Heuer erscheint MIKKS erste EP von „Shadow Selves“: Jürgen Plank hat mit MIKK darüber gesprochen, welche Inspiration der Psychologe Carl Gustav Jung für ihre Lieder war. Außerdem erzählt MIKK, in welchen Momenten ihre Lieder entstehen und vom ersten Song, den sie je geschrieben hat. Für die Rolle, die Frauen im österreichischen Musikbusiness innehaben, findet die ausgebildete Psychologin wiederum eine Analogie zu C. G. Jung und so schließt sich ein Kreis zur EP. Die Lieder aus „Shadow Selves“ präsentiert MIKK zurzeit auf einer Tour durch Österreich und Deutschland, die sie bis nach Lübeck und als support von MYNTH auch nach Graz führen wird.
Wann hast du dein allererstes Lied geschrieben?
Mikk: Damals war ich zirka 15 Jahre alt und habe in einer Punk-Rock-Band gesungen. „Let the good times roll“ hat das erste Lied geheißen, das war einfach ein Song über das Jungsein. Der erste Song für das aktuelle Projekt war „Wild Ocean“. Ich habe ja Psychologie studiert und Musik immer nebenbei gemacht. Als ich diesen Song geschrieben habe, war das für mich ein sehr prägender Moment und ich bin wieder ziemlich ins Musikmachen hineingekippt. Das war ein Moment, den ich nicht vergessen werden: ich bin mitten in der Nacht aufgewacht und habe den Song geschrieben. Der hat einfach raus müssen.
Heuer erscheint deine erste EP „Shadow Selves“. Im Pressetext dazu steht, dass es in deinen Liedern oft um Verbindungen und Dynamiken zwischen Menschen geht, um Beziehungen im weitesten Sinne. Vielleicht abgesehen von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen sind wohl für nahezu jeden und jede andere Menschen am interessantesten. Wie ist das für dich und wie manifestiert sich das in deiner Musik?
Mikk: Ja, Menschen sind sicher das, was mich am meisten inspiriert. Vor allem komplizierte Situationen sind sehr inspirierend, wenn man nicht weiß, wo man selbst gerade steht und wo der andere steht. Als ich die ersten Songs für das Projekt geschrieben habe, habe ich mich in einen bildenden Künstler verliebt und es war so, dass wir beide unsere Dynamiken sehr viel in unserer Kunst ausgedrückt haben. Es war sehr spannend, das in Musik und in Bildern zu sehen. Es geht in meiner Musik auch sehr viel um mich selbst und um meine Zweifel, auch um Projektionen. In sehr vielen Beziehungen geht es um Projektionen. Deswegen heißt meine erste EP auch „Shadow Selves“, weil jeder positive und negative Dynamiken hat und die Songs über die negativen Dynamiken sind.
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Du beziehst dich auch auf C. G. Jung, der u.a. das Selbst ins Zentrum stellt, da geht es dann gleichzeitig um das Bewusste und das Unbewusste. Wie ist deine Auseinandersetzung mit C.G. Jung und wie fließt diese ein?
Mikk: Genau. Die Auseinandersetzung mit Jung ist für mich deswegen da, weil er sich sehr viel mit den Schattendynamiken von Menschen auseinandergesetzt hat. Auch im kulturellen Sinne: wie wird die Kultur beeinflusst und die Gesellschaft? Und wie die familiären Beziehungen, da haben wir alle unsere Schatten. Desto heller man leuchtet, desto größere Schatten wirft man. Je bewusster man sich seiner Schatten ist, desto mehr kann man mit sich selbst und mit anderen anfangen. Für mich ist das Songschreiben oft ein Moment des Bewusstseins. Es war oft so: Der Text und die Noten sind oft innerhalb von fünf Minuten da. Ich kann das nicht erklären, ich denke da überhaupt nicht nach. Dann steht das Lied da und ich denke mir: aha, das war jetzt die ganze Zeit in meinem Unbewussten. Es war mir gar nicht so bewusst, wie es mir gerade geht. Bei mir ist es oft so, dass der Song mir etwas zeigt.
Ich kenne das eher aus dem Kontext mit Schamanismus, dass sich da ein Kanal öffnet und anschließend Informationen fließen, eine transzendentale Erfahrung. Ist das so ähnlich?
Mikk: Ja, ich kann das nicht ganz erklären. Es ist einfach so. Im Zuge des Arbeitsprozesses bin ich dann auf C. G. Jung gestoßen. Ich mag seine psychologischen Ansichten, er ist nicht so streng wie Freud.
Kurz noch bei Jung bleibend: er sagt auch, dass im Selbst das männliche und das weibliche Prinzip vereint sind. Würdest du das auch so sehen und wie äußert sich das vielleicht in deiner Musik, deinen Texten?
