„Es profitieren die Verwerter.“ – GERNOT SCHÖDL (VdFS) im mica-Interview

Seit der Urheberrechtsreform haften Online-Plattformen für ihre Inhalte. Ist dadurch eine Verbesserung für Musikerinnen und Musiker eingetreten? Und: Kommt das Geld bei den Künstlerinnen und Künstlern an? GERNOT SCHÖDL ist Geschäftsführer der VdFS, der VERWERTUNGSGESELLSCHAFT DER FILMSCHAFFENDEN, Koordinator der INITIATIVE URHEBERRECHT ÖSTERREICH und als solcher einer der betont Künstler*innen-freundlichen Urheberrechtler dieses Landes. Mit Markus Deisenberger sprach er über Nutzen und Schwachpunkte des neuen Urheberrechtsgesetzes.

„Mir ist lieber[,] es verdienen ein paar Künstler weniger, die man ohnehin sozial stützt, als dass wir alle auf unsere Grundrechte verzichten müssen“, habe ich gerade heute in einem Online-Forum gelesen. Auf so einen Sager erntet man im Netz enorme Zustimmung. Warum, glauben Sie, tut sich Urheberrecht so schwer, im Vergleich zum postulierten Recht „sexy“ zu sein, wonach im Netz möglichst alles frei sein und der Konsum von Content (der letztlich immer auf geistigem Eigentum beruht) möglichst uneingeschränkt funktionieren soll?

Gernot Schödl: Gute Frage. Zunächst glaube ich, dass es schon einen allgemeinen Konsens in der österreichischen Bevölkerung darüber gibt, dass Künstlerinnen und Künstler von ihrer Kunst leben können sollen. Egal, wen man fragt, es herrscht weitestgehend Einigkeit darüber, dass das sichergestellt sein soll.

Trotz blöder Rederei am Stammtisch?

Gernot Schödl: Trotz blöder Rederei am Stammtisch. Jedem und jeder ist klar, dass es irgendwann keinen Content mehr geben wird, den man konsumieren könnte, wenn Leute, die Texte schreiben, Lieder komponieren oder Filme machen, nicht mehr davon leben können – und wir leben in einer Zeit, in der es kritisch ist. Das Bewusstsein gibt es, da bin ich sicher. Andererseits: Wenn man sich nicht dauernd mit dem Urheberrecht beschäftigt, ist dieses für den durchschnittlichen Konsumierenden schwer greifbar. Das gilt sogar für jene Leute, die beruflich damit zu tun haben. Zum einen ist es eine der kompliziertesten Rechtsmaterien, die ich kenne. Obwohl ich mich seit über zehn Jahren damit beschäftige, muss auch ich mich jedes Mal wieder neu hineindenken. Zum anderen ist es teilweise unsexy, wie Sie sagen. Nur ein Beispiel: Es gibt immer noch einen Werkelmann-Paragraphen. Den letzten Werkelmann habe ich aber vor ungefähr zwanzig Jahren auf der Kärtner Straße gesehen. Die Regelung hatte einmal den Sinn, die öffentliche Aufführung von Musik freizustellen. Für Spieldosen und Drehorgeln. Wenn ich heute einen siebzehnjährigen Youtuber oder Influencer damit konfrontiere, würde es mich nicht wundern, wenn er mich fragt: „Wo lebt ihr eigentlich? Auf einem anderen Stern?“ Und dann verfolgt man aus meiner Sicht immer noch zu sehr das System des Erlaubens, des Lizenzierens, des Gebotes und des Verbotes. Ob es immer die Lizenzkeule sein muss, die für alles passt, sollte man auch hinterfragen. Das zeitgemäßer zu gestalten – freilich immer vor dem Aspekt, für eine Vergütung zu sorgen; freie Nutzung heißt ja nicht automatisch, dass es vergütungsfrei sein muss –, wäre ein Ansatz.

Die Novelle ging ja in die Richtung, gewisse Nutzungen zu erlauben, weil sie ohnedies stattfinden und schwer zu untersagen sind, auf der anderen Seite aber eine Vergütung für die Künstlerinnen und Künstler sicherzustellen.

