Frauen in der Musik 2.0 – Zusammenfassung einer Diskussion im mica
Anlässlich des Internationalen Frauentages 2007 veranstaltete das mica eine Diskussion zum Thema “Frauen in der Musik 2.0”, bei der die unverändert marginalisierte Position von Frauen in der (Pop)Musik sowie die Ursachen dafür und mögliche Gegenmaßnahmen diskutiert wurden. Diese Diskussion stellt gleichzeitig die Weiterführung des neuen mica-Schwerpunkt “musik:frauen” dar, dessen Auftakt 2006 ein musikalischer Abend in der Präsidentschaftskanzlei von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer markiert hatte. Im Laufe des Jahres 2007 werden darin strukturelle Rahmenbedingungen des Musikbetriebs in Bezug auf Frauen beleuchtet, werden Musikerinnen auf der Website vorgestellt und einschlägige theoretische Arbeiten zu dem Themenfeld präsentiert.
Ursachenforschung I: Ausbildung
Vor dem Hintergrund technologischer Veränderungen wie auch einer Frauenpolitik, die sich primär auf Gender Mainstreaming stützt, wurde die aktuelle Situation analysiert. Ausgangspunkt der Diskussion war die Tatsache, dass Frauen im Musikbetrieb auf allen Ebenen und in allen Genres unterrepräsentiert sind. Im Folgenden wurden die Gründe für diese strukturelle Ausgrenzung diskutiert, wobei sich alle Diskutantinnen einig waren, dass der Ausbildung eine zentrale Rolle zukommt, wenn es darum geht, geschlechterspezifische Rollenverteilungen früh festzulegen. Denn: Weder die Studienwahl noch die Ausbildung an sich ist geschlechterneutral. Das “Bild des Blockflöte spielenden Mädchens” (Mesquita) ist die erste Assoziation, wenn an die Musikausbildung von Mädchen gedacht wird. Bereits beim ersten Zugang zu Musik werden geschlechterspezifische Grenzen aufgebaut, die sich durch die gesamte Ausbildung ziehen und Frauen später ein Leben in und von der (Pop)Musik erschweren. Alle Diskutantinnen stimmen darin überein, dass es eine grundlegende Veränderung der Musikausbildung, beginnend bei der musikalischen Früherziehung geben muss, um nachhaltige Veränderungen der Geschlechterverhältnisse innerhalb der Musik zu erreichen. In Bezug auf Popmusik ist die Arbeit mit Teenagern besonders wichtig, da hier Grundlagen für eine professionelle Karriere gelegt werden.Das Ladyfest, aus dessen Organisationsteam (sowohl dem aktuellen als auch dem vergangener Jahre) einige Vertreterinnen anwesend sind, versucht “für Frauen jene Voraussetzungen zu schaffen, die für Burschen und Männer immer schon gegeben waren: Mit einer Selbstverständlichkeit auf die Bühne zu gehen und zu spielen.” (Mesquita)
Allerdings sind es nicht nur Probleme mit der musikalischen Ausbildung, die Frauen zu schaffen machen: Wie bereits im Rahmen des Festivals “Rampenfiber” im September 2006 festgestellt wurde, haben Frauen nach wie vor technische Defizite bzw. machen es bestimmte Strukturen schwierig, technisches Know-how aufzubauen. Iris Haijcsek erwähnt in diesem Zusammenhang, dass das Ladyfest deshalb Technik-Workshops anbietet, in denen Frauen ihre Skills auf- bzw. ausbauen können und für die offensichtlich auch große Nachfrage besteht. “Das ist zwar Symptombekämpfung”, meint Eva Trimmel dazu, “aber das ist deshalb nicht schlecht.”
Ursachenforschung II: Netzwerke
Ein weiterer Grund für die geringere Präsenz von Frauen im professionellen Musikbetrieb sind die vergleichsweise schwachen Frauennetzwerke, die “einem riesigen, männerbündisch strukturiertem Netzwerk” (Mesquita) gegenüberstehen, wodurch es für Männer zumindest leichter ist, im Musikbereich zu überleben, sei es auch unter prekären Verhältnissen. Frauennetzwerke sind wichtig, denn sie, “bauen das auf, was viele junge Männer schon viel früher vorfinden” (Mesquita) und kompensieren hier eher einen Startnachteil, der sich in vielen Fällen fatal für die Karrieren als Musikerinnen auswirkt. Doris Arztmann betont, dass es besonders im Teenageralter wichtig ist Mädchennetzwerke aufzuwerten. “Das heißt nicht, dass man dort bleibt. Aber es ist eine Möglichkeit des Self-empowerment, dass man sagen kann, ok, ich traue mich das, ich geh’ da jetzt raus auf die Bühne und spiele das.”
