„Es ist ein ständiger Dialog“ –Isabella Forciniti im mica-Interview

Die Musikerin, Komponistin und Researcherin Isabella Forciniti ist rastlos und getrieben von einer unstillbaren Neugierde und einer Freude am Experiment. Bekannt für ihre exzentrischen Performances, in denen sie in Dialog mit ihren Instrumenten tritt, ist die studierte Kommunikationswissenschaftlerin mittlerweile fixer Bestandteil der freien Musikszene Wiens. Im mica-Interview mit Shilla Strelka erzählt die gebürtige Italienerin über ihre Beziehung zum Modular Synthesizer, ihre Experimentierfreude, ihren Maximalismus und die inhärente politische Haltung in ihren Sounds.

Im Fokus deiner musikalischen Auseinandersetzung steht der Modular Synthesizer. Speziell an deinem Zugang ist, dass du dieses Instrument als gleichwertigen Partner ernst nimmst. Du lässt dich, scheint mir, auch von ihm leiten. Die Beziehung ist fast dialoghaft, oder täusche ich mich?

Isabella Forciniti: Das ist zutreffend, wobei im Mittelpunkt meiner musikalischen Auseinandersetzung nicht ausschließlich modulare Synthesizer stehen. Der Synthesizer repräsentiert für mich das epistemologische Instrument par excellence und prägt meine kognitive Positionierung, also mein Verständnis der musikalischen Organisation, die so ein hybrides Instrument vermitteln kann. Auf der anderen Seite kommen aber auch Computer und andere Instrumente zum Einsatz, die mir eine gewisse Ausdruckskraft in der Gestaltung von Klangtexturen ermöglichen. Grundsätzlich handelt es sich um das Zusammenführen von technischen, Software- und Hardware-Elementen, durch die ich meine Vision davon ausdrücke, wie Musik gedacht und performt werden kann. Den Möglichkeiten, mit Sound umzugehen, sind keine Grenzen gesetzt. Die Schönheit liegt darin, die vielen Optionen sorgfältig zu kuratieren.

„(E)in Verständnis des künstlerischen Prozesses durch Gestik, Organik und räumliche Elemente.“

Die Klänge, die du aus deinem Synth filterst, haben etwas Organisches an sich – als wären es Lebewesen. Hast du eine Erklärung dafür, warum deine Musik so sprechend ist? Es kommuniziert etwas zu uns, sendet Signale, als wäre es eine Form von Gespräch.

Isabella Forciniti: Die Grenze zwischen diesen hybriden Musikinstrumenten und meiner Performance ist bewusst unklar gehalten. Dem Publikum ist es nicht immer möglich, diese beinahe hermetische Kommunikation zu verstehen. Dem Publikum zu vermitteln, wie der Klang erzeugt wird, und ein gewisses Maß an immersiver Beteiligung zu ermöglichen, ist mir wichtig. Daher versuche ich bei meinem Auftritt, mittels meiner Gestik und dem klanglichen Ergebnis Wissen und Interaktion zu vermitteln. Es handelt sich fast um einen semiotisch-figurativen Ansatz: ein Verständnis des künstlerischen Prozesses durch Gestik, Organik und räumliche Elemente.

„Die Synthesizer (…) befinden sich im ständigen Fluss.“

Der Modular Synth ist auf eine Art mystisch, magisch, weil er selbst ein Eigenleben führt. Er ist individuell erweiterbar, vereint ästhetische Klangqualitäten, die die:den Musiker:in anziehen. Welche Sounds und Taktilitäten faszinieren dich?

Isabella Forciniti: Die Synthesizer sind nie in einem Zustand der Solidität, sie befinden sich im ständigen Fluss. Sie sind instabil, nicht gefestigt. Tatsächlich gilt das für alle digitalen, hybriden und postdigitalen Instrumente, die in den letzten Jahren produziert wurden. Hardware, Software und Betriebssysteme benötigen Updates. Vielleicht wird es mir in zehn Jahren nicht mehr möglich sein, ein Stück, das ich jetzt komponiere, aufzuführen. Aufgrund dieser Instabilität verfügen modulare Synthesizer über eine gewisse Einzigartigkeit. Sie verkörpern die Chimäre der Reproduzierbarkeit.

Mein Ansatz ist abwechslungsreich, weil ich die Möglichkeit habe, Dramaturgien zu verweben, komplexe Rhythmussequenzen zu verknüpfen und immersive Klangumgebungen zu schaffen, um dann wiederum alles zu dekonstruieren. In der nächsten Aufführung lässt sich das zwar wiederholen, die Ergebnisse werden aber immer leicht abweichen.

