„Es geht darum, dieses Feuer in einem groß werden zu lassen, ohne sich daran zu verbrennen“ – NORA MAZU im Mica-Interview

NORA MAZU hat bereits gerappt, als die HipHop-Szene in Österreich quasi noch Neuland war. Nach einigen Gruppenprojekten ist sie als Musikerin nun solo unterwegs, hat unter anderem Sprache gewechselt und lässt neue Aspekte in ihre Songs einfließen. Im Vordergrund: Das gegenseitige Empowern unter Frauen und eine zelebrierende Einstellung gegenüber sich selbst und dem Leben. Wie sich ihr spiritueller Zugang auf die Musik auswirkt, was ihre Shows von herkömmlichen Konzerten unterscheidet, und wie sie die Szene-Entwicklung in den 2000ern persönlich erlebt hat, hat NORA MAZU im Gespräch mit Katharina Reiffenstuhl bei Cappuccino mit Hafermilch erzählt.

Wie bist du im Rap gelandet?

Nora Mazu: Das ist schon fast historisch. Ich bin in den 90er-Jahren zum Rappen gekommen. In der Schule haben mich da ein paar Einflüsse getroffen. Ich habe mich für Sprache immer schon wahnsinnig interessiert. Ich war dann irgendwann Mitte der 90er auf einem Rap-Konzert und war komplett geflasht von dieser Spielerei mit den Worten. Durchs Ausprobieren habe ich dann recht schnell meine ersten Texte geschrieben und auch Leute gefunden, mit denen ich das gemeinsam mache. Es war ein toller Ausdruck für mich selbst, dieses Kreativsein mit Sprache hat mich immer fasziniert. Dann hat sich eine Crew entwickelt, STOIKA haben wir geheißen. Da war HipHop noch überschaubar in Österreich. Dann ist es überall richtig groß geworden, MTV war voll das Thema, und Gangster-Rap. Das hat mich dann ein bisschen abgetörnt, muss ich sagen. Da habe ich mich dann mehr aufs Studium konzentriert. Ich habe Kommunikationswissenschaft und Politikwissenschaft studiert. Musik habe ich dann länger nicht aktiv gemacht. Und 2008 habe ich lustigerweise ein paar Mädels getroffen, die auch gerappt haben. Das war damals noch relativ unüblich, da galten Frauen im Rap immer ein bisschen exotisch. Heutzutage kommt einem das utopisch vor, aber damals war das nicht so Gang und Gebe. Mit denen habe ich dann eine Crew gegründet, MTS. 

Diese Crew gibt es heute nicht mehr, oder?

Nora Mazu: In der Form nicht, nein. Wir haben viel live gespielt, Videos gemacht, Newcomer-Awards gewonnen und solche Sachen.Das war eine wahnsinnig coole Zeit, wir haben uns alle zusammengeschlossen, gegenseitig empowered und im Endeffekt zwei Alben rausgebracht. Wir waren aber ein bisschen vor dieser Zeit dran. 

Vor dem großen Hype?

Nora Mazu: Ja, und auch vor allem vor der Zeit von Frauen-Rap im deutschsprachigen Raum.

Siehst du das heute als positiv oder eher negativ?

Nora Mazu: Für mich war es eigentlich nur positiv, dass wir da vieles gemeinsam gemacht haben. Ich bin mit den meisten auch noch gut befreundet, also da haben sich sehr tiefe Freundschaften draus entwickelt, weil wir viel miteinander erlebt haben. In jeder Hinsicht, no regrets. Damals waren wir halt immer so “die Mädels-Crew”. Heute ist es viel selbstverständlicher, dass Frauen auch Rap machen.

„MIR HAT DAS EXPERIMENTELLE GEFALLEN“

Wann hat deine Solo-Karriere gestartet?

Nora Mazu: Das war dann 2016. Die Crew ist zwar immer noch gelaufen, aber ich habe gemerkt, dass ich gerne mehr artsy stuff machen würde. Mir hat das Experimentelle gefallen, ich wollte ein bisschen mehr als auf die typischen HipHop-Beats rappen. Also habe ich zu Beginn das Mixtape „Der Punkt unter dem i“ rausgebracht mit über 20 Tracks, habe mir da ein paar Beats von Produzenten wie CID RIM gepickt und auf die gerappt. Das hat dann einen ganz eigenen Vibe bekommen. Aus dem hat sich eine Zusammenarbeit mit Produzenten aus der Steiermark, MEN AT AMPS – Jakova und Nomad, entwickelt, mit denen ich dann meine EP “Headonismus” released habe. Das war eher Richtung Boom Bap. Mit einer Künstlerin aus Wien – NITA heißt sie – habe ich dann eine Bildsprache für meine Videos entwickelt, das war dann etwas ganz anderes als das, was ich mit der Crew gemacht habe. Parallel hatte ich auch ein Projekt mit meinem Exfreund KAYO. Das war etwas, was dann viel auf FM4 gelaufen ist, weil wir eingängigere Hooks hatten und bisschen melodiöser waren. All das ist irgendwie parallel gelaufen.

