Ethel Merhaut beweist mit ihrem neuen Album „Here & There“ ein feines Gespür für die Balance zwischen Tradition und Erneuerung. Anstatt in bloßer Nostalgie zu verharren, haucht sie den Liedern der 1920er und 30er Jahre neues Leben ein. Mit einer Mischung aus Hingabe und künstlerischer Raffinesse transportiert sie die Musik dieser Epoche in die Gegenwart – nicht als museales Zitat, sondern als lebendiges Klangbild.
Die Lieder erzählen von Sehnsucht, Lebenslust und Melancholie, von Freiheit, Liebe und Zugehörigkeit. Ihre Texte, fast ein Jahrhundert alt, erscheinen erschreckend zeitgemäß. Die gesellschaftlichen und politischen Parallelen zwischen damals und heute sind nicht zu übersehen. Merhaut setzt sich bewusst für eine differenzierte Betrachtung dieser Ära ein und stellt dabei auch die Werke weiblicher Künstlerinnen wie Else Lasker-Schüler, Mascha Kaléko oder Hilde Loewe-Flatter in den Vordergrund. Diese Entscheidung verleiht dem Album eine besondere Tiefe und öffnet den Blick für oft übersehene weibliche Stimmen der Musikgeschichte.
Musikalisch entfaltet sich ein facettenreiches Spektrum zwischen Chanson, Cabaret und Swing, angereichert mit jazzigen Elementen und einer Prise Wiener Charme. Merhauts Stimme bewegt sich mühelos zwischen spielerischer Leichtigkeit und emotionaler Intensität. Sie verbindet klassische Gesangstechnik mit der Eleganz des Jazz und der Direktheit des Kabaretts. Begleitet von einem hochkarätig besetzten Ensemble, bestehend aus Belush Korenyi (Klavier), Chris Kronreif (Klarinette), Marc Osterer (Trompete), Ilse Riedler (Tenor- und Sopransaxofon), Clemens Gigacher (Bass) und Maria Petrova (Schlagzeug), entsteht eine Klangwelt, die der Originalmusik mit Respekt begegnet, ohne dabei ihre eigene Note zu verlieren.
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Über die Musik hinaus zeigt sich Merhauts künstlerischer Anspruch auch in einem begleitenden Filmprojekt, an dem bekannte Schauspielerinnen wie Katharina Straßer, Claudia Kottal und Teresa Vogl mitwirken. Besonders bemerkenswert ist ihre Interpretation eines Liedes von Bruno Balz, einem von den Nazis verfolgten homosexuellen Lieddichter. Damit setzt sie ein starkes Zeichen für Offenheit und Toleranz.
„Here & There“ ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Musik einer vergangenen Epoche, die doch so viel über unsere Gegenwart zu sagen hat. Ein Album voller Charme, Tiefgang und musikalischer Raffinesse – und eine Einladung, die Vielfalt der Zwischenkriegszeit neu zu entdecken.
Michael Ternai
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