PHACE aktiviert das Publikum; Ensemble Linea mit Gadenstätter im Mozart-Saal; Gerd Kühr im Schömer-Haus; kollektive Heilung im brut nordwest; John Cage mit Nicolas Hodges, Susanne Blumenthal und dem RSO im Abbado Konzert; Cornelius Cardew, Streik und ein letzter Tanz im MAK
Die letzte von fünf intensiven Festivalwochen feiert noch einmal die wundervolle Vielfalt möglicher Konstellationen zwischen Publikum und neuer Musik. PHACE kombiniert Montagabend neue Stücke von Bernhard Gander und Alessandro Baticci mit unkonventionellen Werken und Performances von Juliana Hodkinson, Annesley Black und Georgia Koumará. Am Dienstag präsentiert das Strasbourger Ensemble Linea unter Leitung des Gründers Jean-Philippe Wurtz u.a. eine große Uraufführung von Clemens Gadenstätter. Eine doppelte Rückkehr passiert am Mittwoch, wenn sowohl Gerd Kühr als auch das Klosterneuburger Schömer-Haus nach längerer Pause wieder im Programm von Wien Modern stehen. Am Donnerstag wird es bei WAAM – We are all mothers von Anne Juren und Matthias Kranebitter im brut nordwest noch einmal choreographisch. Das Claudio Abbado Konzert mit dem RSO Wien präsentiert neben neueren Werken von Tanja Elisa Glinsner, Shiqi Geng und Marios Joannou Elia das legendäre Concert for piano and orchestra von John Cage. Am letzten Tag des Festivals lädt Wien Modern mit dem Auftakt von Cornelius Cardews The Great Learning zu einem Blick ins nächste Festivaljahr. Im Anschluss daran ruft Enno Poppe mit 10 Drumsets zum Streik auf, bevor einschlägig erfahrene Kolleg:innen aus dem Festivalteam an den Turntables das Publikum zum letzten Tanz ins MAK bitten.
Wien Modern – Woche 5 im Detail
Beginnend mit einem Stück für «aktives Publikum» von Juliana Hodkinson im Salon, quasi zum Aufwärmen, bringt PHACE am Montagabend (25. November) zwei ganz neue Werke von Bernhard Gander und Alessandro Baticci erstmals nach Wien in den Berio-Saal des Wiener Konzerthauses. Ein live-elektronisches Spiel mit Raumakustik von Annesley Blackund die Elektronik-Noise- Performance von Georgia Koumará verlassen die Frontalperspektive und öffnen den Raum.
Das in Strasbourg beheimatete Ensemble Linea präsentiert sich am Dienstag (26. November) im Mozart-Saal unter Leitung seines Gründers Jean-Philippe Wurtz, der das Dirigieren u. a. bei Péter Eötvös gelernt hat. Dieser Abend präsentiert ein großes neues Werk für Stimme (Johanna Vargas), E-Gitarre und Ensemble von Clemens Gadenstätter: building bodies. Inhaltlich geht es in dem Stück um den Körper als Austragungsort verschiedener gesellschaftlicher und persönlicher Kämpfe: Von «natürlicher» Körperlichkeit, Formen von Gender-Einschreibungen in den Körper bis zu unterschiedlichen Formen des «Body-Building» (vom Muskeltraining bis zu operativen Eingriffen in den Körper). Weiters im Programm des französischen Ensembles: Chaya Czernowin verwandelt ein Buch, das ihr Sohn als Vierjähriger schrieb, in ein erstaunliches Crescendo, ihre ehemalige Kompositionsschülerin Zeynep Toraman beendet einen Gedichtzyklus, und Rebecca Saunders bringt einen zornigen Kontrabass auf die Bühne.
Am Mittwochabend (27. November) kehrt Wien Modern ins Schömer-Haus zurück, das 1990–2014 das Festivalpublikum regelmäßig zu Ausflügen nach Klosterneuburg eingeladen hatte. Zugleich kehrt Gerd Kühr ins Programm von Wien Modern zurück, wo seine Musik zuletzt 2013 zu hören war (davon abgesehen, dass er als Lehrer von Peter Jakober, Daniel Mayer, Christof Ressi u. v. a. wie auch als Co-Juror des Erste Bank Kompositionspreises indirekt durchaus gegenwärtig ist). Zuletzt mit dem Großen Österreichischen Staatspreis 2023 ausgezeichnet, präsentiert er nun sein neues, drittes Streichquartett mit dem Titel Moments Musicaux. Als Ergänzung für die Gesamtaufführung seiner Quartette durch das Pacific Quartet Vienna hat er Werke von Hannah Eisendle und Lorenzo Troianiausgewählt.
