Festival-Highlights der zweiten Woche von Wien Modern 36

Nach aufsehenerregenden Großproduktionen zum Festivalstart im Stadtpark, im Wiener Konzerthaus und im Stephansdom sowie Konzerten im Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste, im RadioKulturhaus, in der Opernpassage, im Club U, in der Alten Schmiede, der Otto-Wagner-Postsparkasse und der Jesuitenkirche geht Wien Modern in die zweite Woche. Neben weiteren Großproduktionen wie der sportlich-musikalischen Performance One Song“ im Tanzquartier oder der Wiederentdeckung von Hermann Markus Preßl am Samstag und Sonntag im Volkskundemuseum kommen jetzt auch sehr kleine Festivalbeiträge zur Geltung – insbesondere die vielen kleinen Musikinstrumente von Paweł Romańczuk und seiner Band Małe Instrumenty, die für 13 Tage mit ihrer großartigen Sammlung kleiner Musikinstrumente nach Wien kommen und u. a. die Neuproduktion Dschungel Wien Modern: Kleine Instrumente präsentieren. Insgesamt gibt es bis Anfang Dezember 43 Ur- und 22 Erstaufführungen an 36 Spielstätten in 14 Bezirken zu hören und zu entdecken.

Die IGNM begeht 2022–2023 ihr 100-jähriges Bestandsjubiläum. Was die musikalische Gegenwart ausmacht, ihre aktuellen Tendenzen und in welche Zukunft sie weisen, steht freilich heute weniger denn je fest. Das dreitägige internationale Symposium Gegenwartsentwürfe – Zukunftsbilder | IGNM 100.2 untersucht im Festsaal der mdw Seilerstätte den Umgang mit Zukunftsentwürfen in den Künsten (Mittwoch 08.11. – Freitag 10.11.). Das Jubiläum der IGNM wird am mdw Campus weitergefeiert mit dem frisch mit dem Ensemblepreis der Ernst von Siemens Musikstiftung ausgezeichneten NAMES Ensemble aus Salzburg, das junge Musiker:innen aus sieben europäischen Ländern vereint. NAMES präsentiert bei Wien Modern neue Werke von Georgia Koumará, Bekah Simms, Patrik Lechner, Bertram Wee und Golnaz Shariatzadeh. (Dystopien | IGNM 100.3, Donnerstag 09.11.)

Am Mittwochabend lädt das Black Page Orchestra, die Punkband unter den Wiener Neue-Musik-Ensembles wieder in den Untergrund des Musikvereins. Im Gläsernen Saal wird es diesmal in unterschiedlichen Aufstellungen im Raum verteilt sein. Mit neuen Stücken von Nava Hemyari und Christian Schröder, mit hochvirtuosen Special Effects von Michael Beil und Alexander Schubert sowie mit einer Art losem Notizbuch von François Sarhan. (Mittwoch 08.11.)

Bild One Song
One Song (c) Michiel Devijver

Im MUK.theater wird am Donnerstagabend mit zwei Werken an die 2023 verstorbene finnischen Komponistin Kaija Saariaho erinnert. Ergänzt mit Musik von Anna Thorvaldsdottir, einem surrealen ukrainischen Klanggemälde von Dmytro Kyryliv sowie zwei Uraufführungen junger Komponisten aus Österreich blicken sechs Schlagwerker:innen und verschiedene Kammermusikensembles der MUK zurück und nach vorne (Donnerstag 09.11.).

Der große Zauber der kleinen Instrumente

Seit 2006 verwendet das polnische Ensemble Małe Instrumenty (Polnisch für Kleine Instrumente) eine wachsende Zahl ungewöhnlicher Musikinstrumente – Spielzeug, Sammelstücke, Kuriositäten und Raritäten sowie zahlreiche selbst entwickelte und gebaute Klangerzeuger. In den letzten Jahren realisierte Małe Instrumenty mehrere Projekte mit blinden und sehbehinderten Menschen. Auf Einladung des Polnischen Instituts Wien präsentiert das Ensemble bei seiner Residenz im Rahmen von Wien Modern die in diesen Projekten entwickelten Musikinstrumente im Konzert am mdw Campus (Konzert Unsichtbare Instrumente, Donnerstag 09.11.), in einem Workshop in der Brunnenpassage (Klangpassage | Different Lines, Samstag 11.11.) und in einer Ausstellung im Polnischen Institut (Ausstellung Unsichtbare Instrumente, Montag 13.11.– Dienstag 21.11.).

