Camo & Krooked haben das Wiener Konzerthaus an zwei Abenden ausverkauft, Singles mit den herausragenden heimischen Pop-Stimmen Mira Lu Kovacs wie auch Sophie Lindinger veröffentlicht und zuletzt die ikonischen Prodigy remixt.
Das letzte Interview von Drum’n’Bass-Weltstars Camo & Krooked mit musicaustria fand im Jänner 2020 wenige Tage vor den beiden großen Abenden im Wiener Konzerthaus statt, bei denen Drums auf Bassgeige und Orchester treffen sollten. Die Musiker meinten damals, dass die Musikerinnen und Musiker diese Aufgabe schon meistern werden. Die fertige Musik hatten sie allerdings noch nicht gehört. Heute kann man das Publikum auf den Aufnahmen beinahe johlen hören, etwa nachdem Pauken und Posaunen den Drop des Beats von „Numbers“ vorbereiten. Seit diesem Auftritt haben Camo & Krooked sich mit einer Reihe von Singles im Streaming-Game weiter etabliert. Sie verdichten technische Meisterschaft wie auch Einflüsse, die sich nach wie vor von überall sonst außer dem Genre selbst inspirieren lassen, zu Kleinoden, die rastlos durch die Nacht rauschen.
Wann habt ihr die Tracks erstmals symphonisch gehört?
Markus Wagner: Vier Tage vor der Show. Sowohl Christian Kolonovits wie auch wir wussten lange nicht, wie es klingt. Wir haben unabhängig voneinander arrangiert und geschrieben, Christian analog auf Papier, wir am Rechner. Wir hatten die Hosen voll.
Reinhard Rietsch: Wir hatten die Hosen absolut voll. Wir haben uns vor den ersten Proben im Radiokulturhaus bekreuzigt. Denn was willst du noch machen, wenn es vier Tage vor der Show schlecht ist? Als es losging … uns sind die Augen und der Mund offen gestanden. Das war so ein schöner Moment. Ich wusste, wow, okay, das ist was!
Wie konnte es so weit kommen?
Markus Wagner: Wir haben vier Monate vor der Show mit den Arbeiten begonnen. Anfangs hatten wir nichts zum Anfassen, deshalb haben wir zu Christian Kolonovits gesagt, wäre es okay für dich, wenn wir mitschreiben, also bei den Synthesizern in den mittleren Frequenzen rausnehmen und mit Bläsern, Streichern und Co. ersetzen, oder Timpanis und Gongs und sonstige Spielereien einbringen? Und er hat gesagt, überhaupt kein Problem! Wir haben einen ziemlich coolen Workflow entwickelt, Christian hat unsere Basis mit allen Finessen ausgearbeitet. Aber richtig hören konnten wir es erst bei den Proben.
Man kann das Publikum im Wiener Konzerthaus ausrasten hören.
Markus Wagner: Die erste Nacht nach der Show im Konzerthaus, so etwas habe ich nicht gekannt, so einen argen Buzz, also fast Gänsehaut am ganzen Körper. Und das erste Mal realisieren, man hat vielleicht wirklich eine Brücke geschlagen – zumindest in Österreich – und Leute in diese Szene gebracht, die vorher nichts mit Drum’n’Bass am Hut hatten. Ich war stolz auf uns.
Reinhard Rietsch: Man ist ja schon abgestumpft. Aber die Stunden nach dem ersten Red Bull Symphonic Abend waren einfach unglaublich. Der Druck war immens. Davor noch Aufbau und Medientermine, es war ein entscheidender Abend mit so vielen ungewissen Variablen. Und es hat einfach so toll funktioniert. Man hätte es nicht schöner vorstellen können. Die Familie war da. Es sind Tränen geflossen. Danach auf jeden Fall.
„Es ist toll, wenn man merkt, dass wir den Leuten, die uns inspiriert haben, wieder etwas zurückgeben können.“
Markus Wagner: Das Album hat in der Drum’n’Bass-Szene ziemliche Wellen geschlagen. Vergangenen Sommer hat uns Fabio erzählt, dass er bei Grooverider zuhause war – beide sind absolute Ikonen -, im Hintergrund lief Musik, er hat ihn gefragt, was das ist, und es war unser Red Bull Symphonic. Daraufhin haben beide in England eine Tour mit dem Outlook Orchester gestartet. Es ist toll, wenn man merkt, dass wir den Leuten, die uns inspiriert haben, wieder etwas zurückgeben können.