Der Werkelmann-Paragraph war nur ein Beispiel. Im Urhebergesetz gibt es eine ganze Reihe von Bestimmungen, die totes Recht sind. Das Schlechtwetterprogramm im Fernsehzimmer von Hotels etwa. Das gibt es einfach nicht mehr. Oder das Vermietrecht für Videotheken. Es gibt keine Videotheken mehr, weil alle Nutzungen in den Online-Bereich gewandert sind. Wenn ich meinen Studierenden auf der Fachhochschule von den freien Nutzungen erzähle, muss ich gleichzeitig immer darauf hinweisen, dass die Hälfte praxistot ist, weil es die Sachverhalte nicht mehr gibt. Schön, dass Filmschaffende einen Beteiligungsanspruch am Videoverleihgeschäft haben, bloß gibt es das Geschäft nicht mehr. Das sind Gründe, weshalb sich der Durchschnittskonsument die Frage stellt, ob das alles noch zeitgemäß ist. Und in vielen Punkten ist die Kritik gerechtfertigt. Das Urheberrecht hat aufgrund der Trägheit seiner Weiterentwicklung und teilweise mangelnden Praxistauglichkeit ein massives Akzeptanzproblem. Die legistischen Anpassungen hinken den technischen Entwicklungen den sozialen Anforderungen und auch den Bedürfnissen der Kunst- und Kulturproduktion – Stichwort Remixing, Sampling usw. – stark hinterher. Sehen Sie: YouTube gibt es meines Wissens seit 2005. Jetzt, 2022, haben wir die Anpassungen in Österreich durch die Novellierung des Urheberrechtsgesetzes. Bis 2019 hat es einmal auf europäischer Ebene gedauert, um irgendeine Regulierung sicherzustellen. Das waren vierzehn Jahre!

„Der erste Befund ist einmal, dass es gut und wichtig war, eine Haftung der großen Online-Plattformen einzuführen.“

Womit wir beim Thema wären: Ziel der Novelle des Urheberrechtsgesetzes war es, eine angemessene Vergütung der Nutzungen durch große Plattformen wie Google, Facebook, Twitter, Tiktok und Co. zu erzielen. Mit der Umsetzung in österreichisches Recht sei laut Regierung „mehr Fairness für Kreative“ sichergestellt worden. Die Opposition kritisierte, ÖVP und Grüne würden vor den Onlineriesen in die Knie gehen. Wie sehen Sie das?

Gernot Schödl: Der erste Befund ist einmal, dass es gut und wichtig war, eine Haftung der großen Online-Plattformen einzuführen. Es haften ja nicht alle, sondern nur die User-Generated Content-Plattformen, auf die User und Userinnen Content hochladen – Facebook, Instagram und Co. also. Dass sie haften, und nicht die Userinnen und User, die man ohnehin nicht verfolgen konnte bzw. wollte, und dass sie Lizenzen abschließen müssen, ist grundsätzlich positiv zu beurteilen. Es verbessert sich dadurch die Rechtstellung der jeweiligen Rechteinhaber und -inhaberinnen. Die Kritik, die wir in der vor zwei Jahren gegründeten spartenübergreifenden Initiative Urhebervertragsrecht vorbringen, ist allerdings, dass die Umsetzung der Richtlinie nicht treffsicher ist.

Was genau heißt das?

Gernot Schödl: Diejenigen, die davon profitieren, sind primär die Verwerter. Obwohl „Urheber“ draufsteht, stützt das Urheberrechtsgesetz nicht nur die Urheberinnen und Urheber. Was eigentlich der Hauptzweck des Urheberrechts sein sollte, geht leider nach und nach verloren. Man muss sich ja nur anschauen, wer in der Praxis lizenziert. Die Labels, weil sie die entsprechenden Online-Rechte vertraglich erworben haben. Die Verlage allenfalls und die Filmproduzenten, wenn sie wollen, dass etwas auf diesen Plattformen ist. Im Film ist das ja ein bisschen anders als im Musikbereich: Da will man eher weiterhin die klassischen Verwertungsketten (Film, DVD und dann unter Umständen noch online) mit Sperrfristen haben. Den Kinofilm will man gerade nicht auf YouTube haben. Wenn etwas lizenziert werden soll, dann sind es eher Trailer und Werbung.

In der Musik ist das Lizenzieren auf den Plattformen viel relevanter, weil es um Alben, Musikvideos und Konzertmitschnitte geht. Die rechtlichen Anpassungen hat man aber primär für die Verwerter gemacht. Die Kritik vonseiten der Künstlerinnen und Künstler ist: Es ist zu wenig sichergestellt, dass das Geld aus den Lizenzen auch bei den Künstlerinnen und Künstlern ankommt.

Hätte es also aus ihrer Sicht einen direkten Vergütungsanspruch gebraucht?

