„Es gab immer den Versuch, nach etwas abseits der vertrauten Formen zu streben.“ – SLOBODAN KAJKUT (GOD Records) im mica-Interview

Rastlos und konsequent hat der bosnischstämmige Wahlgrazer in den letzten zehn Jahren der zeitgenössischen Szene hierzulande seinen Stempel aufgedrückt. Sei es als SLOBODAN KAJKUT, der sich auf seinem letzten Release „Dark Room“ (GOD Records) dem Versuch verschrieb, ohnehin schon postreduktionistische Gefilde noch weiter auszudünnen, sei als KAJKYT, dem Pseudonym, das ihm als Versuchslabor für seine Beschäftigungen mit experimenteller Elektronik und zerbrochenem Ambient-Trip-Hop herhält, oder sei als idiosynkratischer Schlagzeuger der Grazer Avant- und Passé-Rock-Ikonen THE STRIGGLES: Der umtriebige und höchst emsige Komponist, Musiker und Labelbetreiber SLOBODAN KAJKUT zählt eindeutig zu den produktivsten Vertretern seiner Zunft. Dieser Mann hat immer ein Eisen im Feuer, genauer gesagt sogar mehrere. Erst unlängst zelebrierte er in kürzestem Zeitraum die Veröffentlichung von „III“, dem dritten Full-Length-Album aus seinem eigenen Paralleluniversum „KAJKYT“, von „Low Level Life“, dem aktuellen Album seiner Working-Band THE STRIGGLES, und von der aktuell 54. (!) Publikation auf seinem Label „GOD RECORDS“,  dessen Backcatalog sich für Connaisseurs liest wie ein Who’s who der zeitgenössischen Musik. Zum 50. Release gab sich sogar ein MORTON FELDMAN die Ehre. Anlässlich der erwähnt hohen Jubiläumsdichte sprach Patrick Wurzwallner mit SLOBODAN KAJKUT über die Mission, Motive und Motivationen.

Welche Position bezieht Kajkyt im Schaffenskosmos von Slobodan Kajkut?

Slobodan Kajkut: Ich veröffentliche seit etwa zehn Jahren entweder unter meinem richtigen Namen Slobodan Kajkut – das bezieht sich auf die meisten Sachen im akademischen Kontext und im Rahmen dessen, was man als Neue Musik bezeichnen würde – oder eben unter dem Pseudonym Kajkyt, das mir als eine Art konzeptuelle Trip-Hop/Ambient-Spielwiese für meine Beschäftigung mit experimenteller Elektronik und byzantinisch beeinflusstem Gesangsstil dient. Für alle Interessierten bleibt an dieser Stelle anzumerken, dass im Kyrillischen dass Y als Äquivalent dessen fungiert, was man im Deutschen als U verstehen würde und Kajkyt sich eigentlich nur im Schriftbild von meinem tatsächlichen Namen unterscheidet. Ausgesprochen wird es gleich. Allein durch diese Schreibweise ergibt sich auch schon ein leichter slawischer Bezug. Dieser steht nicht direkt im Zusammenhang mit meinen persönlichen Wurzeln, sondern äußert sich  eher latent stilistisch, eben in Referenz auf die auftretenden byzantinisch beeinflussten Gesangsarten.

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Woher kam die Idee, Elektronik und diese Art von Gesang zu verweben?

Slobodan Kajkut: Es gibt und gab ein paar Projekte und Bands, die diese Formen bereits kombiniert haben, und mir hat diese Idee stilistisch schon länger zugesagt. Ich habe es einfach eine Spur dunkler und auch einen guten Tick konzeptueller angelegt, was die ausladende Spielzeit von 75 Minuten ja bereits andeutet. Ausgangspunkt für „III“ war meine eigene Interpretation ebendieses Gesangsstils, dem in diesem Falle auch eine andere Semantik zugrunde liegt, welchem daraufhin also andere abstraktere  Bedeutungen innewohnen, die frei und unbehaftet interpretiert werden können.

Ist Kajkyt also eine Art Alter Ego von dir?

Slobodan Kajkut: Könnte man so sagen. Eine Art davon zumindest. Kajkyt und mein restliches Schaffen unter meinem eigenen Namen stehen künstlerisch nur sehr indirekt, sprich eben über meine Person, in Verbindung. Man könnte sagen, dass sich diese beiden Welten auf „III“ das erste Mal tatsächlich begegnen, zumindest im Bezug auf gewisse Kompositionstechniken.

„Crippled Beats“

Wodurch genau unterscheiden sich die Musiken von Slobodan Kajkut und Kajkyt?

