„Es war klar, wir können uns das kein nächstes Mal antun.” – Thomas Jarmer (Garish) im Interview

Es war möglicherweise das längste Interview mit Thomas Jarmer. Zum Jubiläums-Coverversions-Album „Hände hoch ich kann dich leiden” (Ink Music) rollt der GARISH-Sänger die ganze Bandgeschichte auf, gute Zeiten, schlechte Zeiten und auch die hässlichen.

Garish gibt es seit über 25 Jahren. Die Band hat Höhen und Tiefen der Musikindustrie miterlebt, sie ist zentral für das österreichische Indie-Label schlechthin, für Ink Music, und sie hat zu einer Sprache gefunden, die unberührt von Tagestrends blieb. Thomas Jarmer rollt im Interview die Bandgeschichte auf und lässt dabei, wie er gelegentlich zu sagen pflegt, wenig aus. 

Wie war Mattersburg in den Neunzigern?

Thomas Jarmer: Es war – lange vor der Commerzbank-Pleite – eine heile Welt mit viel Freiheit. Jugendkultur der guten Sorte war in einem Lokal verortet, sonst war sie eher brachial, mit Darts und Disco. Dadurch waren die Feindbilder konkret. Wir für unseren Teil haben uns in die Musik hineingekniet. Im Sommer waren wir oft am Festivalgelände in Wiesen, als Sommerjob war das super, vom Lichtturm aus habe ich viele Konzerte gesehen. Als wir selbst zum ersten Mal dort auf der großen Bühne standen – das war wohl 1998 -, war das ein großartiges Gefühl.  

Ihr habt euch an der Schule kennengelernt.

Thomas Jarmer: Wir waren in unterschiedlichen Jahrgängen, Max [Markus Perner, Anm.] und Kurt [Grath, Anm.] haben für eine Band einen Keyboarder gesucht. Ich hab damals Klavierunterricht genommen, das war jedoch sehr ermüdend, und in einer Band zu spielen, war gleich eine andere Welt. Ab 1996 ist es schnell gegangen. Ich habe meinen Bruder Boff [Christoph Jarmer, Anm.] und Julian [Schneeberger, Anm.] in die Band miteingebracht. Als dann die Frage aufkam, wer denn Sänger dieser Band sein sollte, ist die Wahl recht schnell und unverhofft auf mich gefallen. Das war eine immense Herausforderung, plötzlich Sänger einer Band zu sein. Mit halboffenen Augen, den Blick gen Himmel, um alles ringsum auszublenden – so stand ich dann auf der Bühne. Überhaupt – unser erstes gemeinsames Konzert war dann 1997 in der Cselley Mühle

Ist die Mü’ euer Kraftort? 

Thomas Jarmer: Ja, war sie lange. Wir sind zum Arbeiten hin und haben dort großen Tatendrang entwickelt, untertags hat man in der Cselley Mühle seine selige Ruh gehabt, abends wurde es belebter. Wir haben dort mit Thomas Pronai fast alle unsere Alben aufgenommen, dort gibt es kein klassisches Studio, wir haben die Räume einfach zweckentfremdet. Unser Lebensmittelpunkt hat sich relativ früh nach Wien verlagert, durch das Studium, und erste Konzerte in der Stadt bzw. im Vorprogramm von Lauryn Hill oder den Red Hot Chili Peppers. Zu dieser Zeit gab’s dann erstes Airplay auf FM4. Aber geprobt haben wir weiterhin in Mattersburg. Dadurch war die Zeit dort exklusiv dem Musikmachen gewidmet.

Habt ihr eure Instrumente gelernt?

Thomas Jarmer: Außer mir haben alle ihr Instrument studiert, ich bin in vielerlei Hinsicht Autodidakt. Das hat ab und an zu Diskussionen geführt, wenn es z.B. um die Mindestanforderungen an musikalische Ideen ging. Einmal hat Franz Bogner, der Wiesen-Chef, mal gemeint, na ja, so ein Studium kann dich auch ordentlich versauen, das ist hängen geblieben. 

