Film Musik Gespräche: Andreas Berger/Chris Haring/Mara Mattuschka

Eine Serie in Kooperation mit Sixpackfilm „Die meiste Zeit hören wir weg“ –  Soundkünstler und Musiker Andreas Berger, Choreograph und Tänzer Chris Haring und  Filmregisseurin und Performance-Künstlerin Mara Mattuschka erzählen im Gespräch mit Dietmar Schwärzler unter anderem über ihre Zusammenarbeit, Methoden und künstlerischen Ansätze sowie den Unterschied zwischen einem theatralen und filmischen Raum.

Dietmar Schwärzler: Neben der Performerin Stephanie Cumming ist Andreas Berger, der für den Sound verantwortlich zeichnet, die Konstante, die sich quer durch eure gemeinsame Arbeit – 4 Filme Legal Errorist (2004), Part Time Heroes (2007), Running Sushi (2008) und Burning Palace (2009) – zieht. Wie seid ihr aufeinander gestoßen bzw. wie würdet ihr Eure Arbeitspraxis skizzieren?

Chris Haring: Für Legal Errorist habe ich das erste Mal intensiver mit Stephanie Cumming zusammengearbeitet, und es begann mit einer ziemlich intensiven Experimentierphase. Wir wollten die verschiedensten Dinge ausprobieren. Ich kannte den Sound von Andreas von einer CD (music for fieldrecordings) mit der wir schon vorweg geprobt haben, und ich habe ihn darauf angesprochen. Diese Kooperation war für uns extrem fruchtbar, und Mara ist dann auch ziemlich schnell dazu gestoßen. Prinzipiell muss ich aber auch sagen, dass Stephanie und Andreas nicht nur die beiden Konstanten in unseren Produktionen sind, sonder quasi die Gründe, wieso wir die Stücke so ausführen und ausfüllen können, wie sie sind.

Dietmar Schwärzler: Wie schaut die Zusammenarbeit konkret aus, nicht zuletzt weil ihr alle einen musikalischen Background habt. Erleichtert das die Zusammenarbeit oder wird diese dadurch eher erschwert?

Mara Mattuschka: Auch als Regisseur muss man musikalisch sein. Es wäre ganz schlecht, wenn sich Andreas mit zwei unmusikalischen Regisseuren plagen müsste.

Andreas Berger: Für die Performances arbeiten wir von Beginn an permanent zusammen. Ich bin bei jedem Probentag dabei und sehr viel entsteht direkt vor Ort im Proberaum. Wir diskutieren auch viel und geben einander Feedback. Es kann schon mal sein, dass ich einen Sound vorbereite und mitbringe, aber das ist eher die Ausnahme.

Chris Haring: Hätten wir einen fertigen Sound oder fixe Vorlage, würden unsere Stücke nicht funktionieren.

Dietmar Schwärzler: Wie kommt ein Stück wie z.B. Legal Errorist überhaupt zustande?

Chris Haring: Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir auf der Bühne alles weglassen; nur Körper, Licht, Schatten und Geräusche, die der Körper produziert. Wir haben damals auch eine Liste erstellt, auf der alle möglichen Sounds von mir und Stephanie enthalten waren, und mit diesem Material haben wir angefangen zu arbeiten.

Andreas Berger: Für mich stellte sich dabei sehr schnell die Frage, wie ich dieses Material wiedergeben kann. Ich habe angefangen mich damit zu spielen und die unterschiedlichsten Möglichkeiten – z.b. einer Bewegungsbegleitung – auszuloten. Von Stück zu Stück habe ich verschiedenste Spielarten „perfektioniert“, wobei dieses Spiel immer sehr einfach geblieben ist, auch damit man schnell wieder etwas ändern kann.

Mara Mattuschka: Du hast das Soundkonzept aber auch stark modifiziert. Es hat sich im Laufe der Zeit doch sehr entwickelt und auch verändert.

