Film Musik Gespräche: Bernhard Lang / Norbert Pfaffenbichler

Es ist seltsam, dass Neue Musik und Avantgardefilm nicht viel häufiger aufeinander treffen. Norbert Pfaffenbichlers „Notes on Film“-Serie, die seit sieben Jahren von der Musik des gebürtigen Linzers Bernhard Lang begleitet wird, veranschaulicht, wie sehr avanciertes Kino und zeitgenössische Komposition zusammen gehören. Das an Robert Franks „OK End Here“ (1963) und dem amerikanischen structural cinema orientierte Spielfilmexperiment „Notes on Film 02“ (2005) stand am Beginn der Zusammenarbeit Pfaffenbichler/Lang. Das Spektrum dieser Kooperation ist breit: Es reicht von der sich harsch in die oberen Frequenzen schraubenden elektronische Klangfläche in „a1b2c3“ (2006, an der Animation arbeitete Lotte Schreiber mit), über minimalistisch gegeneinander verschobene Piano-Schleifen in „Mosaik Mécanique“ (2007) bis zu der Störton- und Wortfetzensymphonie, die Lang für den Fake-Hitler-Reigen „Conference“ (2011) verfasst hat. Das Interview führte Stefan Grissemann.

Als Komponist befassen Sie sich seit vielen Jahren auch mit filmischen Fragen und Techniken, vor allem mit bestimmten Linien im Avantgardefilm, mit den Arbeiten Martin Arnolds beispielsweise.

Lang: Stimmt, dieses Grundinteresse reicht bis in die neunziger Jahre zurück. Vor allem durch Martin Arnold habe ich den Einstieg in die österreichische Avantgardefilmszene erreicht. Aber schon davor hatte ich mich intensiv mit experimentellem Kino auseinander gesetzt – was in meinem Fall aber, der ich, beginnend mit dem Musiktheater, gern medienübergreifend arbeitete, stets nahe lag. Mit der Form des Musikvideos setzte ich mich schon in den Neunzigern auseinander, ebenso mit der Improvisation mit Live-Visuals, die oft Edda Strobl besorgte. Aber erst durch die Begegnung mit Arnold kam ich zur konzeptuelleren, spezifisch film-musikalischen Arbeit.

Zunächst waren es Übersetzungen filmischer Manöver ins Klangliche?

Lang: Ja, anfangs waren es eher Transkriptionen von Konzepten und Techniken. Als ich Norbert Pfaffenbichler im Rahmen einer Preisverleihung vor gut zehn Jahren kennen lernte, sah ich das erste Werk seiner „Notes on Film“-Serie, während er dort eines meiner Loop-Stücke hörte. Damals hatten wir sofort die Idee, irgendwann gemeinsame Sache zu machen. Zwischen uns hat es von Anfang an im Denken und in der künstlerischen Konzeption sehr viele Affinitäten gegeben.

Was verband Sie denn genau miteinander? Die Liebe zur strukturellen Arbeit?

Lang: Genau, aber auch die Nähe zum Dekonstruktivismus. Norbert war in jenen Tagen diesbezüglich schon weiter, befasste sich bereits in „Notes on Film“ mit metafilmischen Fragen. Ich begann erst später, mich mit Metakomposition zu beschäftigen, also bereits vorhandene Stücke als Ausgangspunkt zu nehmen. Uns beide faszinierten Loops und Wiederholungsstrukturen, die Reflexion des Prinzips Differenz und Wiederholung. Dieses also auf vielen Ebenen gemeinsame Denken vereinfachte die Arbeit zwischen uns sehr. Das war immer ein sehr klarer, lösungsorientierter Dialog.

Es gibt eine Denkrichtung im Avantgardefilm, nach der Bilder, die stark genug sind, eigentlich keine Musik brauchten, nicht erst akustisch illustriert werden müssten. Was entgegnen Sie dieser Sichtweise? Warum ist Musik in Ihren Filmen so entscheidend?

Pfaffenbichler: Ich wollte immer schon, wie Kurt Kren, dessen meist tonlose Filme ich sehr verehre, einen Stummfilm machen, habe dies aber bislang nie geschafft. Im Fall von „Conference“ erwog ich lange, die Bilder ohne Ton zu lassen, also nur mit Musik-Intro und Coda zu arbeiten, aber den Bildteil selbst ohne Musik anzulegen. Das wäre für uns beide konzeptuell vorstellbar gewesen, schließlich verwarfen wir die Idee aber wieder, weil wir am Ende doch fanden, dass diese Bilder einen Sound brauchten. Sie gewinnen durch Bernhards Musik sehr.