Bild Thomas Jarmer
Thomas Jarmer (c) Reinhard Gombas

„Und dann hat man es mit der Jazz- und der Indie-Polizei zu tun. Beide waren damals gnadenlos.“

Was haben die anderen studiert?

Thomas Jarmer: Jazz. Und dann hat man es mit der Jazz- und der Indie-Polizei zu tun. Beide waren damals gnadenlos. 

Um die Jahrtausendwende seid ihr ins Deutsche gewechselt. Das war sehr ungewöhnlich.

Thomas Jarmer: Ich bin musikalisch zwischen Schlager und Metal aufgewachsen. Große Melodien, große Gesten. Als ich dann später zum ersten Mal Element Of Crime gehört habe, war nichts mehr wie es war. Meine Ambitionen, englische Texte zu schreiben, war dahin. War ohnehin Humbug. Ich hab dann diesen Zwischenschritt wegelassen und wir haben zunächst deutsche Sprache mit englischer Musik zwangsverheiratet. Man kann bei uns immer wieder gewisse Einflüsse abhören, Placebo hat in den jungen Jahren reingespielt und an den Vergleichen mit Radiohead waren wir nicht ganz unschuldig.

Das erste Album heißt „Amaurose Pur“, am Cover sieht man eine Hornbrille. Ist das eine Aufforderung, sich ganz aufs Hören zu konzentrieren?

Thomas Jarmer: So weit war das nicht gedacht, sondern intuitiv. Manchmal waren neue Wörter der Anlass für einen Text, so war das auch bei Amaurose, also Erblindung, blind sein.

Das Akkordeon hat euren britischen Sound kontinentaleuropäisch geerdet. Wie kam es dazu?

Thomas Jarmer: Das Akkordeon kam konkret aus Kurts Kinderzimmer. Als es darum ging, akustische Versionen zu arrangieren, habe ich erste Arrangements drauf gespielt – später wurde es dann fixer Bestandteil. So kam es zu dieser Mischung aus frankophilen Sounds und verzerrten Gitarren, die viel zum Bandsound beigetragen hat. Gleichzeitig hat es beeinflusst, wie ich singe. Ich muss Luftholen, während die Hand noch diesen Weg geht, dadurch hatte ich anfangs fast Erstickungsgefühle. 

ChatGPT sagt, Garish’s lyrics often deal with introspective themes, exploring topics like personal identity, relationships, and existential questions. Many of their songs have a poetic quality, with vivid imagery and metaphors that convey a sense of emotional intensity.

Thomas Jarmer: Na Bumm. Das klingt sehr schmeichelhaft, das trifft es nicht nur faktisch, analytisch, sondern ist auch schön formuliert. Ich sage Danke.

Die Fachpresse war nicht so schmeichelhaft.

Thomas Jarmer: Das war schonungslos. Magazine haben noch Punkte vergeben, alles hatte einen Wert. Ich erinnere mich noch an das “Burgtheaterdeutsch”. Oder an den “Tiefgang des Neusiedlersees”. Im Nachhinein verständlich. Wir haben Anlass dazu gegeben. Damals haben wir uns ungerecht behandelt gefühlt, weil wir im Grunde ja nichts Böses wollten.

Beim zweiten Album ging es mit der Musikindustrie bereits steil bergab. Es war die Zeit von Napster, der Dotcom-Blase und des zweiten Irakkriegs.

Thomas Jarmer: Das hat vielleicht den Rückzug in den eigenen Mikrokosmos forciert. Beim Schreiben ging es mir nur um die Welt, wie ich sie gerade wahrnehme, das war Ventil und Bewältigungsmaßnahme. 

In den Texten gibt es jahrelang kein Wir. Alles ist Ich und Du?

