„ES IST EIN NACKTER TEXT OHNE SCHLEIER“ – HOSSAM MAHMOUD ÜBER „STABAT MATER FURIOSA” BEIM ASPEKTEFESTIVAL 2024

Im Rahmen des aspekteFESTIVAL 2024 in Salzburg kommt die Oper „Stabat Mater Furiosa“ (7. März 2024) unter der Regie von Rosamund Gilmore zur Uraufführung. Das ursprünglich als Theatermonolog verfasste Werk stammt von Jean-Pierre Siméon. Der französische Dramatiker schrieb es während des Bürgerkriegs im Libanon. Es handelt sich um ein zeitgenössisches Drama, das sich mit Gewalt und Unterdrückung auseinandersetzt, dabei aber die Ungerechtigkeit sichtbar und den Widerstand möglich erscheinen lässt – weil Menschlichkeit die einzige Möglichkeit ist.

„‚Stabat Mater‘ ist ein Werk, das mich verfolgt“, sagt Hossam Mahmoud zu mica. Der in Salzburg lebende Komponist hat den Theatermonolog vor vier Jahren zum ersten Mal gelesen. Christian Ollivier, der Librettist der kommenden aspekte-Uraufführung, habe ihn dazu angeleitet. Mahmoud, der sich in der Vergangenheit an politischen Opern versucht hat, betont, wie stark das Gedicht von Siméon sei. „Es ist ein nackter Text ohne Schleier – die Frau, die darin vorkommt, wird zum Ursprung der Wahrheit. Das entwickelt eine einsaugende Kraft.“

Stabat Mater Furiosa
Stabat Mater Furiosa (c) Wolfgang Kirchner

Der Titel „Stabat Mater Furiosa“ spielt auf das mittelalterliche lateinische Gedicht „Stabat Mater“ an, das sich auf die schmerzerfüllte Mutter unter Jesu am Kreuz bezieht. „Furiosa“ erweitert die spirituelle Bedeutung um eine emotionale: Die Wut tritt in den Vordergrund. Nicht aber als schreckerfüllte Starre, sondern als Ausruf des Schmerzes, der die Gewalt und Gräuel der Gegenwart vor Augen führen und eine Reaktion herbeiführen soll.

Im Wutgedicht von Siméon klagt eine Frau über den Krieg, sie attackiert die Ausprägungen der Unterdrückung. Sei es durch patriarchale Strukturen, häusliche Gewalt oder gesellschaftliche Normen. In seiner Komposition verstärkt Mahmoud diese einzelne Stimme: Drei Schauspielerinnen sind eine Frau, das Vokalensemble des Mozarteums wird zu ihrem Gewissen. „In der Partitur stecken deshalb auch Züge eines Spieltheaters“, so Mahmoud. „Schließlich haben neben der Solistin Jenifer Lary und dem Orchester auch die Schauspielerinnen klare Einsätze.“ Trotzdem merke man sofort, dass es sich um einen Monolog handelt. Auch die Musik verstärke dieses Gefühl. 

„Man soll aufgeweckt und schockiert werden, wie grausam Nationalismus sein kann“, so der Komponist. „Und es soll deutlich erfahrbar sein, dass alle Wesen gleichsam leiden, wenn Hass in Gewalt und Gewalt in Krieg überschlägt.“ Als gebürtiger Ägypter hat Hossam Mahmoud am eigenen Leib erfahren, was Unruhen im eigenen Land auslösen können. „Der Egoismus der Menschen setzt sich im Krieg immer durch. Es ist wichtig, sich stets daran zu erinnern, dass jeder Mensch einen Wert hat.“ Auch darum erkläre uns die Stimme der Frau in der „Stabat Mater Furiosa“ den Hass – sie fragt, was es bedeutet, wen wir hassen und unterdrücken und morden.

Stabat Mater Furiosa
Stabat Mater Furiosa (c) Wolfgang Kirchner

Dass der Monolog nicht wie im Original auf Französisch, sondern auf Deutsch gehalten ist, unterstreicht die Drastik der Gefühle. Die französische Sprache sei zu fein, sagt Mahmoud. „Auf Deutsch drückt das Stück hingegen viel mehr aus.“ Dabei habe er zu Beginn sogar mit dem französischen Libretto von Ollivier zu komponieren begonnen. Erst die Intervention von Kai Röhrig, dem musikalischen Leiter der Oper, führte zum sprachlichen Umdenken. „Ich bin ihm ehrlich dankbar dafür“, meint Mahmoud. „Unser Konzept wäre im Französischen nicht aufgegangen.“

Ein Konzept, das bereits im Laufe der Komposition immer aktueller geworden sei, so Mahmoud. „Schließlich herrscht gegenwärtig Krieg. Das beschäftigt mich. Es beschäftigt uns alle.“ Die Wut über unsere realen Umstände führe aber – gleich wie in der „Stabat Mater Furiosa“ nicht zu Hass und fege auch nicht wie ein Sturm im Fortissimo über uns hinweg. Sie veranlasse viel eher zur Innenschau – „zu einem Schrei, der kein Aufschrei nach außen, sondern ein Aufruf nach innen ist“, so Mahmoud. Darin stecke der Traum: Eine bessere Welt ist möglich. Wenn auch nichts bleibt, die Hoffnung besteht. 

Christoph Benkeser

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Termin:
Hossam Mahmoud, „Stabat Mater Furiosa“ (2023/UA)
Monolog für Sopran, 3 Frauenstimmen, Frauenchor und Orchester
Libretto von Christian Ollivier nach dem gleichnamigen Theatermonolog von Jean-Pierre Siméon
Donnerstag, 7. März 2024, 19:00 Uhr
Universität Mozarteum: Max Schlereth Saal
Mirabellplatz 1, 5020 Salzburg
Eine Koproduktion von aspekteFestival und Universität Mozarteum Salzburg

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Links:
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