Und was läuft heute noch?

Nora Mazu: Aktuell meine Solo-Sachen. Und auch das hat sich verändert, ich habe nach “Headonismus” mit dem deutschen Produzenten FIRNWALD eine EP rausgehaut, die eher Trip-Hop mäßig war. Mir hat das sehr gefallen, aber das war nicht allzu radiotauglich. Ich hatte aber irrsinnig Freude daran, dazu Videos zu machen, die ein bisschen abgespaced sind. 

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Vor ein paar Jahren hast du deine Musik ja auch selbst beschrieben als “Rap zwischen Kopfkino und Reisen ins All”.

Nora Mazu: Ja genau. Dieses Kopfkino war viel Selbstreflexion und nicht unbedingt gesellschaftskritisch. Es war teilweise sehr abstrakt, und die Reisen ins All spiegeln auch dieses Spacige in der Musik wider. 

„WENN ICH ETWAS DEUTSCHES SCHREIBE, HABE ICH EINEN TRÄUMERISCHEREN ZUGANG DAZU“

Das kommt ja dann vor allem durchs Visuelle zum Vorschein. Ist das bis heute ein Leitspruch, was deine Musik angeht?

Nora Mazu: In Deutsch ist das auf jeden Fall noch so. Wenn ich etwas Deutsches schreibe, habe ich einen träumerischeren Zugang dazu. 2020 bin ich länger im Ausland gewesen, habe viel Englisch geredet und gemerkt, dass ich auf Englisch direkter bin. Ich spüre auf Englisch einen direkteren Zugang zu meinem Inneren. Es ist nicht ganz so ausufernd, vielleicht auch, weil mein Wortschatz überschaubarer ist. Dementsprechend habe ich dann begonnen, Lyrics auf Englisch zu schreiben und Messages zu integrieren, die ich in meinem Leben als wichtig empfinde, wie “Shine On” oder “Ya Man”. Das war der erste Track, den ich mit meiner Freundin Josi Sol gemacht haben und eher so ein Spaßprojekt. Aber es war wichtig, weil ich da gemerkt habe, wie gut das funktioniert.


Du praktizierst viel Yoga und Breathwork. Wie beeinflusst dich das in deinen Kreativprozessen?

Nora Mazu: Extrem. Gerade in der letzten Phase nach 2020, nachdem ich in Thailand und in Portugal war. Dieses yogische Leben mit Meditation, nach innen blicken und nach außen tragen, das hat mich schon sehr beeinflusst. In mir ist trotzdem noch eine Wienerin, die einen gewissen kritischen Blick auf alles Mögliche hat. Aber ich habe gemerkt, wenn ich im Ausland bin und auch Englisch rede, macht das etwas mit mir. Da habe ich andere Blickwinkel.

Deine Live-Shows sind keine im klassischen Sinne, sie ähneln mehr Raves als normalen Konzerten. Du veranstaltest “Rap Ritual Love Ceremonies”.

Nora Mazu: Ja, ich habe vor ein paar Jahren in Wien ein Kollektiv gefunden, MAGIKA.fm, die eine Form von “conscious raves” bzw. Healing-Events machen. Da geht es nachmittags um Yoga, Kakao und “breath ceremonies”, und am Abend wird dann getanzt. Der Fokus ist aber hier nicht so auf Abschuss, sondern eher auf Elevation. Das hat mich sehr fasziniert und ich habe dann DJs kennengelernt, auf deren Sets ich dann gerappt habe.

„WIR HABEN EINEN RAUM GESCHAFFEN, IN DEM MAN SICH RAUS AUS DEN MUSTERN TANZEN KANN“

Ganz improvisiert?

