Film Musik Gespräche: Johannes Hammel/Heinz Ditsch

Johannes Hammel ist Kameramann und Filmemacher. Nach zahlreichen experimentellen Arbeiten ist „Folge mir“ (2010) seine erster Langfilm. Der Musiker Heinz Ditsch arbeitet für Theaterproduktionen, ist Teil des Kollegiums Kalksburg und hat zu fast allen Filmen von Johannes Hammel die Musik beigesteuert. Das Interview führte David Krems.

DK: Als Ausgangspunkt eurer Zusammenarbeit lässt sich das Jahr 2003 und damit die beiden Arbeiten „System of Transition“ bzw. „Die Badenden“ herausstreichen. Weil das schon fast zehn Jahre her ist, müssen wir gleich zu Beginn einen großen Zeitsprung machen: Wie kam es zu dieser ersten Zusammenarbeit?

JH: Wir kennen uns eigentlich schon viel länger. Die erste Zusammenarbeit war aber tatsächlich „System of Transition“. Es ging damals darum, zu einem Theaterstück von Willi Dorner („MAZY“) einen Kompilationsfilm zu machen, wobei verschiedene Regisseure Beiträge liefern sollten. Heinz hatte damals schon zum Theaterstück die Musik gemacht.

HD: Wir sind damals irgendwo im Kaffeehaus gesessen und ich hab den Johannes gefragt, ob ich nicht Musik für ihn machen könnte, worauf er nur gesagt hat: „Ah, gute Idee!“.

DK: 2003 entstanden ja auch „Die Badenden“, der erste Teil einer  experimentellen Found Footage-Trilogie, von der ich annehme, dass das Ausgangsmaterial zunächst mal stumm war.

JH: Ja, bei allen meinen Found Footage-Arbeiten („Die Badenden“, „Die Liebenden“, „Abendmahl“) war das Material stumm. Außer bei „Die Liebenden“, der auf einem Super 8-Pornofilm beruht. Dazu gab es eine sehr lustige, schwedische Softporno-Tonspur. Aber auch wenn es einen Ton gibt, interessiert mich der für meine Arbeit nicht.

DK: Da wäre es jetzt natürlich interessant, etwas über die Arbeitsweise zu erfahren. Wie geht man da heran? Entsteht zuerst das Bild und dann der Ton oder macht ihr das von Anfang an Hand in Hand?

JH: Bei „Die Badenden“ hab ich Heinz schon sehr früh getroffen, wobei ich zuvor bereits einen Berg an Bildmaterial hergestellt hatte. Material, das ich mittels biochemikalischer Eingriffe verändert hatte. Eigentlich war es dann so, dass Heinz mich auf die Idee gebracht hat, die Bilder mit der badenden Frau zu verwenden. Ursprünglich wollte ich eigentlich einen ganz anderen Film machen. Seither handhabe ich es so, dass ich Heinz immer schon sehr früh kontaktiere und wissen will, ob ihm das Material gefällt. Auch um so etwas wie ein erstes Feedback zu haben.

HD: Wir mischen uns gegenseitig halt relativ viel ein. Ich sag es soll so sein, er sagt es soll anders sein. Der Johannes schneidet dann manchmal auch frisch-fröhlich in den Ton hinein…

JH: Bei „Abendmahl“ war es zum Beispiel so, dass wir gemeinsam sehr lange bei Heinz im Studio gesessen sind und alles miteinander gemacht haben. Da ist dann quasi alles möglich. Für mich ist es relativ schwierig über Musik zu kommunizieren, weil ich in Stimmungen und Bildern denke. Von Musik  hab ich immer nur sehr grobe Vorstellungen. Meine Idee ist immer um einiges primitiver als das, was Heinz dann machen kann.

HD: Gott sei Dank!

JH: Ja, Gott sei Dank! (beide lachen)….Bei „Abendmahl“ hab ich Heinz einmal eine merkwürdige, asymmetrisch laufende Maschine vorgespielt. Ein Ding, das Wörter und Töne ausspuckt. So hab ich versucht, ihm mit Händen und Füssen beizubringen, was ich mir vorstelle.

