„ES IST MEINE FANTASIE ALS EIN R’N’B ARTIST, DASS LEUTE ZU MEINER MUSIK SEX HABEN!” – AZE IM MICA-INTERVIEW

Aze-the-band-the-duo wirkt wie ein Zungenbrecher. Wenn EZGI ATAS und BEYZA DEMIRKALP es aussprechen, klingt es allerdings eher wie Fast-Rap. Die beiden Musikerinnen aus Oberösterreich wollen mit AZE Universen erschaffen und für radikale Dummheit eintreten. Mit ihrer neuen EP „Aze the Band the Duo – the EP” wollen die Künstlerinnen dabei mehrere Vibes einfangen und eher ein Feuerwerk als einen Wasserfall an Gefühlen auslösen. Dass dabei unter anderem eine 2000s-R’n’B-Hommage entsteht, stört die beiden Artists ganz und gar nicht. Warum sie dafür die sad-and-sexy Attitüde nicht gänzlich abgelegen wollen und was Ezgis Arthritis mit ihrem feministischen Background zu tun hat, erzählt AZE im Interview mit Ania Gleich. 

Was waren die besten und schlimmsten Insights, die ihr in den letzten zwei Jahren gewonnen habt?

Ezgi Atas: Ein Album herauszubringen war mal eine krasse Erfahrung. Das ist überwältigend. Vor allem, wenn man viel Herzblut hineinsteckt. Wir denken auch ein bisschen klassischer, als es die digitale Zeit von einem Otto-Normal-Künstler verlangt. Es ist schon arg, womit man umgehen muss, wenn man so eine Platte veröffentlicht. Früher haben die Leute halt eine CD herausgebracht und niemand wusste, wie oft jeder Song gehört wird. Jetzt hast du Spotify und siehst sofort schwarz-auf-weiß, welche Songs wie ranken..

Beyza Demirkalp: Das hat uns unsere Romanze von dem Album ein bisschen zerstört.

Ezgi Atas: Also persönlich zumindest.

Bild Beyza Demirkalp
Beyza Demirkalp (c) Moritz Kolmbauer

Ein Reality-Crash?

Ezgi Atas: Ein bisserl. Für uns war es ein Aha-Moment zu merken: Oh, ihr meint es wirklich ernst, wenn ihr sagt, dass nur die gepitchten Singles „aufsteigen“. Wir waren nämlich davor so naiv, unsere Lieblingssongs nicht zu pitchen. Dadurch sind unsere Favoriten schon komplett unter dem Radar durchgegangen, weil es zunächst keine Sau interessiert hat.

Was war euer Lieblingssong?

Ezgi Atas: „Sad Sensation“!

Beyza Demirkalp: Same.

Ezgi Atas: Und der ist im Ranking ein Fuzzi, im Vergleich zu den anderen Tracks. So lernt man – und damit komme ich zur positivsten Erkenntnis –, wie wichtig das Live-Spielen ist und wieviel Spaß es macht, auf Tour zu sein. Das ist einfach saugeil! 

Das baut auch eine Brücke zwischen digitaler und realer Welt, oder?

Ezgi Atas: Genau! Denn man lernt, dass man davon ausgehen muss, dass jede:r jederzeit in unsere Diskografie einsteigen kann. Das heißt, die Dinger müssen alle gut sein und für sich selbst stehen können. Das ist unser Anspruch – Man muss sein Bestes geben! Ob es bei den Leuten dann so ankommt, oder ob „die“ Single, für dich dann wirklich „die“ Single wird, kann ich nicht entscheiden. Das ist aber auch das Schöne an Musik: Jeder kann seine eigene Geschichte zu dem Song bauen, sobald du ihn raus in die Welt setzt. Ab dem Punkt, an dem du ihn released, ist die Kontrolle nicht mehr bei dir.

„ICH FINDE NEIN-SAGEN IST DAS ANSTRENGENDSTE, ABER PRODUKTIVSTE DING, DASS DU IN DEINEM LEBEN LERNEN KANNST.” 

Ich glaube, das ist der schwierigste Teil der künstlerischen Arbeit: Hinter seinem künstlerischen Statement zu stehen, bis du es released hast.

