„Für mich ist Songwriting – Texte und Lieder schreiben – die schönste und einfachste Tätigkeit überhaupt.“ – MARTIN SPENGLER im mica-Interview

Martin Spengler und seine Band Die Foischn Wiener*innen schlagen auf ihrem neuen Album „Ois vü leichta“ einmal mehr einen Ton an, der sich durch große musikalische Vielfalt, emotionalen Tiefgang und viel, viel Gefühl auszeichnet. Der ursprünglich aus Oberösterreich stammende Sänger und Gitarrist erschafft gemeinsam mit Bibiane Zimba (Stimme, Percussion), Helmut T. Stippich (Knopfharmonika) und Manuel Brunner (Kontrabass, Stimme) einen Klang, der das klassische Wienerlied kunstvoll in einen überregionalen Kontext übersetzt. Dabei bleibt der Sound einerseits vertraut, richtet den Blick aber gleichzeitig weit in die Ferne. Im Interview mit Michael Ternai spricht Martin Spengler über die Grenzenlosigkeit der Musik, darüber, was ihn zu seinen Liedern inspiriert, und über seine Strenge sich selbst gegenüber, wenn es um die Texte geht.

Als wir zum letzten Mal bei einem Interview zusammensaßen, war es ein paar Tage vor dem ersten Coronalockdown. Das war natürlich bitter. Aber dennoch sind diese fünf Jahre schon eine längere Zeit. Warum hat es mit dem neuen Album gedauert?

Martin Spengler: Stimmt.Das Album ist im März 2020 erschienen. Und wir konnten nicht einmal mehr ein Release-Konzert spielen, weil bereits alles im Lockdown war. Das ist jetzt tatsächlich fünf Jahre her – aber manchmal dauert es eben. In der Zwischenzeit hat sich die halbe Band personell verändert und da braucht es eine Weile, bis man wieder zueinanderfindet. Und das nicht einmal so sehr im Live-Kontext beim Zusammenspielen, sondern vor allem bei Dingen wie den Aufnahmen. Nach einer solchen personellen Veränderung kann man nicht einfach davon ausgehen, dass alles, was zwölf Jahre lang funktioniert hat, in neuer Besetzung genauso weiterläuft. Die neue Konstellation erforderte neue Wege – und die mussten wir erst finden.

Wann seid ihr dann wieder ins Schreiben reingekommen?

Martin Spengler: Ich schreibe sowieso ständig. Wenn ich auf der Straße gehe und mir etwas einfällt, dokumentiere ich es sofort auf meinem Handy. Ein Album von mir ist immer eine Mischung aus ganz neuen Ideen und Geschichten, die schon einige Jahre alt sind. Manchmal bleibt eine Idee oder ein Fragment eines Liedes jahrelang liegen, bis es im richtigen Moment passt.

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Du warst immer schon jemand, der verschiedenste Stile in die Musik einfließen hat lassen. Das hat sich auch beim neuen Album nicht geändert. Die Songs sind wahnsinnig vielfältig. Wienerlied trifft auf Jazz, Pop und etliche andere Musikformen. Hängt diese Vielfalt vielleicht auch davon ab, dass die Lieder zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind?

Martin Spengler: Vielleicht. Natürlich hat man in bestimmten Zeiten gewisse Vorlieben – und die haben natürlich auch einen gewissen Einfluss. Aber wenn ich gerade am Songschreiben bin, denke ich in keinem Moment über musikalische Kategorien nach. Wie ein Lied wird und welchen Sound es bekommt, hängt auch stark davon ab, auf welchem Instrument ich es schreibe.

Klarerweise kommt etwas völlig anderes heraus, wenn ich ein Lied am Klavier schreibe, oder auf der Kontragitarre. Die Kontragitarre ist ja viel mehr wie ein Klavier – auf ihr kommst du auf Ideen, auf die du mit einer normalen Gitarre nie kommen würdest. Das Lied „Du und I“ von der letzten Platte ist auf der Kontragitarre entstanden, weil man dort Schmähs machen kann, die auf einer normalen Gitarre gar nicht funktionieren. Zum Beispiel Dreiklänge oben hinzulegen und unten die Bassseite zu spielen – rein technisch geht das mit einer normalen Gitarre gar nicht, weil du ja nur eine Hand hast.

Und was die stilistische Vielfalt betrifft: Bei mir hängt sich wahrscheinlich der Spotify-Algorithmus auf. Mein Musikgeschmack ist extrem breit und reicht von Johann Sebastian Bach über Jazz bis zu Slayer. Komischerweise findet auch immer wieder etwas Südamerikanisches Eingang in meine Musik – obwohl das eigentlich nicht ganz mein Ding ist. Aber manchmal passt so ein Bossa-Nova-Element einfach perfekt.