Thomas Jarmer: Genau, es ging um das Zwischenspiel, den Schlagabtausch zwischen wenigen Akteuren. Ich hatte niemals so etwas wie Schreibwut empfunden, manchmal bin ich mit einzelnen Zeilen drei, vier Tage herum gegangen und konnte erst dann die nächsten Zeilen schreiben. Ich war in der Vorauswahl der Texte bereits sehr akribisch; trotzdem produziert man viel Müll. Das war anstrengend und mitunter deprimierend – für mich, aber auch für die Band, weil sie auf Texte von mir gewartet haben. Und manchmal macht es Klick, es passt in die Situation. Ich brauche dazu sowohl eine gewisse Nähe wie eine Distanz, damit die Leichtigkeit und der Übermut zum Tragen kommen.

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Was bedeutet Silber für dich?

Thomas Jarmer: Silber ist im Grunde die Geschichte des ewigen Zweiten.

Zum Mond ist Weltschmerz und -flucht?

Thomas Jarmer: Es hat mit dem Wunsch an einen besseren Ort zu tun, der Mond sieht aus wie eine Scheibe, mir ging es um Vorgänge hinter den Fassaden, er war auch ein Synonym für einen Ort, der echt ist. Für mich war dieser Musik und Schreiben. 

Fernweh ist ein häufiges Thema.

Thomas Jarmer: Nun bin ich ganz offensichtlich nicht am Meer aufgewachsen, trotzdem war diese Ruhe und der Horizont großartig als Kulisse. Wir waren vor vielen Jahren während einer Deutschland-Tournee an der Ostsee, ich hatte eine irre Sehnsucht und Angst zugleich, es war bittersüß, morbide und schön wie nichts anderes. Dadurch wird das Meer zur Projektionsfläche. Da habe ich wenig ausgelassen. 

Der Song „Teeren und Federn“ erinnert mit süßen Streichern und Steel-Gitarre an Lambchop.

Thomas Jarmer: Kann sein. Bei dieser klassischen Trennungsnummer dachten wir, ein Orchester wäre gut. Überhaupt war das Album so opulent wie keines mehr danach.

„Alles nur Idee“ ist gleichzeitig eure rockigste Nummer.

Thomas Jarmer: Sie ist der Zenit, was Rock in unserer Musik angeht. Das wird teils mit einem lächerlichen Text konterkariert. Ich finde es wichtig, diese Pose zu brechen. Gleichzeitig hat diese Nummer live immer viel Spaß gemacht, auch wenn ich sie nur schwer verkörpern konnte. 

Was ist Schoenwetter Schallplatten?

Thomas Jarmer: Wir wollten unser eigenes Label gründen. Und weil im Burgenland angeblich 365 Tage die Sonne scheint, wurde das Orchester, mit dem wir das Album Absender auf Achse eingespielt haben, zum Schoenwetter Orchester. Der Name hat uns dann in Folge auch für das Label gefallen. Wir haben es gemeinsam mit Hannes Tschürtz gegründet, er war für uns Agentur, Booking, Label und Verlag in einem. Bands wie Ja, Panik oder Trouble Over Tokyo [später Sohn, Anm.] wurden dort erstmals veröffentlicht. Wir waren immer wieder Prototyp, um Dinge auszuprobieren. Weil Labelarbeit aber wirklich viel Zeit und Ernsthaftigkeit erfordert, wurde Schoenwetter Schallplatten nach einiger Zeit in Ink Music eingegliedert.

„Das Jammern war omnipräsent.“

Die Musikindustrie hatte keine Antworten auf Filesharing und digitale Möglichkeiten.

Thomas Jarmer: Das Jammern war omnipräsent. Jedes Mal, wenn wir ein Album veröffentlicht haben, war die Frage, was das in Relation zu früher geheißen hätte. Dann war es eh ganz gut. Wir waren immer eine Album-Band und haben das Ziel, ein Album mit einem Konzept und einer Dramaturgie herauszubringen, deshalb nie hinterfragt. Wir haben dabei jedes Mal bei Null angefangen und sind damit auf Tournee gegangen, auch ohne Rücksicht auf Verluste – buchstäblich.

