„For the people by the people“ – THE ZEW im mica-Interview

LEONIE SCHLAGER alias THE ZEW erzählt lautmalerische Geschichten, die reduziert und privat sind, aber dadurch umso eindringlicher – und läuft durch die gelebte Intimität Gefahr den Status als Geheimtipp zu verlieren. Mit „1FI1FO“ (Numavi Records) werden aktuell die besten Bühnen der alternativen österreichischen Kulturszene bespielt. THE ZEW erzählt im Gespräch mit Sebastian J. Götzendorfer über die Schönheit von Fehlern, den Unterschied zwischen Cyber-Folk und Cyborg-Folk, das Gemeinschaftliche an Musik und das Spannungsfeld als introvertierter Artist auf einer Bühne vor Publikum zu stehen. 

Wenn Du Dir aussuchen könntest, wie Deine Zuhörer:innenschaft sich dein Album „1FI1FO“ anhören würde, was wäre der beste Rahmen dafür? 

Leonie Schlager: Im Kino [lacht]. Also ich finde, dass meine Musik nicht nur durch das, was die Lieder erzählen, Aufmerksamkeit auf sich ziehen soll, sondern dass sie auch begleiten können soll. Das können Bilder sein oder auch Gedanken – und ich glaube, Kino oder Kopfkino passt da ganz gut dazu. Vordergründig ist aber eigentlich, dass es sehr intim ist. Es sind sehr introspektive und introvertierte, teils leise Lieder. Also eigentlich ist dann das Erlebnis mit Kopfhörern auf Vinyl wiederum gar nicht so schlecht. 

Zum Stichwort Kopfkino: Ich empfinde das Album in ähnlichem Sinne als sehr lautmalerisch. Bei mir ruft es Bilder eines apokalyptischen Western hervor, für so etwas wäre das ein sehr passender Soundtrack. Was für Bilder würdest Du denn gern heraufbeschwören mit deiner Musik? 

Leonie Schlager: ‚Apokalyptisch’ würde ich nicht zu 100% unterschreiben, sondern zu 60% – was glaube ich, auch der Grund ist, warum ZINN und The Zew so gut zusammenpassen. ‚Western‘ allerdings ganz bestimmt, denn ich bin musikalisch auch sehr von Western-Filmmusik geprägt. 
Bei den Liedern, die auf diesem Album drauf sind, wäre es mein Wunsch, dass jedes Lied wie ein eigener Film ist. Das passt auch mit den sechs Augen gut zusammen, die auf dem Artwork und Teil meiner Performance sind. So als ob die Augen mehrere Persönlichkeiten repräsentieren würden und jedes Lied eine andere Rolle in mir hervorruft. Das ist auch mein Ziel. Ich würde gleichzeitig sagen, dass ich dieses Album in sehr reduzierten Farben gemalt habe. Wobei ich vorhabe, die nächsten Songs in anderen Farben zu malen. 

Im Sinne einer anderen Instrumentierung oder andere Stimmungen, die transportiert werden sollen…? 

Leonie Schlager: Ich meine mehr die Stimmungen, die Instrumentierung ergibt sich dann daraus. Da muss ich auch schauen, was die Möglichkeiten und Begrenzungen sind. Ich möchte mich mehr auf den Producing-Aspekt konzentrieren – also was schaffe ich alleine an Sounds aus dem Set-Up rauszuholen. 

„Ich glaube, Fehler gibt es eigentlich gar nicht.”

Die Musik von The Zew wirkt auf mich sehr spielerisch und neugierig. Ein bisschen so, als würde man jemanden, der gewisse musikalische Fähigkeiten besitzt, in einen Raum setzen, wo eine feine Gitarre mit fünf Effektpedalen liegt und der Arbeitsauftrag ist dann: Hol unterschiedliche Sounds raus! Wie ist denn Dein Zugang zur Soundästhetik? 