Chris Haring: Es ist immer mehr Verfremdung und Soundforschung dazugekommen und dem „Hören“ wurde in der Performance extrem viel Raum gegeben. Spannung wurde vielfach durch Pausen und Reflexion aufgebaut und den Körper haben wir oft nur als Tableaux vivants verwendet. Gerade im Spiel mit den unterschiedlichen Klangräumen war Andreas großartig. Die verschiedenen Räume, die er allein durch den Sound aufgemacht oder aufgebaut hat, kann man im Theater extrem gut nutzen, einfach weil diese Räume sonst nichts brauchen.

Dietmar Schwärzler: Wie unterscheidet sich ein theatraler Raum, den ihr baut, von einem filmischen Raum?

Chris Haring: Wir haben unsere Stücke, auch unter musikalischen Parametern, immer sehr filmisch gedacht.

Mara Mattuschka: Das ist von Stück zu Stück sehr unterschiedlich. In den späteren Stücken ist der Sound auch räumlich aufgesplittet. Der Sound kommt von unterschiedlichen Quellen im Raum und ist quasi choreografiert. Bei Legal Errorist war der Sound noch sehr stark auf die Performerin konzentriert, auch weil sie in diesem Stück noch live gesprochen hat und dadurch natürlich auch ein Tempo vorgab. Beim Film hatten wir zwei Mikrophone im Raum aufgestellt, mit denen wir die Geräusche und das Sprechen aufnahmen. Als der Kameramann Sepp Nermuth aber ganz nah mit der Kamera am Körper von Stephanie Cumming war, konnte man tatsächlich via des Kameramikrophons die Körpergeräusche – also auch diese Bauchbewegungen – live wahrnehmen. Diese Geräusche hat dann Andreas verstärkt. Für den Film gab es diese drei Quellen.

Andreas Berger:
Legal Errorist ist auch der einzige Film, in dem wir fast durchgehend mit Live-Ton und Live-Einsprechungen gearbeitet haben. Bei den anderen Filmen ist die Tonebene komplett neu konstruiert worden und da haben wir auch mit vorhandenen Musikstücken gearbeitet.

Dietmar Schwärzler: Den Live-Ton habt ihr aufgegeben und sehr viel kam aus der Büchse.

Andreas Berger: Das Synchronisieren kam sehr schnell als Inszenierungselement dazu. Der Performer hört einen Sound oder eine Textstelle aus dem Lautsprecher, und er agiert bzw. bewegt den Mund dazu. Diese Methode haben wir auch für die Filme übernommen.

Dietmar Schwärzler: Welche Idee steht hinter dem Synchronisieren?

Chris Haring: Die Idee von Legal Errorist war beispielsweise, dass der Körper die Hardware bildet, die mit unterschiedlicher Software gefüttert wird; auch mit der eigenen: der Stimme der Performerin, ihren Ideen. In der Synchronisation ging es darum in das eigene Tonbild einzusteigen, was schon sehr künstlich war. Wir haben das Artifizielle in diesem Sinne als Qualität begriffen.

Andreas Berger: Wir haben die Bühnensounds oder synchronisierten Textpassagen für die Filme allerdings nicht nur eins zu eins übernommen, sondern teilweise verfremdet oder andere Räume unterlegt.

Mara Mattuschka:
Bei Legal Errorist gab es zusätzlich auf der Bühne noch Musik, zu der die Performerin tanzt. Prinzipiell gibt es das Problem, ein ganzes Musikstück in einen Kurzfilm zu übernehmen, weil dieser dafür schlichtweg zu kurz ist. Und wenn du nur große Stücke aus der Musik verwendest, wirkt das wie abgeschnitten oder zu schwer. Bei Legal Errorist haben wir das Musikstück zur Gänze weggelassen, zugunsten von akustischen Signalen am Anfang und Ende einer Bewegung, die immer wieder aufflammen; ähnlich wie die Software, die hochstartet und wieder abstürzt.

Dietmar Schwärzler: Verbirgt sich hinter der Synchronisation auch ein psychologischer Aspekt?