Höhepunkt der Residenz ist die große Neuproduktion von Wien Modern und Dschungel Wien für Kinder ab 6 Jahren und Erwachsene, Dschungel Wien Modern: Kleine Instrumente (Sonntag 12.11. – Montag 20.11.). In kundiger Begleitung der Musikvermittlerin Sarah Scherer geht es ins geheime Klanglabor des schrulligen Professor Pawel, wo sich von der vor 150 Jahren entstandenen Wiener Okarina bis zum klingenden Spielzeug von heute die abenteuerlichsten Instrumente entdecken lassen. Kleiner Tipp: Es darf getrötet werden …

Miet Warlop: One Song

«Knock knock / Who’s there? / It’s your grief from the past / Not possible / For all time sake / Cause / Grief is like a rock / In your head / It’s hard, it’s rough / It’s just always there / It’s salty / I can taste it on the drop / Rolling down my nose / Grief is like a rock …» Das Stück One Song der flämischen Choreografin Miet Warlop besteht in der Tat aus einem einzigen Song, und den werden Sie am Ende des Abends ziemlich oft gehört haben. Genaugenommen bis zur vollständigen Erschöpfung aller Beteiligten. Denn als Miet Warlop (nach Milo Rau, Faustin Linyekula und Angélica Liddell) vom NTGent für die Reihe Histoire(s) du théâtre gebeten wurde, ihre Geschichte als Theatermacher:in auf die Bühne zu bringen, begegnete sie der Trauer um den Tod ihres Bruders mit einem hypnotischen Bühnenritual zwischen Konzert und Turnier, bei dem Musik und Bewegung geradewegs in die Trance führen. 12 Performer:innen betreten im Tanzquartier Wien eine Art Turnhalle, in der sie mit Gesang, Musikinstrumenten, Sportgeräten, Tanz, Sauerstoff und Schweiß die Conditio humana beschwören, bis tief in den Adrenalinrausch. (Freitag 10.11. + Samstag 11.11.)

Hermann Markus Preßl, geboren 1939 in Altaussee, gestorben 1994 in Griechenland, ist zugleich einer der eigenwilligsten Komponisten seiner Zeit und einer der ganz großen Unbekannten im österreichischen Musik- und Kulturleben. Er unterrichtete in Bad Aussee, Kabul und Graz (Klaus Lang und Bernhard Lang zählen zu seinen Schülern), bereiste Indien, Griechenland und Afghanistan, konstruierte Maschinen als Klang- und Lärmerzeuger sowie als Träger kreisförmig geschlossener Partituren. An die zwei Jahre lang hat der österreichische Choreograf Willi Dorner in enger Zusammenarbeit mit der Familie des steirischen Komponisten an seinem sehr persönlichen musikalisch-choreografischen Porträt gearbeitet, das im Rahmen des Festivals Wien Modern 2023 im Volkskundemuseum Wien zur Uraufführung kommt: An zwei Tagen werden die Räume des Palais Schönborn zum Schauplatz eines liebevoll zusammengestellten Spaziergangs quer durch die Musik, die Ästhetik und die Objekte von Hermann Markus Preßl. Jeweils rund drei Stunden lang machen zahlreiche Mitwirkende Preßls magische Klangwelt und seine Annäherungen an die Unendlichkeit und „das Heilige Nichts“ erlebbar. (Samstag 11.11. + Sonntag 12.11.)

