„Es muss auf gewisse Weise kompromisslos sein“ – ANNA MAGDALENA KOKITS im mica-Interview

Eine von mica – music austria beauftragte Fachjury wählte für die Saison 2016/17 25 junge Musikerinnen, Musiker und Ensembles für das Nachwuchsprogramm THE NEW AUSTRIAN SOUND OF MUSIC (NASOM) des BUNDESMINISTERIUMS FÜR EUROPA, INTEGRATION UND ÄUSSERES. Mit dabei im Bereich Neue Musik: die Pianistin ANNA MAGDALENA KOKITS. Christian Heindl sprach mit ihr über ihre Arbeit.

Bereits zum fünften Mal gibt es die Initiative The New Austrian Sound of Music (NASOM) des Österreichischen Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres, die junge österreichische Musikerinnen und Musiker gezielt bei ihren Auslandsaktivitäten unterstützen will und dazu mit den Botschaften, Kulturforen und Generalkonsulaten kooperiert. Anna Magdalena Kokits, Sie wurden auf Vorschlag der Jury für 2016/17 in dieses Programm aufgenommen. Was bedeutet diese Förderung für Sie und wie wollen Sie damit arbeiten?

Anna Magdalena Kokits: Natürlich freue ich mich sehr darüber. Was ich mir vor allem vorstelle, ist, zeitgenössische Musik auch an Orte zu bringen, wo Menschen noch nicht so viel Zugang dazu haben. Sei es, weil es dort nicht so viel gespielt wird, oder sei es, weil es sich um einen generell anderen Kulturkreis handelt.

Es geht also vor allem um eine neue Zielgruppe für das zeitgenössische Schaffen?

Anna Magdalena Kokits: Ja, ich will auf jeden Fall auch neues Publikum erschließen. NASOM soll für uns Musikerinnen und Musiker ja den Kontakt zu den österreichischen Kulturforen erleichtern, und das passt für mein Bestreben sehr gut.

Das heißt, Sie spielen gerne auf der ganzen Welt?

Anna Magdalena Kokits: Oh ja, das macht einen der wichtigsten Teile meines Berufs aus: Menschen an verschiedenen Orten zu erreichen.

Wie ist bei Ihnen der Wunsch entstanden, Musik zu vermitteln?

Anna Magdalena Kokits: Ich hatte erst kürzlich ein Gespräch mit einem Pianisten aus der Rockszene, der den Eindruck hatte, im klassischen Bereich gehe es vor allem immer nur um Perfektion. Bei mir war es von jeher anders: Für mich ging es immer zuerst um die Kommunikation, dann um die Technik, welche tatsächlich in erster Linie einfach ein Mittel zum Zweck ist. Als solches ist sie aber natürlich nicht zu unterschätzen, ganz im Gegenteil!

Sowohl im Pop- und Rockbereich als auch in der Klassik ist heute eine Hochglanzperfektion gefragt, die oft die musikalische Aussage einer Interpretation hintanstellt.

Anna Magdalena Kokits: Technische Perfektion kann natürlich beeindrucken. Aber am wichtigsten ist immer das, was bleibt, das, was dem Publikum mitgegeben wird.

Ihre Programme enthalten die Klassiker – Mozart, Beethoven und Co. – ebenso wie Uraufführungen. Man hat den Eindruck, dass Ihnen das gleich wichtig ist, sie aber auch eine sehr ähnliche Herangehensweise haben.

Anna Magdalena Kokits: Absolut. Die meisten Zuhörerinnen und Zuhörer sind mit Mozarts und Beethovens Tonsprache vertraut. Bei den Zeitgenossinnen und Zeitgenossen mache ich mir natürlich eine andere Art von Gedanken, denn da muss auch ich oft die jeweilige Tonsprache ganz neu entdecken und dann auf eine Weise vermitteln, die einem womöglich unerfahrenen Publikum den Zugang ermöglicht. Im Endeffekt läuft es aber auf dasselbe hinaus. Bei Mozart und Beethoven ist es genauso wichtig, was ich transportiere und wie ich das mache.

Wie sind Sie eigentlich mit der zeitgenössischen Musik in Berührung gekommen? Für viele Interpretinnen und Interpreten ist das nach wie vor eine Terra incognita.

Anna Magdalena Kokits: Meine frühesten Begegnungen mit zeitgenössischer Musik waren beim Musikwettbewerb prima la musica. Das war der erste, aber noch nicht so intensive Kontakt. Ein entscheidendes Erlebnis war der Kontakt mit Richard Dünser, den ich beim Brahmsfest in Mürzzuschlag kennen lernte. Wir haben uns blendend unterhalten und die schöne Folge dessen war, dass er 2009 ein Stück für meinen damaligen Duopartner Alexander Gebert und mich schrieb: „The Garden of Desires“ für Violoncello und Klavier.
Das war der Beginn einer intensiven Phase mit Werken, die für uns entstanden sind. Einige haben wir im Musikverein aufgeführt, viele davon auch aufgenommen. Genial ist zum Beispiel das Stück von Tomasz Skweres, „Hesitation“. Auch sein Bruder Piotr möchte eines schreiben. Dann „sub rosa“ von Helmut Schmidinger, „la terra sommersa … un campanile“ von Christoph Renhart, ebenso Werke von Akos Banlaky und Lukas Haselböck. Auch Thomas Larcher haben wir gespielt, allerdings ein schon älteres Stück. Erst kürzlich entstand ein Solo-Klavierstück von Grzegorz Pieniek, das freut mich ganz besonders.