Ezgi Atas: Ich habe das auch oft gesagt: Ein Album oder generell Kunst zu machen – egal in welcher gestalterischen Form – ist wie ein Kind zu kriegen, das mit achtzehn auszieht! In unserem Fall: Wir sind in Oberösterreich aufgewachsen und sind mit achtzehn nach Wien. Seit ich hier bin, weiß meine Mama nicht mehr, was ich tue, mit wem ich befreundet bin, womit ich meine Zeit oder mein Geld verbringe. Meine Mutter muss ur das Vertrauen haben, und zwar vor allem in sich, dass sie dieses Kind achtzehn Jahre lang gut genährt und erzogen hat, damit sie es dann in die Freiheit entlassen konnte. So ist es auch mit der Kunst: Man muss ein bisschen Vertrauen haben, dass man genug hineingesteckt hat, um – selbst wenn ein Album mal nicht so erfolgreich ist – sagen zu können: Selbst wenn es jetzt keiner hört, vielleicht kommt in zwei Jahren jemand neues zu Aze-the-Band-the-Duo und checkt dann erst, dass das erste Album auch gut ist. Wie geil ist das? Das kennt doch jede:r: Wenn man einen Artist findet, der schon seit fünf Alben existiert und man selbst erst bei Album fünf einsteigt, ist es doch immer geil zu wissen: Es gibt noch vier ganze andere Alben, die ich mir anhören kann! Das fühlt sich an, als hätte man eine Goldtruhe aufgemacht. Lieber so, als wenn man sich sofort komplett verausgabt und versucht, TikTok-Star da, Influencer dort zu sein. Stay grounded!

Ihr seht euch also nicht als Influencer?

Ezgi Atas: Nein, wir sind einfach nicht so gut im Instagram-Game. Ich finde es so abstrakt, sich selbst als Brand zu sehen und zu vermarkten. Like: How? Ich will jetzt auch nicht zu viel darüber haten, denn es gehört ja dazu …

Ja, aber muss es das, wirklich?

Ezgi Atas: Wir sind beide opinionated girls: Entweder wir mögen etwas, oder wir mögen es nicht. Ich finde es nicht wirklich authentisch, wenn man Social Media als Künstler:in etwa an jemand externen auslagert. Immerhin ist es meine Unterschrift.

Aber ist es das wirklich? Immerhin zwängt einen Instagram ja auch in ein Korsett, das man nicht wirklich selbst bestimmt.

Ezgi Atas: Ja, das stimmt – aber ich würde in unserem Fall niemals jemand anderem dieses Gewicht umhängen wollen.

Beyza Demirkalp: Ich meine, es ist online und bleibt dann für immer dort – du kannst nichts davon wirklich rückgängig machen. Das ist ja auch ein enormer Stress.

Ezgi Atas: Lieber setz’ ich mich jede Woche ein paar Stunden mit Beyza hin und wir zerpflücken unser Gehirn, damit wir dann wirklich das posten, was uns auch Spaß macht, anstatt, dass wir es irgendjemandem anderen umhängen, und der:die uns dann erst recht falsch repräsentiert, für genau denselben Stress! Irgendwo ist man dann doch auch eine pingelige Künstlerin! Beyza und ich kennen uns ja auch schon seit über fünfundzwanzig Jahren. Wir müssen uns nur anschauen und wissen: so nicht! Das Leben besteht aus vielen „so schon“ und „so nicht“ und jedes Mal, wenn man ein „so nicht“ erlebt, lernt man dazu, was man eigentlich will. Ich finde, Nein-Sagen ist das anstrengendste, aber das produktivste Ding, das du in deinem Leben lernen kannst.

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Wie schafft ihr es, in eurer Kunst “opinionated girls” zu bleiben?

