„Es braucht einen großen Wurf.“ – PETER TSCHMUCK im mica-Interview

Eine Studie zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den österreichischen Musikarbeitsmarkt hat gezeigt, dass die im heimischen Musikbetrieb Tätigen durch Corona-bedingte Maßnahmen und Reisebeschränkungen große Einkommensverluste hinnehmen mussten. Doch was sind die Konsequenzen daraus – vor allem im Hinblick auf aktuelle Krisen und inflationäre Entwicklungen? Was bedeutet das für Musiker:innen und Veranstalter:innen? PETER TSCHMUCK, der am Institut für Popularmusik der mdw–Universität für Musik und darstellende Kunst Wien schwerpunktmäßig zu Musikwirtschaft, Musikökonomie und Kulturpolitik forscht und lehrt, sprach mit Markus Deisenberger darüber, warum ausverkaufte Konzerte noch lange nicht bedeuten, dass es den Künstler:innen gut geht, und weshalb es einen Fördergipfel geben müsste.

Wie kann man die Ergebnisse der Studie zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den österreichischen Musikarbeitsmarkt zusammenfassen?

Peter Tschmuck: Erst einmal waren die Einkommenseinbußen massiv. Wir haben bis zu einer Einkommenseinbuße von 20.000 Euro pro Jahr abgefragt, und je nachdem, welches Sub-Sample man heranzieht, haben viele über 20.000 Euro pro Jahr verloren – und wir reden da nur von Verlusten aus der musikalischen Tätigkeit. Das bezieht sich also noch nicht auf Einbußen außerhalb des Musikbereichs.

Eine weitere Erkenntnis der Studie: Am schlimmsten betroffen waren Selbständige. D. h. vor allem jene Musikschaffenden hatten hohe Einkommensverluste, die vor der Krise freischaffend bzw. selbständig tätig und sehr gut etabliert waren. Stimmt das?

Peter Tschmuck: Ja, wir haben die Gründe für die Einbußen abgefragt. Die Hauptgründe waren meist Konzertabsagen im Inland, kombiniert mit Konzertabsagen im Ausland. Mit weitem Abstand vor anderen Gründen. Wir haben das so interpretiert, dass die, die  als Freischaffende schon gut etabliert waren, nicht mehr ins Ausland reisen konnten und dadurch ein großer Teil des Einkommens weggebrochen ist. Die Fallhöhe, die sich durch die Pandemie bzw. durch die ganzen Reisebeschränkungen ergeben hat, war sehr groß. Wo Künstlerinnen und Künstler in Österreich tätig sind, aber im Ausland Engagements haben, waren die Einbußen besonders hoch, am höchsten im Bereich Schlager und volkstümliche Musik – ein Zeichen dafür, dass dort vor der Pandemie gutes Geld verdient wurde.

„Die Corona-Krise hat die Einkommenssituation der Musiker:Innen ganz massiv verschlechtert. Das ist ein Faktum.“

Fast die Hälfte der Freischaffenden erlitt laut Studie Einbußen von mehr als 10.000 Euro. Mehr als die Hälfte der Befragten hat allerdings keinen Antrag auf finanzielle Unterstützung gestellt, weil keine Anspruchsberechtigung vorlag oder kein passendes Hilfsprogramm vorhanden war. Aber selbst für die, die Anträge stellten, gilt, dass ein paar Mal 500 Euro vom Härteausgleichsfonds das Kraut sicher nicht fett machten. Mittlerweile sind wir in die nächste Krise bzw. Inflation geschlittert. Ergibt sich daraus nicht ein desaströses Gesamtbild der sozialen Lage von Musikerinnen und Musiker?

Peter Tschmuck: Sicherlich, ja. Die Corona-Krise hat die Einkommenssituation der Musiker:innen ganz massiv verschlechtert. Das ist ein Faktum. Wenn man die aktuellen Krisen noch dazu nimmt, ist das schlicht und ergreifend existenzbedrohend.

Bild Peter Tschmuck
Bild (c) Peter Tschmuck

Das Schlimme ist: Es ist auch die Infrastruktur, die dahintersteht, existenzbedroht. Wenn man sieht, wie sich die Clubszene in Wien entwickelt oder nicht entwickelt, dass sehr viele kleine und mittlere Veranstalter unter der Inflation leiden und von den Kostensteigerungen auch der Energiekrise stark betroffen sind, fallen wichtige Auftrittsmöglichkeiten weg, die zu Corona-Zeiten zwar noch existierten, nur durften da keine Auftritte absolviert werden. Jetzt sind diese Institutionen massiv unter Druck geraten. Es zeichnet sich schon jetzt eine Welle an Insolvenzen und Betriebseinstellungen ab, die gerade die jungen Künstler:innen, die noch über einen gewissen Star-Status verfügen, massiv treffen werden. Auf der einen Seite liest man also von ausverkauften Konzerten etwa von Taylor Swift, zusammenbrechenden Ticketing-Systemen und Kartenpreisen jenseits der 1.000 Euro. Auf der anderen Seite kann es sich ein kleiner Club nicht leisten, den Eintrittspreis von 10 auf 20 Euro zu erhöhen, weil dann das Publikum ausbleibt.