Bei dieser Auflistung stellt sich umgehend die Frage nach ästhetischen Vorlieben. Die genannten Komponisten vertreten da doch extrem unterschiedliche Positionen. Wann wird ein Stück interessant?

Anna Magdalena Kokits:
Es muss auf gewisse Weise kompromisslos sein. Man soll sich denken: „Dieses Stück musste geschrieben werden!“ Wenn ich diese Notwendigkeit spüre, ist der „Stil“ für mich nebensächlich.

Eine große Rolle spielt sicher auch die individuelle Aneignung eines Stückes durch die Interpretinnen und Interpreten. Durch den nachschöpferischen Prozess kann es dazu kommen, dass eine Komponistin beziehungsweise ein Komponist ein Werk völlig neu erlebt.

Anna Magdalena Kokits: Das ist mir gerade in St. Gallen bei einem Komponistenporträt von Heinz Karl Gruber passiert, bei dem ich seine „Sechs Episoden“ gespielt habe. Da kam er nachher zu mir und meinte, er habe das lange nicht so schön und gut gehört, wenn überhaupt je.

Wie viele zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten haben Sie insgesamt im Repertoire?

Anna Magdalena Kokits: Insgesamt sind es rund zwei Dutzend. Als Komponistin bislang Johanna Doderer, von der ich den „Wutmarsch“ und Lieder spiele.

Was läuft an aktuellen Projekten in der neuen Saison an und wird somit zum Teil auch von NASOM begleitet werden?

Anna Magdalena Kokits:
Im Moment bin ich unter anderem mit einer Aufnahme der Klavierwerke von Ernst Toch beschäftigt. Da soll 2017 zum 130. Geburtsjahr eine Doppel-CD bei Capriccio erscheinen. Toch würde ich, obwohl er kein Zeitgenosse ist, sehr gerne auch Raum in den NASOM-Programmen geben, weil er einen anderen Bereich betrifft, der mir sehr am Herzen liegt: zu Unrecht in Vergessenheit geratene Komponisten und Werke.

Toch hat sich ja in späteren Jahren selbst den „meist vergessenen Komponisten des 20. Jahrhunderts“ genannt. Besteht bei einer Gesamtaufnahme nicht konkret die Gefahr, dass alles „gleich“ klingt.

Anna Magdalena Kokits:
Genau darum soll es keine Gesamtaufnahme werden, sondern eine große Auswahl, die den Komponisten gut repräsentiert. Es soll nicht darum gehen, dass „alles im Kasten“ ist. Um dem Komponisten und seiner Genialität gerecht zu werden, braucht es Hingabe und Liebe zum Detail.

Welche weiteren „Vergessenen“ haben Sie bisher schon erarbeitet und vorgestellt?

Anna Magdalena Kokits: Vor allem gab es da schon vor ein paar Jahren ein sehr schönes Projekt mit den Cellosonaten von Toch, Karl Weigl, Hans Gál und Erich Zeisl.

Das alles Komponisten, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft von den Nazis aus Mitteleuropa vertrieben wurden und nach 1945 hier nicht mehr angemessen ins Repertoire integriert wurden.

Anna Magdalena Kokits: Genau. Die Aufnahmen davon, die Alexander Gebert und ich in Zusammenarbeit mit exil.arte gemacht haben, sollten eigentlich auf CD erscheinen. Ich hoffe sehr, dass es noch dazu kommt, weil sie aus meiner Sicht sehr gelungen sind.

Weiteres Aktuelles, das jetzt im Herbst bevorsteht?


Anna Magdalena Kokits:
Viel Kammermusik, unter anderem mit dem Klarinettisten Dimitri Ashkenazy, zwei Abende im Salvatorsaal in Wien – eine „Winterreise“ mit Jan Petryka am 17. und ein Solorezital am 24. November mit Stücken von Gershwin, Liszt, Milhaud, Gruber und einer Uraufführung von Dünser. Außerdem Soloabende in London und Japan.

Wie komponieren Sie Ihre Programme?


Anna Magdalena Kokits:
Mir ist immer wichtig, dass Programme stimmig sind, einen roten Faden haben. Das können historische Zusammenhänge oder andere Verbindungen sein. Selbstverständlich hängen Programmentscheidungen aber auch oft von anderen Gegebenheiten und Wünschen ab. Jedoch selbst Veranstalter, die sich „tote und bekannte“ Komponisten wünschen, wissen meist ein durchdachtes, „rundes“ Programm zu schätzen.

Ein Blick in die mittlere Zukunft – gibt es auch Langzeitpläne?

Anna Magdalena Kokits: Im Moment genieße ich es, mit vielen verschiedenen Partnerinnen und Partnern zu musizieren. Zu gegebener Zeit und wenn sich die passenden Menschen dafür zusammenfinden, möchte ich aber auch wieder ein fixes Ensemble gründen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Christian Heindl

Foto Anna Magdalena Kokits (c) Nancy Horowitz

http://www.annamagdalenakokits.com