Lang: Wir streben ja gerade nicht nach illustrativer Musik. Die kopernikanische Wende im Verhältnis von Filmton und Filmbild hat sich in den Arnold-Werken vollzogen: Nicht die Semantik der Musikalität wird auf den Film projiziert, sondern die Bewegung. Daran haben wir intensiv gearbeitet: nicht den Film zu schönen oder zu untermalen, sondern affine Prozesse in zwei verschiedenen Medien abzubilden und zu einem Ganzen zu führen.

Das erhöht natürlich die Komplexität. „Conference“ wäre ohne diese sehr brüchige, geräuschhafte Musik ein ganz anderer Film geworden. Das ist klingende Found-Footage, wenn man so will. Haben Sie da ausschließlich mit Tonmaterial aus den verwendeten Hitler-Filmen gearbeitet?

Lang: Ich habe mich auf Charlie Chaplins Hitler-Performance beschränkt, die als Subachse in dem Film existent sein sollte. Frühere Soundtrack-Versionen gerieten uns zu heavy, zu bedeutungsschwer, wir wollten eine Leichtigkeit erzielen und auf den „Großen Diktator“ Chaplins verweisen.

Chaplins Stimme ist die einzige, die in „Conference“ zu hören ist?

Lang: Ja, ich habe letztlich ganz wenig Tonmaterial verwendet. Man hört Chaplins Stimme, Applausfragmente und Splitter aus Anton Bruckners Achter Sinfonie, die ich da aber komplett zerlege, in eine Geräuschspur überführe. Kontextuell passt das: Hitler hatte Bruckner bekanntlich sehr verehrt, und die Nazis benutzten Bruckner gern als Repräsentationsmusik, insbesondere die Achte.

Die Musik zu „Conference“ erscheint härter, aggressiver als Ihre anderen Kollaborationen. Bruckners Wohlklang wird da sehr entschieden unterdrückt. Steckt dahinter der Wunsch, das Thema der Hitler-Darstellung eben nicht frivol, sondern tatsächlich verstörend zu behandeln?

Lang: Das war sehr wichtig, denn es passiert oft schnell, dass man die Dinge per Musik schönt und emotionalisiert. In diesem Fall ist die Musik wohl das Gefährlichste, deshalb haben wir darüber lange Diskussionen geführt – und uns zum Beispiel dazu entschlossen, gleich nach der Ouvertüre das Schweigen, die Stille zu ihrem Recht kommen zu lassen: einen Leerraum gähnen zu lassen, klingende Stille zu produzieren, um die gewohnte Hollywood-Verkleisterung des Bildes durch die Musik auszuschalten.

Wie verläuft Ihre Filmarbeit konkret? Wird erst die visuelle Ebene produziert, oder entstehen Bild und Ton parallel?

Lang: Ehe die eigentliche Arbeit beginnt, treffen wir uns, durchdenken ein jeweils schon vorhandenes Filmkonzept.

Das heißt also, Sie gehen immer zuerst von einer visuellen Idee aus, nie von der Musik?

Lang: Nicht unbedingt, denn Norbert denkt nicht nur in Filmbildern, sondern multimedial. Er bringt immer auch schon Klangvorstellungen mit ein. Es ist sehr einfach, darauf einzusteigen, denn er hat sehr konzise Vorstellungen. Ich mag es sehr, mich da einzuklinken und im Diskurs etwas herauszufiltern, was im Grunde genommen als Idee ohnehin schon da ist.

Pfaffenbichler: Im Arbeitsprozess selbst schicken wir einander dann Vorschläge hin und her …

Lang: … tatsächlich wie in einer Conference …

Pfaffenbichler: … um jeweils Änderungen anzubringen und die Vorschläge so lange zu modifizieren, bis wir damit zufrieden sind.

Dabei kann der Komponist auch in die Bildebene eingreifen?

Lang: Doch, schon. Wie auch umgekehrt der Filmemacher in die Musik eingreifen kann.

Pfaffenbichler: Besonders „Notes on Film 2“ veränderte sich auch visuell durch Bernhards Zutun substanziell.