Ich habe beim neuen Album den Eindruck, dass sich eure Musik, mehr als auf den vorangegangenen Alben, viel mehr hin zu anderen Stilen bewegt. In der Musik ist natürlich sehr viel Wien drinnen, aber eben auch noch viel mehr anderes. Sie schwingt für mich irgendwie international.

Martin Spengler: International? Hm. Ich meine, „national“ war eine der dümmsten Ideen, die wir Menschen in den letzten 200 Jahren hatten. Ich bin immer noch entgeistert, dass wir im 21. Jahrhundert so etwas wie eine Nation überhaupt noch brauchen. Aber leider entwickelt es sich im Moment in eine andere Richtung. Insofern stellt sich die Frage nach „international“ in der Musik gar nicht.

Das ist eine der vielen, vielen tollen Sachen an der Musik: In ihr gibt es keinerlei Grenzen. Keine Grenzen zwischen den Geschlechtern. Keine Grenzen, was das Alter betrifft. Ich freue mich immer noch riesig, dass ich mit Willi Resetarits zusammenarbeiten durfte – und dieselbe Freude empfinde ich, wenn ich mit einem 17-Jährigen musiziere. Ob jemand eine Frau oder ein Mann ist, spielt dabei auch überhaupt keine Rolle. So gesehen ist es letztlich auch egal, wie man die Musik bezeichnet. Der Wind weht von überall her hinein.

Das war mir von Anfang an wichtig, und es erklärt in gewisser Weise auch den Namen Die foischn Wiener. Es geht um das Spiel mit Gegensätzen – was ist echt und was nicht? Was bedeutet Multikulturalität? Und vor allem: Dass sie ein essenzieller Teil von Wien ist. Denn „das Österreichische“ gibt es ja eigentlich nicht. Alles, was man diesem Begriff zuschreibt, ist letztlich eine Mischung aus unterschiedlichsten Einflüssen. Und diese Vielfalt spiegelt sich eben auch in unserer Musik wider.

„Du lernst Musik und ein Instrument und gehst studieren, aber schlussendlich musst du musizieren.“

Eure Musik vermittelt etwas Einnehmendes, Schönes und ist dennoch anspruchsvoll und eleganten Tones. Wie sehr trifft der Begriff „Kunstmusik“ auf euren Sound zu?

Martin Spengler: Das ist schwer zu sagen. Man muss unglaublich viel lernen, um es am Ende ganz leicht klingen zu lassen. Dahinter steckt viel Handwerk, jahrzehntelanges Musizieren und Tun. Aber das sollte kein Selbstzweck sein. In der Musik gibt es nichts Schlimmeres, als nur zu zeigen, was man kann.

Kunstmusik? Ich hatte zum Glück einmal die Möglichkeit, mit Rudi Pietsch, einem der großen Volksmusikanten Österreichs, zu spielen. Er war auf der einen Seite studierter Musiker, aber zugleich jemand, der oft einfach drauflosgespielt hat. Ich komme eher aus dieser Schule. Insofern mischt sich das bei mir ein wenig.

Ich war ab dem ich sechs Jahre alt war auf Musikschulen, habe 12 Jahre Geige gelernt und war in der Orchestermusik usw. Ich kann mich erinnern, dass ich einmal – ich muss so 15 oder 16 Jahre alt gewesen sein – ein Orchesterseminar besucht habe. Nach dem Proben war es dann immer so, dass die Braven noch im Zimmer weitergeübt haben, während ich mit anderen im Gasthaus für ein Bier Rock`n`Roll gespielt habe. Vielleicht ist es genau diese Mischung, die mich ausmacht. Du lernst Musik und ein Instrument und gehst studieren, aber schlussendlich musst du musizieren. Und trotzdem muss man im Detail voll genau sein. Und das bin ich vor allem in meinen Texten.

Inwiefern?   

Martin Spengler: Ich lasse in den Texten nicht einmal die kleinste Schlamperei durchgehen – sei es ein unreiner Reim oder eine Metapher, die ich schon irgendwo gehört habe. Ich werde ja wahnsinnig, wenn ich ein Buch lese und dort der Satz „eine Tasse dampfenden Kaffees“ steht. Bei meinen Texten bin ich sehr streng mit mir selbst. Insofern ist die Musik schon Kunst – sie soll nur nicht so wirken.

Aber wie ist das bei dir. Kommt zuerst der Text der die Musik bedingt oder umgekehrt?

