Eigentlich gebe er gar nicht so gerne Interviews, sagt LUKAS GOSCH. Um dann doch ein Interview zu geben, ausnahmsweise, „weil du nicht gleich so komische Sachen gefragt hast.” Wir sprechen also gnädigerweise über Black Metal, weil GOSCH sich da gut auskennt. Als ELLENDE macht er seit vielen Jahren sehr laute und sehr düstere Musik. Zuletzt erschien 2024 „Todbringerin” – da weiß man sofort, worauf man sich einlässt. Oder nicht. Die Hallen sind nämlich sowieso voll, auch ohne das ganze Drumherum oder dieses Interview.
Ellende ist eines der erfolgreichsten Black-Metal-Projekte Österreichs. Trotzdem gibst du kaum Interviews, warum?
Lukas Gosch: Ich wollte ja nie in die Medien. Ich wollte immer auf die Bühne. Sobald ich da drauf stehe, pusht mich das Publikum. Plötzlich geht es nur um die Musik. Das hab ich in den Medien nicht. Deshalb hab ich auch schon oft Interviews abgelehnt – einfach weil ich merke, dass sich das Gegenüber gar nicht für die Musik interessiert.
Also reden wir über die Musik: Du hast dein Album „Todbringer” neu aufgenommen – es heißt jetzt „Todbringerin”.
Lukas Gosch: Es geht ja um das Gemälde von Jan Vermeer. Seinen Ausdruck schätze ich sehr, da kommt immer ein gewisses Gefühl durch. Auch weil man sieht, wie die Personen damals gelebt haben. Gleichzeitig wollte ich das Bild neu interpretieren. Die Frau wird zum Tod. Dazu kommt die rechtliche Komponente. Ich konnte das Album nicht einfach neu auflegen, es war ja schon bei einem anderen Label.
Du hast den Taylor-Swift-Move gemacht – und neu aufgenommen.
Lukas Gosch: Genau, alles. Auch die Artworks habe ich neu machen müssen. Den Titel dazu aus Sicherheitsgründen leicht verändert. Die „Todbringerin” war für mich offensichtlich. Außerdem freut es mich, weil es die elitären Black-Metaller ein bisschen ärgert.
Du wolltest den Shitstorm?
Lukas Gosch: Und habe ihn nicht bekommen. Unsere Fans haben es sehr positiv aufgenommen.
„ES FREUT MICH, WEIL ES DIE ELITÄREN BLACK-METALLER EIN BISSCHEN ÄRGERT.”
Du hast vorhin das Gemälde von Vermeer angesprochen. Was fühlst du, wenn du das Bild anschaust?
Lukas Gosch: Ich wollte imitieren, was er gemacht hat. Man sieht in seiner Arbeit oft Personen, die etwas tun. Und zwar zu ihrer Zeit. Ich frage mich, wer diese Personen waren. Welche Story sie hatten. In Ellende steckt – gerade bei diesem Album – viel Symbolismus. Zur Vergänglichkeit. Zu etwas, das war.
„Die Menschen sterben und sie sind nicht glücklich”, zitierst du Camus.
Lukas Gosch: Es geht um Existentialismus, aber …
Das kann auch schnell kitschig rüberkommen, nicht?
Lukas Gosch: Das stimmt, es ist eine Gratwanderung. Deshalb muss mein Bauchgefühl stimmen. Wenn man Konzerte nur noch als Rituale anpreist, wird es mir zu viel. Ellende haut aber in eine Nische, die nicht zu aufdringlich ist. Wir bringen den Ernst authentisch rüber. Trotzdem: Ich bin froh, dass wir das Album jetzt so draußen haben. Wir haben es immer live gespielt. Jetzt ist es abgeschlossen. Was kommt, wird auch unseren Liveauftritt verändern.
Verändern?
Lukas Gosch: Zu viel verändern werden wir uns auch nicht. Es ist aber sowieso noch geheim.
Der Streicherpathos bleibt?
Lukas Gosch: Die sind immer dabei! Auf dem neuen Album kommen sie sogar häufiger vor. Einfach weil Streicher super zu Black Metal passen und diese gewisse Atmosphäre erzeugen.
Warst du früher oft in der Kirche?
Lukas Gosch: Na, ich hab aber immer ein Faible für diese Art von klassischer Musik gehabt – das Schwermütige, Tragende … Das hat mich schon als Kind fasziniert.