Lang: Das ist ja das Spannende an der Filmmusikarbeit. Im Gegensatz zur rein kompositorischen Arbeit, wo man so eine Art einsamer lieber Gott ist, gibt es in der Zusammenarbeit eben ein Korrektiv, einen Diskurs. Es ist aufregend zu erleben, wie sich eine Arbeit überraschend verändert, neue Richtungen einschlägt, genauer wird.

Pfaffenbichler: Bernhard ist als Künstler bei jedem unserer gemeinsamen Projekte von Anfang an dabei, von der Konzeptphase bis zur Endfertigung. Schon um die jeweilige Einreichung zur Filmförderung schreiben zu können, brauche ich Bernhards Kommentare und Ideen. Bisweilen lässt sich unsere Zusammenarbeit erst in letzter Sekunde realisieren: „Conference“ beispielsweise reichte ich noch in einer stummen Version für das Programm des Filmfestivals in Venedig ein, vermerkte, dass die Tonspur erst folgen werde. Postwendend kam ein E-Mail aus Venedig, dass man den Film dort gerne hätte, ich möge die Tonfassung doch innerhalb einer Woche nachreichen. Bernhard war leider gerade auf Urlaub, ich rief ihn trotzdem an, und er war sofort bereit, seine Freizeit zu opfern; wir begannen einander also Files hin und her zu schicken. So entstand innerhalb von ein paar Tagen, ohne dass wir uns ein einziges Mal in dieser Causa persönlich gesehen hätten, die Musik zu „Conference“. Bernhard ist unglaublich produktiv, man stellt ihm eine Frage und erhält eine Stunde später schon zehn verschiedene Vorschläge. Und was sehr wichtig ist: Bernhard ist, anders als viele Musiker, nie beleidigt, wenn man einen seiner Vorschläge ablehnt oder Kompositionen beschneidet.

Lang: Das liegt auch daran, dass mir diese Arbeit große Freude bereitet. Außerdem hilft es oft, wenn man gerade in einer größeren Arbeit feststeckt, herausgerissen zu werden in einen Filmjob.

Sie müssen sich also nicht auf jeweils eine Sache ganz konzentrieren, um sie gut hinzukriegen?

Lang: Nein, ich lese auch immer vier Bücher gleichzeitig. Ich liebe es, an mehreren Stücken zugleich zu arbeiten. Natürlich bin ich dann an jedem dieser Werke manisch dran, aber ich brauche auch den Input von außen. Norberts Arbeit hat mich, wie gesagt, erst dazu gebracht, mit bereits existenten Stücken zu arbeiten. Im Grunde begann diese Entwicklung schon 2006, in der Produktion an meiner Oper „I Hate Mozart“, an der ich auch mit einem Regisseur arbeitete, dessen Herangehensweise höchst filmisch war: Michael Sturminger. Inzwischen habe ich die Neuformung bestehenden Materials verinnerlicht; meine Strawinsky-„Sacre“-Remixes sind da nur das jüngste Beispiel. Sie sind von Norberts Meta-Reflexionen stark inspiriert: Sie zeigen, wie in der Musik über Musik nachdenken – wie man auch im Film über Film nachdenken kann.

Avancierte Filmmusiken sind dennoch rar. Orten Sie unter manchen Kollegen in der so genannten Ernsten Musik nicht auch eine Geringschätzung des Mediums? Als wäre Filmmusik bloß Illustration und daher minderwertig?

Lang: Ich denke, es gibt in der Neuen Musik so etwas wie eine generelle Wertschätzung der Filmkunst, welche sich nicht unbedingt auch auf das Medium Video erstreckt. Aber gerade die zeitgenössische amerikanische Komposition definiert sich gern über die illustrative Kraft des Films – und das wird unter dem abschätzigen Stichwort „Filmmusik“ tatsächlich gering geschätzt. Diese Art von Musik gilt schnell als funktional, als Klangkunst, die nicht aus sich selbst lebt, sondern sich an einer Bildhaftigkeit orientiert, die man im Konzertsaal nicht braucht.

Dabei fließen filmische Prinzipien doch auch längst in die Neue Musik mit ein, oder?