Ezgi Atas: Ich glaube, das liegt an unserer Freundschaft. Jetzt, wo wir sechsundzwanzig sind, kommen wir immer mehr darauf, wie viel es wert ist, eine Freundin zu haben, die so eine Baseline in deinem Leben ist, wie wir füreinander. Beyza ist für mich ein platonische Seelenverwandte. Ich kann mich gar nicht zu sehr im Strudel verlieren. Wir haben uns ur oft die Frage gestellt, wie es wäre, wenn wir Solokünstlerinnen wären: Da steigerst du dich sicher schnell mal in irgendwas hinein. Ich habe einfach eine beste Freundin, die mir sofort Feedback gibt. Ich schreibe einen Text, schicke ihn Beyza und sie sagt mir: „Nicht so, mach einen besseren!” Genau das gleiche, wenn sie drei Akkorde spielt, die sie immer spielt. Dann sage ich auch: Ich kenne diesen Song, mach einen neuen!” Aber wir nehmen uns das nicht übel. Nur so kann man gemeinsam in eine Richtung wachsen. Sie will ja nur das Beste für mich und umgekehrt. Keiner würde irgendwem was raten, das nicht der Person entspricht. Ich weiß, dass es außerhalb einer Band schwierig ist, seine ehrliche Meinung gegenüber Kunst zu äußern. Das ist so, wie einer Mutter zu sagen: Dein Kind ist hässlich. Das kannst du nicht machen! 

Beyza Demirkalp: Aber unter uns geht das schon. Da kann ich sagen: Nicht dein ganzes Kind ist hässlich, aber die Frisur passt noch nicht oder es braucht ein anderes Outfit. Die Nuance stimmt eben noch nicht ganz. 

Ezgi Atas: Man lernt, was einem entspricht und was nicht. Deswegen ist es so angenehm, jemanden neben sich zu haben, der einen Fact-checken kann, ohne dass man beleidigt ist. Ich will von meinem Partner auch nicht hören, ob meine Musik cool ist oder nicht. Wer denkst du, wer du bist?

„ICH GLAUB’, FAMILIE KOMMT DURCH SCHICKSAL (…) WENN MAN SCHLÜSSELMOMENTE MITEINANDER TEILT, DANN WIRD MAN MEHR ZU EINER FAMILIE, ALS DASS MAN FREUNDE BLEIBT.” 

Ich habe eine Freundin, die ihren Freund aus Prinzip nicht zu ihren Konzerten einlädt.

Ezgi Atas: Und ich versteh’s! Ur peinlich! In Wien spielen ist immer ganz schlimm. Wenn da Freund:innen sind, sehen die eine Facette von mir, die sie nicht kennen. Weil was hat das mit mir im echten Leben zu tun? Es ist eine abstrahierte, aufbereitete Version von mir. Was auch cool ist, denn so kannst du zu dem Projekt auch eine Distanz haben. Ich finde es gut, dass Aze einfach Aze ist. Wir nennen es manchmal auch Mamma Aze! Es ist für uns dann wie eine dritte Person, die im Raum ist.

Ihr benutzt viele Familien-Metaphern. Was geht für euch zuerst: Ausgesuchte Familie oder biologische Familie?

Beyza Demirkalp: Bei mir gibt es nur eine Familie, denn meine ausgesuchte Familie ist auch Teil der biologischen Familie.

Ezgi Atas: Ja, unsere Mamas sind ja auch schon beste Freundinnen. Ich glaub’, Familie kommt durch Schicksal. Wenn man Schlüsselmomente miteinander teilt, dann wird man mehr zu einer Familie, als dass man Freunde bleibt. Du suchst dir aber auch nicht aus, wenn du noch kennenlernen wirst! 

Was ist der erste Song, an den ihr euch erinnern könnt, der bei euch on repeat gelaufen ist?

Beyza Demirkalp: „Down to Earth” von Justin Bieber!

Ezgi Atas: Jep, das war unser on-the-floor-crying-omg-so-deep-track! Wir wussten damals nicht mal, worum es geht. Ich glaube, dass Beyza und ich auch so verbunden zueinander sind, weil wir Fanbases miteinander geteilt haben. Wir waren Beliebers! 2009: Das war unser Jahr!