Die Schere zwischen jenen, die viel Geld mit dem Live-Geschäft verdienen, und jenen, die gerade so das Auskommen finden, geht also weiter auseinander?

Peter Tschmuck: Ja. Der Musikarbeitsmarkt war immer ein massiv zweigeteilter. Es gibt eine starke Einkommensungleichheit. Die erzeugt der Markt. Das war schon vor der Pandemie so. Die Corona-Pandemie hat nach unten nivelliert. Etablierte konnten von ihren Reserven leben, was den jungen, aufstrebenden Künstlerinnen und Künstlern nicht möglich war. Mit den jetzigen multiplen Krisen finden wir uns in einer Situation wieder, wo die ohnehin schon ungerechte Einkommensverteilung noch einmal massiv verstärkt wurde. Mir ist wichtig, zu erwähnen, dass die Veranstaltungsbranche so noch konzentrierter, oligopolisierter und noch stärker zu einem Konzern-Business werden wird – und das ist nicht gut für die aufstrebenden Künstlerinnen und Künstler.

Wie müsste man dem entgegenwirken? Sie sprechen von „bedarfsgerechte Maßnahmen, durch die die wirtschaftliche und soziale Lage vieler Musikschaffender in Österreich verbessert werden könnte – nicht nur in der Corona-Krise, sondern darüber hinaus auch mittel- und langfristig.“ Was genau braucht es?

Peter Tschmuck: Man führt schon seit längerem die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen. Das ist zwar keine sozialpolitische Maßnahme, die nur auf Künstler:innen beschränkt wäre, gerade in diesem Bereich aber würde das tatsächlich etwas bringen, weil wir auch aus anderen Studien wissen, dass viele Musiker:innen auf anderes Einkommen verzichten, nur um ihre musikalische Tätigkeit ausüben zu können. Das wird im Englischen als „Earnings Penalty“ bezeichnet, eine Einbuße, die man in Kauf nimmt. Dafür generiert man sozusagen psychisches Einkommen, indem man auftritt und künstlerisch aktiv ist.

Der Untertitel der unlängst erschienenen Musikerinnen-Biografie von Miki Berenyi [Sängerin und Gitarristin der Band Lush, Anm.] lautet: „How music saved me from success.“

Peter Tschmuck: [lacht] Man könnte lange darüber philosophieren, warum das so ist, aber Faktum ist, dass es nur ganz wenige schaffen, in der Einkommenspyramide nach ganz oben zu steigen. Alle anderen tun sich wahnsinnig schwer. Da würde ein Grundeinkommen eine Absicherung bieten und den Künstler:innen ermöglichen, ihre Tätigkeit auszuüben, ohne ständig Existenzängste haben zu müssen. Zusätzlich wäre es wichtig, über entsprechende Fördermaßnahmen nachzudenken. Wir haben in Österreich Förderinstrumente vor allem für Repräsentativkultur. Staatsoper, Konzerthäuser und Landestheater. Jene, die in diesem Zusammenhang arbeiten, können in der Regel ganz gut davon leben. Aber Repräsentativkultur bedeutet zunächst einmal Klassik.

Damit will ich nicht sagen, dass Leute in der Klassikbranche nicht auch unter der Coronakrise gelitten hätten. Haben sie, ganz massiv sogar. Aber es gibt ein Auffangnetz. Das ist der Unterschied. Eine solide Förderung gibt es im Popbereich nun einmal nicht, und es gibt auch in Österreich kaum eine Sensibilität dafür, dass es das auch für diesen Bereich braucht. In Ländern wie Frankreich oder Schweden hat man längst erkannt, dass Förderungen nicht nur im Klassikbereich wichtig sind, sondern auch im Pop. Von der öffentlichen Hand her betrachtet haben wir derzeit eine einzige Förderschiene, den Musikfonds, und der richtet sich im Grunde genommen an Musikproduktion und alles, was rundherum gefördert werden kann. Projektförderungen, Förderungen für Tourneen werden nur im Einzelfall und dann auf Ebene der Bundesländer vergeben. Da bräuchte es so etwas wie einen Fördergipfel aller Gebietskörperschaften, auf dem man darüber nachdenkt, wie man gemeinsam den Pop-Bereich am Leben erhalten kann, der genauso eine positive Auswirkung auf die Musikkultur in Österreich hat wie die Klassik.