DK: Spannend ist bei dieser Form der Arbeit ja vor allem der Zugang zur Bild- bzw. Tonebene, der unterschiedlicher ja kaum sein könnte. Einerseits liegt bereits etwas Konkretes vor, was dann bearbeitet wird, auf der anderen Seite aber gibt es…

HD: Nix! Ich steh vor einem leeren Blatt Papier.

DK: Was vielleicht noch dadurch erschwert wird, dass die experimentellen Bilder des Johannes Hammel visuell hoch verdichtet sind. Von einer enormen Intensität. Wo setzt man da als Musiker den Hebel an?

HD: Man versteht natürlich ein bisschen von dem, was der andere macht. Also experimentiert man einfach mal drauf los. Nach der vierten Zusammenarbeit hat man dann schon recht klare Vorstellungen davon, was man umsetzen kann. Durch Versuch und Irrtum arbeite ich dann weiter und präsentiere Johannes einen ersten Teil. Der zuckt dann oft zusammen und dann weiß ich schon: OK, das war jetzt falsch!  So nähert man sich dann einander an. Funktionalität ist ein wesentlicher Punkt, denn Filmmusik im herkömmlichen Sinne ist das ja nicht. Es geht viel mehr um ein Gleichgewicht zwischen Bild und Ton. Am Ende sollte ein homogenes Ganzes stehen. Die Töne, die dabei herauskommen, sollten direkt zu den Bildern gehören.

JH: Bei den Found Footage-Arbeiten haben wir zum Beispiel versucht, den Eindruck zu erwecken, als ob die Geräusche aus den verschiedenen visuellen Schichten und Strukturen kommen würden. Die Musik soll nicht irgendetwas unterstreichen oder ein Eigenleben entwickeln. Es soll so wirken, als ob die Bilder selbst die Geräusche herstellen würden. Ohne die Musik vom Heinz haben die Bilder dann auch nur die halbe Wirkung.

DK: Sehr stark merkt man das bei „Die Liebenden“, wo Titel und Ausgangsmaterial auf einen Liebesfilm verweisen – zumindest wenn man Pornografie mit Liebe in Verbindung bringt –  dahinter dann aber ein Horrorfilm lauert, der sehr stark über den Ton funktioniert.

JH: Ich hatte zwei Ideen für diesen Film. Einerseits wollte ich aus dem Pornofilm einen Liebesfilm machen, andererseits hatte ich immer Bilder von einem Horrorfilm im Kopf. Das hat viel mit so kleinen Geschichten zu tun, die man vielleicht nicht direkt sehen kann, die sich aber dennoch spüren lassen. Über die Arbeit mit dem Material kam es dann zu dieser kleinen Horrorgeschichte.

HD: Das hat auch sehr viel mit der Destruktion des Filmmaterials zu tun. Der Umstand, dass etwas zerstört wird, spielt da natürlich ganz stark mit. Wenn es dabei einen positiven Ausgangspunkt gibt, so wie bei „Die Liebenden“, dann bricht das natürlich sehr stark und macht all diese Assoziationen auf.

DK: Wenn man Kommentare zu den Filmen von Johannes Hammel liest, dann merkt man, dass Leute, die versuchen diese Arbeiten in der Geschichte des Avantgardefilms zu verorten, häufig bei Stan Brakhage landen. Wie geht es dir denn damit?

JH: Als ich diese Filme gemacht habe, kannte ich die Arbeiten von Brakhage noch gar nicht. Ich hab diesen Vergleich dann auch mal wo gehört und gleich ein bisschen Angst bekommen. Man will ja schließlich etwas Eigenes machen. Ich hab mir dann ein paar Sachen angesehen und war dann wieder beruhigt. Ein paar formale Gemeinsamkeiten gibt es natürlich, andererseits findet man ja fast überall Parallelen.

HD: Grundsätzlich ist es ja so, dass man nie etwas komplett Neues macht. Das geht ja sowieso nicht.

