Fremd sind wir. Noch fremder jetzt – Ran Arthur Braun im Interview

Selten finden sich in den Programmen der Bregenzer Festspiele Musiktheater und Opern von Vorarlberger Komponisten. Doch in der aktuellen Saison wird wieder ein derartiges Highlight präsentiert. Zur Uraufführung gelangt das Musiktheater „Trans Maghreb“ von Peter Herbert. Der Plot beruht auf einer Novelle des Autors Hans Platzgumer, die von Ingrid Bertel in ein Libretto gefasst wurde. Anton Corwald ist ein erfolgreicher Bauträger, der 2011 einen Trupp österreichischer Arbeiter und Ingenieure nach Libyen verfrachtet, um eine Hochgeschwindigkeitsstrecke für Al-Gaddafis Regime zu errichten. Kurz darauf bricht im Osten des Landes der Aufstand gegen den Diktator aus und die Bauleute finden sich mitten in den Wirren eines Bürgerkriegs wieder, der später als Arabischer Frühling bezeichnet wird. Ohne Information, Arbeit oder jegliche Kommunikation nach außen werden sie im Baustellen-Camp festgehalten und ihre Lebensmittel rationiert. Die einzige Hoffnung bleibt, dass Corwald einen Weg findet, seine Männer außer Landes zu schaffen.

Peter Herbert hat für diese Geschichte Musik komponiert, die zu zwei Dritteln festgeschrieben ist und etwa zu einem Drittel improvisiert wird. Für ein extra zusammengestelltes Kammerorchester konnte er MusikerInnen engagieren, die seine musikalische Sprache genau kennen und auch improvisatorisch ausführen können. SängerInnen der Bregenzer Festspiele gestalten die Rollen der Protagonisten unter der musikalischen Gesamtleitung von Benjamin Lack.

Seit zehn Jahren ist Ran Arthur Braun bei den Bregenzer Festspielen tätig. International hat sich der aus Israel stammende und in Europa lebende Künstler als Regisseur einen Namen gemacht. Nun setzt er in Bregenz „Trans Maghreb“ in Szene. Über seine Pläne zur Inszenierung sprach er mit Silvia Thurner.

Bei den Bregenzer Festspielen sind Sie unter anderem als Kampfchoreograph tätig. Was ist ihre Arbeit?

Die Arbeit des „Fight Directors“ ist es, die Vision des Regisseurs in eine extreme Körpersprache zu übersetzen und für Spannung und Sicherheit zu sorgen. Mein Ansatz ist das „Power Dancing“, es verbindet Break Dance, Akrobatik und Kampfkunst vermischt mit Stunt Elementen.

Aus unterschiedlichen Blinkwinkeln betrachten

„Trans-Maghreb“ spielt in der Wüste Libyens. Arabische Musiker und eine arabische Sängerin wirken bei dieser Produktion mit. Sie selbst sind Israeli. Allein daraus ergibt sich ein politischer Aspekt. Ist das in Zusammenhang mit diesem Projekt ein Thema?

Ich bin aus dem Nahen Osten, aber ich lebe in Europa. Diese Tatsache ermöglicht es mir, diese Geschichte aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu präsentieren. Unsere gemeinsame Sprache ist Musik, und die hat keine Grenzen. Unsere Produktion umfasst verschiedene Nationalitäten, Sprachen, Religionen und politische Gesichtspunkte. Die Produktion selbst beinhaltet viele Momente, in denen die Zuschauer die einen oder anderen Elemente anders sehen, je nach ihrem Hintergrund. Alles ist willkommen.

Nahe am Geschehen

Im begehbaren Musiktheater „Trans-Maghreb“ wird der gesamte Raum der Werkstattbühne bespielt. Das Publikum ist in Bewegung und teilweise auch die Musiker. Wie kann ich mir das vorstellen?

Auf diese Weise ist das Publikum mehr in das Geschehen einbezogen und nahe an der Aktion. Die Zuschauer sollen Teil der Geschichte sein und sowohl physisch als auch emotional berührt werden. Der Fokus ist aber immer darauf gerichtet, wie sich die Geschichte weiter entwickelt, auch wenn sie an mehreren Orten passiert.

Videos live

Der bekannte Videokünstler Lillevan wird live Videos produzieren, die in Kommunikation zu musikalischen Improvisationen treten. Welchen Stellenwert nehmen die Videos ein?