Habt ihr euch übernommen?
Markus Wagner: Wir schauen aufeinander. Wenn einer sagt, ich kann heute nicht, wird nichts gemacht, das passt, oder der andere übernimmt. So haben wir uns immer gut durch jonglieren können. Und wenn einer sagt, ich merke, ich brenne bald aus, spielen wir für einige Wochen keine Shows.
Reinhard Rietsch: Zu zweit hast du immer jemanden zum Anhalten. Das ist wichtig, wenn es einmal nicht läuft, wenn man beispielsweise wirklich lange an etwas gearbeitet hat und es den Leuten nicht gefällt.
Markus Wagner: Wir hatten traurige Momente, du sitzt daheim, wirst nicht gebucht, weil dein Sound vielleicht gerade in der Szene nicht gefeiert wird – und dann wird dir auf Social Media vor den Latz geknallt, wie andere DJs sich abfeiern lassen.
Reinhard Rietsch: Das ist Jammern auf hohem Niveau. Gig Fomo. Man muss sich nicht nur als Künstler mit seinem eigenen Glück auseinandersetzen und – es klingt blöd – Selbsthilfe betreiben.
Wie teilt ihr euch auf?
Markus Wagner: Reini hat das Management übernommen. Er kann das extrem gut, ich bin dafür zu awkward. Sounddesign, Soundscapes, Melodien, das ist so mein Ding. Ich starte eher die Produktion eines Tracks, mittlerweile hat sich das auch wieder ausbalanciert. Der eine ist da besser, der andere dort. Im Endeffekt ist es immer fifty-fifty. Wenn ein Track noch nicht weit genug ist, macht der andere vielleicht Social Media oder Emails. Es gibt immer etwas zu tun.
Reinhard Rietsch: Oder beide arbeiten an derselben Aufgabe und schauen, wer es besser macht. Meistens bringen wir es so auf ein Level, mit dem wir happy sind. Wir sind Arbeitstiere, das ist, was uns im Leben glücklich macht.
Markus Wagner: Unsere Devise ist, wir laufen 49-Mal gegen die Wand und beim 50-Mal bricht sie endlich durch. Wir haben eine massive Gehirnerschütterung, aber nehmen uns ein bisschen etwas mit.
Reinhard Rietsch: Man will der Beste sein. Es ist klar, man wird nicht der Beste sein. Aber das ist das Ziel. Und darauf muss man hinarbeiten. Die Konkurrenz wird immer besser. Es reicht nicht, nur auf einer Ebene gut aufgestellt zu sein, um aus der Hülle und Fülle an Tunes herauszustechen. Gerade im Drum’n’Bass steckt viel Technicality drin, man kann nicht ein halbes Jahr nichts machen. Es gibt eine Szene, die Wert auf dieses Sounddesign legt. Und man würde sich denken, mit der Zeit wird es einfacher. Nein! (lacht). Es bleibt enorm schwer, den Sound perfekt hinzubekommen.
„Im Club gewinnt der Loudness Bias, der lauteste Tune klingt am besten.“
Markus Wagner: Im Drum’n’Bass trennt sich hier die Spreu vom Weizen. Man muss Drums heute aus weißem Rauschen und Sinuswellen produzieren können oder die neuesten Wavetable-Synthese-Methoden kennen. Der Sound wird ständig besser, sauberer und lauter. Im Club gewinnt noch immer der Loudness Bias, der lauteste Tune klingt für das menschliche Ohr einfach am besten. Wir wollen gleichzeitig den Mittelweg zwischen Lautstärke und Emotion finden.
Ist Drum’n’Bass auch Ingenieurskunst?