Gernot Schödl
Gernot Schödl (c) 2021 Martin Jordan Fotografie

Gernot Schödl: Das wäre einer unserer Vorschläge gewesen, ja. Immer wenn man als Künstler bzw. Künstlerin auf Vertragsketten angewiesen ist, wenn man also darauf angewiesen ist, dass am Ende etwas ankommt, wird es schwierig. Aufgrund der rechtlichen Situation ist es im Musikbereich derzeit so, dass nur die AKM im Online-Bereich für die Komponierenden einheben kann. Die ausübenden Musikerinnen und Musiker, Studiomusikerinnen und -musiker fallen schon mal nicht darunter. Die treten ihre Rechte in der Regel für eine Pauschalzahlung (Studioquittung) an das Label ab. Das heißt, sie kriegen schon einmal grundsätzlich gar nichts für Nutzungen auf Online-Plattformen.

Im Filmbereich genauso: Eine Regisseurin oder ein Regisseur bzw. eine Schauspielerin oder ein Schauspieler tritt seine bzw. ihre Rechte in der Regel an die Produktionsfirma ab. D.h. durch Pauschalabgeltungen in Buy-out-Verträgen sind alle Ansprüche abgegolten. Mit einem direkten Vergütungsanspruch, den man etwa in Deutschland eingeführt hat, kann man als Urheber*in oder ausübende*r Künstler*in den Anspruch direkt bei der Plattform geltend machen. Man ist nicht Bittsteller im Vertrag, sondern hat einen direkten Anspruch gegen eine Plattform, der noch dazu kollektiv von einer Verwertungsgesellschaft wahrgenommen werden kann. Das wäre mit Sicherheit das bessere Modell gewesen, das sichergestellt hätte, dass alle Rechteinhaber*innen – Kunstschaffende und Verwerter*innen – an Zahlungsflüssen gleichermaßen partizipieren. Es zeigt sich jedoch leider auch im Kunst- und Kulturbereich, dass dem österreichischen Gesetzgeber die Interessen internationaler Konzerne offenbar wichtiger sind. Die österreichische Musikwirtschaft ist ja nicht Universal, Warner und Sony Music, sondern besteht aus vielen, auch sehr kleinen, und unabhängigen Labels, die Musik aus Österreich fördern, vertreiben und für kulturelle Diversität sorgen. Auch die Filmwirtschaft in Österreich ist nicht Hollywood, sondern besteht ebenfalls aus vielen Klein- und Kleinstunternehmen, teilweise EPUs, denen mit einem Vergütungsanspruch, der für sie kollektiv wahrgenommen wird, in der Praxis wesentlich mehr geholfen gewesen wäre, weil sie die personellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen für Verhandlungen mit YouTube und Co. und Rechtsverfolgungen im Missbrauchsfall gar nicht haben.

Rechtlich haben wir den Deutschen viel nachgemacht, wieso nicht in diesem Fall?

Gernot Schödl: Die Direktvergütungsansprüche waren ein deutscher Alleingang. Es ist doch einigermaßen erstaunlich, dass ein Großteil der europäischen Mitgliedsstaaten die Reform noch nicht umgesetzt haben. Die Umsetzungsfrist ist bereits im Juni letzten Jahres abgelaufen. Die säumigen Länder wurden bereits von der europäischen Kommission gemahnt.

Wie viele EU-Staaten haben schon umgesetzt?

Gernot Schödl: Etwas mehr als die Hälfte der 27 EU-Mitgliedstaaten. Deutschland ist aus Urhebersicht ein positives Beispiel. Auch bei den sogenannten freien Nutzungen für Parodie, Pastiche und Karikatur hat man sinnvoller Weise, obwohl lizenzfrei, beschlossen, dass das vergütungspflichtig sein muss, was in der Richtlinie nicht zwingend vorgesehen ist. Der österreichische Gesetzgeber hat das leider nicht gemacht. Dabei ist das eine reine Abwägungssache zwischen zwei Grundrechten – der freien Meinungsäußerung und dem geistigen Eigentum, das die europäische Grundrechtscharta schützt.

Wir sind auch in diesem Bereich für ein Vergütungsmodell eingetreten, weil ein solches sicherstellt, dass das Geld auch tatsächlich bei den Künstlerinnen und Künstlern ankommt. Und nicht nur ein Bruchteil dessen nach Abzug aller Kosten oder gar nichts.

Jetzt leben wir ein halbes Jahr damit, denn das Gesetz ist am 31.12.2021 in Kraft getreten. Welche positiven Auswirkungen wird es für die UrheberInnen haben?

