„I’ll be back“, leitet Irvine Arditti das Konzert im Wiener Konzerthaus ein, bevor er seinen vergessenen Dämpfer holt. Das Zitat aus „Terminator“ – ein geradezu banaler Start des Arditti Quartets? Diese Institution, die offensichtlich die Einstiegsdroge zur Neuen Musik für einige Leute darstellt, betitelte die Aufführung, dem Motto des Festivals Wien Modern entsprechend, mit „A Simple Guide to Complexity“.
Nach der humorvollen Einstiegsphrase beginnt das prestigeträchtige Streichquartett nach kurzem Einatmen, ohne Pathos mit den leichten Flageoletttönen. In dem anfangs ruhigen Streichquartett Nr. 5 (2006) Brian Ferneyhoughs mit kontrastierenden, schroff artikulierten Stellen hebt das Quartett die Kontrapunktik sehr sorgfältig hervor, auch wenn sich die Parteien in leise und betont artikulierte, dominante Stimmen spalten, so kann man jede Stimme heraushören – obschon es aufgrund der übersteigerten Vielschichtigkeit im Sinne Ferneyhoughs schwierig, fast unmöglich ist, den Linien zu folgen. Was sich jedoch nicht einstellt, ist der Eindruck einer subjektiven Überforderung, auf den bei Ferneyhough oft verwiesen wird. Das erläutert auch der Violinist Arditti vor dem zweiten Stück, Elliott Carters Streichquartett Nr. 3 (1971), in einem relativ spontan wirkenden Interview mit dem künstlerischen Leiter von Wien Modern, Bernhard Günther. Wenn die Ardittis so viel Zeit mit einem Stück verbringen (hier allein 65 Stunden reine Probenzeit), dann denken sie darüber nicht als „komplex“ nach, erfährt man aus dem Gespräch.
Elliott Carter, einst Vertreter der Neo-Romantik, widmet sich in seinem Streichquartett Nr. 3 ebenfalls der „Neuen Komplexität“ und teilt das Streichquartett in zwei Partien – jeweils die äußeren und die inneren Stimmen bilden ein Duett, wobei Violine II und Viola vier Sätze ausführen, Violoncello und Violine I unterdessen sechs. „Versuchen Sie erst gar nicht, zu erkennen, welcher Satz was ist“, vertröstet Arditti zu Clemens Gadenstätters „paramyth 1-3“, entstanden im Zeitraum von 2010 bis 2016, in die Gegenwart. In dem dreiteiligen Werk, dem Bilder wie Tizians „Schändung des Marsyas“ zugrundeliegen, bringt das Quartett die zeitgenössische Perspektive des Komponisten zu einer Complexity auf die Bühne: In Gadenstätters Komplexität liegt eine Verbindung zu Beziehungen. In einer Art „musique concrète instrumentale“, deren Prinzip er von seinem Lehrer Helmut Lachenmann weiterdenkt, ist sein Ziel, das Perzipieren der Instrumente als traktierte Körper zu ermöglichen, sodass das Publikum eine Transformation der eigenen Perspektive erlebt, das Banale – hier nicht die Instrumentenkörper per se, sondern expressive Klänge, die durch Konnotation mit Bekanntem auf eine einzige, oberflächliche Bedeutungsebene reduziert wurden – als Interessantes erkennen kann, mit Hoffnung, dass nach jedem Absturz ein Aufstehen folgt. Doch hier konnte man relativ unbesorgt sein – vielleicht ist das Arditti Quartet ein fast zu souveräner Interpret, denn am Rande des Abgrundes zu wandeln, hatte man nie das Gefühl.
Mercedes Frühberger
Diese Kritik über das Konzert mit dem Titel „A Simple Guide to Complexity 2“ mit dem Arditti Quartet im Rahmen von Wien Modern am 28. November 2022 im Wiener Konzerthaus entstand als Teil einer Lehrveranstaltung von Monika Voithofer am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien. Nähere Informationen dazu finden Sie hier.