Chris Haring: Ja. Die PerformerInnen werden gesprochen, aber eigentlich von sich selbst. Darüber könnte man ganze Bücher schreiben. Deine Gedanken und Ideen gehen durch eine Maschine und dann wieder retour an dich, wobei du diese dann neu interpretieren musst; nicht zuletzt weil sich dann noch diverse Personen wie der Regisseur oder eben auch der Ton-Mensch dazuschalten.

Auf der Bühne hat das auch einen immensen Effekt, wenn eine Darstellerin mit der Stimme einer anderen Darstellerin weiterspricht. Im Fernsehen sind wir das durch die gleichen Synchronstimmen von unterschiedlichen SchauspielerInnen durchaus gewohnt.
Ein anderes Element ist die Sprache bzw. die Modulation der Sprache, die mir wichtiger ist, als der gesprochene Inhalt. Wir arbeiten auch oft mit Personen aus unterschiedlichen Ländern zusammen, deren Sprachen eine andere Rhythmik oder Tonalität haben; kurzum nach anderen musikalischen Parametern sprechen. Das ist auch der Sound mit dem Andreas anfängt seine Burgen zu bauen. Oftmals verstehen die PerformerInnen auch nicht, was die anderen sagen, aber allein durch den Klang kommt dennoch Kommunikation zustande.

Dietmar Schwärzler: Die Sprache ist bei euch aber immer auch sehr stark verzerrt. Insofern scheint euch am konkreten Verstehen nicht wahnsinnig viel zu liegen?

Mara Mattuschka: Es ist ganz wichtig, zu welchem Zeitpunkt man etwas sagt – auch inhaltlich – und vor allem auch wie das Gesagte moduliert ist. In einem gewissen Sinne wird man auch mit sich selber konfrontiert. Man gibt jemand anderem irgendetwas, und dann wird dir etwas zurückgegeben und du musst es nachempfinden oder rekonstruieren.

Chris Haring: Wenn wir beispielsweise Auditions machen, dann spielt Andreas die vorweg aufgenommenen Sounds ein und die PerformerInnen müssen darauf reagieren. Ich sehe das wie eine Blase, worin sie sich orientieren und da sieht man auch sofort, ob jemand zur Gruppe passt oder nicht. Die besten Leute sind meist die, die ihr eigenes Sprachkleid adäquat umsetzen und auch darauf reagieren.

Mara Mattuschka:
Teilweise wird der Ton auch vertauscht, also man spricht mit dem Ton von wem anderen. Das ist ja beim Tanz nichts anderes: Man hört eine Musik und bewegt sich dazu.

Dietmar Schwärzler: Beim Film ist das aber oftmals etwas anderes …

Mara Mattuschka: Die DarstellerInnen waren schon vortrainiert, d.h. sie entwickelten schon so eine Art Reflex. Katharina Meves macht automatisch den Mund auf, wenn irgendwo ein Zettel raschelt.  Die Dehnungen, Verlangsamungen und Beschleunigungen in der Sprache werden im Film auch nochmals durch die Körperbewegungen verlangsamt oder beschleunigt. Wenn der Ton mit den verschiedenen Geschwindigkeiten vorgefertigt ist, kann man einfach mit normaler Geschwindigkeit aufnehmen. Man muss das Bild nicht manipulieren. Der Performer ist sozusagen der, der sich manipuliert oder animiert, aber nicht das Bild. Wenn man auf Zeitlupe schalten würde, würde man das auch merken. Aber natürlich hat diese Methode auch eine psychologische Komponente. Zum Beispiel die Szene mit Alex Gottfarb in Burning Palace: Der Performer kriecht mit seiner Bewegung in einen Körper hinein. Wenn er dann in die Gedärme eingedrungen ist, kann das nicht gleich klingen, als wenn er außerhalb dieser Erfahrung stehen würde. Er befindet sich auch in einem Innenraum von dem aus er erzählt. Da bleibt auch manches unartikuliert, da bricht die Sprache ab. Das sind Dinge, die kann man nicht im nachhinein machen. Im Film schwillt der Sound auch schon öfter vor dem Bild an und geht in das nächste Bild über. Wie schafft man akustische Brücken von einem Bild zum anderen? Durchs Schneiden kann ich auch unterschiedliche akustische Räume kombinieren. Der Ton ist auch oft sehr intim; ein Ton, der dir ins Ohr flüstert.

