Ein Popsound, der in unterschiedlichsten Farben glänzt, hell und dunkel ist, extrovertiert nach außen und introvertiert nach innen gekehrt ist, der Stimmung entfaltet und viel Gefühl vermittelt – die Wiener Musikerin, Songwriterin und Produzentin MIBLU zeigt sich auf ihrem Debütalbum „Solitaire“ (Assim Records; VÖ. 17.11.) als eine Künstlerin, die den Mut hat, mit Konventionen zu brechen, ihre ganz eigene Idee verfolgt und genau weiß, diese in ein packendes und facettenreiches musikalisches Erlebnis zu verwandeln. Im Interview mit Michael Ternai erzählt MIBLU vom Konzept, das hinter ihrem Album steckt, von der Freude, mit ihrer Stimme zu arbeiten, und ihrem Wunsch, den Menschen ein gutes Gefühl zu geben.
Als ich „Island”, die erste Single des Albums, gehört habe, dachte ich, dass es sich um eine wirklich gute, stimmungsvolle Nummer handelt, aber leider viel zu kurz ist. Sie dauert gerade mal knapp zwei Minuten. Irgendwie hatte ich die Befürchtung, dass auch die anderen Songs des Albums dieser kurzen Form entsprechen könnten. Aber da habe ich mich erfreulicherweise geirrt. Dein Album ist wahnsinnig vielfältig. Es gleicht einer Reise durch verschiedenste musikalische Stile und Stimmungen. Man hört, dass du wirklich dein Ding durchgezogen hast und dich von nichts hast einschränken lassen.
MIBLU: Die musikalische Vielfältigkeit ist tatsächlich das Konzept des Albums. Es war mir wirklich ein großes Anliegen, diese Vielfalt zu zeigen. Die Songs auf dem Album symbolisieren einen in sich geschlossenen Kreislauf. Ich finde deine Beschreibung des Albums als Reise ebenfalls sehr treffend, weil ich es ganz bewusst so angelegt habe. Auch der Song „Island” ist in seiner Länge und Platzierung auf dem Album beabsichtigt. Ich wollte mit dem Album dort anknüpfen, wo ich auf meiner EP aufgehört habe, mich weiterentwickeln und all das einbeziehen, was ich in den letzten Jahren erlebt habe. Das waren viele verschiedene Dinge, die unterschiedliche Gefühle ausgelöst haben, und das spiegelt sich auch in der Musik wider. Ich höre selbst sehr unterschiedliche Musik und bin von verschiedenen Stilen geprägt. Für mich schließt das eine das andere nicht aus. Vielfältigkeit ist spannend, und unsere Welt sowie Gefühle sind vielschichtig. Ich wollte diese Vielfältigkeit unbedingt im Album haben. Für mich war ganz klar, dass es so sein soll.
Dass du sehr unterschiedliche Musik hörst, klingt auf „Solitaire“ auch sehr klar durch. Auch ein Hang zum Experiment ist stark spürbar. Wie ist es dir gelungen, diese Vielfältigkeit in ein homogenes Ganzes zu gießen? Was ist die Klammer, die alles zusammenhält und es nach dir klingen lässt?
MIBLU: Ich würde ganz klar sagen, meine Stimme. Ich benutze meine Stimme wirklich gerne als Instrument, und ich fand es gerade bei diesem Album sehr spannend, mit ihr zu arbeiten. Ich habe viel mit Harmonien herumprobiert, auch mit den Chören, die ich alle selber eingesungen habe. Es war aufregend, zu versuchen, meiner Stimme unterschiedliche Klänge zu entlocken, wie etwa bei dem Song „Demons“, wo ich auch einmal einen Schrei ausgelassen habe. Ich habe wirklich viel darüber nachgedacht, wie es mir gelingen könnte, dieses Sphärische zu kreieren. Es macht wahnsinnig viel Spaß, sich selbst auszuprobieren und an die eigenen Grenzen zu gehen.
Welche Rolle spielt dein musikalischer Partner Tiemo Frantal? Und wie sehr hat er Anteil am vielfältigen MIBLU-Sound?