Allerdings hat die von Förderungen unabhängige Selbstorganisation wie beispielsweise das Ladyfest zwei Seiten. Ehrenamtliche Arbeit hat zwar den Vorteil der inhaltlichen Unabhängigkeit, setzt allerdings Selbstausbeutung voraus und ist oftmals nicht nachhaltig, da sie vom Engagement und dem Durchhaltevermögen einzelner abhängig ist. Lyn Huffschmidt “Wir unterstützen unsere eigene Armut. Das ist der Kreislauf, in dem wir uns befinden, auch wenn wir das nicht tun wollen.”
Dazu kommt der Umstand, dass Musik für kein Geschlecht eine Vielzahl gesicherter Arbeitsplätze bereithält. Rosa Reitsamer dazu: “Ganz grundsätzlich können in Österreich sehr wenige Frauen und Männer von der Musik leben.” Iris Haijcsek spricht in diesem Kontext von der Strategie, gezielt Nischen zu nutzen – wobei allerdings “sehr viel Kreativität gefragt ist”.
Ursachenforschung III: (Pop)Musik und Männlichkeit
Clubkultur ist männerdominiert. Diese Tatsache steht für die Diskutantinnen fest, ebenso wie der Umstand, dass dieses Faktum nicht thematisiert wird. Rosa Reitsamer sieht die Gründe dafür in dem hartnäckigen Mythos von Popmusik als etwas Widerständigem, wo junge Männer gegen gesellschaftliche Konventionen rebellieren. “Das hindert auch ein Stück weit daran, über feministische oder antirassistische Strategien innerhalb der Popmusik nachzudenken.” Laut Reitsamer stellt das Ladyfest innerhalb der österreichischen Popularmusik die “goldene Ausnahme” dar, wo begonnen wird, über diskriminierende Strukturen und politischen Antirassismus nachzudenken. “Ich kenne kein Musikfestival in Österreich, wo das stehen würde oder wo jemand auch nur ein Lippenbekenntnis dazu ablegen würde.” An den über zehn Wiener Musikszenen kann gut abgelesen werden, dass “viele von ihnen weiß, männlich und mittelschichtdominiert sind”. “Das Maximale, was es zur Zeit in Österreich gibt, ist die Frage nach Geschlecht. Aber, dass auch kultureller oder ethnischer Hintergrund eine zentrale Rolle spielt, über das wird kaum gesprochen. Darüber gibt es in Österreich keinen Diskurs, denn Diskurse über Ethnizität in der Popmusik sind sehr eng mit afroamerikanischer Musik verwoben. Popmusik der 1. und 2. Generation von MigrantInnen in Österreich – dazu kenne ich kaum Auseinandersetzungen.” Eva Trimmel ergänzt, dass dies auch daran liegt, dass für viele noch immer gilt, dass es in der Musik nur um die Musik ginge. Und dass es egal ist, “ob sie nun von einem Mann oder einer Frau wäre.” Dieses Totschlagargument von Musik als “leerer Hülse” (Doris Arztmann) ist noch immer weit verbreitet und macht die Thematisierung der strukturellen Rahmenbedingungen oft unmöglich.
Handlungsoptionen: Frauenquote – Frauenghetto?
Die vermeintliche gesellschaftliche Kontextlosigkeit von Musik erschwert auch politisches Handeln – wie die Diskussion um Frauenquoten zeigt: Eva Trimmel schlägt eine Frauenquote für VeranstalterInnen vor, was wiederum von Reitsamer skeptisch aufgenommen wird: “Da fängt das nächste Problem an. Warum gibt es die Frauenmusikfestivals nicht mehr, wie es sie in den 1970er und 80er Jahren gegeben hat? Auch aus dem Grund, weil viele Musikerinnen gesagt haben, nein, ich will nicht in der Frauenecke landen. Und wenn man nun eine Frauenquote einführen würde, denke ich, dass Musikerinnen die ersten wären, die aufschreien würden, nein!, wir wollen nicht in der Frauenquote gespielt werden!” Sushila Mesquita wirft an dieser Stelle die Frage auf, ob Gender Mainstreaming als trojanisches Pferd genutzt werden könnte, um mittels Gender Budgeting eine gerechtere Verteilung der vorhandenen Mittel zu erlangen. Hier macht Rosa Reitsamer darauf aufmerksam, dass die Clubs private Einrichtungen sind und nicht zur Offenlegung ihrer Budgets verpflichtet.