Martin Spengler: Das werde ich oft gefragt. Es ist jedes Mal anders. Oft ist es ein Satz, der bereits einen Rhythmus und eine Melodie in sich trägt. Ich stehe total auf schräge Ausdrücke und ungewöhnliche Sätze – die kommen sofort in mein Schatzkästchen.

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Das letzte Lied des Albums, „Ois vü leichta“, ist für mich eines der schönsten. Es hat rückwirkend das gesamte Album definiert und ihm seinen Titel gegeben. In dem Lied gibt es den Satz: „Hinter uns is do, wo ma abbogen san.“ Letzten Sommer spielte ich mit meiner anderen Band, den Schrammeln, in einem Heurigen. Auf dem Rückweg nach dem Konzert haben wir uns verfahren, und meine Mitmusikerin Alenka meinte: „Hinter uns ist da, wo wir abgebogen sind.“ Ich dachte mir sofort: Der Satz ist großartig – weil er nicht nur poetisch, sondern auch lustig ist.

Wenn ich solche Sätze höre, schaltet sich mein Hirn sofort ein. In diesem Fall setzte sich der Satz wie von selbst fort: „Und vor uns liegt die Straße am Boden wie ein Schal, den ein Madl verloren hat, das im Schädel nur träumt …“ Da hat sich an den Satz gleich eine ganze Geschichte angehängt.

Oft sind es interessante, musikalische Sätze, die den Anfang bilden. Aber es kommt auch vor, dass ich spannende Akkordfolgen mit einer Melodie habe, die jahrelang mit einem anderen Text herumgeistern und plötzlich zu einem neuen Text passen. Das Lied „Schwerkraft“ ist zum Beispiel aus zwei verschiedenen Liedern entstanden.

Für mich ist Songwriting – Texte und Lieder schreiben – die schönste und einfachste Tätigkeit überhaupt. Es fühlt sich für mich nicht nach Arbeit an, sondern eher wie in der Sonne sitzen oder spazieren gehen.

Was sind für die die Inspirationsquellen, die ein Lied zu dem machen, was es ist? Erlebnisse, Beobachtungen …

Martin Spengler: Für mich ist das ein Spiel mit verschiedenen Ebenen – mit Emotionen, die vielleicht eher auf der Metaebene existieren. Man kann ja sehnsüchtig sein, einfach weil die Stimmung gerade so ist. Ein Text muss sich nicht zwangsläufig im eigenen Leben widerspiegeln.

Ich sage immer: Henning Mankell oder Donna Leon müssen ja auch nicht jedes Mal jemanden umbringen, nur um einen Krimi schreiben zu können. (lacht) Du erschaffst Kunstfiguren, die du als Ich bezeichnest – oder als er oder sie. Und dann kann sich jeder selbst überlegen, ob dieses Ich wirklich ich bin oder nicht.

Im Pressetext zum Album steht, dass ich auf „Ois vü leichta“hauptsächlich Liebeslieder befinden.

Martin Spengler: Jein, wobei mir im Nachhinein aufgefallen ist, dass es schon viele sind. (lacht)

Ich kenne dich als sehr politischen Menschen. Inwiefern fließt Politik in deine Musik ein? Auf dem Album findet sich ja nur ein Song politischen Inhalts.

Martin Spengler: Ja, stimmt, es ist nur dieses eine Lied. Aber „Ollas geht“ ist einfach so ein guter Song, dass er unbedingt auf das Album musste. Er ist ein wenig aus der Zeit gefallen und thematisiert diese ganze Chose mit diesen fast apolitischen Typen, die wir vor ein paar Jahren in der Regierung erlebt haben. Zwar sind die Mitglieder dieser Regierung mittlerweile weg, aber der Typus an sich ist geblieben. Insofern hat dieses Lied einfach gepasst.

Generell artikuliere ich ganz klar, wofür ich stehe – alles andere wäre auch furchtbar. Aber ich bin kein Politiker und kein Propagandist. Für mich ist wichtig, dass, wenn ich mal ein gesellschaftspolitisches Lied spiele, es mit derselben Leichtigkeit daherkommt wie die anderen Songs. Alles andere wäre mir unangenehm.

Herzlichen Dank für das Interview.

Michael Ternai

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Live
04.04.25 Kultur Guntramsdorf
07.05.25 Haus des Meeres, Wien
23.05.25 Kulturverein Bisamberg
10.06.25 Hengl-Haselbrunner Wien
18.07.25 Kultursommer Semmering
27.09.25 Septemberlese, Langenlois
09.10.25 Orpheum, Wien
07.11.25 Akku, Steyr
08.11.25 Bauhof, Ottensheim

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