Dietmar Schwärzler: Generell kann man wohl sagen, dass für eure Filme der Bühnensound immer wieder entschlackt wird.

Mara Mattuschka:
Sehr oft passiert das, aber zur Regel würde ich es nicht erheben. Legal Errorist dauert auch nur 15 Minuten und Burning Palace eine halbe Stunde, während die Bühnenstücke in etwa eine Stunde lang sind. Das ist ein riesiger Unterschied.

Chris Haring: Beim Film Burning Palace ist eher das Gegenteil passiert, da ist sehr viel düstere Atmosphäre dazugekommen. Auf der Bühne ist das Stück sehr lustig und auch sehr effekthaft, während im Film die Atmosphäre im Hotel recht entrisch wird, wo die Figuren auch nie zueinander finden.

Dietmar Schwärzler: Chris – Du hast einmal erwähnt, dass die Bühnenstücke oberflächlich gesehen musikalischer sind als die Filme, weil man bei diesen aufgrund der Musikrechte vieles wieder rausschmeißen muss.

Chris Haring: Das ist eine Frage, die sich erst im Nachhinein stellt. Bei den Sachen, die wir bis dato gemeinsam gemacht haben, funktioniert das immer so, dass wir uns auf eine bestimmte Konserve konzentrieren, die wir zerlegen. Meist ist darin auch nur ein einziges Musikstück enthalten. Das war einmal Elvis Presley, einmal Klaus Nomi….

Andreas Berger: Bei Klaus Nomi war es sehr heikel.

Mara Mattuschka: Da haben wir auch die Rechte gekauft. Die Nummer war aber für den 30 Minuten Film auch zu lange, weil ich wollte bei dieser Sequenz die Musik nicht schneiden. Bei der Stelle, an der der Begriff „dead/Tod“ fällt, haben wir den Ton ausgeblendet bzw. zurück genommen, obwohl man den Sound als RezipientIn automatisch weiterdenkt. Das ist Dramaturgie. Außerdem sind die Musikstücke, wie bereits erwähnt, stark verfremdet und weiterbearbeitet.

Dietmar Schwärzler: Begreift ihr Musikrechte in so einem Fall als Limitierung?

Andreas Berger: In dem Fall muss ich vom Standpunkt des Musikers sprechen und als solcher finde ich das Urheberrecht wichtig.

Dietmar Schwärzler: Bei Burning Palace gibt es eine Stelle, bei der sich ganz plastisch ein akustischer Raum öffnet und wieder schließt, und zwar als ein Performer unter einer Felldecke die Nummer „Mr. Lonely“ von Bobby Vinton Playback singt. Beim Öffnen und Zudecken mit der Felldecke, öffnet und schließt sich auch der akustische Raum.  

Mara Mattuschka: Das ist ein Inszenierungselement, das es auch beim Bühnenstück schon gab und auch dort funktioniert. Diese Szene hat ja neben dem akustischen Raum auch eine inhaltliche Komponente, die im Musikstück erzählt wird und mit dem Zudecken manifest wird. Es gibt Dinge, die auf der Bühne funktionieren, Dinge, die für die Kamera funktionieren und Dinge, die sowohl auf der Bühne, als auch für die Kamera funktionieren.

Dietmar Schwärzler: Die Stücke finden in den unterschiedlichsten Räumen statt: Vom Fabrikraum, klassischen Theaterraum bis zum Galerieraum, während die Räume im Film meist auch nochmals andere sind. Das stelle ich mir als große Herausforderung für das Tonkonzept vor.