Sushila Mesquita relativiert die Idee des “Frauenghettos”, indem sie darauf hinweist, dass es dabei darum geht, für Frauen jene geschützten Experimentierräume zu schaffen, die Männer immer schon für sich hatten – jenseits der “Ausziehen!”-Rufe aus dem Publikum. Hier wäre die Stadt gefragt, indem sie Proberäume, Equipment für Mädchen und Frauen zur Verfügung stellen könnte. Doris Arztmann ergänzt, dass “in den Bereichen, die beispielsweise die Stadt Wien subventioniert, ein bestimmter Teil des Geldes für Gender Mainstreaming-Aktivitäten verwendet werden könnte – beziehungsweise Gender Mainstreaming explizit zum Förderkriterium machen”.
Gender Mainstreaming in der Popmusik?
Rosa Reitsamer verweist auf die Grenzen des Gender Mainstreaming-Ansatzes: “Man würde sich lächerlich machen, wenn man in die großen Clubs wie Flex, Szene Wien oder Shelter gehen und zu den VeranstalterInnen sagen würde: ,Was halten Sie eigentlich von Gender Mainstreaming?’ Das Feld der Popularmusik ist informalisiert und privatwirtschaftlich organisiert, so dass Instrumente wie Gender Mainstreaming, die für Institutionen entwickelt wurden, nicht greifen können. Frauenmusikförderung in der Popmusik waren die Frauenfestivals der 1980er Jahre und heute sind es Ladyfeste und Netzwerke wie Female Pressure oder Junglistic Sista. Das ist Frauenförderung: Frauen, die sich selbst Räume schaffen und Netzwerke aufbauen. Alles selbstorganisiert, alles leider auch mit Selbstausbeutung verbunden. Ansonsten sehe ich in Wien keine Frauenförderung im Feld der Popmusik.”
Diskutantinnen:
Doris Arztmann, Politikwissenschafterin und Musikfanatikerin. Mitorganisatorin des Ladyfests 2004 und 2007
Iris Hajicsek, DJ, Mitglied der Band Palslut (existiert seit Anfang 2007), Mitorganisatorin der Ladyfeste 2005 und 2007 (Wien), seit 2005 mitverantwortlich und seit Oktober 2006 hauptverantwortlich für das Kultur- und Veranstaltungsprogramm des Frauencafé Wien
Lyn Huffschmidt, Mitglied des feministischen DJ-Kollektivs Quote, Mitorganisatorin des Ladyfests 2004 und 2007
Heike Mangold, mica
Sushila Mesquita, Mitglied der Band Pauline in Rage und des feministischen DJ-Kollektivs Quote und Mitorganisatorin des Ladyfests 2004 sowie Gestalterin der queer/ feministischen Radiosendung “bauch.bein.po” auf Radio Orange 94.0.
Christine Raither, Mitorganisatorin des Ladyfests 2005 und 2007
Rosa Reitsamer, Soziologin, arbeitet z.Zt. am FWF-Forschungsprojekt “Entstehung und Bestand von Wiener Musikszenen”, gemeinsam mit Wolfgang Fichna. 2006 gab sie mit Rupert Weinzierl den Band “Female Consequences. Feminismus, Antirassismus, Popmusik” (Löcker Verlag) heraus. Sie arbeitet an ihrer Dissertation über Karrieren von DJs in Wiener Musikszenen.
Anna Steiden, Projektassistentin bei mica und Mitorganisatorin des Ladyfests 2007
Eva Trimmel, Mitglied der Band Pauline in Rage und des feministischen DJ-Kollektivs Quote sowie Mitorganisatorin des Ladyfests 2004 und 2007.
Moderation: Elisabeth Mayerhofer, mica