Slobodan Kajkut: Hauptsächlich dadurch, dass ich mit Kajkyt bis auf die aktuelle Platte überwiegend tonale Musik gemacht habe. Die letzte Platte war dann komplett geräuschbasiert, sprich das genaue Gegenteil. Außerdem waren die beiden ersten Kajkyt-Platten sehr straight und groovig. Diese dritte Platte hingegen ist auf dieser Ebene deutlich abstrakter, ja beinahe schon zerstückelt und gebrochen. Diese Gebrochenheit von Groove und der Umgang mit dieser Form der Dekonstruktion – ich nenne es „Crippled Beats“ – könnte man als Teil meines kompositorischen Repertoires betrachten. Ich beschäftige mich mit dieser Form seit etwa 2013, so finden sich ähnliche Formulierungen dieser rhythmischen Konzepte auch auf den Veröffentlichungen „Terrible Fake“ und „Dark Room“, die unter meinem tatsächlichen Namen erschienen sind. Die beiden Welten vermengen sich also in diesen Bereichen.

Slobodan Kajkut (c) Archiv

Könntest du die Grundidee hinter den „Crippled Beats“ etwas näher beschreiben?

Slobodan Kajkut: Am Anfang steht eine Art Groove, ein rhythmisches Muster, beispielsweise etwas in der ästhetischen Tradition von Scorn – Mick Harris hat mich in dieser Hinsicht sehr beeinflusst –, das ich in Konsequenz von seiner Geradlinigkeit zu befreien versuche. Ich möchte es stattdessen mit dieser Bruch-Charakteristik versehen, als würde etwas die Treppen runterfallen, sich wieder aufrichten, wiederkehren und wieder hinfallen. Dennoch ist mir die Idee von Groove und dass dieser in einer abstrakten Form erhalten bleibt, auch wenn es sich um äußerst unregelmäßige Rhythmen handelt, sehr wichtig. Außerdem handelt es sich dabei schließlich nur um einen einzelnen Aspekt und man soll  nicht denken, dass alle meine kompositorischen Konzepte aus dieser Perspektive erwachsen, nur weil ich Schlagzeuger bin. Eher ist meine Art Schlagzeug zu spielen sehr von meiner Art und Weise zu komponieren beeinflusst, es ist also genau umgekehrt.

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Gibt es signifikante Parallelitäten in der musikalischen Entwicklung von dir und deiner Working-Band The Striggles?

Slobodan Kajkut: Auch diese künstlerischen Universen agieren wenn, dann höchstens unterbewusst miteinander. Bis auf sehr wenige Ausnahmen gibt es eigentlich keine Ideen von The Striggles, die auf irgendeine bewusste Weise woanders zur Anwendung kamen. Es gibt jedoch selbstverständlich große Kongruenz in der Art der musikalischen Denkweise, diese lässt sich jedoch sehr schwer konkretisieren. Mein Beitrag für das aktuelle Album von The Striggles entstand während einer Pause der Arbeit zu „III“. Eine Parallelität besteht in dieser Hinsicht also höchstens zeitlich.

 „[M]ein Einstieg in die akademische Welt und deren Methodik [erfolgte] über Popmusik“

Stammt dein Interesse an außergewöhnlichen musikalischen Formen aus einer natürlichen Faszination oder hat sich diese künstlerische Intuition erst im Rahmen deiner akademischen Beschäftigungen herauskristallisiert?

Slobodan Kajkut: Lustigerweise erfolgte mein Einstieg in die akademische Welt und deren Methodik über Popmusik. Und wenn ich von Popmusik spreche, meine ich damit das ganze Konglomerat aus Pop, Rock etc. und dessen vielzählige Verzweigungen und Verschränkungen. Es gab in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren – so kommt es mir zumindest vor – einen ausgesprochen regen Austausch zwischen Künstlerinnen und Künstlern aus diesen beiden Gefilden, die sich dadurch natürlich stark beeinflusst haben. Insbesondere die Neue Musik hat sich dabei zahlreicher Ästhetiken der Popmusik bedient, was sich beispielsweise am zunehmenden Auftreten von Noise-Elementen in zeitgenössischen Kompositionen beobachten lässt. Ein sehr gutes Beispiel ist Bernhard Lang, der alle Freiheiten des Free Jazz auf seine Art und Weise analysiert, geordnet und strukturiert hat. Manche Sachen klingen improvisiert, sind jedoch bis aufs kleinste Detail genau ausformuliert und notiert. Beide Ansätze vermengen sich auch in meinem Zugang, der sich sowohl der strukturellen Genauigkeit und Disziplin akademischer Methodik als auch der freien Formen von Popmusik und darüber hinaus bedient. Ein gewisses intuitives Interesse am klanglich Außergewöhnlichen und Experimentellen bestand jedoch schon vor meiner Studienzeit. Es gab immer den Versuch, nach etwas abseits der vertrauten Formen zu streben.