Mikk: Absolut. Ich würde sagen, dass das Weibliche das Kreieren von Musik ist und das Männliche der Umgang mit dem Musikbusiness. Ob ich beim Songschreiben das Männliche und das Weibliche vereine? Ja, sicher auch. Es ist sehr spannend, darüber nachzudenken. Ich sehe schon diese beiden Prinzipien in sehr vielen Menschen vereint, auch in mir selbst. Und ich glaube, dass es da immer wieder eine Dysbalance gibt und da entsteht sicher auch wieder ein Song daraus. Ich kann von mir sagen, dass die EP „Shadow Selves“ viel mit einer destruktiven Weiblichkeit zu tun hat. Destruktiv, weil sich in gewissen Songs schon eine gewisse Opferrollen-Haltung zeigt. Ich finde aber, dass das etwas ist, was uns Frauen fast gesellschaftlich aufgezwungen wird. Wahrscheinlich auch in der Musikszene. Wir Frauen sind, was das Musikmachen betrifft, noch immer in der Unterzahl. Aber im Songschreiben selbst, denke ich eher über die Dynamiken nach als über das Weibliche und Männliche. Zum Songschreiben braucht es eine gewisse Fragilität. Und welchem Geschlecht schreibt man das zu? Das kann man dann auch wieder von vielen Seiten betrachten.
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Stereotype sind auch da, um aufgebrochen zu werden, würde ich sagen. Es gibt ja dieses Bild des Eisberges, der zu zehn Prozent aus dem Wasser ragt, das ist das Bewusste. Der Rest ist unter der Wasseroberfläche, das Unbewusste.
Mikk: Genau. Das finde ich auch und das finde ich spannend. Im Video zu „Lights On“ werde ich an Bändern gezogen, mit verbundenen Augen, um zu zeigen: Wir sind uns gewisser Dinge und Dynamiken nicht bewusst. Ich wollte zeigen, woher dieses Hin- und Hergerissensein kommt. Spannend ist ja: desto sicherer man in sich selbst ist, desto weniger lässt man das zu. Und ich glaube, dadurch dass viele meiner Songs aus einem Moment der Selbstzweifel und des Hin- und Hergerissenseins entstehen, sind das sehr fragile und unbewusste Momente. Wie gerne spricht man über die Schwächen von jemandem? Meine Songs sind immer ein Dialog: me, you. You, me. You did this, i did that. Im Endeffekt ist das trotzdem ein Dialog mit sich selbst.
Letztlich laufen fast alle Fragen auf einen selbst hinaus.
Mikk: Immer, eigentlich. Natürlich sind wir soziale Wesen, aber bei einem selbst geht es ja meistens um einen selbst. Das hört sich jetzt egoistisch an, ist es aber nicht.
„Meine musikalische Sprache ist sehr intuitiv.“
Welche musikalische Sprache hast du für das Album entwickelt?
Mikk: Mit der Gitarre zu spielen, ist für mich am Natürlichsten. Ich kann auch Klavier spielen, aber die Gitarre fühlt sich näher und spontaner an. Ich glaube: meine musikalische Sprache ist sehr intuitiv. Die Sachen, die ich höre, fließen sicher auch mit ein. Aber es passiert wirklich sehr intuitiv, ich jamme und dann muss etwas heraus. Auch mitten in der Nacht. Bei der Produktion habe ich mit Max Hauer gearbeitet und das war ein schöner Prozess, weil er sehr viel arrangiert und eingebracht hat. Aber ich hatte immer das Gefühl, dass der Grundstein bei mir bleibt. Es wurde sehr respektiert, wie der Song ist und er wurde nicht in eine Radiolänge gezwängt. Bei mir geht es, glaube ich, hauptsächlich um Gefühle, um das Grundgefühl, das man vermitteln will, und nicht darum, dass ein Lied technisch wahnsinnig aufwändig ist. Mein Hauptinstrument ist ganz bestimmt die Stimme und die ist ein Wiedererkennungsmerkmal und auf die Stimme verlasse ich mich auch ziemlich.
Ein Song von dir heißt „Heaven“, was ist das für ein Lied?
Mikk: Für mich ist der Song extrem hoffnungsvoll, weich und sehr liebevoll. Der Song ist eine Liebeserklärung, ich finde ihn sehr sinnlich, hoffnungsvoll und leidenschaftlich. Das sind die Gefühle, die ich mit „Heaven“ verbinde.
Eine Liebeserklärung ans Leben, an dich selbst, an uns alle?
Mikk: Ja, ich glaube ans Leben, an den Prozess des Lebens. Auch an den Prozess des Verliebtseins, zum Beispiel, das ist ja immer so ein Auf und Ab: Ja, nein, ja. Verunsicherung und dann wieder ein extremes: Ja, cool. Genau so ist auch das Leben, manchmal wie ein wilder Ozean, so wie „Wild Ocean“ und manchmal kann das Leben auch „Heaven“ sein. Ich glaube, dass wir oft vergessen, dass wir selbst dazu beitragen, ob wir uns einen „Heaven“ erschaffen oder einen „Wild Ocean“.
