„Es ist sicher so, dass ich die Musik für mich selbst mache“ – ERNESTY INTERNATIONAL im mica-Interview

Mit „Whatever and Ever“ ist das fünfte Album von ERNESTY INTERNATIONAL erschienen. ERNST TIEFENTHALER, Gründer dieses Bandprojekts, erzählt in einem Interview mit Julia Philomena von kindlicher Sensibilität, der Distanz zum Leben und Philip Seymour Hoffman. 

Wie haben Sie die Musik für sich entdeckt?

Ernst Tiefenthaler: Mit 13, 14 habe ich intensiv und vor allem bewusst angefangen, Musik zu hören, bin auf Bruce Springsteen gestoßen, als gerade „Born in the USA“ herausgekommen ist. Mit 18 habe ich dann selbst zu musizieren angefangen, als ich gerade zur Stellung gehen musste. Ich bin nach Hause gekommen, habe meiner Mama gesagt, dass ich untauglich bin und sie meinte: „Oje, Katastrophe!“ Dann hat sie sich beruhigt und gefragt, ob ich nicht irgendwas anderes machen möchte. „Ja, Gitarre spielen vielleicht!“, habe ich gesagt. Wir haben uns ins Auto gesetzt und sind ins Musikgeschäft gefahren, haben eine Gitarre gekauft und zufällig auch ein Bob-Dylan-Songbuch, in dem die Griffe aufgezeichnet waren. Ich hätte sonst wahrscheinlich überhaupt nicht gewusst, was ich mit der Gitarre anfangen hätte sollen. Als relativ introvertierter, schüchterner Typ habe ich plötzlich sehr viel Aufmerksamkeit bekommen, wenn ich auf Schulwandertagen begonnen habe zu spielen, das war schön. Ich hab die Schule in Linz fertig gemacht, bin dann nach Wien gezogen und habe für einen Freund, der für die Aufnahmeprüfung der Filmakademie ein Video drehen musste, einen Song aufgenommen. Er hat’s dann auf die Akademie geschafft und wir haben eine Band gegründet. The Fields hieß die. Das war 1995, und wir hatten dann auch schon einige Konzerte.

Haben Sie die Nummern damals schon alle selbst geschrieben, oder – wie viele neue Bandformationen – mit einer Cover-Orgie begonnen?

Ernst Tiefenthaler: Nein, nein, wir haben alles selbst geschrieben, uns aber bald getrennt. Mit dem Liederschreiben habe ich aber nicht aufgehört und dann den Rudi Fischerlehner, den ich noch aus Linz kannte, in Wien getroffen. Er hat mich auf eine befreundete Band, die damals gerade in seinem Proberaum gespielt hat und keinen Sänger hatte, aufmerksam gemacht. Singen hat mich interessiert. Der erste Treffpunkt war, das weiß ich noch, vorm Sexshop in der Quellenstraße im 10. Bezirk. Dort war der Proberaum, in einem alten Fabrikgebäude. So bin ich dort hineingerutscht. Die Band hatte zwar nur einen Auftritt, aber viele Partys gab’s dort und es hat sich eine schöne Musikergemeinschaft entwickelt. Bel Etage und Hotel Prestige sind kurz darauf gegründet worden. Die Einzige, die von den damaligen Bandmitgliedern auch jetzt noch mit mir spielt, ist Eloui. Hotel Prestige habe ich damals unter anderem mit meinem Bruder gegründet, wir haben viele Konzerte gespielt und dann erstmals auch ein Album aufgenommen. Die Resonanz darauf war so gut, dass mein Wunsch, weiter Musik zu machen, auch alleine, sehr gewachsen ist. Ich hatte ohnehin auch schon alleine Lieder aufgenommen, einfach um die Songs nicht zu vergessen. Aus dem Drang heraus ist dann aber doch 2009, nach zweijähriger Arbeit, die erste Ernesty-International-Platte rausgekommen. Seitdem habe ich es geschafft, jährlich ein Album zu produzieren. Da bin ich flott und fleißig geworden, da hat mich die Euphorie sehr gepusht.

„Was die Themenauswahl meiner Songs betrifft, darüber kann ich eigentlich immer erst im Nachhinein spekulieren.“

Wenn Sie Bilanz ziehen: Haben sich Ihre Alben, Standpunkte und Thematiken im Laufe der Zeit durch den Erfolg und die breiter werdende Zuhörerschaft verändert? Oder widmen Sie Ihre Musik nach wie vor in erster Linie Ihnen selbst?