Markus Wagner: Drum’n’Bass ist definitiv Ingenieurskunst. Es geht aber auch darum, seinen eigenen Sound zu finden – so wie Bands je nach Mikrofonierung oder Stimmung der Snare einen typischen Drum-Sound haben. Gleichzeitig ändern sich die Trends, das Soundspektrum verschiebt sich gerade leicht nach oben, die Musik klingt heller und hochfrequenter. Daran muss man die gesamte Produktion anpassen.
„Break Away“ und „Overture“ demonstrieren das eindrucksvoll.
Reinhard Rietsch: „Break Away” war ursprünglich ein reiner Drum’n’Bass-Tune, fast schon Jungle. Wir dachten uns, okay, es muss mehr als das sein. Und mit dem Tempowechsel haben wir, denke ich, einen Überraschungsmoment geschaffen. Wir tun uns teilweise keinen Gefallen mit solchen Tracks, weil sie sich nicht leicht mischen lassen und simple Tunes eher von DJs gespielt werden. Aber wir wollen das so, auch für uns selbst, wir wollen uns überraschen können.
Markus Wagner: Bei „Overture” gab es das Intro schon länger. Aber was gibt man da drauf? Und wir haben probiert und probiert. Mit Mefjus im Boot – er ist technisch ein absolutes Genie – gibt es noch einmal eine andere Dynamik. Deshalb ist unsere Musik so bunt geworden, weil die Kollaborationen mit Mefjus so vorurteilslos sind.
Reinhard Rietsch: Wir kennen unsere Grenzen. Und die können von Mefjus noch mal gesprengt werden und vice versa.
Wird euch schnell langweilig?
Markus Wagner: Wir machen definitiv Musik für Menschen mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Wir haben das vermutlich auch selbst. Fünf Minuten der gleiche Loop kann cool sein mit dieser fast hypnotisierenden, therapeutischen Wirkung. Im Drum’n’Bass werden Tracks mittlerweile aber oft nicht länger als 40 Sekunden aufgelegt, wir verpacken das eben direkt in einen Track, was normalerweise in drei Tracks passiert. Und wir erzählen gerne Geschichten in dem Tune, der sich vielleicht sogar aus dem Drum’n’Bass heraus entwickelt.
Das Genre hat mittlerweile eine lange Geschichte mit Höhen und Tiefen.
Markus Wagner: Erstens ist Drum’n’Bass die Kakerlake der elektronischen Musik. Du kannst das nicht kleinkriegen. Zweitens ist der gemeinsame Nenner eigentlich nur das Tempo und das war’s. Es gibt heute Tracks mit 4/4-Bassdrum, Half-Time-Tracks oder Sachen, die nach UK Hardcore, französischem House oder sogar Dancehall klingen. In den letzten fünf Jahren gab es wieder mehr Breaks. Weil Drum’n’Bass so anpassungsfähig ist, stirbt er einfach nicht aus.
Muss Drum’n’Bass diverser werden?
Markus Wagner: Drum’n’Bass hat definitiv ein Problem mit der Männer- und Frauenquote. Die Parties waren früher extrem Testosteron getrieben, vielleicht auch, weil die Musik so over the top ist. Manche Clubs waren zwielichtig, in England gab es Raufereien und vereinzelt Messerstechereien. Ich verstehe, dass Frauen sich nicht wohl gefühlt haben. Die Labels wurden außerdem nur von Männern betrieben. Einer hat in England einmal zu uns gesagt: „If you are going to play any of that pussy Hospital Records stuff, you’re not gonna get booked anymore.“ Durch ähnliche Aussagen haben sich manche selbst ins Aus geschossen. Und mittlerweile wird das Thema offener angegangen. Die Lineups sind durchmischter und Gott sei Dank gibt es einige Protagonistinnen. Das tut der Szene wirklich gut.
Reinhard Rietsch: Aus den Rude Boys im Publikum wurden sozusagen junge Nerds. In 90% der Fälle sind das super nette Leute. Eine sehr sympathische Crowd, das muss man wirklich sagen.
Was steht an?
Reinhard Rietsch: Wir haben in den Lockdowns viel produziert und probieren live unsere Tunes aus. Deshalb wissen wir, da kommen drei oder vier Monster. Es fühlt sich richtig gut an.
Stefan Niederwieser
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