DK: Vielleicht ein weiterer Versuch der Bezugnahme: In „Abendmahl“ gibt es immer wieder einen weißen Kader, der den Film strukturiert. Dabei denkt man natürlich an Peter Kubelka, der immer wieder ganz stark die Grundstrukturen des Filmischen aufgreift. Denkt man solche Dinge aus der Geschichte des Avantgardefilms zwangsläufig mit?

JH: Das soll natürlich die weiße Leinwand sein, das stimmt schon. Aber ich denke so was eigentlich überhaupt nicht mit. Ich kenn mich auch gar nicht wahnsinnig gut aus mit der Geschichte des Experimentalfilms. Wenn man in Wien lebt, dann kriegt man das natürlich mit, dass es da eine große Tradition gibt. In der Schweiz gibt es das zum Beispiel überhaupt nicht. Ich hab einmal in der Schweiz meine Filme gezeigt und da gab es einen Wahnsinnstumult, einen Aufschrei. Da wurde laut „Buh“ gerufen und laut gelacht.
Aber um zur Frage zurück zu kommen: Es gibt eigentlich keinerlei Bezugnahmen auf andere Filmemacher in meinen Arbeiten.

HD:
Ich find es ja schade, dass es kaum noch Skandale gibt beim Filmemachen. Mir ist es nur zweimal gelungen, Leute mit meiner Musik zu verschrecken. Beides war im Ausland. Bei uns gehen die Leute ja ganz selbstverständlich in eine zeitgenössische Tanzaufführung, wo es nur so kracht und grammelt. Das nimmt man ganz einfach zur Kenntnis. Ich hab einmal mit Willi Dorner in Dundee Tanztheater gemacht („404“), wo die Intendantin anschließend total verstört war. Die hat einfach nicht verstanden, warum das so geräuschhaft sein muss. In Israel ist mir dann noch einmal etwas ganz Ähnliches passiert.

DK:
Wagen wir nun vielleicht den Sprung zum Spielfilm „Folge mir“. Wenn Leute zuvor schon so lange an experimentellen Filmen zusammengearbeitet haben, drängt sich zuallererst natürlich die Frage nach den Unterschieden in der Arbeitsweise auf.

HD: Das hab ich recht schnell erzählt: Was den Spielfilm angeht, habe ich kaum etwas beigetragen. Ich hab ja auch als Zuseher das Problem, dass mir immer die Filme am besten gefallen, die mit wenig Musik auskommen.

JH: Filmmusik  im herkömmlichen Sinn wollte ich in „Folge mir“ ja überhaupt nicht haben. Im Grunde wollte ich nur mit O-Tönen auskommen. Es gibt zwar ein paar Stellen mit Musik, da ist die Quelle dann aber immer sichtbar. Also zum Beispiel in Form eines Radios.
Die Arbeitsweise war ja fast dokumentarisch und ich wollte von außen auch gar nicht zu sehr eingreifen oder etwas unterstreichen. Der Heinz hat dann hauptsächlich Kleinigkeiten eingebaut und war auch ein bisschen frustriert, weil ich so gar nichts von ihm wollte.

DK: Ähnlich wie in deinen experimentellen Arbeiten ist auch „Folge Mir“ visuell sehr intensiv. Auch wenn du dir sehr viel Zeit für die Erzählung nimmst, gibt es immer wahnsinnig viel zu sehen. Die Bilder wirken sehr präzise komponiert. Ich vermute mal, da kommt dein Background als Kameramann durch?

JH: Natürlich ist mir das wichtig, weil es ja ganz wesentlich dafür ist, eine Sichtweise zu zeigen. Und gerade in „Folge mir“ geht es ja auch um eine bestimmte Sichtweise. Konkret war es so, dass ich mir vorher kaum Bilder überlegt hatte. Ich habe mich viel mehr darauf konzentriert, Orte zu suchen, an denen die Geschichte dann erzählt wird.