Fair Pay findet jetzt in den Förderrichtlinien Niederschlag. Werten Sie das als ersten Schritt in die richtige Richtung?

Peter Tschmuck: Fair Pay ist ein ganz grundsätzlich relevantes Thema, das ich gar nicht ausschließlich in dem Zusammenhang sehen würde. Fair Pay bedeutet letztlich, dass Veranstalter:innen, die Musik nutzen, dafür auch fair bezahlen sollen. Gut und wichtig, aber das wird an der grundsätzlichen Problematik nichts ändern: Wo nichts bezahlt wird, gibt es auch kein Fair Pay. Man muss sich ganz grundsätzlich überlegen, wie man die Künstler:innen erreicht. Etwa durch direkte Unterstützungsmaßnahmen und Infrastrukturförderung, damit die Leute ein Auftrittsmöglichkeiten bekommen. Es gibt den Musikexport, aber wenn Sie mich fragen, bräuchte es da wesentlich mehr Geld, um den weiter auszubauen. Denn – das hat die Studie gezeigt – dort, bei Engagements im Ausland, verdienen die Leute wirklich ihr Geld. Dort zahlt es sich aus.

„Urhebervertragsrecht bedeutet einen erhöhten Schutz für die Kreativen.“

Gehört nicht auch die Einführung eines wirksamen Urhebervertragsrechts zu den wichtigen Punkten, um das Ungleichgewicht, das immer dann entsteht, wenn sich ein:e Einzelne:r einer Verwertungsindustrie bzw. -maschinerie gegenübersieht, abzufedern?

Peter Tschmuck: Ich bin schon seit Jahren ein Verfechter des Urhebervertragsrechts. Dass es das hierzulande nicht schon längst gibt, ist eine Blamage für Österreich. In Deutschland gibt es das ja schon lange Realität.

Aber ich glaube nicht, dass man die Probleme, die wir haben, mit einer einzelnen Maßnahme lösen könnte. Urhebervertragsrecht bedeutet einen erhöhten Schutz für die Kreativen. Bis jetzt wird ja so getan, als würden Urheber:innen auf gleicher Augenhöhe mit Verwerter:innen verhandeln und die gleiche Macht haben, was natürlich nicht bzw. nur in Ausnahmefällen stimmt, wenn es sich um Superstars handelt. Dass man da einen Schutzschirm einzieht, halte ich für wichtig. Aber die Einkommenssituation, fürchte ich, wird das Urhebervertragsrecht auch nicht verbessern.

Man muss sich nur die AKM-Statistik anschauen, dann wird klar, dass es eine große Verteilungsungleichheit gibt. Es gibt wenige, die sehr viel bekommen, und viele, die kaum etwas bekommen. Diese vielen würden zwar durch ein wirksames Urhebervertragsrecht besser geschützt, aber ihre Einkommenssituation würde sich nicht drastisch verbessern.

Wir müssen weg von Einzelmaßnahmen, wir müssen die Maßnahmen miteinander vernetzen., die müssen zusammenpassen. Es braucht einen großen Wurf – und nicht, dass dieses Mal an dieser Schraube und dann wieder an jener Schraube gedreht wird. Ja, das Urhebervertragsrecht ist ein Baustein, aber eben nur einer.

Und dass die Position der Labels gegenüber den Plattformen durch das neue Urhebervertragsrecht gestärkt wurde, ist allein noch nicht ausreichend, oder?

Peter Tschmuck: Wenn man sich die Zahlen realistisch anschaut, sind die Verwerter die großen Profiteure des Streaming-Systems. Wenn man sich die Geschäftsberichte von Universal, Sony, Warner etc. anschaut, dann haben die so gut verdient wie noch nie zuvor.

Wenn das Wachstum des Streaming-Marktes, der auf Basis der Umsätze der Labels ermittelt wird, beträchtlich ist, und zeitgleich die Einnahmen der Künstler:innen sinken, ergibt sich daraus doch zwangsläufig, dass beim „Middleman“ mehr hängen bleiben muss.

Peter Tschmuck: Genau so ist es. Die Streamingdienste zahlen ja in der Regel nicht direkt an die Künstler:innen aus, außer Urhebere:innen verwerten ihre Rechte selber und direkt. Wenn das der Fall ist, schaut die Situation besser aus. Sobald aber Verwerter zwischengeschaltet sind – ob Labels oder Verlage – bleibt viel bei diesen hängen. Die Diskussion wird falsch geführt. Immer nur auf die Streaming-Services zu schauen und zu sagen, die würden zu wenig ausbezahlen, ist zu kurz gegriffen. Wenn man sich die Geschäftsberichte der Streaming-Services anschaut, bauen die seit Jahren nur Verluste.

Der Börsenkurs von Spotify ist im Sinkflug begriffen, sank im abgelaufenen Jahr um 67,89 Prozent.