Beyza Demirkalp: Wir haben überhaupt alle unsere wichtigen Inspirationen geshared: Da gab’s etwa Mama Lana Del Rey, Justin Bieber

Ezgi Atas: Dann bin ich aber auch kurz abgedriftet in so Emo-Rock! Beyza ist dagegen direkt zum R’n’B umgestiegen und ich war so: Viel Spaß mit Eminem und Frank Ocean, während ich ein Bring Me The Horizon, Pierce The Veil Fan war. Aber irgendwann hat mich Beyza überzeugt, dass R’n’B einfach tiefer geht. 

Bild Ezgi Atas
Ezgi Atas (c) Moritz Kolmbauer

„Mama, did I make you proud?“ hat mir exakt diese 2000s-Vibes gegeben.

Ezgi Atas: Wir sind auch Kinder dieser Generation Pop. Ich meine, wir sind mit Rihanna aufgewachsen! 

2000s-kids for the win!

Ezgi Atas: Die drei Jahre, die ich in den 90ern gelebt habe, machen mich ja noch nicht zu einem 90er-Kind. Wir waren ja nicht dabei, wie dieser große Blur-oder-Oasis-Streit war. Ich mein jetzt sage ich natürlich: Blur. Aber diese Meinung habe ich erst später im Leben eingeholt. Ich war nicht aktiv dabei! Ich bin mit Rihanna, Beyonce, Überresten von Destiny’s Child und Lady Gaga aufgewachsen. Bei „Mama did I make you proud“ war die Hauptinspiration auch Lady Gaga und Marina and the Diamonds mit „Electro Heart“. Einfach Frauen, die sich so absichtlich dumm stellen! Das liebe ich! Von wegen: „I’m just a woman, sorry, I got nothing in my mind.“

Und damit genau ironisch sein?

Ezgi Atas: Genau. Ich bin ur politisch aufgewachsen und Erzfeministin. Also: Versteh mich nicht falsch! Aber irgendwann wirst du dann so alt und müde vom dich-die-ganze-Zeit-gegen-eine-andere-Meinung-stellen. Genau die, die man überzeugen will, leben dann eh genauso ihr Leben weiter wie vorher! Was hast du daraus, außer, dass deine Nerven am Boden sind? Deswegen habe ich im letzten Jahr auf radikale Dummheit als Feminist-Tool gebaut. Ich bin dann so: „Oh, Mr. Soundtechniker, ich weiß leider nicht, wie man die Box aufstellt! Magst du das für mich tun, ich bin ja nur eine dumme Frau – Was kann ich dagegen tun?“ So bin ich am Ende des Tages weniger gereizt und mein Gegenüber auch.

„DER ERSTE MANN, DER AUFGESTANDEN IST, UM SESSEL ZU SCHLEPPEN UND DAMIT ZU ZEIGEN, DASS FRAUE AUCH SESSEL SCHLEPPEN KÖNNEN, WAR ICH! UND WAS HAT ES MIR GEBRACHT? ARTHRITIS!”  

Witzigerweise kommt der feministische Reflexionsmoment bei den richtigen Leuten dann ganz von alleine.

Ezgi Atas: Ja genau, weil dann denken sie: Oh Moment, du redest so nicht mit deiner Band, warum redest du mit mir so? Woraufhin ich erwidern kann: „Weil du es so wolltest! Wer bin ich, dass ich dir jetzt beibringe, wie man mit Frauen redet, Thomas? Lerne das doch von deiner Mutter oder von deiner Frau, I don’t give a fuck. Mach einfach, dass die Bühne für mich funktioniert. Ich werde nur meinen Song singen und dann verschwinden! Wenn es dir so viel Spaß macht, mich als dumm zu profilieren, dann nehme ich das, denn es kostet mich weniger Energie.” Ich habe meine ganze Kindheit damit verbracht, irgendwelchen oberösterreichischen Lehrerinnen entgegenzuwirken, die immer meinten: „Wo sind denn meine starken Männer, die kurz zehn Sesseln irgendwohin tragen?“. Denn der erste starke Mann, der aufgestanden ist, um Sessel zu schleppen und damit zu zeigen, dass Frauen auch Sessel schleppen können, war ich! Und was hat mir das gebracht? Arthritis!

Beyza Demirkalp: Und zehn Jahre später fragen diese Lehrerinnen vermutlich immer noch dasselbe.