Gernot Schödl: Naja, im Filmbereich haben wir als Verwertungsgesellschaft aufgrund der Gesetzeslage aktuell keine Möglichkeit, mit YouTube und Co. zu verhandeln. Im Musikbereich finden hingegen Verhandlungen für die Komponierenden (nicht die ausübenden Musikerinnen und Musiker) durch die AKM statt. Die AKM hatte ja schon in der Vergangenheit einen Deal.

… einen nicht kommunizierten.

Gernot Schödl: Genau. Der Deal war so geheim, dass man wenig drüber wusste. Da kann man jetzt aber davon ausgehen, dass es bessere Konditionen geben wird. Dass mehr Geld fließen wird. Im Filmbereich kann ich mangels rechtlicher Ansprüche merkliche Unterschiede ausschließen.

„Aus Sicht der Künstlerinnen und Künstler ist die Umsetzung mangelhaft – das muss man so sagen.“

Was müsste sich ändern, damit Fair Pay eintritt? Wo ist Luft nach oben?

Gernot Schödl: Die Gesetzwerdung der Online-Plattform-Haftung hat so lange gedauert, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass man diese bald wieder aufmachen wird. Ausnahme ist die Bagatellgrenze, wonach 15 Sekunden Film oder Musik frei sein sollen, d. h., nicht durch Upload-Filter blockiert werden dürfen. Dafür gibt es nirgendwo in der Richtlinie eine Grundlage. Es kann also gut sein, dass das vor einem Gericht bis zum EuGH angefochten wird und dann fällt.

Unser Anspruch im Online-Bereich wären direkte Vergütungsansprüche gewesen und auch die neuen freien Nutzungen vergütungspflichtig zu machen. Aus Sicht der Künstlerinnen und Künstler ist die Umsetzung deshalb mangelhaft – das muss man so sagen. Entsprechende Regelungen gibt es in anderen Ländern teilweise, womit wir beim nächsten Problem wären: der Harmonisierung. Ziel der Umsetzung einer EU-Richtlinie ist ja grundsätzlich eine Harmonisierung des europäischen Rechtsrahmens. Man sieht jedoch: Deutschland geht einen eigenen Weg. Aber auch Belgien macht eigene Lösungen, und Frankreich ist sowieso immer anders – wesentlich künstlerfreundlicher – unterwegs, was vor allem mit einer ganz anderen Wertschätzung für Kunst und Kultur durch die Politik zu tun hat.

Gehen wir zur Bagatellgrenze: Diese Regelung sieht vor, dass die Nutzung von 15 Sekunden Video und Audio, frei verwendet, gepostet und sogar gewinnbringend verwendet werden können. Ist eine solche Freistellung auch vor dem Hintergrund des bekannten Prozess Kraftwerk gegen Moses Pelham, in dem es seit mehr als zwanzig Jahren um die Vergütungspflicht für ein Sample von nicht einmal einer Sekunde Dauer geht, nicht geradezu absurd?

Gernot Schödl: Der Prozess ist zwar meines Wissens immer noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, aber einige Instanzen haben entschieden, dass die Rechte zu klären sind, wie es Jahrzehnte lang ja auch Usus war. Natürlich ist das ein eklatanter Wertungswiderspruch. Im europäischen Recht gibt es diese Bagatellgrenze auch nirgends. Das ist ein deutscher Alleingang gewesen. Und der österreichische Gesetzgeber hat es abgeschrieben. Ich bin mir sicher, dass die Regelung EU-rechtswidrig ist und wohl aufgehoben werden würde, so sie jemand vor dem EuGH anfechten würde. Die Erwägung war, dass möglichst wenig in den Upload-Filtern hängenbleiben soll, dafür hat auch die europäische Kommission eigene Leitlinien entwickelt. Man wolle keine automatische Zensur.

Es sollte daher bis zu dieser Grenze einmal alles hochgeladen werden können. Dann soll der Rechteinhaber, falls die Nutzung dennoch eine wirtschaftlich signifikante Auswirkung hat, die Löschung begehren können. Aber was ist schon eine geringfügige Nutzung? Drei Sekunden von „Hotel California“ der Eagles? Allein das weltbekannte Intro wäre doch schon eine signifikante Nutzung. Und warum sollte der Online-Bereich so anders geregelt sein als andere, herkömmliche Nutzungsarten?