Du hast im Vorgespräch erzählt, dass du eine Zeitlang in Großbritannien gelebt hast und in Asien auf Reisen warst. Solche Aufenthalte prägen einen ja auch, wie war das bei dir? Auch in Bezug auf deinen kreativen Prozess?
Mikk: Ich habe die britische Musikszene immer sehr spannend gefunden und mich dort sehr wohl gefühlt. Die Singer-Songwriter-Szene hat mich sicher sehr geprägt: dass es einfach normal ist am Sonntag in ein Pub zu gehen und da steht jemand mit einer Gitarre und singt über das Leben. Das gibt es bei uns ja gar nicht in der Form. Das hat mir ein Selbstbewusstsein gegeben, das zu machen und auch, dass Gitarre und Gesang in gewissen Settings genug sein kann. Von zu Hause weg zu sein, jahrelang auf sich selbst gestellt zu sein, ist auch schwierig gewesen und da hat sich die Musik zu einem Anker entwickelt. Die Musik ist immer noch ein Zufluchtsort. Wie hat mich das noch geprägt? Ich bin sicher aufgeschlossen, was andere Musikrichtungen und Menschen von überall her betrifft.
Es bringt sicherlich eine gewisse Aufgeschlossenheit, aber auch eine Fragilität. Schön im Ausland ist, dass man niemanden kennt und neue Freundschaften schließen muss. Man muss sich immer wieder auf diesen Prozess einlassen, das ist sehr schön. Ich habe so viele spannende Menschen kennengelernt und ich darf auf Tour immer noch spannende Menschen kennenlernen. Aber es ist auch schwierig: wenn da Freunde überall auf der Welt sind, vermisst man immer irgendjemanden.
Über das weibliche und das männliche Prinzip haben wir vorhin schon gesprochen. Auf unserer Webseite haben wir einen Schwerpunkt zum Thema Frauen und Musikszene. Wie sind deine Erfahrungen?
Mikk: Das ist eine spannende Frage. Was mir leider immer ein wenig fehlt, ist die Kooperation unter den Frauen in der Szene. Das Business ist hart und alle wollen weiterkommen, es ist sehr kompetitiv. Als weibliche Musikerin hat man es mit den Männern nicht immer leicht, das muss ich auch sagen. Nämlich wirklich als Musikerin gesehen zu werden und nicht nur per se als Dating-Objekt, sage ich jetzt mal. Wirklich respektiert zu werden, für die Musik, die man macht. Es ist definitiv anders, als irgendwo angestellt zu sein und fix zu arbeiten. Ich arbeite jeden Tag an dem Projekt, es gibt ständig Emails zu schreiben oder man nimmt sich endlich wieder mal die Zeit, wirklich Musik zu machen. Es ist arg, dass man dafür eigentlich sehr wenig Zeit hat.
Was ist dir noch aufgefallen?
Mikk: Ich kenne das von mir und höre es von anderen Frauen, dass es finanziell eine große Herausforderung ist, Musikerin zu sein. Das finde ich sehr schade. Ich bin heuer 30 Jahre alt geworden und stelle mir schon die Frage, ob ich zu alt bin, um ein Musikprojekt zu starten? Natürlich habe ich im Hinterkopf: ja, ich würde gerne mal Familie haben, aber wie mache ich das als Musikerin? Das sind Fragen, die mich schon beschäftigen. Ich habe schon von anderen Frauen gehört, dass es ohne ihren Mann nicht möglich gewesen wäre, Musik zu machen. Nicht ohne der finanziellen Unterstützung des Partners. Ich bin jemand, der gerne unabhängig ist, auch im Ausland habe ich immer alles für mich alleine organisiert. Sich von einem Partner fast abhängig machen zu müssen, um Musik machen zu können, damit hadere ich schon sehr. Das Musikbusiness ist absolut nicht familienfreundlich. Für mich ist es Teil meiner Weiblichkeit, mir darüber Gedanken zu machen. Für manche ist das kein Thema, Kinder zu haben, die entscheiden sich für die Musik oder die Karriere. Das kann ich auch total verstehen. Aber ich erkenne, dass ich da in einem Zwiespalt bin. Ich kenne weibliche Musikerinnen, denen es da ähnlich geht, wir reden oft darüber und wir wissen dann nicht, wie wir das schaffen sollen.
Herzlichen Dank für das Interview.
Jürgen Plank
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Mikk live:
20.4 2023, Graz (Orpheum), support für Mynth
01.5.2023, Seaside, Neusiedl
17.5.2023, Gürtelconnection, Wien
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