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War es schwer für dich, in Graz Fuß zu fassen?

Slobodan Kajkut: Bevor ich nach Graz gekommen war, wusste ich quasi gar nichts. Ich hatte ja fast keinen Zugang zu Musik, es war in Bosnien sehr schwer und wir befanden uns ja noch in der Zeit vor dem Internet. Um etwas zu sehen, musste man reisen, und auch das war nicht alltäglich und schon gar nicht so einfach wie heute mit dem Flixbus. Ich war dementsprechend jung und naiv und als ich dann 2002 schließlich von Banja Luka nach Graz kam, erlebte ich beinahe eine Art kulturellen Schock – besonders 2003, als Graz dann auch noch Kulturhauptstadt war. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nichts von diesen ganzen Umständen und war auch ziemlich überfordert, gleichzeitig aber auch sehr interessiert und lebenshungrig. Zu Hause hatte ich bis zu jenem Zeitpunkt erst ein einziges Konzert zeitgenössischer Prägung erleben können. Das war ein Violinist, der wirklich sehr schräge Stücke gespielt hat, aber das wars dann auch schon gewesen.

„Ich habe wirklich überhaupt nichts gewusst.“

Slobodan Kajkut (c) Archiv

Was hat dich eigentlich dazu gebracht, nach Graz zu kommen, um ausgerechnet Komposition zu studieren?

Slobodan Kajkut: Das war Zufall. Meine Lehrerin hat mich damals gefragt, was ich nach der Schule machen möchte. Als ich erwiderte, dass mich ein Studium interessieren würde, hat sie mir Graz nahegelegt, weil sie dort eine Bekannte hatte und weil man im Rahmen eines hundertjährigen Vertrages als Anwärter aus Ex-Jugoslawien aufgrund der staatlichen Entschädigung für Konsequenzen aus dem Ersten Weltkrieg kostenlos studieren durfte. Damals hat man nur daran gedacht, dass man das irgendwie ausnutzen muss.

Ich hatte keine Ahnung, wer in Graz Komposition unterrichtet, geschweige denn, was das alles, also das Studieren, die Uni und so weiter, überhaupt bedeutet. Ich habe wirklich überhaupt nichts gewusst. Ich konnte nur einigermaßen gut Klavier spielen und hatte sehr gute musiktheoretische Grundlagen, die noch aus der Mittelschule stammten. Das Ausbildungskonzept war damals noch sehr konservativ, frontal und theoretisch. Also null Kreativität, ausschließlich Fakten. Es gab eine einzige Lehrerin, der ich in meiner kompositorischen Anfangs- und Versuchszeit meine Stücke zeigen konnte, und auch die hatte verständlicherweise keine Ahnung, geschweige denn Verständnis für das, was ich da schreibe.

Du hast also bereits in der Mittelschule zu komponieren begonnen?

Slobodan Kajkut: Ja, aber es handelte sich dabei selbstverständlich nur um Versuche, die vermutlich einer intuitiven Tendenz zum Individualismus entstammten. Inzwischen bin ich ein Individualist, der Sachen und Ideen allein initiiert, gestaltet und umsetzt, aber eine gewisser Keim für Individualität fruchtete anscheinend schon sehr früh und war eigentlich immer da. Warum genau das so ist, kann ich aber nicht sagen. Tatsache ist aber, dass ich einfach Ideen hatte und diese auch umsetzen wollte, zumindest auf die eine oder andere Art und Weise.

Ich habe zum Beispiel ein Stück für Software-Klavier geschrieben, konnte dieses aber nicht aufnehmen. Ein Bekannter, der auch über diese Software verfügte, hat mir das Stück dann programmiert und ich bin damit in Konsequenz sogar bei der Aufnahmeprüfung in Graz angetreten. Was die Kommission darüber gedacht hat, kann ich nur mutmaßen. Ich glaube, so etwas wie: „Der hat gute theoretische Grundlagen, hat sich geschert, ist arm und aus Bosnien, kennt Stockhausen und hat vielleicht sogar ein gewisses Potenzial.“ Das ist aber wirklich nur meine Interpretation. Als ich begonnen habe zu studieren, war Graz auch nicht so ein Hotspot für zeitgenössische Komposition wie jetzt, zumindest was die Anzahl der Studierenden betrifft. Es gab trotzdem wahnsinnig gute Lehrveranstaltungen und ich hatte dann auch Unterricht bei Georg Friedrich Haas, wusste zu dem Zeitpunkt aber noch gar nichts von ihm, obwohl er bereits damals schon sehr berühmt war. Ich hatte aber auch davon damals noch keine Ahnung. Die Stunden bei ihm waren aber meistens sehr spannend.