„Gerade bei Kurzformaten höhlt man mit einer Bagatellgrenze das Geschäftsmodell aus.“

Ist die Regelung nicht auch angesichts der Tatsache, dass die Aufmerksamkeitsspanne durch Dienste wie TikTok ständig nach unten nivelliert wird und gerade mit derartigen Kurzvideos viel Geld gemacht wird, fragwürdig?

Gernot Schödl: So ist es. Sieben Sekunden lang ist das durchschnittliche TikTok-Video.

Gerade bei Kurzformaten höhlt man mit einer Bagatellgrenze das Geschäftsmodell aus. Und: Wieso soll das in Österreich und Deutschland freigestellt sein, während es in allen anderen EU-Mitgliedstaaten nichts Vergleichbares gibt. Das ist einigermaßen eigenartig.

Im Vergleich dazu hat man beim Leistungsschutzrecht der Presseverlage eine Ausnahme nur für ganz kurze Snippets installiert. Die sind ausgenommen. Alles andere ist zu lizenzieren. Der Widerspruch besteht also schon innerhalb der Richtlinie.

Der EuGH hat jüngst auch Polens Nichtigkeitsklage, wonach Upload-Filter gegen die Meinungsfreiheit verstoßen würden, abgewiesen. Wie sehen Sie die Entscheidung?

Gernot Schödl: Zunächst einmal wurde die Klage gegen Artikel 17 schon eingebracht, noch bevor die Copyright-Richtlinie im EU-Amtsblatt veröffentlicht wurde, was einigermaßen absurd ist. Das Verfahren hat drei Jahre gedauert, bis der EuGH die Klage nun abgewiesen hat mit der Begründung, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung durch die Ausnahmen für die Nutzerseite ausreichend berücksichtigt wurde. Das ist gut und wichtig. Die Richtlinie war ein schwer errungener Kompromiss, der im Parlament auch nur mit knapper Mehrheit zustande kam. Man kann über Upload-Filter denken wie man will. Dezidiert stehen sie ja nicht im Gesetz. Aber natürlich verwenden YouTube und Co. – und das nicht erst seit 2019 – automatisierte Systeme (Content-ID). Ich habe damit grundsätzlich einmal kein Problem. Es muss halt handhabbar sein. Zensur ist natürlich mit aller Macht zu verhindern. Deshalb gibt es ein Beschwerdeverfahren. Wenn wegen des Filters etwas nicht hochgeladen werden kann, was hochgeladen hätte werden müssen, habe ich als Nutzerin bzw. Nutzer die Möglichkeit, eine Beschwerde einzulegen.

Sie meinen die Beschwerde an die Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria), die die Aufsicht über geblockte Inhalte übernimmt und ein Verfahren gegen eine Plattform einleiten kann?

Gernot Schödl: Genau. Zum Beispiel eine zulässige Karikatur oder eine Bagatellnutzung, die zu Unrecht geblockt wurde. Und in diesem Beschwerdeverfahren reicht kein Automatismus. D. h., da muss eine Person über den Beschwerdefall entscheiden.

Mittlerweile gab es den Fall der Doku „Wunderbare Schwurbler – Die Wahrheit über die MFG, die gesperrt wurde.

Gernot Schödl: Ja, aber das war eigentlich kein Urheberrechtsfall, sondern da stand der Verdacht der Verbreitung medizinischer Fehlinformationen im Raum. Die Löschung war also nicht auf einen etwaigen Verstoß gegen das Urheberrecht gegründet.

Gerade die Doku, die das Verbreiten von medizinischen Fehlinformationen zum Inhalt hat, also falsche Inhalte, die von so genannten Schwurblern verbreitet wurden, zurechtrückt bzw. dagegenhält, wird dann dessen bezichtigt. Besteht da nicht die Gefahr, dass sich das bei vergleichbaren Sachverhalten wiederholt? Eine Doku über den rechten Rand der Republik wird geblockt, weil es gerade Vertreterinnen und Vertretern dieses rechten Randes durch Beschwerdeführung gelingt, ein Hochladen der Sendung – zumindest für kurze Zeit – zu verhindern.

Gernot Schödl: Es liegt mir fern, YouTube zu verteidigen, aber es ist nicht leicht. Sie haften. Das heißt, sie müssen agieren, und es wird Fehler geben. Die Frage ist, wie man darauf reagiert. Der Fall der Doku ist ein klassischer Fall von Meinungsfreiheit. Das allgemeine Gesellschaftswohl, das im Fall einer Fehlinformation leiden kann, ist auch ein hohes Gut, aber die Meinungsfreiheit einer kritischen Doku ist so wichtig, dass diese hochgeladen werden können muss. Das hat in diesem Fall auch relativ schnell funktioniert. Ein paar Tage später war die zunächst gesperrte Doku wieder Online.