Lang: Das ist interessant: Auf den Film berufen sich seit Alban Berg fast alle Gegenwartskomponisten. Die These, dass man im Kino mehr übers Musikschreiben lernt, als in jeder Kompositionsklasse, ist weit verbreitet. Aber zu einer konkreten Umsetzung muss es dabei gar nicht kommen. Man lernt vor allem strukturell von Begriffen wie Schnitt, vom Umgang mit einem verfügbaren, editierbaren Material. Diese technologischen Referenzen haben auf die Neue Musik ganz stark gewirkt. Das wäre eine Studie wert: Was hat das Kino mit der Neuen Musik gemacht, ohne dass es selbst zitiert oder referenziert wird? Die reale Durchdringung von Film und Musik, wie das bei unseren Zusammenarbeiten geschieht, findet dann schon auf der nächsten Ebene statt. Im Gegenwartstanz ist das ähnlich: Die Choreografie als Begriff löst sich auf, was etwa in meinen Arbeiten mit Christine Gaigg dazu geführt hat, dass die Choreografin zur Musikerin wurde und der Komponist zum Tanzkünstler.

Aber ist Neue Musik im Avantgardefilm nicht noch immer seltsam unterrepräsentiert? Gibt es da nicht immer noch einen starken Überhang von klassisch atmosphärischen Film-Scores oder populärer Musik?

Lang: Das ist eine Frage der Produktionsweise. Die klassische Komposition ist sehr altmodisch in der Langsamkeit ihrer Herstellung.

Das Kino ist produktionstechnisch doch auch ein eher langsames Medium.

Lang: Stimmt, aber Kino geht vom Begriff des Materials aus: Man schneidet etwas kürzer. Man muss Texte freigeben. Die klassische Komposition geht dagegen von der absoluten Dominanz eines Textes, von der Unantastbarkeit des Schriftlichen aus. Die Bereitschaft, da schnell zu reagieren, hat nicht jeder. Vor allem, wenn man ein Jahr lang an einer Partitur gearbeitet hat, die man am Ende als unveränderbare Substanz sieht. Das macht es ein bisschen schwieriger, sie für das Kino nutzbar zu machen. Und dann darf man eines nicht vergessen: Es ist ein immenser Aufwand, eine solche Partitur herzustellen und einzuspielen. Es ist teuer. Deshalb schwindet auch die traditionelle Orchestermusik als Film-Soundtrack: Das kann kaum jemand noch bezahlen. Und wenn man nun weiß, wie der Avantgardefilm in Österreich budgetär aufgestellt ist, ahnt man, dass allein die Herstellung einer Vokalspur vermutlich ein Vielfaches des Gesamt-Etats eines solchen Films ausmachen würde.

Das heißt, Sie müssen Ihre Filmkompositionen schon aus Budget- und Zeitgründen immer für den Laptop, nie für Orchester denken?

Lang: Norbert und ich würden uns oft wünschen, etwa mit dem Klangforum Wien zu arbeiten. Aber bei der derzeitigen Finanzlage sind das Träume.

Pfaffenbichler: Das ist tatsächlich bei der Filmförderung kaum durchzusetzen. In unserem nächsten gemeinsamen Projekt werden wir versuchen, zumindest ein oder zwei Instrumentalisten dafür zu gewinnen, uns ein paar Minuten Musik einzuspielen. Aber auch nur ein kleines Orchester ist im Avantgardefilm praktisch undenkbar.

Es ist unbezahlbar, auch wenn es nur um zwei oder drei Minuten Musik geht?

Lang: Ein paar Minuten Musik einzuspielen bedeutet einen Nachmittag Arbeit. Man muss aber üben, proben, braucht ein Studio, meist auch einen Dirigenten. Und dann muss das Material ja geschnitten werden. Da macht es fast schon keinen Unterschied mehr, ob es nun drei oder zwölf Minuten sind, die man einspielt.

Wie entstand die Musik zu „Mosaik Mécanique“? War da kein Pianist nötig?

Lang: Nein, das sind bearbeitete und geschnittene Klavier-Mini-Samples. Ich habe da ebenso viele Spuren verwendet, wie es Bildfelder gibt.

Sie haben 98 Musikspuren geschrieben und übereinander gelegt?

Lang: Ja, das war eine Riesenarbeit. Ich zeichnete klanglich – mit Wagner-Samples, die ich für Klavier transkribiert und über digitale Steinway-Pianos aufgenommen hatte – sehr streng die Strukturen nach, die Norbert in den Bildern angelegt hatte.

Pfaffenbichler: Bernhard hat tatsächlich kadergenau jeden meiner verschieden langen 98 Film-Loops, die im Bild gleichzeitig präsent sind, mit einem musikalischen Pendant versehen. Die Idee, alle 98 Loops übereinander zu legen, also gleichzeitig abzuspielen, mussten wir allerdings verwerfen. Das ergab nur weißes Rauschen.