MIBLU: Tiemo ist eine sehr wichtige Person für mich. Er produziert die Beats. Das Besondere an ihm ist, dass er einen sehr ähnlichen cineastischen Zugang wie ich hat. Ich bin von der Art, wie er schreibt und welche Gefühle er mit seinen Beats erweckt, sehr angetan. Er ist sehr fähig darin, Welten zu erschaffen und dachte sich von Anfang in das Projekt hinein. Wir haben seit der EP einen wirklich sehr schönen Weg der Kooperation gefunden und haben unsere musikalischen Ausdrucksweisen lieben gelernt.
Generell finde ich, dass man vielseitig sein und dennoch einen roten Faden beibehalten kann. In den letzten Jahren wurde ich oft gefragt, wie der Sound von MIBLU eigentlich klingt. Mit dem Album zeige ich meinen Sound. Man kann tanzen und feiern, aber auch verletzlich sein. Diese Idee fand ich für das Album schön, und ich wollte sie bei diesem Album ganz bewusst so vertonen.
Wenn man deine Musik hört, bekommt man das Gefühl, dass sie sehr durchdacht ist und du dir wirklich Zeit genommen hast, die Dinge zu entwickeln. Es steckt offensichtlich viel Kopfarbeit in ihr.
MIBLU: Hinter dem Album steckt tatsächlich ein durchdachtes Konzept. Ich habe den Anspruch, wie bei all meinen Projekten – sei es als Geschäftsfrau oder als Musikerin – mir die notwendige Zeit zu nehmen. Ich habe gelernt, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren und mich nicht von der Schnelllebigkeit unter Druck setzen zu lassen. Ich habe mir ganz bewusst die Zeit genommen, beim Schreiben der Songs noch mehr in die Tiefe zu gehen. Ich wollte auch bewusst ein längeres Album machen. Selbst über die Anordnung der Songs auf dem Album habe ich mir viel den Kopf zerbrochen. Die Songs sind paarweise nach Stimmungen angeordnet, sodass man sich die herauspicken kann, die zur aktuellen Stimmung passen. In gewisser Weise möchte ich mit dem Album die Schnelllebigkeit von heute thematisieren, was sich unter anderem auch in den kurzen Tracks dazwischen zeigt.
„Ich habe die Nummer bewusst so gelassen, weil ich mir gedacht habe, dass die Imperfektion auch ihren Platz haben sollte.”
Wie ich bereits erwähnt habe, stellt das Album für mich einen in sich geschlossenen Kreis dar, und dieser braucht Zeit. Auf dem Album bekommt er seine Zeit. Als Menschen sind wir ständig mit Themen unterschiedlichster Art beschäftigt, und nach diesen Themen habe ich versucht, die Songs anzuordnen. Beim ersten Track geht es zum Beispiel ganz stark um ein bestimmtes Gefühl. Er, sowie auch der letzte Song, ist eigentlich in einem One-Take während eines Jams entstanden. Deswegen versteht man teilweise auch nicht, was ich singe. Ich habe die Nummer bewusst so gelassen, weil ich mir gedacht habe, dass die Imperfektion auch ihren Platz haben sollte. Es geht nicht immer darum, alles zu verstehen, sondern manchmal nur um das Gefühl. Musik ist eine Sprache, die Gefühle transportiert. Und so wie wir mit „Only Good Times Ahead“ mit einem schönen leichten Opener ins Album gehen, so enden wir alle immer wieder bei unseren eigenen Dämonen („Demons“). Und alles dazwischen ist das Leben. Und das ist das Album für mich.
Du wirkst in unserem Gespräch auf mich, wie jemand, der viel über Dinge grübelt. Birgt dieses Grübeln nicht auch die Gefahr, dass man da zu tief in die Materie eintaucht und vielleicht das Ziel aus den Augen verliert?