Ezgi Atas: Genau – Ich werde sie nicht verändern. Ich kann nur meine eigene Realität verändern. Und wenn es dir leichter geht, mit mir umzugehen, wenn ich dumm bin, dann gönn dir! Alle, die mich kennen, wissen eh, dass ich nicht so dumm bin, wie du glaubst.

Kam das ganze sad-and-sexy-Ding auch daher?

Ezgi Atas: Das ist sehr starkt durch „Hotline Aze“ entstanden.

Beyza Demirkalp: Wir haben das in irgendeinem Interview mal gesagt und das wurde dann weitergesponnen.

Und wollt ihr diese Attribution überhaupt noch?

Ezgi Atas: Ich finde es immer noch cool, denn beides sind gute Coping-Mechanismen gegenüber dem Leben. Wir sind sehr kritisch zu uns selbst und da kommt man auch in Gefahr, dass man traurig wird. Je näher man in etwas rein zoomt, desto mehr ist es wahrscheinlich, dass das ganze Konstrukt auseinanderfällt. Und dann spürst du es in deinen Knochen so sehr, dass es dich lähmt. Als Frau lernt man als Coping-Strategie irgendwann auch, sexy zu sein. Weil das auch das ist, was die Leute von einem erwarten. Das heißt, man kann seine traurigen Botschaften in eine sexy Verpackung geben und auf einmal nehmen es die Leute an. Wenn es nur traurig ist, ist die Welt so: Schon wieder Frauen, die rumheulen – weißt du? Aber wenn du deinen traurigen Inhalt so verpackst wie wir, dann applaudieren dir die Leute und sagen „Jetzt bin ich horne – Danke!“ Und ehrlich gesagt: Es ist meine Fantasie als ein R’n’B Artist, dass Leute zu meiner Musik Sex haben! Mit dieser EP sind wir schon auch ein bisschen in einer neuen Ära, aber sad und sexy werden wir trotzdem immer ein bisschen bleiben. Es beleidigt mich überhaupt nicht. Besser sad and sexy als geschmacklos.

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Also hinter der Line „Sadly I’m just made to love“ steht ihr voll und ganz?

Ezgi Atas: Das ist der ironischste Song, den ich je in meinem Leben geschrieben habe. Es ist auch voll die Hommage an Lana Del Rey! Ich denke mir wieder: Wenn du findest, dass ich als Frau nur dafür da bin, dir Herzen zu schicken: Gönn dir, Alter! Dich zu lieben, ist gratis. 

Liebe ist aber auch komplex und wir kriegen als Frauen die Sprache dazu in die Wiege gelegt – das ist ja auch eine Aufgabe und Fähigkeit!

Ezgi Atas: Ja, fix! Ich sag’, wie es ist: Ich liebe es zu lieben, aber ich liebe es auch zu hassen! Dementsprechend hasse ich es auch, lieben zu müssen! Aber ich bin ur kein Streitmensch! Ich habe nur Meinungen.

Beyza Demirkalp: Wir streiten wirklich nie!

Ezgi Atas: Wir haben in unserem Leben zwei Diskussionen gehabt. Aber Aze-The-Band beim Streiten ist ziemlich lustig – das muss man einmal gesehen haben! Eigentlich ist es nur ein einziges beieinander Entschuldigen und sich-selbst-rechtfertigen! Dabei heul’ ich extrem viel herum. Ich kann kein ernst gemeintes Wort sagen, ohne dass ich heule. Ich bin ein crybaby. Ich kann es gar nicht anders. Ich würde manchmal gern nicht heulen, aber ich muss einfach!

Beyza Demirkalp: Dabei ist streiten auch ein sehr negativ besetztes Wort! Es ist ja gut, seine Probleme zu diskutieren! Man muss das Problem ja dann nicht gleich lösen. Wenn ich streiten höre, denke ich an Fäuste, die herumfuchteln! Deswegen sieht man es so negativ, aber es kann auch wahnsinnig positiv sein. 