2006 habt ihr das Album „Parade“ bei Universal Music veröffentlicht. Major-Labels galten als der Feind. Wart ihr trotzdem blauäugig?

Thomas Jarmer: Hannes Eder war – aus dem FM4-Universum kommend – eine Art Pfand für uns. Aber sobald du bei einem Fotoshooting einem Stylisten übergeben wirst, sobald es ums Geschäft geht, haben sich alle Klischees bestätigt. Für diese Leute war es einfach nur ein Arbeitstag. Wir wurden in Anzüge von Armani gesteckt, die tags darauf wieder unversehrt im Geschäft hängen mussten. Man hatte fixe Pläne mit uns, ohne diese jedoch vorab mit uns abzustimmen, von wegen ein Lebensgefühl vermarkten. Dieser verzerrte Blick auf die Band war verstörend und erniedrigend.

Das Albumcover wirkt wie ein Unfall.

Thomas Jarmer: Das ging einigen so. Wir hatten kein konkretes Bild, was die Summe unserer Stücke bildlich darstellen konnte. Ich fand eine typografische Lösung insofern sehr clever. [lacht.] In Hamburg beim Partner-Label Tapete wurde das Erbsen-Speib-Grün auch sehr bezweifelt. Es ist dann so passiert. Wir haben nach dem Prinzip der Abstoßung hinterher ganz anders neu begonnen.

Der Eröffnungssong des nächsten Albums war programmatisch. „Und dann fass ich mir ein Herz“ klingt viel lockerer.

Thomas Jarmer: Der Band ist der Knopf aufgegangen. Wir haben Thomas Pronai als Produzenten großteils die Regie überlassen. Dadurch kam viel in Bewegung, was die Band aus eigener Kraft nicht gemacht hätte, die Songwriting Positionen haben sich etwa aufgelöst. Jeder durfte alles machen und es hat Spaß gemacht, die Ideen von anderen umzusetzen. Wir hatten eine Leichtigkeit, auch eine gewisse Selbstironie und ein gutes Maß an Pathos. Wir haben immer wieder Leute eingeladen, Streicher, Bläser, dadurch ergab sich eine gute Opulenz. Der Text musste mit dem enthusiastischen Gefühl dieser Musik erst einmal Schritt halten, die Stimme brauchte einen neuen Klang, weshalb wir sehr viel experimentiert haben. Wir haben bestimmte Melodien im Chor gesungen, dadurch wurde die Musik viel persönlicher, weil sie von Menschen verkörpert wurde. 

Der Chor vermittelt erstmals ein Wir-Gefühl. Arcade Fire hatten das früher eindrücklich demonstriert.

Thomas Jarmer: Ihre Inbrunst war imposant. Für uns war das live ein neues Erlebnis. Früher haben wir für uns gespielt, jetzt für das Publikum. Wir haben dadurch eine ganz andere Energie rübergebracht. Seinerzeit, live beim Popfest Wien haben wir drei Minuten gebraucht, bis alle Akteure inkl. Chor auf der Bühne waren. Die Band und das Publikum standen sich plötzlich in einem dynamischen Prozess gegenüber. Und Nummern wie „Spuk“ waren live eine Art Garantie, dass getanzt wurde. Das wollten wir alles auskosten und dabei nichts auslassen.

Bild Garish
Garish (c) Reinhard Gombas

Das Album war zu diesem Zeitpunkt – Finanzkrise, Eurokrise und Musikindustriekrise – in dieser Form überraschend.

Thomas Jarmer: Es hatte mit dem Drumherum nicht viel zu tun. Wir waren – wie oft – mit uns selbst beschäftigt und erleichtert, diese Erfahrung als Band gemacht zu haben.

„Wenn du gebraucht wirst, ist das unverhandelbar.“

Und dann ist dein Bruder Christoph Jarmer nach fast zwanzig Jahren ausgestiegen.