Murmelbahn und fliegende Lautsprecher

«Die musikalische Murmelbahn ist eine analoge Improvisationsmaschine. Verschiedene Arten von Kugeln rollen auf einer schiefen Ebene und stoßen gegen Gegenstände aus Metall. Im Gegensatz zu den meisten anderen Kugelbahnen, bei denen die Kugeln einen perfekten Durchlauf absolvieren müssen, um ans Ziel zu kommen, ist es hier nicht so wichtig, die Wege der Kugeln vorherzubestimmen und ein Ankommen am Ende der Bahn zu garantieren. Es geht nicht um Kontrolle, sondern um das freie Zusammenspiel und die Unvorhersehbarkeit der Ereignisse. Jeder Durchlauf ist anders.» (Elisabeth Flunger) «Die Klanginstallation Orbit besteht aus zwei motorisierten Rotorblättern, die auf einem Stativ befestigt sind. An den Rotorblättern hängen an Seilen befestigte Lautsprecher. Wird die Installation in Gang gesetzt, bewegen sich die Lautsprecher durch die Rotation und die daraus resultierende Zentrifugalkraft nach außen und gewinnen an Höhe. So befinden sich die Lautsprecher in kontinuierlicher Kreisbewegung über den Besucher:innen.» (Robert Mathy) Die Installation ist von 13:00 bis 19:30 zu sehen, um 14:00, 16:00 und 18:00 finden Murmelbahn-Performances in der Ruprechtskirche statt. (Sonntag 12.11.)

Zwei Streichquartette und ein wichtiges Buch in der Alten Schmiede

Das Kandinsky Quartet wurde 2020 in Wien gegründet und ist Stipendiat der Jeunesse Musicales Deutschland und der Villa Musica. Die vier studieren bei Johannes Meissl an der mdw und haben im Wintersemester 2022–2023 ihr Masterprogramm beim Quatuor Ébène an der HMTM München begonnen. Bei Wien Modern präsentieren sie in der Alten Schmiede neue Werke des aus Irland stammenden Wahlwieners Peter Joyce, des aus Israel stammenden Wahlwieners Dror Binder und der in Beijing lebenden Lingyi Dong sowie Pascal Dusapins Fünftes Streichquartett nach Samuel Becketts Novelle Mercier et Camier. (Sonntag 12.11.)

Die Buchpräsentation Composing While Black von George Lewis und Harald Kisiedu in der Alten Schmiede eröffnet einzigartige neue Perspektiven auf zeitgenössische afrodiasporische Komponist:innen, die zwischen 1960 und heute aktiv waren bzw. sind, ein Zeitraum, der von der Forschung, der Programmgestaltung von Konzerten und journalistischen Darstellungen vor allem in Europa bisher weitgehend ignoriert wurde. Diese interdisziplinäre Aufsatzsammlung befasst sich mit Oper, Orchester-, Kammer-, Instrumental- und elektroakustischer Musik sowie mit Klangkunst, Konzeptkunst und digitalen Intermedien und zeigt die afrodiasporische neue Musik als einen interkulturellen, generationenübergreifenden Raum der Innovation, der neue Themen, Geschichten und Identitäten bietet. (Sonntag 12.11.)

Danach erweitert das das Mivos Quartet, 2008 in New York gegründet, den Horizont – mit Streichquartetten des an der Columbia University in New York City unterrichtenden George Lewis, des in Johannesburg unterrichtenden Andile Khumalo, des beim Native American Composers Apprenticeship Project unterrichtenden Raven Chacon, der in Tokio lebenden Chikako Morishita sowie der in Rom geborenen und seit 2023 in Wien an der mdw unterrichtenden Clara Iannotta. (Sonntag 12.11.)

Ein Abend des fließenden internationalen Austauschs zwischen Graz, Ljubljana, Wien und Berlin (mindestens) im Reaktor: Das Quartett between feathers und das Trio Tempestoso präsentieren gemeinsam ein spannendes Programm mit sechs Stücken aus den letzten zwei Jahren. (Sound Exchange, Montag 13.11.)

Das Programm ist online unter www.wienmodern.at.