Ezgi Atas: Nicht-streiten ist ja auch ein Zeichen dafür, dass man rechtzeitig alle Probleme anspricht und sie sich gar nicht erst anstauen! Beyza hat da ein Wortpaar für sich geconed, dass ich sehr gut finde und selbst viel verwende: swallow respectfully. Also das passiert, wenn jemand dir etwas sagt, du in dem Moment gern kontern würdest, aber es respektvoll schluckst, zum Wohle der Gesamtsituation. Das darf man nicht zu oft im Leben machen! Es gibt bestimmte Personen, wie Mama, Papa, Oma, Opa, Onkel … Leute, wo man weiß: Die wird man aus seiner Position heraus nicht verändern. Da muss man abwägen, wo und wann man da respectful swallowed und wo man etwas sagt. Aber bei jemandem ausgesuchten wie deinem Partner, darf man nicht zu viel schlucken, sonst wird es ein Kloß in deinem Hals. Dann kannst du nicht mehr essen und schlafen, bist nur noch angespannt und es ist alles einfach unangenehm.

„DU BIST RESPEKTLOS GEGENÜBER MEINEN GRENZEN, IN DEM DU FÜR JEDEN SCHEIß EINE GRENZE HINSETZT!” 

Ich glaube, in so etwas wie einer Therapie lernt man, diese Dinge abzuwägen.

Ezgi Atas: Ja klar! Wenn ich Angst habe und ich sie in die Beziehung trage, dann wird aus meinem Problem plötzlich unser Problem, auch wenn kein Problem da gewesen ist! Man muss differenzieren: Was ist ein reales Problem und was ist meine Projektion, von dem, wie ich gelernt habe, wie Leute mit mir umgehen?

Mir geht es auch auf die Nerven, wenn Leute dann Höflichkeit als fehlende Selbstliebe interpretieren und plötzlich alles nur mehr „toxic“ nennen.

Ezgi Atas: Ja, geh bitte! Geh weg mit deinen Grenzen – Du hast zu viele! Du bist respektlos gegenüber meinen Grenzen, in dem du für jeden Scheiß eine Grenze hinsetzt. Hör mir auf damit! Sorry, aber so kriegen wir nur noch mehr Probleme!

Ja, es gibt ja auch die gesunde Art von „swallow respectfully“.

Ezgi Atas: Genau! Man muss ein bisserl abschätzen, was es wert ist, anzusprechen und was nicht. Dementsprechend auch bei den Songs: Das sind Sachen drinnen, die ich manchmal gern sagen würde, aber in einer Weise überspitzt, dass es auch gehört wird.

Bild Aze
Aze (c) Moritz Kolmbauer

Eine Frage zu „Sneaky Link“ – ich musste das googlen! Warum habt ihr dem Thema einen Song gewidmet?

Ezgi Atas: Der Song hat ewig „Fuzzy“ geheißen und ich habe den Namen dann eher gewählt, weil ich den „Sneaky Link“ aus der dritten Person miterleben durfte. Da geht es gar nicht direkt um mein Leben. Ich habe einfach ein paar Freund:innen zuschauen dürfen und Realitäten mitbekommen. Da gab es Situationen, in denen ich das Gefühl hatte, dass die Person lügen muss, um seine:ihre Realität weiterführen zu können. Ohne dass ich jeden in meinem Leben psychologisch auseinandernehmen will, aber es passiert einfach automatisch. Und manchmal denkst du dir auch bei Freund:innen: Wenn du mich jetzt anlügen musst, damit es dir besser geht mit deiner Realität, dann sehe ich, dass das nicht echt ist, was du mir da spiegelst. Aber ich schlucke respectfully deinetwegen. Denn: Du willst das ganze Bild anscheinend gerade nicht sehen, also wer bin ich, dich dazu zu zwingen? Deswegen ist es ein bisschen ein „Sneaky Link“ im Sinne von: Ich lasse dich ein sneaky boy sein, aber sei dir bewusst, dass ich es weiß! Wir zwei sind ja auch Verfechterinnen der Monogamie und ich damit keine Sneaky-Link-Promoterin.

Das hört man selten heutzutage.