Welchen Platz nimmt das Geräuschhafte in deiner Musik ein?

Isabella Forciniti: Das Geräuschhafte fungiert als essentielles Element, das weit über die herkömmlichen Klangstrukturen hinausgeht. Die Integration von Geräuschen eröffnet mir die Möglichkeit, ein breites Spektrum an Klanglandschaften zu erforschen und den Hörer:innen eine immersive Erfahrung anzubieten. Das Geräuschhafte wird daher bewusst als gestalterisches Werkzeug eingesetzt, um ein weitreichendes, mehrdimensionales Narrativ zu schaffen.

„Meine Klänge sind alle unvollendet, gehüllt in einen Schleier der Unsicherheit und vielleicht einer subtilen Melancholie.“

Sehr spannend an deinen Mikrodramaturgien finde ich den Energie-Auf- und -Abbau. Machst du dir Gedanken über Spannungsbögen oder wie findest du zu deinen exzentrischen Rhythmen?

Isabella Forciniti: Der Begriff „Mikrodramaturgien“ erscheint mir äußerst passend. Mein maximalistischer Ansatz führt mich dazu, eine Vielzahl von Elementen zusammenzuführen, um etwas zu konstruieren, nur um es kurz darauf wieder abklingen zu lassen. In gewisser Weise ist mein Ansatz auch nachhaltig, da ich dazu neige, das Material zu recyceln. Oft verwende ich dieselben Klänge über sehr lange Zeiträume hinweg, aber nie in derselben Konstellation. Das Ergebnis ist ein zersplittertes, unvollständiges Klangmaterial, das sich radikal verändert. Die Spannung löse ich auf, indem ich von einer Sekunde auf die nächste entscheide, alles zu ändern. Meine Klänge sind alle unvollendet, gehüllt in einen Schleier der Unsicherheit und vielleicht auch von einer subtilen Melancholie gezeichnet. Die Rhythmik hingegen ist Wahnsinn. Ein absurder, grotesker Gegenpart.

Introspektive Klangqualitäten können eine tiefe, innere Reflexion und Selbstwahrnehmung auslösen.“

Du erwähnst in deinem Pressetext dein Interesse an den introspektiven Qualitäten von Sound. Was verstehst du darunter?

Isabella Forciniti: Die introspektiven Qualitäten von Sound beziehen sich auf die Fähigkeit von Klang, eine reflektierende und persönliche Erfahrung in den Hörer:innen auszulösen. Es beinhaltet die Idee, dass Klang nicht nur als äußere Wahrnehmung betrachtet wird, sondern auch eine innere, emotionale Resonanz erzeugen kann. Introspektive Klangqualitäten können eine tiefe, innere Reflexion und Selbstwahrnehmung auslösen.

Tatsächlich haben deine Stücke eine sehr intime Qualität, sie haben etwas Verschworenes, vielleicht auch weil du dich eben auch in deinen Instrumenten fallen lässt. Ganz in ihnen und den Sounds aufgehst, oder was hast du für eine Erklärung dafür?

Isabella Forciniti: Meine Beziehung zu den Instrumenten und meine Verbindung zu den Klängen spiegeln die Intimität und die Maximalismusqualität wider. Maximalismus bedeutet für mich, dass ich dazu tendiere, eine Vielzahl von musikalischen Elementen zusammenzuführen, die völlig unterschiedlich sind. Meine Auseinandersetzung mit Sound beinhaltet eine komplexe Reihe von perzeptiven und kognitiven Prozessen. Ich bin mir nicht sicher, ob das in einer Art Intimität für die Zuhörer:innen resultiert.

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Actio est reactio. Inwiefern agierst du, inwiefern reagierst du auf das Gehörte?

Isabella Forciniti: Der zyklische Austausch zwischen „Actio“ und „Reactio“ beeinflusst maßgeblich die Entwicklung meiner Vision. Der kreative Prozess besteht aus einem fortlaufenden Dialog zwischen dem, was ich spiele oder erzeuge, und meiner Reaktion auf das Gehörte.
Das Gehörte löst in mir weitere Schritte, Veränderungen oder Ergänzungen, aus. Es ist ein ständiger Dialog, bei dem ich auf subtile Nuancen oder überraschende Elemente reagiere, um die musikalische Erzählung zu formen.

Die Neugierde, die Freude am Experiment, die Freude an den unterschiedlichen Energieströmen und Intensitäten, die die Musik mit sich bringt, merkt man dir an. Hattest du immer schon Lust am Experiment?