Weil es auch meine erste große Arbeit mit Schauspielern war, hab ich mich beim Dreh selber dann auch in erster Linie darum gekümmert. Die Kamera habe ich dann erst in letzter Sekunde dazu genommen und alles sehr dokumentarisch mitgefilmt. Was natürlich nicht heißen soll, dass mir die Kamera egal wäre. Ich arbeite mittlerweile einfach nur sehr direkt. Als Kameramann mach ich ja auch nur noch Dokumentarfilme. Ich überlege mir dann vorher nicht wahnsinnig viel, sondern versuche im richtigen Moment das Richtige zu filmen. Das kann dann auch durchaus stimmungsabhängig sein. Diese Arbeitsweise hab ich im Wesentlichen auf „Folge mir“ übertragen.

DK: Dein experimentelles Filmschaffen lebt ja in „Folge mir“ durchaus weiter. In Form des Super 8-Materials zum Beispiel, das immer wieder auftaucht. Susan Sontag meinte über die Fotografie einmal, dass es vor allem Momente des Glücks sind, die Amateure mit ihren Kameras festhalten. Könnte man die experimentellen Zwischensequenzen in „Folge mir“ demnach als Möglichkeiten eines besseren Lebens verstehen.

JH: Aus Sicht der Charaktere ist das durchaus so. Das Super 8-Material erfüllt ja nicht die Funktion einer Rückblende wie das sonst oft der Fall ist, sondern entspricht hier viel mehr einer Wunschvorstellung. Einer Wunschvorstellung der ganzen Familie.

HD: So ist es ja auch in Wirklichkeit. Die glückliche Familie, die sich zu Weihnachten mit Super 8 filmt, gab es ja so in der Realität gar nicht. Da wird zuerst den ganzen Abend gestritten und für das Foto stellt man sich dann brav zusammen. Da wird ja auch eine Scheinwelt inszeniert. In „Folge mir“ ist das ganz ähnlich.

DK: In der Arbeit mit Found Footage schreibt man dem Material ja fast immer eine komplett neue Bedeutung zu. Vor allem auch auf der Tonebene. Wie sehr interessiert ihr euch denn dabei für die Geschichten, die im Ausgangsmaterial bereits eingeschrieben sind?

HD: Die Geschichten dahinter kennen wir ja kaum. Man lässt sich da natürlich ein wenig inspirieren, doch wissen tut man kaum etwas. Man kann nur gewisse Rückschlüsse ziehen. Zum Beispiel was die Kleidung oder die Bewegungen angeht. Ich versuch mir dann die Schicksale dazu vorzustellen. Es hat immer ein bisschen was von einem Spiel. Ich persönlich kenne das ursprüngliche Material aber oft gar nicht. Ich sehe dann erst die Bilder, die von Johannes bereits verändert wurden.

JH: Ich geh das komplett unbelastet an und stürze mich immer gleich auf die Möglichkeiten dessen, was ich damit erzählen könnte. Es bleibt ja dann auch kaum etwas von dem Material übrig. Ich sehe immer gleich von Anfang an die neue Geschichte, die ich dem Material zuschreibe. Das Ausgangsmaterial ist für mich sehr austauschbar. Das liegt auch daran, dass ich dutzende Stunden an Super 8-Filmen fremder Menschen bei mir zu Hause herumliegen habe.

DK: Vielleicht sagt ihr ganz am Ende noch kurz etwas zu dem nächsten Film.

JH: Der Film heißt „Jour sombre“ und schließt an die experimentelle Trilogie an. Da gab es ja eine große Fülle an Ausgangsmaterial. Ich habe an diesem Film schon früher immer wieder gearbeitet, bin dabei aber nicht wirklich weiter gekommen. Nach dem Spielfilm hatte ich dann wieder das Bedürfnis, an einem Kurzfilm zu arbeiten. So habe ich mich dann recht bald wieder an dieses Material gesetzt.


Die Reihe Filmmusikgespräche findet im Rahmen der Kooperation zwischen mica – music austria,
sixpackfilm und Diagonale – Festival des österreichischen Films statt.