Leonie Schlager: Ich benötige jedenfalls immer Zeit zum Herumprobieren. Die Geräte, die ich verwende, müssen intuitiv funktionieren. Da ich mich technisch mit nichts befassen kann. Da funktioniert mein Gehirn dann nicht – und das hemmt mich im Spiel! Ich finde den Aufnahmeprozess sehr interessant und auch den Prozess live zu reproduzieren, was mir teilweise auch ‚passiert ist‘. Ich habe bei den Aufnahmen sehr viel Zufall zugelassen. Auch Fehler, die passiert sind. Sowohl Fehler in Lyrics als auch Verhörer oder Rückkopplungen oder Knackser – die verwende ich gerne. Ich glaube, Fehler gibt es eigentlich gar nicht – und in der Musik schon gar nicht. Ich hör mich immer wieder singen auf irgendwelchen Aufnahmen und denk mir „Maaah, das klingt aber falsch“ und dann denk ich aber, es geht ja gar nicht darum, ob etwas falsch oder richtig klingt. Das ist das falsche Ohr, mit dem man zuhört im ersten Moment, und dem kann ich dann hoffentlich sagen: „Shut up! Darum geht’s überhaupt nicht.“

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Worum geht es dann? 

Leonie Schlager: Es geht darum, was du transportiert. Ob die Musik einen Effekt hat, irgendwas in dir auslöst oder dich berührt. Das kann auch ein „falsch getroffener“ Ton oder eine gebrochene Stimme sein. Oder auch ein Taktfehler. 

Passend zu Stichwörtern von vorher wie reduziert, privat oder introvertiert: ich empfinde es als interessante Situation, wenn Artists die diese Persönlichkeitseigenschaften ausstrahlen, dann aufgrund der Umsetzung der Musik live auf eine Bühne gehen und sich dort hinzustellen, um eben doch gesehen und gehört zu werden. Wie geht es Dir mit diesem Spannungsfeld? 

Leonie Schlager: Das ist total komisch, aber es ist auch sehr schön. Man muss dazu bereit sein, emotional mit ganz vielen Leuten, die man nicht kennt, zu kuscheln. So fühlt es sich an, und das ist eben ungewohnt, wenn man normalerweise introvertiert ist. Es ist schön und gruselig zugleich. Die ersten Male, als ich vor drei Jahren vor Leuten auf der Bühne gestanden bin – was ich eigentlich nicht suchte, weil es nicht meine ursprüngliche Motivation war, Musik zu machen – habe ich so schöne Erfahrungen gemacht. Wenn man merkt, es gibt Leute, die die Musik sehr gern annehmen und man teilt mit denen seinen Mut, seine Angst und sein Scheitern – das ist dann auch eine Art Verantwortung, die zu deiner Aufgabe wird, als Mensch auf der Bühne. Wurscht, ob es Dir selber gefällt oder nicht [lacht]. Das ist das, was du in dem Moment gibst, deine Verletzlichkeit. 

„Man teilt mit denen seinen Mut, seine Angst und sein Scheitern.“

Ich empfinde das jetzt als sehr stark artist-geprägte Perspektive, wohingegen die Leute im Publikum oft schlichtweg auf der Suche nach Unterhaltung sind und das war’s. 

Bikd The Zew
The Zew (c) Pia Reschberger

Leonie Schlager: Unterhaltung ist schon auch ein wichtiger Punkt. Aber in dem Set-Up, in dem ich auftrete – das bin Ich, mit Gitarre, Effektgeräten und Stimme – bin ich limitiert im Unterhaltungswert. Ich kann gar keine Show machen. Ich kann mich nicht mal viel bewegen, wegen den Kastln am Boden und weil ich ans Mikrofon gebunden bin. Ich kann nicht wie die Helene Fischer herumspringen. Ich habe auch sonst keine Tricks drauf. Aber ich denke, man kann dramaturgisch viel machen. Jeder Abend muss irgendwie einen Spannungsbogen haben. Gerade im Kontext des Konzertes, hat man das Glück, dass die Aufmerksamkeit gegeben ist, im Vergleich zu vielen Momenten im Alltag, in denen die Aufmerksamkeitsspanne sonst oft kurz ist. In diesem Setting kann man Dinge wiederholen oder im Sinne der Dramaturgie rauszögern – das möchte ich eigentlich noch viel mehr machen, ich traue es mich nur noch nicht.