Trotzdem kann Schaden entstehen. Gerade wenn das nicht hochkommerzielle Dinge, sondern Low-Budget-Produktionen sind, ist man unter Umständen in hohem Maße auf die Verbreitung durch YouTube angewiesen.

Gernot Schödl: Das mag sein, aber für einen schadenersatzrechtlichen Anspruch braucht es Verschulden, das in einem Fall wie diesem schwer nachzuweisen sein wird.

Wie gut ist die Konstruktion mit der KommAustria, um dem Overblocking einen Riegel vorzuschieben?

Gernot Schödl: Mir ist noch kein Fall bekannt. Für Österreich war die Konstruktion mit der KommAustria naheliegend. Inwieweit sich das bewährt, wird die Praxis erst zeigen.

„Als Gegenpol bräuchte es in Österreich eine öffentlich finanzierte Kunstkammer. Das ist ein Riesen-Manko.“

Um am Ende noch einmal auf das Allgemeine zurückzukommen: Bei den Veranstaltungen zum Urheberrecht, die ich besuche, beschleicht mich immer der Eindruck, dass Sie einer der wenigen Künstler*innen-freundlichen Urheberrechtler sind, und das Urheberrecht ganz allgemein sehr Business- bzw. von Verwerterinteressen gesteuert ist. Leidet das Urheberrecht an einer gewissen Einseitigkeit der Betrachtung?

Gernot Schödl: Definitiv. Zu einem großen Teil sind es Anwältinnen und Anwälte, die Nutzerorganisationen oder die Produzentenseite vertreten. Für Künstlerinnen und Künstler gibt es vielleicht ein paar Vertreterinnen und Vertreter von Verwertungsgesellschaften, freiwilligen und schlecht finanzierten Interessenverbänden, Vertreter*innen von mica – music austria. Das war’s dann aber. Es zeigt sehr gut, wer am Urheberrecht verdient. Es gibt ja das weitverbreitete Gerücht, wonach hauptsächlich die Anwältinnen und Anwälte am Urheberrecht verdienen und weniger die Urheberinnen und ausübenden Künstler. Das möchte ich nicht uneingeschränkt bestätigen, aber wo Geld ist, kann man sich auch eine professionelle Interessenvertretung leisten. Die Wirtschaftskammer hat einen eigenen, über Pflichtmitgliedsbeiträge finanzierten und professionell organisierten Film- und Musikverband. Die Arbeiterkammer vertritt ganz stark Konsumenteninteressen. Dann gibt es noch den Konsumentenschutz. Das sind starke Player. Als Gegenpol bräuchte es in Österreich eine öffentlich finanzierte Kunstkammer. Das ist ein Riesen-Manko.

Denn es gibt ein gemeinsames Interesse: Fair Pay. Oder?

Gernot Schödl: Fair Pay und vor allem, dass das Urheberrecht im digitalen Bereich, wo es aus Sicht der Kunstschaffenden nicht ausreichend funktioniert, obwohl durch das Streaming, gerade in Zeiten der Pandemie, mehr Content genutzt wird als jemals zuvor, nachgebessert wird. Früher konnte man als Musikerin oder Musiker vom Live-Geschäft, den Sendeentgelten, die für eine halbwegs faire Vergütung sorgten, vielleicht noch Plattenverkäufen schon leben, wenn man halbwegs erfolgreich war. Heute ist der physische Tonträger – wie wir aus den Musikwirtschaftsberichten wissen – tot, wenn man den Vinylbereich und den Bereich der volkstümlichen und klassischen CDs einmal ausklammert. Streamingdienste wie Spotify & Co. generieren bei weitem nicht die gleichen Einnahmen, obwohl dort täglich massenhafte Nutzungen stattfinden, und das ist ein Riesenproblem. Denn im Gegensatz zu den Major-Labels, die Streaming schon vor Jahren als neue Cash-Cow entdeckt und vom Streaming-Boom durch ihre Anteile, die sie an den Unternehmen halten bzw. gehalten haben, massiv profitiert haben, sind Musikerinnen und Musiker an diesen Diensten nicht beteiligt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Markus Deisenberger

Links:
Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden (VdFS)
Initiative Urhebervertragsrecht