Andreas Berger:
Weniger eine Herausforderung, als vielmehr ein Kampf. Sobald das Stück fertig ist, ist natürlich auch das Sounddesign fertig. Dann gilt es nur noch dieses für die unterschiedlichen Räume zu adaptieren, was mehr eine technische Angelegenheit ist.
So schön beispielsweise eine Fabrikhalle ist, aber darin hat man mit unglaublich vielen akustischen Problemen zu kämpfen.

Chris Haring: Das macht unsere Stücke aber auch aus, dass man den Effekt akustisch zuordnen kann. Andreas hat hier mittlerweile ein System entwickelt, das wirklich enorm ist. Beim Film hast du dieses Problem nicht, weil du nicht sechs oder sieben unterschiedliche Quellen hast, die du räumlich platzieren musst, um den Effekt zu erzielen.

Andreas Berger: Beim Film arbeitet man auch eher gegen den Raumeffekt, sondern legt einen Raum.

Dietmar Schwärzler: Hast du, Andreas, eine Präferenz, in welchem Kontext oder mit welchem Medium du lieber arbeitest?

Andreas Berger: Nein.

Dietmar Schwärzler: Gibt es eigentlich in einer Produktion wie Burning Palace auch Momente, an denen es ganz still ist?

Andreas Berger: Eigentlich nicht. Ein Rauschen oder eine Form von Atmo ist immer zu hören. Mitunter werden einzelne Elemente in den Vordergrund gemischt.

Dietmar Schwärzler: Setzt du den Sound mitunter so ein, dass er gegen den Raum und auch gegen die PerformerInnen arbeitet?

Andreas Berger: Ja. Da wird’s auch interessant. Ich würde fast sagen, ich mache das permanent, aber auf die subtile Art. Es wird so ein Gefühl vermittelt, dass eh alles stimmt, aber ein Irritationsmoment ist immer dabei.

Dietmar Schwärzler: Neben der Verzerrung und der Zerdehnung, was der Überzeichnung dient,  geht der Ton auch teilweise in den Klamauk, wie beispielsweise bei der Kampfszene von Running Sushi, oder wenn eine Orange ausgeschlürft wird.

Andreas Berger: Das sind aber auch die Szenen, wo dir der Körper bewusst wird, und auch die Performance.

Chris Haring:
Die Idee dabei ist auch immer, dass man wieder genauer hinschaut.

Mara Mattuschka: Bei der „Orangen-Szene“ isst Stephanie die Orange mit vollem Genuss und gibt sich sozusagen dem Gefühl hin, wobei gleichzeitig ein unglaublicher akustischer Raum aufgemacht wird. Sie wiegt dabei auch ihren Körper nach hinten und verschwindet mit ihrem Gesicht im Aquarium. Das ist eine luxuriöse Aufnahme, die vorwiegend über den Ton funktioniert. Da wird auch ein seelischer Raum aufgemacht. Sie gibt sich hin, und in diesem Moment schwillt der Ton an.

Andreas Berger: Gleich darauf hört man den Ton auch aus dem Aquarium. Somit ist der Ton und auch der Raum gebrochen. Es blubbert.

Dietmar Schwärzler: Auch die Kampfszene beider Figuren funktioniert vorwiegend über den Ton. Es ist auch ganz deutlich zu sehen, dass die beiden Performer sich nicht schlagen.

Andreas Berger: Hier hatte ich Italo-Klamauk-Western bzw. Filme von Budd Spencer und Terence Hill im Kopf.

Mara Mattuschka: Der Sound vollzieht etwas, was im Bild nicht ist. Durch die Wiederholung wird aber auch die Ironisierung deutlich. Etwas, was nicht real stattfindet, wird über den Ton real gemacht, aber gleichzeitig wieder gebrochen. Im Film läuft – generell gesagt – auch alles schneller, als im Theater. Die jeweiligen Pausen im Stück sind auch im Film zwischen den Zuspielungen verkürzt.