Ezgi Atas: Ja, anscheinend. Ich denke mir immer: Ich habe viel zu viel Spaß als Single. Wozu dann eine Beziehung haben, wenn dann erst recht wieder alles komplett offen ist? Dann mache ich das lieber als Single-Person. Jedem das Seine, aber ich kann das nicht. Ich bin da viel zu Türkisch erzogen worden, dass sich das für mich ausgeht: Wenn du meine Person sein willst, dann sei meine Person. Wenn du meine Person nicht mehr sein willst: Du schuldest mir nichts, ich schulde dir nichts – Mach was du willst. Aber lass uns unser Geschäft beenden, bevor du ein neues beginnst! Das ist mein Zugang. Bei Freund:innen ist das dann wieder was anderes. Da schaust du ein bisserl mehr zu, auch wenn sie Partner:innen haben, die ihnen vielleicht nicht ganz guttun. Aber wer wäre ich zu sagen, dass dein Boyfriend, Girlfriend ein bisserl deppert ist? Dann kommt die Freundin halt immer wieder zu dir und besteht darauf, wie schön ihr Leben gerade ist, während ich mir nur denke: ja, ich weiß ja nicht. In solchen Momenten schlucke ich respektvoll und denke mir: Komm vorbei, wenn es vorbei ist und wir trinken einen Kaffee, dann können wir wirklich einmal Tacheles reden, aber bis dahin: Mach was du willst, und ich mach, was ich will. 

Also in „Sneaky Link“ geht es eher darum, solche Dinge lächelnd vorbeiziehen zu sehen?

Ezgi Atas: Ja, manchmal ist man ja selbst auch in seinem Scheiß so tief drinnen, dass man die eigenen blinden Flecken auch nicht sieht. Das ist einfach so! Meine Freund:innen sind ja auch respektvoll genug, dass sie mich nicht bei jedem Mikrofehler versuchen, wach zu rütteln. Denn nur so kann mein Leben auch Spaß machen – Danke!

Beyza Demirkalp: Manchmal bringt das Wachrütteln von Freund:innen auch nichts, außer dass man sich von ihnen entfernt. Meistens müssen die Freund:innen eh selber draufkommen.

Ezgi Atas: Jede:r lernt seine:ihre Lektion in ihrer:seiner eigenen Geschwindigkeit!

Was bedeutet „Jett Matt Set North“?

Ezgi Atas: Wir erschaffen gern Welten mit unserer Musik. Und nach dem Album haben wir das Cover von Roxy Music gemacht. Da haben wir versucht, einen Song, der existiert, so weit zu entfremden, dass er unser eigener wird – also ein authentisches Cover zu machen. Und dann haben wir danach eine Phase gehabt, wo wir versucht haben, so gut es geht, jemanden zu kopieren, ohne dass wir covern. Also genau den umgekehrten Weg.

Beyza Demirkalp: Da ging es uns eher um die Anerkennung für unsere großen Held:innen.

Ezgi Atas: Und so haben wir angefangen mit dieser Idee zu arbeiten. Beyza und ich waren voll überzeugt, dass der Song als „Imitation Is the Biggest Form of Flattering“ herauskommen sollte, um damit unseren Lieblingskünstler:innen einen Song zu widmen. Dann war unser Produzent aber so: „Das sind eure Songs, das sind eure Ideen, hört auf, euch so klein zu sehen. Traut euch doch, dass jede:r Künstler:in das so macht. Ihr, als Frauen, braucht das Thema nicht zu eröffnen. Man braucht euch nicht noch mehr verletzlich zu machen, als es eh schon gemacht wird.“ Und so haben wir versucht, so gut es geht, unsere Idee umzusetzen, ohne uns klein zu machen. Einer meiner Lieblingskünstler ist ja JMSN, und unser Song ist sehr inspiriert von seinem Song „Slide“. Deswegen waren wir so: Was ist JMSN auseinanderdividiert? Jet Matt Set North. Und Beyza war gleich so: Ich liebe das!

Also braucht man das nicht auf seinen Sinn zu googeln.

Ezgi Atas: Nein, aber wenn man nur die Anfangsbuchstaben schreibt, kommt ein richtig guter Artist raus!

„EINE EP IST MEHR WIE EIN FEUERWERK UND WENIGER WIE EIN WASSERFALL!”