„Eine meiner Fantasien war es, ein Stück von Bernhard Lang auf Platte zu haben“

GOD Records

Was war die Initialzündung für dein Label „GOD Records“?

Slobodan Kajkut: Nach einer Probe von The Striggles hat mir mein Bandkollege Robert Lepenik seine Anerkennung für mein Stück „The Compromise Is Not Possible“ mitgeteilt und mir nahegelegt, es  zu veröffentlichen. Auf meine Frage, wer denn so etwas rausbringen würde, hat er mir empfohlen, dies doch einfach selbst in die Hand zu nehmen. Nach kurzem Nachdenken hielt ich das für keine schlechte Idee, habe mich um die Formalitäten gekümmert und eins hat zum anderen geführt. Erschienen ist „The Compromise Is Not Possible“ aber eigentlich auf dem befreundeten Label „Wireglobe“, da „GOD“ ursprünglich eher als eine Art Erkennungsmerkmal oder Projektionsplattform angedacht war.

Zu Beginn, sprich die ersten fünf Veröffentlichungen, fungierte es ausschließlich als Label für meine eigenen Sachen. Später hab ich dann gelernt, dass es nicht nur künstlerisch Vorteile bringt und man auch viel mehr Leute erreichen kann, wenn man mit anderen kooperiert. Außerdem hatte ich seit jeher ein Interesse daran, Stücke, die mir gefallen, auf Vinyl zu realisieren. Eine meiner Fantasien war es, ein Stück von Bernhard Lang auf Platte zu haben. Irgendwann hat er mir mal von einem Projekt erzählt und ich habe ihm gesagt, dass ich es sehr schön fände, seine Idee auf Platte hören zu können. So wie ich damals Robert Lepenik gefragt hatte, wer denn so etwas rausbringen würde, fragte mich jetzt Bernhard und ich habe, ohne nachzudenken, gesagt, dass ich jetzt ein Label habe, obwohl das eigentlich noch gar nicht der Fall war. Es wurde quasi mit Bernhards Zusage auf positive Weise zu meiner Pflicht, „GOD RECORDS“  als tatsächliches Label durchzuziehen. Der besagte Release war damals eine Kooperation von Bernhard mit Philip Jeck, trug den Namen „Tables Are Turned“ und markierte quasi die erste Fremdveröffentlichung auf „GOD Records“.

Unterliegen die Veröffentlichungen auf „GOD Records“ speziellen ästhetischen Prinzipien?

Slobodan Kajkut: Es erscheint nur Musik, die ich mag. Teilweise folgt alles einer gewissen persönlichen Logik. Andererseits wird mit dieser aber eben auch bewusst gebrochen, wie beispielsweise mit dem aktuell vierundfünfzigsten Release durch die Flying Luttenbachers, der bestätigt – auch mir selbst –, dass man das Label wirklich nicht mehr in eine klare Neue-Musik-Schublade oder dergleichen stecken kann.

„‚God‘ ist dabei irgendwie hängen geblieben.“

Worauf basiert eigentlich der Name „GOD Records“?

Slobodan Kajkut [lacht]: Der stammt aus einer Zeit, in der ich wirklich ausgesprochen viel Godflesh gehört habe. „God“ ist dabei irgendwie hängen geblieben.

Wer zählt zu den Künstlerinnen und Künstlern, deren Schaffen du selbst aktiv mitverfolgst?

Slobodan Kajkut: Viele sind leider nicht mehr so aktiv. Sehr wichtig waren und sind unter anderem sicher Mick Harris und Justin Broadrick, auch Bernhard Lang, Klaus Lang, Beat Furrer, Peter Ablinger und überhaupt interessanterweise ziemlich viele interessante Leute mit Bezug zu Graz. Es gibt dort eine Ansammlung von Komponistinnen und Komponisten, die irgendwie zufällig dort sind und die ich wirklich außergewöhnlich spannend finde. Ich frage mich oft, ob ich das auch so empfinden würde, wenn ich woanders gewohnt und studiert hätte.

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Herzlichen Dank für das Gespräch!

Patrick Wurzwallner

Links:
Slobodan Kajkut (Website)
Slobodan Kajkut (Soundcloud)
GOD Records (Website)