Du meinst Monotonie und Repetition als Stilmittel? 

Leonie Schlager: Ja, genau! Aber dazwischen auch Schreckmomente und Abwechslung zu erschaffen. Einmal habe ich es geschafft, jemanden zu erschrecken, obwohl es gar nicht meine Intention war. Für mich war es lediglich das Anschlagen des ersten Akkordes auf der Gitarre und plötzlich schreit jemand im Publikum auf [lacht]. Das war eigentlich sehr schön! Und die Frage, die ich mir stelle ist, wie kann man so Momente ganz gezielt auch einbauen und damit spielen. 

Zum Thema Dramaturgie stellt sich mir in dem Kontext noch die Frage, wie wichtig sind dir eigentliche die Texte und die Lyrik in Deiner Musik?

Leonie Schlager: [zögert] Mir ist wichtig, dass sie … Ich finde eigentlich, wenn es keine Lyrics braucht, dann braucht es halt einfach keine Lyrics. Da kann mitunter ein Klang oder eine Akkordfolge viel mehr erzählen als ein paar Worte. Die Texte sind mir aber schon wichtig, in dem Sinne, dass man damit auch wieder spielen kann. Wie etwa durch die Worte, welche Geschichte entsteht und bei wem. Ist es immer die gleiche? Mein Ziel wäre, dass jede Geschichte, die ich erzähle, für jede Person eine andere Geschichte ist. 

Heißt das, Du schreibst Texte auch bewusst so, dass sie möglichst viel Interpretationsspielraum bei den Rezipierenden zulassen? 

Leonie Schlager: Ich schreibe Texte so, dass sie mich selbst überraschen, dass ich eine Geschichte erzählt bekomme, während ich sie schreibe. Wenn ich einen Text irgendwann fertig habe, interpretiere ich ihn für mich selbst und was er für mich bedeutet. Manche Leute haben halt dann ähnliche Interpretationen und andere hören etwas ganz anderes. Ich finde aber, genau das ist der Sinn von Lyrik. 

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„Da habe ich mehr Überschneidungen mit Leuten die Post-Rock, Krautrock oder Artpop machen.”

Siehst Du Dich im klassischen Sinne als Singer-Songwriterin? Ist das eine Zuschreibung, mit der Du Dich identifizierst? 

Leonie Schlager: Ich finde den Begriff total absurd! Wann war das? Das ist so altbacken. Früher war es wesentlich häufiger, dass Leute, die gesungen haben, Lieder von anderen gesungen haben. Ich finde auch, dass mehr Frauen als Singer-Songwriter bezeichnet werden, weil Frauen mehr als Sängerinnen eingeordnet werden denn als Instrumentalistinnen. Ich weiß aber selber gar nicht, wie ich mich da sehen würde. Mir ist der Begriff Singer-Songwriter zu weit gespannt. Es gibt enorm viele, mit denen es für mich überhaupt keine musikalischen Überschneidungen gibt. Da habe ich mehr Überschneidungen mit Leuten, die Post-Rock, Krautrock oder Artpop machen. Alleine von der Herangehensweise. 

Wenn ich den Begriff Singer-Songwriter verwende, denke ich an so Leute wie Bob Dylan, Nick Drake, … Mir fällt auf, im Prinzip Männer mit akustischen Gitarren, die Akkorde spielen und Geschichten erzählen. 

Leonie Schlager: Ich denke bei dem Begriff eher an Taylor Swift. Obwohl die natürlich auch einfach ein Popstar ist. Bob Dylan und Nick Drake oder auch Joni Mitchell sind für mich Folk. 

Du bezeichnest dich selbst ja als Cyborg-Folk. Was hat es damit auf sich? 

Leonie Schlager: Das passiert auf mehreren Ebenen. Wenn wir jetzt gerade schon beim Folk oder bei den Folk-Persönlichkeiten sind: der Folk kommt aus einer sehr gemeinschaftlichen Tradition. „Folk“ als Wort ist nicht nur ein Begriff für die Musik. Es ist im Prinzip die Aussage „for the people by the people“. Es ist nichts, das ein Plagiat hat oder irgendwie verwertbar in einem monetären Sinn ist. Es ist etwas, das gemeinschaftlich geschaffen wird. Und in meinem Kopf ist jede Idee eine gemeinschaftliche Idee. Weil Du ein gemeinschaftliches Wesen bist und nur durch die äußeren Einflüsse ein Wort ausspucken kannst. 