Ihr habt ja grundsätzlich sicher eine Menge Material: Wie wählt ihr aus, was in die engere Auswahl für eine EP kommt, oder arbeitet ihr ganz konkret und spezifisch?

Beyza Demirkalp: Meistens haben wir immer schon ein paar Demos, die irgendwo in einem Ordner herumschwirren. Manchmal gibt es aber auch Dinge, die im Studio im Prozess entstehen – Einige Songs fühlen sich einfach gleich richtig an. Aber bei den meisten Tracks steht die Musik immer vor dem Text. Ich gebe das dann an Ezgi und sie schaut halt, wo sie den vibe spürt und was sie dazu schreiben will.

Ezgi Atas: Meist sind das nur so eineinhalb Stunden am Tag, wo so meine kreativen Säfte fließen. Ich bin keine Tagebuchschreiberin, ich schreibe einfach Songs. Und dann suche ich mir aus diesen ewigen Ordnern von Demos etwas aus, das zu dem passt, was ich gerade erlebt habe. Ich bin die Person, die dem ganzen eine Stimme gibt. Wenn ich nicht darauf eingehen würde, was Beyza in der Musik gibt, dann ist sie ungesehen. Und das finde ich super unfair, weil es unser gemeinsames Projekt ist.

Bild Aze
Aze (c) Luca Celine Müller

Improvisiert ihr da viel?

Beyza Demirkalp: Ich schon im Studio. Ezgi ist eher die Allein-Schreiberin.

Ezgi Atas: Ich höre eine Melodie und assoziiere dazu etwas, das ich niedergeschrieben habe. Ich spiele auch ur gerne Videospiele und schreibe mir die seltsamen Worte auf, die mir da unterkommen. Oder manchmal sagen Leute in meinem Leben lustige Sachen. Letztens hat mein Freund zu mir gesagt „Interior Design is my new capitalistic hobby“, das fand ich lustig! Ich warte nur auf den Song, wo das hineinpasst. Ich sammle also Momente und bin dafür schlecht im Improvisieren.

Aber in gewisser Weise improvisierst du damit ja auch! Ich finde, dieses Zusammenstellen ist ja auch etwas, das ganz intuitiv passieren kann.

Ezgi Atas: Ja, ok. Meine Google-Docs schauen schon sehr crazy aus. Da schreibe ich alles auf!

Ist die EP ein Teaser für ein Album oder wie macht ihr weiter?

Ezgi Atas: Uns war nach dem Album direkt klar, dass wir eine EP machen wollen.

Beyza Demirkalp: Ein Album ist einfach ein größeres Commitment als eine EP. Ich bin immer noch mental erschöpft von dem Album.

Ezgi Atas: Außerdem hatten wir so viele Demos herumliegen, dass wir gar nichts Neues schreiben brauchten. Ein Album zu machen bedeutet für mich auch, dass man für ein paar Wochen wohin fährt und in einem Stück einen vibe erschafft. Aber wir hatten so viele verschiedene vibes.

Beyza Demirkalp: Das hat sich wirklich mehr ergeben und bei ein paar Demos hat es sich so angefühlt, als würden sie zusammengehören.

Manche machen auch nur mehr EPs, weil es kürzere Statements sind.

Ezgi Atas: Eine EP ist mehr wie ein Feuerwerk und weniger wie ein Wasserfall! So konnten wir sinnbefreiter und themenbefreiter arbeiten. Deswegen sind alle Songs bis auf einen auch als Singles erschienen. Unsere Prämisse war, dass alles Ohrwürmer werden können!

Danke euch für das Gespräch!

Ezgi Atas & Beyza Demirkalp: Wir danken dir!

Ania Gleich 

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Aze live – Aze the Band the Duo the Tour:

22.03.24 Stromboli, Hall, Tirol (AT)
23.03.24 Stadtwerkstatt, Linz (AT)
05.04.24 Rote Bar (Volkstheater),Wien (AT)
09.04.24 Tsunami, Köln (DE)
10.04.24 Haekken, Hamburg (DE)
12.04.24 LARK, Berlin (DE)

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