Thomas Jarmer: Das Songwriting hatte sich verändert, wir waren uns als Fünfer nicht mehr so einig, es gab Unstimmigkeiten, wohin das Ganze gehen soll. Boff, mein Bruder, hat sich musikalisch zurückgenommen, es haben sich Solo-Ambitionen herauskristallisiert. Das nächste Album „Trumpf“ hat relativ lange gedauert, die Texte habe ich großteils mit dem Kinderwagen an der Hand geschrieben. Ich war als Vater gefordert, hatte den Kopf woanders – denn, wenn du gebraucht wirst, ist das unverhandelbar. Gleichzeitig wollten wir musikalisch immer über das hinausgehen, was davor passiert war und Neues entdecken. Die Texte folgten auch hier der Musik. Deshalb war das Timing so schwierig. Der Erklärungsbedarf innerhalb der Band war irrsinnig groß und konnte nicht wirklich gedeckt werden, der ständige Schlagabtausch hat sich buchstäblich auf lautem Weg entladen. Am Ende sind wir auf Gleich gekommen, wir haben das, was zustande kam, ausgiebig zelebriert und haben eine super gemeinsame Tour gespielt. Aber es war klar, wir können uns das kein nächstes Mal antun.

Wer in der Band zitiert Bogart falsch [Textzeile im Song „Auf den Dächern“ vom Album „Trumpf“ aus 2014, Anm.]?

Thomas Jarmer: Es gibt diese Kategorie, Sprichwörter im Affekt falsch zu bringen. Man will etwas Gescheites sagen und sorgt mitunter für guten Unterhaltungswert. Ich habe das zum Anlass genommen, ein Plädoyer dafür zu schreiben, nicht alles auf die Waagschale legen zu müssen. So ist diese Nummer im Übermut als eine Art Tourette-Anfall passiert. Live hat sich das mit dem Publikum fortgesetzt.

Aber wer in der Band zitiert Bogart falsch? 

Thomas Jarmer: Das sage ich nicht.

Aber das in einem Refrain zu bringen, als Aufhänger für das Album, wenn es um jemanden in der Band geht …

Thomas Jarmer: Wenn die Band den Inhalt selbst generiert, ist das ein dankbarer Impuls und ein Beispiel, dass man manchmal nicht weit schauen muss, um etwas zu finden, über das man schreiben möchte. Aber wie allzu oft, geht es um einen ersten Anstoß. Die Geschichte, die darauffolgt, hat mitunter – wie auch hier – nichts mehr viel mit diesem ersten Impuls zu tun.

Inwiefern ist „Zweiunddreißig Grad“ ein Glaubensbekenntnis?

Thomas Jarmer: „Fett, faul und zufrieden und irgendwie verstimmt.” 32 Grad Körpertemperatur ist ein Synonym für die Komfortzone, die im Schaffensprozess dann irgendwann passé ist. Musik zu machen, zu schreiben – das fordert immens – und im besten Fall geht es weit über die eigenen Erwartungen hinaus. An dieses Versprechen möchte ich währenddessen dann auch fest glauben können.

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Handelt „Apollo“ von der Asylwelle?

Thomas Jarmer: Möglich. Daran hätte ich noch nicht gedacht. Der Song beschreibt eine Kulisse. Das Innere eines Wagens an einer Ampel während der Rotphase und was sich zwischen zwei Menschen im Beisein eines Dritten abspielt. Sich Fremdsein – und erkennen, dass man trotz widriger Umstände, zusammengehört – so würd ich das beschreiben.

Die Welt spielt auf den letzten beiden Alben eine größere Rolle. „Matador“ handelt – kurz nach den ersten Facebook-Skandalen – vom Denken in dichotomischen Gegensätzen.