Ernst Tiefenthaler: Es ist sicher so, dass ich die Musik für mich selbst mache. Ich spüre mich da selbst gut, das ist meine Selbstbehauptung. Beim kreativen Arbeiten kann ich den wichtigen Themen näherkommen. Aber natürlich ist es schön, wenn sich das dann jemand gerne anhört, wenn es Leute gibt, die damit irgendwas anfangen können. Platten zu produzieren kostet doch Geld, und wenn sich die Alben gut verkaufen und ich davon leben kann und wieder was Neues aufnehmen kann, ist das nicht schlecht. Außerdem stehe ich schon gerne auf der Bühne. Auf der emotionalen Ebene kann ich das sehr genießen. Und wenn ein schönes Konzert zustande kommt, ich mich wohlfühle und relaxt vorm Publikum stehe, dann bin ich so lebendig wie sonst nie.

Was die Themenauswahl meiner Songs betrifft, darüber kann ich eigentlich immer erst im Nachhinein spekulieren. Während des Schreibens denke ich überhaupt nicht darüber nach, über ein Konzept, einen Anhaltspunkt. Das passiert alles sehr zufällig und ungewollt. Und das ist gut! Gewollt ist immer schlecht und ich könnte das wahrscheinlich auch gar nicht. Wortfetzen und Substanz sind meistens schon in meinem Kopf, bevor ich zu schreiben beginne, die fliegen mir zu. Ich muss dann nur zu ihnen hinuntertauchen, die Fetzen nach oben bringen. Veränderungen gibt es bei meinen Themen wahrscheinlich kaum. Das kann man sicher kritisieren, dass es wenig Entwicklung gibt. Aber ich hab da so meine paar Zutaten und die funktionieren für mich.

Ist es wichtig für Sie, in einem Fluss zu schreiben, das Album kontinuierlich fertigzustellen? Und was hält Ernesty vom Studio?

Ernst Tiefenthaler: Im Laufe der Ernesty-Zeit hat sich das sehr verändert. Manchmal hatte ich schon alle Songs, es ging nur um die Frage, wie ich sie aufnehmen sollte. Manchmal umgekehrt: Die Musik war da, der Text nicht. Mittlerweile ist es vor einem neuen Album wichtig für mich, dass ich mich zurückziehen kann, musizieren und nebenbei schreiben kann. Ich nehme meistes bei meiner Familie auf, bei Freundinnen und Freunden. Letztens zum Beispiel in Nussdorf am Attersee in einem Haus von einem Bekannten. Einmal war ich schon im Studio. Die vierte Platte ist in der Schottenfeldgasse beim Chris Janker entstanden. Und das merkt man wahrscheinlich auch, weil das soundtechnisch schon anders klingt als zu Hause. Zu Hause geht halt weniger Energie drauf, ich fühl mich wohler, auch wenn der Sound nicht immer optimal ist.

„Mittlerweile interessiere ich mich schon für zeitgenössische Musik.“

Auf Ihrem neuen Album „Whatever and Ever“ gibt es eine siebenminütige Nummer mit langem Intro: „Nine Decades of the Deepest Loneliness“. Eine Hommage an Ihre Helden der 1960er-Jahre?

Ernst Tiefenthaler: Die lange Nummer ist eine Reise. Den Gitarren-Loop hatte ich schon davor, der hat sich als der schrägste Rhythmus überhaupt herausgestellt. Dann hab ich den Anspruch gehabt, dass die anderen Instrumente diesen schrägen Rhythmus weiterführen. Da bin ich sicher an meine Grenzen gestoßen. Und die Helden der 60er und 70er werden mich bestimmt immer beeinflussen, ja. Mit denen habe ich mich als Teenager wirklich weggebeamt. Und mit „wegbeamen“ meine ich „träumen“. Ich habe versucht, mich wegzuträumen. Aber das war natürlich eine sehr einsame Angelegenheit, ich brauchte das damals auch. Mittlerweile interessiere ich mich schon für zeitgenössische Musik, nehme gerne Teil am aktuellen Musikgeschehen. Da hat mir Radiohead sehr geholfen, zwar nicht mit „Creep“, aber mit dem darauffolgenden Album „The Bands“. Die Platte hat mich emotional sehr gepackt und in meine Zeit zurückgeführt.