Lang: Ich finde, an manchen Punkten ist nun sehr offensichtlich, wie die Musik – übrigens alles Fragmente aus „Tristan und Isolde“ – mit ihren jeweiligen Szenen mitloopt.

An der Musik zu „Mosaik Mécanique“ fällt auch auf, dass sie für Ihre Verhältnisse ungewöhnlich wohlklingend, fast episch perlend erscheint.

Pfaffenbichler: Es gibt nicht wenige Menschen, die da ganz anderer Meinung sind.

Lang: Mit diesem Soundtrack kann man manche Leute offenbar sehr irritieren. Mit so vielen ablehnenden Reaktionen hatte ich nicht gerechnet.

Die Musik zu „a1b2c3“ ist da doch viel ungemütlicher.

Lang: Ja, aber dieser Film wurde nicht so oft gezeigt.

Pfaffenbichler: „a1b2c3“ war eine Auftragsarbeit für den Grazer Medienturm. Sie entstand extrem schnell, für eine Videoedition.

Lang: Ich erinnere mich noch, dass wir über die Musik zu „Mosaik Mécanique“ lange Diskussionen führten. Norbert wollte erst eine elektronische Version, aber das erschien uns dann doch zu „artistisch“. Das ging uns zu sehr in die Richtung „Neuer Wiener Elektronikfilm“. Ich wollte dann zum prototypischen Stummfilm-Klaviergeklimpere zurück, aber alle verfügbaren Pianobegleitmusiken inspirierten mich nicht. Erst die Idee, Wagner zu transkribieren, stellte mich zufrieden.

Anders als Stummfilmklaviermusik verweigert Ihr Soundtrack aber jede emotionale Illustration, jede dramatische Funktionalität. Ihre Komposition ist sehr abstrakt – auch in dem Sinn, dass sie weder Anfang noch Ende zu haben scheint.

Lang: Stimmt, sie fällt mit der Tür ins Haus und reißt am Ende einfach ab. Die Musik ist ein Block. In der DVD-Version gibt es nun die Zusatzmöglichkeit, diesen Block zu differenzieren, einzelne Loops herauszuholen und mit der jeweils zugeordneten Musik zu hören.

Der Grad der Atonalität in Ihrer Komposition entspricht ja etwa auch dem Zustand der Neuen Musik um 1914, als jener Chaplin-Film entstand, aus dessen Material „Mosaik Mécanique“ gebaut wurde.

Lang: Ja, und man darf nicht vergessen: Die Basis der Neuen Musik im Wien der zehner Jahre war letztlich auch eine Wagner-Dekonstruktion.

Das heißt, die Ära, in der das Bildmaterial entstand, war für die Komposition relevant?

Lang: Selbstverständlich. Ich wollte eben nicht Wien-Elektronik des frühen 21. Jahrhunderts dazu setzen, sondern so etwas einen Zeit-Indikator schaffen – allerdings auf neue Art und Weise.
Pfaffenbichler: Ich konnte mir das anfangs überhaupt nicht vorstellen. Als Bernhard mir schrieb, er wolle es mit Wagner versuchen, reagierte ich erst leicht verschreckt. Wagner zu Chaplin? Wie sollte das denn gehen?

Das Spannende an der Kooperation Pfaffenbichler-Lang ist auch die enorme Breite des Feldes, das da geöffnet wird – sowohl musikalisch als auch filmisch. Von der abstrakten Kunst bis zur Analyse gegenständlicher Illusionsarbeit scheint da alles möglich zu sein. Und dann ergeben sich auch Zwischenformen, Hybride: „Conference“ mutet wie das Zerfallsprodukt einer figurativen Arbeit an.

Pfaffenbichler: Ich denke kaum noch in den Kategorien gegenständlich-abstrakt. Sicher, die Hinwendung zur Abstraktion war in den neunziger Jahren eine wichtige Entwicklungsstufe. Danach wurde mir eher der Strukturalismus wichtig. Mir geht es inzwischen vor allem darum, Experimente zu wagen, die noch nicht gemacht worden sind. Und mein Interesse gilt schon seit langem dem frühen Kino. Mein nächstes Projekt wird wieder eine Schwarzweißarbeit mit sehr frühem Material werden, danach werde ich mich in der Kinogeschichte langsam zum Ton- und Farbfilm, vorwärts in die sechziger und siebziger Jahre tasten.