Chris Haring: In der letzten Szene von The Art of Seduction, der Bühnenstücktitel von Burning Palace, geht Anna Maria Nowak lachend ins Bett, damit es dramatisch wird. Auf der anderen Ecke des Raumes haut sich ein Performer darüber ab. Gleichzeitig wird dieses Lachen in einen Eric Satie-Sound eingebettet, der gleich auch ein Kuschel-Gefühl vermittelt. Im Film hatte der Sound keinen Platz mehr, weil die Kamera so reinfährt, dass du jede Gesichtsfalte siehst.

Dietmar Schwärzler: Aber in dieser Szene ist im Film neben dem Lachen noch ein Sound zu hören.

Mara Mattuschka:
Das ist die Stimme von Luke Baio, der im Film im Zimmer nebenan liegt. Im Theaterstück funktionieren Anna und Luke getrennt voneinander; im Film sind sie kombiniert in einer Szene, wo sie ihn belauscht.

Andreas Berger: Es gibt auch einen Ton in dieser Szene, der in einer Variation, immer wieder in den Gängen auftaucht.

Dietmar Schwärzler: Wie ist das Verhältnis von Eigenkompositionen  und Fremdmaterial in Bezug auf den Sound?

Andreas Berger: Ich mache sehr viel Sound-Design selber, aber ich würde das nicht unbedingt als Eigenkomposition verstehen. Und dann gibt es sehr viel Fremdmaterial, das ich bearbeite und manipuliere, aber in dem Sinn, dass es noch den Wiedererkennungseffekt gibt.

Chris Haring: Für mich sind das alles Eigenkompositionen. Auch wenn Elvis da mal kurz singen darf, dann singt er in einem Andreas Berger Stück.

Andreas Berger: Eine Komposition funktioniert aber in sich und das hier funktioniert als gesamtes Arrangement.

Mara Mattuschka: Man kann sich den Sound aber auch ohne den Film anhören und es bleibt ein eigenes musikalisches Stück. Ich würde auch sagen, dass in etwa 90% des Soundmaterials selbst generiert ist.

Andreas Berger: Ein fertiges Stück von beispielsweise Elvis erzählt ja immer schon etwas, und man assoziiert auch automatisch etwas dazu. Wenn ich das Stück bearbeite, versuche ich immer eine zusätzliche Ebene zu bauen, die man nicht zuordnen kann, damit es für mich auch interessant bleibt. Das kann auch heißen, dass ich etwas raus nehme, damit man etwas vermisst.

Dietmar Schwärzler: Glaubt ihr, dass man über den Sound eine Haltung – durchaus auch politische Haltung – transportieren oder vermitteln kann?

Chris Haring: Für mich schon. Die Politik kommt über den Humor mit rein. Man muss das Gehörte auch reflektieren, das bei uns, wie erwähnt, immer schon mehrfach manipuliert wurde. Man schafft es auch immer wieder sich selbst zu verarschen, im positiven Sinne.
Es ist eine sehr liberale Haltung, die wir in den Stücken einnehmen. Nicht links, nicht rechts, sondern alles ist möglich.

Mara Mattuschka:
Ich habe Intimität immer als politisch angesehen. Das Augenmerk auf das Private, das fast Geheime, wird liebevoll aufgemacht. Akustisch gesehen kommt das Werk als gesellschaftliches Element in die ganz private Sphäre hinein. Im Film gab es auch immer neben der zu betrachtenden Innenwelt eine Außenwelt, und die Musikstücke kommen wie eine Erinnerung an diese Außenwelt herein.

Chris Haring: Oft sind auch nur Nebensätze zu hören, die man normalerweise rausschneiden würde. Es ist etwas zwischen den Aussagen, die Nicht-Information, die plötzlich wichtig wird: ein Rülpsen oder ein Atmen.

Dietmar Schwärzler:
Das „Zwischen-den-Aussagen“ scheint euch wichtiger zu sein, als die Aussage selbst. Auf das Politische umgemünzt könnte das heißen, dass es nicht darum geht eine Stellung einzunehmen, sondern so etwas wie ein Gefühl zu vermitteln.