WAAM – We are all mothers (28. November) von Anne Juren und Matthias Kranebitter ist eine musikalisch-choreografische Komposition, die im brut nordwest uraufgeführt wird. Auf der Suche nach einem «Heilmittel für ein kollektives Symptom» navigiert das Stück zwischen Gesundheit und Kunst und erweitert Choreografie zur Heilung unterschiedlicher Erkrankungen des Körpers. Dabei geht es weniger um Pathologie als darum, die Dringlichkeit zu beleuchten, symptomatische Affekte der Welt zu untersuchen, in der wir leben. Jede:r Performer:in von WAAM – We are all mothers agiert sowohl als Tänzer:in wie als Körperpraktiker:in.
Zu Schönbergs 150. Geburtstag haben Wien Modern, RSO Wien, ACOM Austrian Composers und das Arnold Schönberg Center um Orchesterwerke für das Claudio Abbado Konzert (29. November) gebeten. Die drei von der Jury ausgewählten Werke von Tanja Elisa Glinsner, Shiqi Geng und Marios Joannou Elia hebt Dirigentin Susanne Blumenthalbei ihrem RSO-Debüt im Goldenen Saal des Musikvereins aus der Taufe. Mit dem Pianisten Nicolas Hodges steht zudem eines der bemerkenswertesten Werke von einem der bemerkenswertesten Schüler Arnold Schönbergs auf dem Programm: Die ungewöhnliche Sitzordnung der Musiker:innen und die unklassische, choreographische Dirigiertechnik im Concert for piano and orchestra von John Cage sorgten 1959 für das vermutlich letzte Skandalkonzert im Wiener Musikleben.
Mit der Aufführung des ersten von sieben Paragraphen (30. November) des auf Konfuzius basierenden Hauptwerks von Cornelius Cardew startet die Junge Musik ein offenes Projekt, das bis zum Ende von Wien Modern 2025 weite Kreise ziehen wird. Im Anschluss präsentiert Enno Poppe die österreichische Erstaufführung seines Werks Streik für zehn Schalgeuger:innen: «Das Drumset ist ein typisches Soloinstrument. Es treibt die Band an, schiebt sie nach vorne, gibt den Takt vor, ist der Maschinenraum. Es muss stabil sein, damit die anderen ins Schwitzen geraten. Ein Ensemble aus Drumsets gibt es nicht. Oder doch?» (Enno Poppe)
Weil Kunst schön ist, aber bekanntlich auch viel Arbeit macht, und weil die sportlichsten Besucher:innen von Wien Modern 37 zahlreiche Veranstaltungen in den Knochen und Ohren haben, schütteln sich einschlägig erfahrene Kolleg:innen aus dem Festivalteam (Kathi Wiesler, Clemens Beat Rott und Sandro Nicolussi) an den Turntables gemeinsam mit dem Publikum aus.
Die kinetische Klanginstallation πTon/2 von Cod.Act ist im MAK noch bis 1. Dezember zu sehen.
Wien Modern 37
Heuer findet Wien Modern zum 37. Mal statt, einen Monat lang mit insgesamt 120 Veranstaltungen plus 23 Begleitveranstaltungen an 28 Spielstätten in 14 Bezirken. Das 1988 von Claudio Abbado initiierte Festival ist mit heuer rund 50 Ur- und 11 Erstaufführungen die größte Plattform zur inspirierenden Begegnung von Künstler:innen und Hörer:innen Neuer Musik aller Spielarten. Mit dem Festivalpass (120 € / 96 € / 48 €), dem Mengenrabatt (30% Ersparnis ab vier Veranstaltungen) sowie kostenlosen Angeboten bietet das Festival Gelegenheit zur Begegnung mit der zeitgenössischen Vielfalt der Musik. Ermöglicht wird Wien Modern von der Stadt Wien Kultur und dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS), Festivalsponsor Kapsch, Sponsor Erste Bank, Projektsponsor Bank Gutmann, die Ernst von Siemens Musikstiftung, die SKE der austro mechana, Pro Helvetia, LSG, AKM, und zahlreichen Koproduktions- und Kooperationspartnern. Das Programm ist online unter www.wienmodern.at.