Das heißt das D-Moll, das Du auf der Gitarre spielst, ist nicht dein D-Moll? 

Leonie Schlager: Ja, genau! Und Folk an sich hat die Tradition, dass Lieder geteilt und gemeinsam bearbeitet werden. Das bekommt in unserer Zeit natürlich noch eine andere Komponente beziehungsweise bereits noch früher, als der Folk dann auf ein Medium gekommen ist, wie etwa die Pressung auf eine Schallplatte. Da hat sich der Folk schon ein bisschen in den Cyberspace bewegt. Vom Vortragen hin zum Funktionieren auf Medien. Jetzt ist es überhaupt eigentlich Hyper-Folk oder Cyber-Folk, weil wir übervernetzt sind. Wodurch wieder ganz andere Ideen und Dinge entstehen können. Der Cyborg-Folk liegt dann eher in der Art meiner Performance. Der Folk eben in seiner ursprünglichen Form ist, dass man da steht mit zwei Klangkörpern – nämlich der Stimme und der Gitarre – und aus sich heraus etwas kreiert. Ich mach aber nicht den klassischen Folk, sondern verwende Effektgeräte, Verzerrer, alle möglichen elektronischen Dinge – welche die ganze Sache von einer menschlichen auf eine maschinelle und digitale Ebene heben und mich durch Maschinen erweitern. Das macht mich zum Cyborg, weil es meine neuen bionischen Gliedmaßen sind. 

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In dem Verständnis gibt es dann auch noch die aufgemalten Augen als zusätzliche Sinnesorgane, oder? 

Leonie Schlager: Stimmt! Das ist dann eigentlich fast trans-humanistisch, oder? [lacht] 

„Der female gaze starrt unerschrocken zurück.”

Was steckt hinter den Augen genau? 

Leonie Schlager: Die Augen bekommen mit den Auftritten mehr Bedeutung. Anfänglich ging es darum, meine Bühnenscheu zu überwinden. Sie ermöglichten es mir, auf der Bühne jemand anders zu sein. Damit ich auf der Bühne The Zew bin und nicht die Leo. Auch in dem Sinne, dass ich mich davor gefürchtet habe, dass so viele Augen auf mich gerichtet sind und ich dann die Möglichkeit habe – auch wenn ich meine tatsächlichen Augen zu habe und beim Singen in mich gekehrt bin – trotzdem zurückzuschauen. Es hat sich dann weiterentwickelt, dass es gut zum Konzept des female gaze passt im Gegensatz zum male gaze. Der female gaze starrt unerschrocken zurück. Und noch eine andere Ebene ist, dass sie die verschiedenen Personen repräsentieren, die die Geschichten erzählen, die meine Lieder sind. 

Du hast heuer bereits einige renommierte Veranstaltungen gespielt wie etwa das Popfest, die Sommer-Edition des Bluebird Festivals oder das Klangfestival. Was sind denn Deine Zukunftspläne mit The Zew?

Leonie Schlager: Weiter herumprobieren. Und das Ganze – obwohl ich es jetzt an der Öffentlichkeit habe, was ich auch gerne so habe – trotzdem als meinen Schatz zu betrachten. Und als meinen Spielplatz und meinen Raum, in dem ich machen kann, was ich will. Dem will ich so viel Schutz geben, dass ich immer weiter probiere und einfach schaue, was dabei herauskommt. Ich hoffe, dass es ein produktiver Prozess wird, der aber nicht daran gemessen werden soll, wie viele Alben verkauft werden. Er darf aber schon daran gemessen werden, dass es Leute gibt, die davon berührt oder inspiriert sind oder mit denen ich die Musik teilen kann. 

Herzlichen Dank für das Interview.

Sebastian J. Götzendorfer 

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Links:
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Numavi Records (bandcamp)