ist total die schöne Verbindung und ich freue mich total, dass es bald wieder weitergeht, weil ich nicht will, dass es aufhört.

Bist du noch aufgeregt vor den kommenden Shows?

NESS: Also aufgeregt bin ich eigentlich immer irgendwie. Aber positiv. Damals war es nicht positiv, bin ich ehrlich. Ich habe mich schon gefreut, aber ich hatte immer sehr Angst, dass irgendwas nicht gut läuft. Mittlerweile ist das aber komplett weg. Jetzt kann ich einfach mit den Leuten, die für mich da sind – was total crazy ist – die Songs gemeinsam singen. Das ist total healing.

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Du hast auch schon auf einigen Festivals gespielt. Dort trifft man ja oft auf Publikum, das einen vielleicht vorher nicht kennt. Welche Festival-Experience hast du am coolsten in Erinnerung?

NESS: Ich muss sagen, für mich war das Frequency eine coole Festival-Erfahrung. Aber das war auch mein erstes Festival, vielleicht deswegen. Ich wusste, es ist nicht mein Publikum, es ist ein Festival, die Leute sind da, um Spaß zu haben. Da habe ich erstmal zwei Balladen weniger in die Setlist reingegeben. (lacht) Aber ich habe mir gedacht, ich springe da jetzt rum, egal, ob ich mich wohlfühle oder nicht. Ich musste meine Komfortzone irgendwann verlassen und ich habe das Gefühl, das war der Moment, wo mir der Knopf aufgegangen ist. Sagt man das so? Da muss man einfach abliefern, es geht nicht anders. Dadurch, dass ich da über meinen Schatten gesprungen bin, ist mir das sehr positiv in Erinnerung geblieben. Was auch total krass und aufregend ist, dass ich das machen durfte, war das Donauinselfest.

„WENN DIE GANZE MUSIKINDUSTRIE NACH BERLIN ZIEHT, VERLIERT ES JA AUCH IRGENDWO DIE MAGIE“

Das ist ja auch eine Gegend, die du gut kennst, nachdem du von hier bist. Wäre wegziehen, zum Beispiel für die Musik, eine Option für dich?

Bild Ness
Ness (c) Fabian Karner

NESS: Ich habe mich schon oft gefragt, wieso das Leute machen. Es ist mir immer noch ein Rätsel. (lacht) Ich kann ja von hier genauso Musik machen wie von dort. Wenn du ein gutes Team um dich hast, ändert sich ja nichts, wenn du den Ort wechselst. Ich kenne 15 Leute, die nach Berlin gegangen sind. Das ist ja auch schön, das freut mich, aber ich denke mir, rein aus musiktechnischen Gründen würde ich nicht nach Berlin ziehen. Wieso auch? Die Connections kann ich mir auch holen, wenn ich einmal eine Writing-Woche dort mache. Ich schließe es jetzt für mich nicht ganz aus, aber ich würde wahrscheinlich aus anderen Gründen wegziehen. In Berlin wäre vielleicht die Musik und die Industrie ein Bonus, aber wenn die ganze Musikindustrie nach Berlin zieht, verliert es ja auch irgendwo die Magie. Eigentlich braucht man ja das alles nicht, es liegt an einem selbst. 

Es gibt einen von dir gecoverten Song, der extrem viral gegangen ist – der Techno-Remix von „Ich will nur, dass du weißt“, ursprünglich von SDP. Wie ist dieser Song entstanden? Techno ist sonst eigentlich nicht dein Genre.

NESS: Das ist eine sehr spannende Geschichte. Ich habe damals ein ganz normales Cover auf TikTok hochgeladen, wo ich das Lied in einer Akustikversion einfach ins Mikro reinsinge. Das hatte 80.000 Likes, aber auch erst jetzt nach zwei, drei Jahren. IIVEN, dieser Produzent, hat damals einfach meine Stimme genommen und einen Remix draus gemacht. Ich war am Anfang auch richtig sauer, weil ich mir dachte “Du nimmst gerade meine Stimme und promotest einen Song?”. Ich habe das ja nie abgesegnet, anfangs hat er mich auch nie markiert. Er hat einfach nur Promo gemacht damit und sein Publikum gefragt “Soll ich den auf Spotify posten?”. Er weiß auch, dass ich das damals richtig uncool fand, er hätte ja zumindest dazuschreiben können, dass das meine Stimme ist. Dann wollte ich da dagegen vorgehen und klären, dass da nichts released wird, das wäre ja auch total unangenehm. Zwei Tage später kam dann die Nachricht, dass SDP das cool findet, und die würden das gerne zusammen machen. Da dachte ich mir dann “Das gibt’s jetzt nicht. Das ist jetzt ein krasser Plottwist”. So ist dann dieser Song entstanden, und im Endeffekt war jeder happy. Ich konnte das mit IIVEN auch klären. Besser hätte es im Endeffekt eigentlich gar nicht laufen können.

Danke dir fürs Gespräch!

Katharina Reiffenstuhl

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Live:
Innsbruck, 18.10., Die Bäckerei
Lustenau, 19.10., Carini Saal
Salzburg, 20.10., Rockhouse
Graz, 23.10., PPC
Linz, 25.10., Posthof
Wien, 27.10., WUK

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