Und in beiden Fällen soll Bernhard Lang wieder die Musik schreiben?

Pfaffenbichler: Für beide Filme, ja.

Haben Sie nicht vor ein paar Wochen erst einen neuen gemeinsamen Film erarbeitet?


Bernhard Lang:
Ja, aber eine sehr konzeptuelle, minimalistische Arbeit.

Norbert Pfaffenbichler: Eine nur zwei Kader, also eine Zwölftelsekunde langes Werk – ein 35mm-Film mit Musik.

Gab es je die Überlegung, ein bereits bestehendes Musikstück Bernhard Langs für einen Film zu verwenden?

Lang: In der Arbeit mit Norbert bisher nicht. Für „Borgate“, einen Film von Lotte Schreiber, habe ich 2008 bereits vorhandenes Material von mir, Teile eines Orchesterstücks, zerschnitten und neu montiert, um der Regisseurin die Bausteine zur freien Verfügung zu überlassen. Sie schnitt diese Fragmente dann noch einmal neu. Das war aber der einzige Fall. Sonst sind meine Soundtracks stets originäres Material für bestimmte strukturalistische Konzepte – und das muss auch so sein.

Umgekehrt gefragt: Würden oder könnten Sie Ihre Filmmusiken auch konzertant aufführen?

Lang: Eigentlich nicht. Im Radio geht das gerade noch, die Musik zu „Mosaik“ wurde da einmal ausgestrahlt. Aber es ist die halbe Wahrheit. Diese Soundtracks sind in einer Einheit mit dem Filmmedium gedacht, das lässt sich fast nicht entkoppeln. Aber für mich ist das ja ein Indiz dafür, dass das Zusammenspiel funktioniert. Die Musik ist per se nur ein Teil, ein Zahnrad des Ganzen.

Direkte Wege scheinen Sie beide in der Kunst eher zu scheuen. Das sinnliche Vergnügen an Ihren Arbeiten verläuft zu einem guten Teil auch über den Kopf. Rockmusik etwa wäre in einem Pfaffenbichler-Film schwer vorstellbar.

Pfaffenbichler: Stimmt nicht. Ich hab da keine Berührungsängste, erledige sehr gern auch Auftragsarbeiten für Rock- oder Pop-Bands.

Lang: Aber für einen Film wie „Mosaik Mécanique“ wäre Rockmusik ist in der Ansage zu direkt, zu klar. Wenn man diese Bilder mit Rockmusik unterlegte, würde es ein Clip werden. Wenn die musikalischen Zeichen schon so stark definiert sind, beginnen sie die Bilder „zu bedeuten“, sie zu unterschreiben. Sie würden den dekonstruktivistischen Gehalt schlucken, und dann würde es wieder konstruktivistisch werden. Die Bilder würden wieder zu etwas ganz Bestimmtem. Ob ich da Rockmusik nehme oder eine Oper, ist übrigens egal: Das sind intakte musikalische Systeme. Mir erschien ja sogar der zuerst geplante Elektronik-Soundtrack für „Mosaik“ noch viel zu intakt und zu wenig reflektiert.

Andererseits ist gerade an Ihrer Musik eine große Offenheit zu spüren, eine Weigerung, qualitativ zu differenzieren zwischen Neuer Musik, DJ-Kultur, HipHop und etwa Noise.

Lang: Ich zitiere gern John Cages wunderbaren Begriff der „anarchistischen Harmonie“: die Möglichkeit der Synchronizität von allem. Und wir leben inzwischen in einer solchen Welt. Ich möchte offen bleiben, Ausgrenzung liegt für mich nicht nahe. Ich habe lieber alle Stile und Richtungen gleichzeitig und zusammen. Das ist meine Vision. Und wenn ein DJ wie Wolfgang Fuchs in meiner Oper „Montezuma – Fallender Adler“ mitten im Orchester seine Turntables bedient, dann ist das eine enorme und ganz ungeahnte Bereicherung des Klangs! Dieses Zusammenwirken von sehr verschiedenen musiksoziologischen Ebenen, die da als soziale Kontrapunkte entstehen, hat etwas Wunderschönes.

 

Die Reihe Filmmusikgespräche findet im Rahmen der Kooperation zwischen mica – music austria, sixpackfilm und Diagonale – Festival des österreichischen Films, statt.