Chris Haring:
Wir verwenden alle Zwischensätze, und die machen uns letztlich auch aus. Wenn ich mich z.B. permanent räuspere, sagt das relativ viel aus. Oder wenn ich seufze, ist das hundertmal mehr Aussage, als die ganze heiße Luft, die an logischer Information so im generellen rauskommt.

Dietmar Schwärzler: Wie würdet ihr euren Umgang mit Sprache skizzieren? Wenn ich den Inhalt nicht verstehe, aus welchen Gründen auch immer, bin ich auf die Melodie zurückgeworfen.

Andreas Berger: Mit Sprachelementen arbeiten wir auf eine sehr spielerische Art und Weise. Meistens blende ich auch aus, was mir die einzelnen PerformerInnen im konkreten erzählen und lasse den Computer arbeiten. Ich schneide ohne auf das gesprochene Wort zu achten und höre mir einfach an, was da rauskommt; ähnlich wie bei einem Soundstück, bei dem ich mir am Anfang alle Richtungen, in die es gehen kann, offen lasse. Wir haben beispielsweise einmal ein Stück mit chinesischen PerformerInnen gemacht, und da wussten wir alle nicht, was uns diese erzählen. Wir haben in diesem Fall unsere „story“ rein nach Sprachmelodien und emotioneller Ausdrucksweise gebaut. Die Information ist sekundär.

Chris Haring: Es geht sich aber aus, und letztlich versteht auch jeder, um was es geht.

Dietmar Schwärzler: Man muss sich wohl etwas von der Idee verabschieden, dass es um ein „Verstehen“ im klassischen Sinne geht, weil hier andere Synapsen angesprochen werden.

Mara Mattuschka: Die menschliche Stimme ist emotionsgeladen, egal ob man etwas runterplappert oder pathetisch erzählt. Das schwierigste für SchauspielerInnen war es immer schon, emotionslos zu sprechen. Das funktioniert meistens nicht, selbst wenn man versucht emotionslos zu sprechen, erzeugt diese Form des Sprechens Emotionen wie Entfremdung oder Unruhe. Das kann man kaum vermeiden.

Dietmar Schwärzler: Ich habe gestern im Akademietheater Peking Opel von René Pollesch gesehen und wie immer in seinen Stücken geht es, grob gesagt, um Fragen nach Inszenierung, Wahrheit und Repräsentation. Eine der Hauptthesen dieses Stückes ist es, dass man sich nicht nur nicht versteht, sondern dass man einander auch nicht mehr hört. Wie kann ich also Emotionen transportieren, die in so einem Fall nicht mal mehr ankommen?

Chris Haring: Ich glaube, dass wir mehr hören, als wir sehen und über das Hören auch mehr wahrnehmen. Das mag auch ein Grund sein, wieso Musik so erfolgreich ist.

Mara Mattuschka: Sicherlich. Musik dringt ein in die Ohren und berührt tiefere Zentren. Das Auge klatscht das Bild als Frosch an die Wand. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass man eigentlich das Hören eher gelernt hat, als das Schauen.

Andreas Berger: Die Ohren sind auch schwieriger zu täuschen als die Augen. Für den Ton brauchst du rein technisch gesehen auch eine höhere Auflösung. Beim Auge reichen 24 Bilder in der Sekunde, um eine Bewegung vorzutäuschen. Beim Ohr brauchst du schon eine Abtastrate von 44.100 Samples in der Sekunde, damit man in der digitalen Soundverarbeitung eine annehmbare Abbildung eines Audiosignals wahrnimmt

Mara Mattuschka:
Man sendet mit den Augen und wird auch durch diese wahrgenommen. Wer sieht und  die Augen offen hat, der wird auch gesehen. Man will aber oft nicht gesehen werden, deswegen schaut man auch nicht richtig. So verlernt man das Sehen.

Chris Haring: Außerdem: Wer nicht hören will, muss fühlen.