Isabella Forciniti: Diese Frage ist recht komplex. Die Freude an der Experimentierfreude hängt weitgehend vom sozialen Kapital ab.

Wie meinst du das?

Isabella Forciniti: Es hängt von den sozialen Beziehungen ab, die wir pflegen. In meinem Fall habe ich die Freude am Experimentieren als passive Konsumentin erlebt, die Musik hört. Mir haben die Kenntnisse gefehlt, und auch das kulturelle Umfeld, in dem ich mich bewegt habe, war nicht dazu bereit, beispielsweise modulare Synthesizer zu entdecken und damit zu experimentieren. Der Zugang zu Ressourcen war sehr begrenzt. Trotz dem Aufkommen des Internets waren unsere digitalen Fähigkeiten minimal.

Und dann kommt die Neugierde ins Spiel, ebenso wie der Zugang zum Internet, der Unordnung, Verwirrung, Desintegration und neue Erkenntnisse mit sich brachte. In jeder Phase meines Lebens habe ich die Freude am Entdecken in den unterschiedlichsten Bereichen kultiviert. Vieles habe ich bereits mit 15 Jahren verstanden, anderes verstehe ich erst jetzt.

Gab es ein Instrument, mit dem du begonnen hast?

Isabella Forciniti: Ich habe damals in einem kleinen Bergdorf mit meinen Freundinnen eine Frauen-Punkrock-Band gegründet, in der ich Schlagzeug gespielt habe. Da war ich um die 14 Jahre alt.

Unser Repertoire bestand aus Cover-Songs. Unsere Lieblingssongs waren „Celebrity Skin“ von Hole – wir bewunderten natürlich Courtney Love – und „Streghe“ von Bambole di Pezza, einer großartigen italienischen Band, die ausschließlich aus Frauen besteht. Es ist lustig, daran zurückzudenken!

Ich habe dann begonnen, privat Schlagzeug zu studieren, und täglich geübt. Möglicherweise hat sich hier meine Freude am Experimentieren und dem bewussten Entdecken entwickelt. In dieser Phase habe ich eine Palette mir neuer, raffinierter und zuvor unbekannter Klänge entdeckt. Ich erinnere mich noch, als ich auf das anonym herausgebrachte Album „The Wit And Wisdom Of Ronald Reagan“ gestoßen bin. Wie habe ich gelacht! Ich fand es grotesk und absurd. Ich wollte etwas Ähnliches konzipieren. Und da der Berlusconismus meine Jugend geprägt hat, war es fast Pflicht.

„Für mich war es wichtig, mich kulturell und politisch zu engagieren.“

Was genau meinst du damit, und was war Pflicht?

Isabella Forciniti: Für mich war es wichtig, mich kulturell und politisch zu engagieren. Experimentelle Musik war in gewisser Weise meine Reaktion auf das kulturelle Mittelmaß, das durch die von der Familie Berlusconi betriebenen Fernsehsender propagiert wurde. Ebenso richtete sich meine Ablehnung gegen das kulturelle Mittelmaß, das die Mafia im Laufe der Jahre kultiviert hatte. Zusammen mit einigen Freund:innen organisierten wir Filmprojektionen, Theaterprojekte und kleine Konzerte, bei denen wir als Band auftreten konnten. Jeden Samstag trafen wir uns in der Zentrale der „Jungen Linken“. Unser Ziel war es, etwas zu unternehmen, um unser kleines Dorf wiederzubeleben.

Ich möchte (…) Aufstände, Sehnsüchte, soziale Missstände und Liebe vermitteln.“

Du hast eigentlich Kommunikationswissenschaft studiert. Auch Sounds kommunizieren. Hast du in dem Zusammenhang Dinge für dich erkannt? Viele Leute würden das vielleicht gar nicht als selbstverständlich sehen, dass Musik tatsächlich in einen Dialog tritt. Wie siehst du das Verhältnis von Kommunikation und Soundproduktion?

Bild Isabella Forciniti (c) Tanja Kanazir
Isabella Forciniti (c) Tanja Kanazir

Isabella Forciniti: An der Università La Sapienza in Rom habe ich  Konzepte wie die Ethik des Journalismus und kulturelle Prozesse kennengelernt und mich umfassend mit Fragen von zeitgenössischen Sichtbarkeiten auseinandergesettzt, die einen soziosemiotischen Ansatz verfolgen und sich mit einer Geographie der Randgebiete beschäftigen. All dies wurde unter dem Gesichtspunkt der sogenannten „Vitrinisierung“, abgeleitet von Vitrine/Schaufenster, analysiert. Diese beschäftigt sich mit dem Prozess der fortschreitenden Spektakularisierung der Hauptbereiche westlicher Gesellschaften: Gefühle, Sexualität, Körperlichkeit, Sport, Freizeit, Orte des Konsums, Kreativität, bis hin zur Spektakularisierung des Todes.