Die Mama hat die Bach-Oratorien aufgelegt?
Lukas Gosch: Na, aber der Papa hat viel Pink Floyd gehört.
Also Bach in der Moderne.
Lukas Gosch: Genau, die sind jedenfalls eine große Sache für mich. Die hatten ja auch dieses Schwere in sich, das passt einfach gut zu Black Metal. Deshalb scheue ich mich auch nicht davor, sie häufiger einzusetzen.
Mit Schwermut kommt auch die Spiritualität, nein?
Lukas Gosch: Doch! Dabei bin ich gar nicht der spirituelle Typ. Trotzdem schwingt darin etwas mit, in dem man sich verlieren kann. Das hat was von Meditation …
Der TT von der Band Abigor hat einmal gesagt: „Im Black Metal lebst du deine Spiritualität aus, es ist vergleichbar mit der Kirchenmusik als Dienst an Gott.”
Lukas Gosch: Das könnte ich unterschreiben, auch wenn ich es anders ausdrücken möchte.
Die Gottesfurcht passt dir nicht?
Lukas Gosch: Ja, aber die Aussage stimmt schon: Black Metal nimmt einen mit. Man kommt in einen Zustand, der …
Wie ein Flow ist?
Lukas Gosch: Das haben mir schon viele gesagt: Unsere Musik sei wie ein durchgängiges Ding, die einer Spannungskurve folgt.
„ICH DENKE AUCH VIEL ÜBER DIE GESELLSCHAFT NACH.”
Ziehst du etwas aus deinem Privatleben in deine Bühnenperson?
Lukas Gosch: Ich habe zwei Seiten: das bürgerliche, langweilige Leben und Ellende. Beide sind ganz anders, aber: Ich brauche Ellende, um mich auszuleben. Ich könnte allerdings nicht nur Ellende machen. Ich brauche auch einen geregelten Alltag, meinen Arbeitsplatz, die Forschung. Also versuche ich, beide Seiten in Balance zu halten. Außerdem finde ich es schön, dass ich mich nicht immer in meiner Metal-Bubble bewegen muss. Sondern mich auch zurückziehen kann.
Du ziehst dich gerne zurück?
Lukas Gosch: Schon. Ich brauche meine Erholungsphasen, bin auch gerne für mich. Gerade wenn ich Musik mache, kapsel ich mich ab und betrachte Themen, reflektiere sie. Das war zuletzt nicht nur der Tod oder die Existenz. Ich denke aktuell auch viel über die Gesellschaft nach – in welche Richtung bewegen wir uns, übernehmen wir Verantwortung?
Mit dem Tod betrachtet man sich selbst. Mit der Gesellschaft wandert der Blick in …
Lukas Gosch: Die Makroperspektive, ja. Ellende war anfangs ein introvertiertes Projekt. Es entwickelt sich aber zunehmend in etwas Konkretes. Deshalb werden auch die Texte verständlicher.
Wie kann die Gesellschaftsdiagnose passieren, ohne moralisch rüberzukommen?
Lukas Gosch: Es muss nicht schlecht sein, wenn man den Zeigefinger erhebt. Ich mache es allerdings auf eine subtile Art, indem ich Dinge anspreche, die mir auffallen, zum Beispiel: die Empathielosigkeit in der Gesellschaft. Ellende zeigt damit aber keine Lösungen auf – dafür habe ich ja meine bürgerliche, forschende Seite. In der Musik darf aber die reine Emotion sein.
Schreien als Heilung, oder wie?
Lukas Gosch: Manche kommen nach dem Auftritt zu mir und sagen: Das haben sie gebraucht! Ellende kann wie ein Ventil sein, um das Schlechte kurz erträglich zu machen.
Früher wäre es das Gegenteil gewesen: das Gute kurz schockierend zu machen.
Lukas Gosch: Black Metal war früher rebellisch. Es sollte schockieren. Deshalb wurde man Satanist. Inzwischen schockiert das niemanden mehr. Ewig zu wiederholen, was in den 90ern passiert ist, wäre aber eh nicht authentisch. Uns betreffen andere Themen als damals. Also ist es wichtig, dass sich die Musik anderen Perspektiven öffnet, denn: Es muss heute nicht mehr schockieren.
Christoph Benkeser
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