Lillevan ist spezialisiert auf Live-Projektionen. Die Musik kombiniert fix notierte Passagen mit Improvisationen. Und genau das wollen wir auch mit den Videos machen. Sie werden nach einem Storyboard aufgebaut und live gemischt. Die Videos sind ein ganz wesentlicher Teil der gesamten Inszenierung.

Schönheit und Zerstörung

Der Müll ist im arabischen Raum fast allgegenwärtig und spielt auch in „Trans Maghreb“ eine Rolle. In welcher Form nimmt die Regie auf die Umweltproblematik Bezug?

Es ist zwar nicht das Hauptthema der Geschichte, aber es ist die Welt, in der die Geschichte stattfindet. Wir werden Müllelemente verwenden, um die Schönheit und die Poesie zu zeigen. Gleichzeitig präsentieren wir auch die negative Tatsache, dass unsere moderne Lebensweise die Natur zerstört und wir damit die Erde vergewaltigen.

Peter Herbert meinte, mit dem Müll müsse man kreativ umgehen. Kommt dieser Aspekt in der Inszenierung auch so zum Ausdruck?

Ich glaube, wenn etwas auf der Bühne gezeigt wird, muss man es so verwenden – entweder musikalisch oder aus dramatischen Gründen. Musik ist nicht nur schöne Melodie, sondern sie ist der Soundtrack unseres Lebens, die auch Geräusche des täglichen Lebens mit einschließt.

Psychologische Gewalt

Auch Konfrontationen zwischen den Protagonisten kommen vor, wenn beispielsweise der Chor der Kollegen und der Chor der Aufständischen aufeinandertreffen. Reizt es Sie als Experte für Kampfchoreographie, Action in die Szenen zu bringen?

In der Regel kommentieren wir Kriege und Schlachten, ohne den Schmerz und das Leiden der Opfer (von beiden Seiten) nachzuvollziehen. Gewalt ist in unserem Konzept sehr präsent, aber nicht die körperliche, sondern die psychologische. Ich hoffe, dass ein Teil dieser intensiven Situation unser Bewusstsein schärft, was wirkliche Gewalt ist.

Die Relation verloren

Corwald ist der Drahtzieher im Hintergrund und seine Beweggründe sind nicht von vornherein durchschaubar. Welche Charakterzüge hat er?

Corwald ist unwissentlich verantwortlich für das Schicksal der verschiedenen Menschen, denen er in unserer Geschichte begegnet. Es gibt viele Corwalds in der Welt, sie haben nur unterschiedliche Namen. Dieser spezifische Gentleman repräsentiert den kapitalistischen Traum. Er hat die Relation verloren und denkt nicht daran, dass das Menschenleben kosten kann.

Welche Rolle verkörpert Tahédag, die einzige Frau in „Trans Maghreb“?

Sie verkörpert Dinge, die nicht gesagt, aber gefühlt werden können. Wir haben eine wunderbare Sängerin, sie repräsentiert mit ihrer Stimme die Mutter Erde, Hoffnung, Natur, Freiheit und das Leben.

Danke für das Gespräch.

Dieses Interview ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft im Juli-August 2014 erschienen.

Termine:
Peter Herbert: Trans-Maghreb, Begehbares Musiktheater
Musik von Peter Herbert
Donnerstag, 21. August, Werkstattbühne, 18:30 Uhr, Uraufführung
weitere Aufführung, am 23. August, 18:30 Uhr
Musikalische Leitung: Benjamin Lack
Inszenierung: Ran Arthur Braun
Bühne. Susanna Boehm
Kostüme: Claudia Raab
Licht: Matthias Zuggal
Video: Lillevan
Gerald (Buffotenor): Robert Maszl
Anton Corwald (Bass): Wilfried Staber
Tahédag: Amal Murkus
Gerhard (Buffotenor): Stanislav Kuflyuk
Gonzo (Bass): Markus Raab
Abdullah & Kemal (Bass): Sebastian Campione
Mahmoud (Statist): Juliusz Kubiak
Darsteller der Bregenzer Festspiele
Prager Philharmonischer Chor
Kammerorchester/Combo
Koehne Quartett: Joanna Lewis (Vl.), Anne Harvey-Nagl (Vl.), Lena Fankhauser (Va.), Melissa Coleman (Vc. )
Peter Herbert (Kb.), Hans Platzgumer (Electr.), Kenji Herbert (E-Git.), David Helbock (Kl.), Martin Eberle (Trp., Flh.), Loy Ehrlich (Gimbri), Firas Hassan (Perc.), Claudio Spieler (Perc.)

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