Mara Mattuschka: Beim Hören ist man incognito. Niemand weiß genau, was du hörst und was nicht. Ich kann mit den Ohren noch so wackeln, man weiß nicht genau, was ich wahrgenommen habe. Man versteckt sich besser im Hören als im Sehen und dadurch entwickelt man den Hörnerv auch besser. Glaubt mir das. Das Sehen geht über die Wirbelsäule bis zum hinteren Schwanz bzw. Schweif. Über die Augen ist man viel angreifbarer, weil man sich durch diese offenbart.

Chris Haring: Es gibt Momente auf der Bühne, an denen die PerformerInnen von uns den Auftrag kriegen, nichts zu machen, außer zu hören. Das ist immer auch ein peinlicher Moment, weil PerformerInnen gewohnt sind, etwas mit ihren Körpern zu tun. Durch das Abschalten entsteht eine enorme, sehr spannungsgeladene Präsenz; man sieht einem Menschen beim Hören zu, was mitunter geradezu etwas Heiliges bekommt.

Mara Mattuschka:
Allein durch eine Kopfwendung hört man in eine andere Richtung. Aber auch das gegenseitige Anschauen kann dieselbe Wirkung entfalten.

Chris Haring:
Das Zuhören geht ja noch, aber das Weghören erscheint mir ein schwieriger Moment zu sein.

Mara Mattuschka:
Wegsehen geht leichter…

Andreas Berger: Weghören tun wir permanent. Wir blenden diesbezüglich extrem viele Informationen aus, sind geradezu geschult an die 90% nicht zu hören. Allein was alles in diesem Kaffeehaus auf der Geräuschebene passiert, ist eigentlich wahnsinnig.

Mara Mattuschka: Unter den vielen Nebengeräuschen leiden neben hyperaktiven Kindern, auch viele Personen mit Hörgeräten, weil sie diese nicht ausblenden können.

Dietmar Schwärzler: Alle von euch sind auch in zahlreiche andere Projekte involviert. Was ist das spezielle an dieser Zusammenarbeit und würdet ihr euren Arbeitsprozess als kollektiven oder eher kollaborativen bezeichnen?

Chris Haring: Eher kollaborativ, auch weil jede und jeder von uns ein ganz spezielles Know-How in die Zusammenarbeit mitbringt.

Mara Mattuschka: Was unsere Gruppe auszeichnet, ist die sehr hohe Qualität; etwas unbescheiden gesagt.

Andreas Berger
Zwei Soloveröffentlichungen als glim
music for fieldrecordings
aerial view of model

Chris Haring
Arbeitete mit ChoreografInnen und Gruppen wie u.a. DV8 Physical Theatre (London), Nigel Charnock (GB), Willi Dorner (A) Klaus Obermaier (A) u.a.
2005 gründete er Liquid Loft und choreografierte die Performances Kind of Heroes (Burgtheater Wien, 2005), My private Bodyshop (Tanzquartier Wien, 2005), Running Sushi (ImPulsTanz, 2006). 2007-8 entwickelte er die Posing Project Trilogie; mit The Art of Seduction gewann er den Goldenen Löwen der Biennale in Venedig. Zuletzt entstand die Arbeit Lovely Liquid Lounge zum Thema „Transgression“ und Das China Projekt in Zusammenarbeit mit der Chinesischen Choreographin Jin Xing.
www.liquidloft.com

Mara Mattuschka
Geboren in Sofia, Bulgarien. Malerin, Filmemacherin, Schauspielerin. 1977 – 83 Studium der Ethnologie und Sprachwissenschaften, Wien. 1990 Magister Artis an der Hochschule für Angewandte Kunst Wien bei Prof. Maria Lassnig im Fachgebiet Malerei und Trickfilm. 1994-2001 Professorin für Freie Kunst an der HBK Braunschweig. 2005 Österreichischer Würdigungspreis für Filmkunst

 

Die Reihe Filmmusikgespräche findet im Rahmen der Kooperation zwischen mica – music austria, sixpackfilm und Diagonale – Festival des österreichischen Films, statt.

Link:
sixpackfilm