Nora Mazu: Ich hatte schon Tracks und Lyrics fertig und habe die dann auf die verschiedensten elektronischen Beats gerappt. Ich habe gemerkt, dass mir das sehr gefällt, auch wenn es ganz anders ist als der HipHop-Vibe. Als ich viel unterwegs war in Thailand, Portugal oder auch Lateinamerika, war ich auch auf einigen solcher Events, wo eben durchaus geravet wird, aber oft ohne Alkohol, auch nachmittags, immer an wunderschönen Orten. Dieser Vibe war unglaublich toll. Und daraus wollte ich eine Live-Show entwickeln, die eine Art “Ritual Ceremony”-Aspekt hat. Mit einem anderen Kollektiv, BUBBLES.popup, habe ich dann Events in Wien veranstaltet. Jeder hat da ein paar Aspekte mit reingebracht, ich zum Beispiel das Kundalini-Yoga, Breathwork Journaling und Movement Inspiration. Wir haben einen Raum geschaffen, in dem man sich raus aus den Mustern tanzen kann. Da habe ich die Leute animiert, sich frei zu bewegen und reinzuspüren. Das habe ich dann mehrmals veranstaltet und mit meinen Tracks dieses Live-Konzept entwickelt:  Rap Ritual Love Ceremonies.

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Wird es das weiterhin auch geben?

Nora Mazu: Ich bin da sehr offen. Es funktioniert natürlich gut in Gruppen, wo schon eine Offenheit da ist, beispielsweise auf Yoga-Festivals oder elektronischen Festivals. Da möchte ich in den nächsten Jahren immer wieder was einreichen und habe bisher auch gutes Feedback bekommen. 

Im Vergleich zu früher kommt weniger Musik von dir, dieses Jahr nur zwei Singles. Hast du in Zukunft wieder größere Projekte wie eine EP in Planung?

Nora Mazu: Nächstes Jahr wird eine EP kommen, die die Tracks von dem Rap Ritual enthält. Es sind viele verschiedene Beats, auch ein Mantra-Song ist dabei. Das kommt vermutlich im Frühsommer, da ist jetzt schon einiges fertig. Die EP wird über Beatzarilla rauskommen und ist eine spannende Reise, die im Rap Ritual verkörpert wird, wie die yogische Einstellung zum Leben eine Balance zwischen Körper und Geist zu finden kann, aber mit Leichtigkeit. Es geht darum, dieses Feuer in einem groß werden zu lassen, ohne sich daran zu verbrennen. Ich bin quasi die Reiseleiterin bei dieser EP und dem Live-Ritual.

Rappst du jetzt ausschließlich nur noch auf Englisch?

Nora Mazu: Bei dem Projekt, ja. Es ist ein deutsches Feature dabei, “Queendom”. Das ist mit einer langjährigen Freundin von der Crew entstanden, weil wir dieses gegenseitige Feiern, dieses Empowerment, abbilden wollten. Ganz nach “what´s the agenda, female energy rises, don´t mind the gender”. Das ist eine der wichtigsten Aussagen in dem Track, für mich zumindest.

„FRÜHER WAR IM HIPHOP ALLES EIN BISSCHEN RESTRIKTIVER“

Du hast vor einiger Zeit ja auch deinen Namen geändert. Ging das einher mit dem Switch aufs Soloprojekt?

Nora Mazu: Ja. Ich hatte mich davor ja NORA MC genannt, das ist schon wirklich sehr 90er. (lacht) Es war einfach ein neuer Abschnitt, als ich meine ersten Solo-Songs rausgebracht habe und dafür wollte ich einen neuen Namen. Damit bin ich bis heute ganz glücklich. Ich wollte irgendwas, was einen wunderschönen Klang hat. Im Chinesischen ist es auch eine Göttin, die Leute auf dem Meer beschützt, aber das war nicht unbedingt der Hintergrund. Es ist spielerisch entstanden, das Wort Tiramisu hat mich inspiriert, weil es so smooth klingt und “zieh mich hoch” bedeutet.

Seitdem hat sich vieles verändert. Kannst du dich mit deiner früheren Musik noch identifizieren?

Nora Mazu: Es ist ein bisschen tagebuchmäßig. Die verschiedenen Zeitabschnitte meines Lebens spiegeln sich auch in meiner Musik wider und das ist eigentlich was total Schönes. Ich würde da jetzt nichts vermissen wollen. Es ist einfach spannend, wie sich die Musikszene entwickelt hat und es ist wunderschön, dass es jetzt so divers und selbstverständlich ist, sich in allen Aspekten zu zeigen. Früher war im HipHop alles ein bisschen restriktiver. Es gab gewisse Codes, die eingehalten worden sind. Das ist jetzt viel freier und das sehe ich auch besonders in meiner Musik. Ich habe mich mit dem Soloprojekt und dem Visuellen sehr geöffnet, in Sphären, die vielleicht nicht so dem typischen HipHop-Bild entsprechen. Die Leute konnten sich oft gar nicht vorstellen, dass ich Rap mache, weil sie gewisse Kategorien im Kopf hatten, wie man auszuschauen hat, wenn man als Frau Rap macht. Da hat sich viel weiterentwickelt, finde ich.

Danke fürs Gespräch!

Katharina Reiffenstuhl

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