„Das Thema der Distanz, das sich wie ein roter Faden durch meine Alben zieht, ist schon sehr wichtig für mich.“

Wollten Sie auf Ihrer neuen Platte auch diesmal wieder die großen Gefühle thematisieren?

Ernst Tiefenthaler: Ja, wahrscheinlich schon. Aber – auch wenn wirklich nie eine Absicht hinter irgendeiner Nummer stand – ist in „Whatever and Ever“ vielleicht tatsächlich noch mehr Botschaft inkludiert als in früheren Alben. „Whatever and Ever“ spielt ja auf „forever and ever“ an. Das ist eigentlich ein ziemlich trauriger Titel, aber er hat mir doch gefallen. Auch wenn ich die Songs nicht angeglichen habe an den Titel, habe ich mir diese ironische Distanz „Es ist eh alles egal, für immer“ zum Leitmotiv genommen. Diese Distanz zum Leben. Als Kind ist man emotional so involviert in alles, wird umschlungen. Ein Kind ist verletzlich und kann nicht abwiegen, was mehr und was weniger Bedeutung hat. Aber als Erwachsener hat man an Distanz gewonnen, nicht absichtlich, aber man versucht, nicht mehr so verletzlich zu sein. Und vielleicht ging es mir genau darum, die verlorene Sensibilität, die ja eigentlich gar nicht so schlecht ist, zu verarbeiten. Und das Thema „Distanz“, das sich wie ein roter Faden durch meine Alben zieht, ist schon sehr wichtig für mich, das hat mir immer gefallen. Wie schaffe ich es, wirklich auf der Erde zu sein, dass mir Sachen wirklich wichtig sind und ich emotional nicht abstumpfe.

Die Sprache Ihrer Musik ist Englisch. Warum? Weil sich hier die Helden der Vergangenheit zurückmelden?
Ernst Tiefenthaler: Genau, da kommen wir wieder zu meinen Helden der Vergangenheit zurück. Ich habe einfach immer englische Musik gehört und dann selbst am liebsten auf Englisch gesungen. Ich merke, dass ich mich sehr wohl in der Sprache fühle. Auch wenn es nicht meine Muttersprache ist, ist es sicher die Sprache meiner Musik. Durch Element of Crime habe ich gemerkt, dass Musik auf Deutsch auch gut sein kann. Ich habe unlängst selbst drei Nummern auf Deutsch aufgenommen. Das nächste Album wird wahrscheinlich nur deutsche Nummern beinhalten. Als Gag habe ich mir überlegt, „Ernesty Interregional“ draufzuschreiben. Wir werden sehen, ist vielleicht nur ein blöder Schmäh. Aber Ernesty International ist eh auch schon ein blöder Schmäh, den ich mir mit zwölf ausgedacht und an Amnesty International angelehnt habe. Den Namen habe ich dann auch ein paar Mal als DJ verwendet und ihn einfach nie mehr verworfen.

Einer der Cuts ist mit „Philip Seymour Hoffman“ betitelt. War er auch ein Held für Sie?

Ernst Tiefenthaler: Ja, absolut, ich bin immer schon ein großer Fan gewesen. Die Filme von Paul Thomas Anderson wie „Magnolia“ und „The Master“ waren überhaupt sehr wichtig für mich. Ich dachte mir damals: „Hoffman ist verheiratet, hat zwei Kinder, wow, dem geht’s so gut.“ Ich hab den Song vor seinem Tod geschrieben und war mir nicht sicher, ob das nicht verwerflich ist, wenn ich von der in meinem Song so positiv konnotierten Person singe, nachdem ich von seinem tragischen Tod erfahren habe. Es ist also keine Hommage im klassischen Sinne, weil man sich nach seinem Tod sicher ganz anders damit auseinandergesetzt hätte. Aber für mich war er nach wie vor ein so guter, positiver Mensch, dass ich die Nummer so lassen wollte. Außerdem verkörpert Hoffman für mich eben genau diese Verletzlichkeit, die sich thematisch durchs gesamte Album zieht. Somit hat die Nummer für mich am Ende sehr gut mit den anderen harmoniert.

Vielen Dank für das Interview!

Julia Philomena

http://www.ernestyinternational.org/
https://www.facebook.com/Ernesty-International-121426367867608/timeline/?ref=sgm