Digitale Technologien bieten einen Kommunikationsraum an, an dem wir teilhaben und in dem wir interagieren und kreieren können. Ich glaube, dass die feine Grenze zwischen Konsument:innen und Produzent:innen sich in Anbetracht der Komplexität der digitalen Technologien fast aufgelöst hat. TikTok ist eine sehr spezielle Plattform, wenn es um flüchtige musikalische Kreationen geht. Viral gehende, kurze neomelodische neapolitanische Musikstücke zelebrieren das Leben im Gefängnis, während prägnante 8-Bit-Musik unsinnige Aktionen in Wohnzimmern weltweit begleitet. Das regt mich sehr zum Nachdenken an, abgesehen von dem schwarzen Humor, den es in mir weckt. Durch die Hyper-Sozialisierung wird die persönliche Intimität öffentlich zur Schau gestellt, und die Musik spektakularisiert diese Intimität, wodurch neue Bedeutungen entstehen.

Unabhängig vom gewählten Format möchte ich in meiner künstlerischen Praxis Widerständigkeit, Sehnsüchte, soziale Missstände und Liebe vermitteln.

Siehst du deine Musik als politisch? Oder sind Klänge per se politisch, weil sie wahrgenommen werden und jede Form der Wahrnehmung auch ideologisch geprägt ist?

Isabella Forciniti: Ja, das ist eine faszinierende Perspektive. Die Schaffung künstlerischer Werke birgt oft politische Implikationen, auch wenn diese nicht immer offensichtlich sind. Kunst vermag Werte, Perspektiven und Ideen zu vermitteln, die Einfluss auf die Gesellschaft und die politische Landschaft ausüben. Selbst wenn Künstler:innen nicht beabsichtigen, explizite politische Botschaften zu senden, können die geschaffenen künstlerischen Artefakte dennoch politische Auswirkungen haben, indem sie die Art und Weise beeinflussen, wie Menschen die Welt sehen und interpretieren.

Du hast sehr viel studiert und studierst immer noch. Was inspiriert dich an der Theorie? Wie finden Wissenschaft und künstlerische Praxis zusammen?

Isabella Forciniti: Es kann sehr konstruktiv sein, wenn man die künstlerische Produktion mit Theorien aus verschiedenen Bereichen in Beziehung setzt. Die Theorie fördert die Transdisziplinarität, den kritischen Geist und ermöglicht einen reflektierenden Blick auf die Dinge.

Du kommst ursprünglich aus Kalabrien. Was hat dich nach Wien verschlagen und wie fühlst du dich in der lokalen Musikszene aufgehoben?

Isabella Forciniti: Ich stamme aus Longobucco, einem kleinen Dorf im Landesinneren Kalabriens, das im Nationalpark Sila liegt. In meiner Familie gibt es eine Geschichte der Einwanderung. Vielleicht wusste ich schon, dass ich früher oder später irgendwo anders landen würde. Cesare Pavese erzählt über sein Verlangen, immer wieder ein kleines Dorf zu verlassen, um sich in einer Stadt mit mehr Möglichkeiten neu zu erfinden. Selbst wenn man weit entfernt ist von diesem Dorf, warten immer noch die Menschen, die Pflanzen und das Land darauf, dass man zurückkehrt. Also habe ich Longobucco verlassen, um nach Rom zu ziehen und dort mein Schlagzeugstudium privat bei einem Lehrer fortzusetzen und an der Sapienza zu studieren. Nach Abschluss meines Studiums bin ich nach Wien gezogen. Hier habe ich mein Studium der elektroakustischen und experimentellen Musik an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst (ELAK) begonnen. Endlich habe ich Musiker:innen wie Katharina Klement persönlich kennengelernt! Wien ist mein Zuhause geworden, aber es sind viele Orte mein Zuhause. Die Musikszene ist zwar sehr fragmentiert, aber ich freue mich, mich mit den unterschiedlichsten Personen austauschen zu können, Musik zu spielen, an einem Tisch zu sitzen, ein Bier zu trinken und anderen zuzuhören. Ich fühle mich wirklich privilegiert, viele Möglichkeiten gehabt zu haben und weiterhin zu haben. Es fällt mir schwer, diese Dankbarkeit in Worte zu fassen. Im Moment versuche ich meiner Familie das österreichische Fördersystem zu erklären.

Vielen Dank für das Gespräch!

Shilla Strelka

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