Thomas Jarmer: Richtig. Man hatte das Gefühl, dass manche die Komplexität der gegenwärtigen Lage in ein paar Stichworten erklären wollten, es war die Zeit von Trump, von Fake News und – das weiß ich noch deutlich – des Putschversuchs in der Türkei. Es sind Dinge passiert, die ich mir nicht vorstellen konnte. Diese sind vor den Augen aller passiert, obwohl man angenommen hätte, sie passieren nur in Hinterzimmern, es gab so viel Brutalität in der Rhetorik, dass ich damit umgehen musste. Einen solchen starken Impuls von außen kannte ich noch nicht, und ich wollte darüberschreiben.

Es gingen mehrere Büchsen der Pandora auf einmal auf. Du nennst die Herren der Welt Verräter.

Thomas Jarmer: Populistische Aussagen sind zum Kalkül geworden, Hemmschwellen fallen tief. Das ist der unverschämte Teil. Auf der anderen Seite muss eine aufgeklärte, weltoffene Gesellschaft dafür immens viel Geduld, Gelassenheit und Wachsamkeit aufbringen. Und ein Ende dieser Agenda ist nicht absehbar, das setzt sich in der Wirtschaft oder schlussendlich zwischen den Menschen fort. Der Titel des Albums „Komm Schwarzer Kater“ ist eine Flucht nach vorne, man muss proaktiv etwas tun, bevor man mit dem Rücken zur Wand steht.

Ist Kater eure letzte Platte?

Thomas Jarmer: Ich glaube nicht! Wir haben bereits viel neues Material angesammelt und arbeiten an einer Form dafür. Es stehen neue Dinge im Raum, die ausformuliert werden müssen, Corona hat alles in die Länge gezogen.

Ihr habt mindestens zwei Phasen erlebt, in denen es angesagt war, auf Deutsch zu singen, verkürzt gesagt die Zeiten von Christina Stürmer und die Zeiten von Wanda.

Thomas Jarmer: Wir haben davon weder Schaden genommen noch davon profitiert. Diese Phasen sind an uns vorbei geschlittert, wohl aus gutem Grund, denn wirklich massentauglich habe ich unsere Musik nie empfunden.

Waren alle Alben gleich gut?

Thomas Jarmer: Nein. Sie waren zu der Zeit für uns wichtig, man konserviert einen Lebensabschnitt, dokumentiert ihn.

Gab es einmal einen Hype um Garish?

Thomas Jarmer: Mit dem Album „Wenn dir das meine Liebe nicht beweist“ konnten uns viele mit reinem Gewissen gut finden, die vorher sehr kritisch waren. Das war mitverantwortlich dafür, wie es danach weitergegangen ist.

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Das Jubiläumsalbum kommt nun nach dem runden Jubiläum.

Thomas Jarmer: Genau, wir haben uns um ein Jahr drüber geschummelt. Das Album war eine Initiative von Hannes Tschürtz. Und die anfängliche Idee war es, ein eigenes Stück mit einem Gast neu zu interpretieren. Hannes hat Ina Regen und Auf den Dächern vorgeschlagen – das hat uns interessiert. Wir hatten für solch einen Anlass auch immer Verena Altenberger im Hinterkopf, die sich dann ebenfalls darauf eingelassen hat. Wir staunen nach wie vor, wie selbstverständlich und leicht dieses Stück zu Stande kam. Schon währenddessen wurden dann Listen angefertigt, und verschiedenste Künstler:innen – mitunter auch überfallsartig – angefragt, ob sie ein Garish-Stück covern möchten. Und schlussendlich hat dann auch dieses neue Stück „Die Wöd is a Scheibm“ – im Dialekt verfasst – Platz in diesem bunten Mix gefunden. Auch da haben wir hervorragende Komplizen in den Strottern gefunden, die diese Nummer mit uns gemeinsam interpretiert haben.

Danke für das Gespräch.

Stefan Niederwieser

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Garish live
17.05.2023   Oslip | Cselley Mühle
19.05.2023   Innsbruck | Treibhaus
20.05.2023   Bludenz | Remise
24.05.2023   St. Pölten | Cinema Paradiso
28.05.2023   Wien | Stadtsaal
01.06.2023   Salzburg | ARGEKultur

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