MIBLU: Diese Frage kann ich eindeutig mit Nein beantworten. Ich habe mein Ziel immer ganz klar vor Augen. Ich denke sehr gerne nach, habe aber auch gelernt, ganz konkret zu planen und zu organisieren. Das erfordert mein Beruf einfach. In der Musik ist das nicht anders; einzig, dass ich mir da die Zeit nehmen kann. Aber auch hier habe ich immer ein ganz klares Ziel. Ich arbeite auch sehr gerne auf etwas Konkretes hin. Für mich ist dieses Album ein Schritt hin zum nächsten Album. Ich arbeite immer weiter und denke immer nach vorne. Ob das dann ein wenig länger dauert, spielt keine Rolle.
Ich wollte mit der Frage mehr auf das Musikalische eingehen. Wann sagst du dir selbst, so und jetzt ist der Song fertig.
MIBLU: Das ist bei mir sehr stark eine Gefühlssache. Bei der ersten Nummer und auch bei „Demons“ wusste ich nach dem ersten Take, das ist es. Und auch wenn mir gesagt wurde, dass ich hier und dort noch etwas verbessern könnte, sagte ich nein. Für mich waren die Songs fertig. Und das ist auch ganz wichtig. Es gibt Tracks, die mir ganz stark das Gefühl geben, das sie gut sind, wie sie sind. Dieses Gefühl wollte ich transportieren. Es ist das Allerschönste, wenn jemand das versteht, mag und sich damit identifizieren kann. Ich habe mit der Zeit gelernt, für mich zu sagen, ja, das passt, es ist gut so.
Aber es ist auch klar, dass manche Tracks einfach länger liegen müssen, und ich mich eine Zeit lang etwas anderem widmen muss, um ihn so fertigzustellen, wie ich es mir vorstelle. Das kann schon auch ein paar Wochen dauern. So gesehen gibt es natürlich auch Songs, an denen ich länger arbeite.
Du bist Unternehmerin und führst ein Schmuckgeschäft und machst auch selber Schuck …
MIBLU: Ich bin Designerin. Ich mache selber keinen Schmuck und bin keine Goldschmiedin. Ich bin Kunsthändlerin spezialisiert auch Schmuck. Ich bin in einem Familienbetrieb aufgewachsen, der seit 40 Jahren besteht. Die Faszination für diesen Bereich wurde mir also schon in die Wiege gelegt. Ich arbeite intensiv im Diamantbereich und habe eigene Gold- und Silberschmiede, die alles für mich anfertigen. Zudem habe ich meine eigene Kollektion.
„Es bereitet mir Freude, Schönes zu erschaffen, mit Menschen zu arbeiten und ihnen ein gutes Gefühl zu geben.“
Du bist also ein Mensch, der schon ästhetisch denkt. Wie sehr fließt dieses Denken in deine Musik ein?
MIBLU: Ich finde, meine beiden Berufe sind einerseits sehr unterschiedlich, andererseits ergänzen sie sich auf eine wunderbare Art und Weise. Ich liebe das Schöne und bin ein äußerst ästhetischer Mensch. Es bereitet mir Freude, Schönes zu erschaffen, mit Menschen zu arbeiten und ihnen ein gutes Gefühl zu geben. Das mache ich sowohl in meinem Beruf, wenn ich für jemanden einen Ring entwerfe, als auch in der Musik mit meinen Songs. Die Ästhetik und mein Zugang zur Ästhetik sind sicherlich das, was alles vereint. Ich liebe es, Welten zu erschaffen und Menschen daran teilhaben zu lassen.
Wenn wir deine Welt aus der musikalischen Perspektive betrachten, worum geht es in deiner Musik. Welche sind die Themen, die du in deinen Songs behandelst?
MIBLU: Die Songs behandeln genauso persönliche Themen wie auch Beobachtungen und Erzählungen, die ich verarbeite. Es können verschiedene Dinge sein, die mich zu meinen Texten inspirieren. Der Song „Joseph“ zum Beispiel ist sehr persönlich und meinem verstorbenen Vater gewidmet. Sein Tod war ein Erlebnis, das ich bisher eigentlich noch nicht thematisiert hatte. Es war mir sehr wichtig, dies bei diesem Album zu tun. Der Tod gehört einfach zum Leben dazu, und deshalb passt dieses Thema für mich auch sehr gut zum Albumkonzept, das eben diesen Kreislauf des Lebens abbildet.
Vielen Dank für das Interview.
Michael Ternai
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