Peter Tschmuck: Nicht nur das. Angami, ein Streaming-Service im arabischen Raum, ist vor kurzem an die Börse gegangen. Der wurde pulverisiert. Das Geschäftsmodell ist schwer durchzuhalten. Die zahlen große Summen an die großen Labels. 80-90 Prozent der Umsatzkosten sind für Lizenzen – das ist ein Geschäftsmodell, das nur Verluste produzieren kann. Langfristig schießen sich die Labels mit dieser Taktik ins Knie.

Warum?

Peter Tschmuck: Die kassieren jetzt massiv ab. Wie die Verträge zwischen Labels und Interpret:innen aussehen, wissen wir: Sehr viel gibt es da nicht zu verdienen. Da könnte das Urhebervertragsrecht etwas verbessern. Es gibt tolle Umsatzbeteiligungen, von denen ich als Artist aber nichts sehe, weil die Kosten gegengerechnet werden. Man müsste hier einmal eine realistische Diskussion führen, wer von diesem ganzen System eigentlich profitiert.

Wer profitiert?

Peter Tschmuck: In der Streaming-Ökonomie ganz klar die Verwerter, die die großen Kataloge haben.

„Ja, Fair Pay und Urhebervertragsrecht werden diskutiert, aber meiner Meinung nach müsste noch wesentlich mehr passieren.“

Wenn man so eine Studie macht, will man zuerst einmal den Status quo so gut wie möglich abbilden, aber insgeheim wünscht man sich doch wahrscheinlich auch, dass die Ergebnisse in gewisser Hinsicht als Weckruf dienen und sich die Politik die schlimmen Zahlen zum Anlass nimmt, Maßnahmen zu ergreifen. Sind Sie guter Dinge, dass das passiert?

Peter Tschmuck: Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber ehrlich gesagt habe ich mir, nachdem wir die Studie publiziert haben, einen lauteren Aufschrei erwartet und auch erhofft. Wir haben das nicht im Geheimen gemacht, sondern etwa in Pressekonferenzen die Öffentlichkeit gesucht. Trotzdem ist der große Aufschrei, den wir uns erwartet haben, ausgeblieben.Wir haben die Studie natürlich nicht nur aus Aktualitätsgründen gemacht, darin steckt auch eine Menge Erkenntnisgewinn. Es laufen weitere wissenschaftliche Studien, zwei Dissertanten vertiefen die Themen, schauen sich die Arbeitsmärkte an. Die Coronakrise war Auslöser und Plattform, um zu Informationen zu kommen, weil die Bereitschaft besonders groß war, Fragebögen auszufüllen. Mit den Daten arbeiten wir nun weiter und erhoffen uns weitere wissenschaftliche Erkenntnisse. Aber der öffentliche Diskurs hätte engagierter ausfallen können. Ja, Fair Pay und Urhebervertragsrecht werden diskutiert, aber meiner Meinung nach müsste noch wesentlich mehr passieren.

Wäre es aus Sicht der Politik nicht schon aus rein pragmatischen Erwägungen heraus ratsam, sich damit zu beschäftigen? Die Verhältnisse waren – wie wir aus den beiden Studien zur sozialen Lage der KünstlerInnen wissen – schon vor der Pandemie und den jetzigen Krisen prekär. Wenn diese Leute nun völlig abrutschen, muss der Staat für sie sorgen. Wäre es daher nicht ratsamer, vorher regulierend einzugreifen und sie aufzufangen, bevor sie völlig abrutschen?

Peter Tschmuck: Ja, natürlich. Umgekehrt muss man fragen, warum man das nicht schon längst gemacht hat. Wie Sie ja richtig sagen, gab es da ja schon entsprechende, auch vom Ministerium in Auftrag gegebene Studien. Die Kulturpolitik weiß also ohnehin, wie prekär die Situation ist. Bahnbrechende Maßnahmen wurden aber nicht in die Wege geleitet. Das befürchte ich leider auch in diesem Fall. Wir haben hier eine der besten Datenbasen weltweit zu den Musikarbeitsmärkten, und wir können sehr schön ins Detail hineingehen, aber die Kulturpolitik hat noch nicht angeklopft und um unsere Expertise gefragt.

Die Ergebnisse, sagen Sie, haben auch „die Dringlichkeit erhöht, besser über die Strukturen und Prozesse am Musikarbeitsmarkt Bescheid zu wissen.“ Ist das, was im universitären Bereich derzeit geschieht, zu wenig?

Peter Tschmuck: Ja, und zwar auf beiden Seiten. Einmal ist die wissenschaftliche Seite dazu aufgefordert, mehr über die Musikarbeitsmärkte herauszufinden. Da sind wir dran. Denn je mehr wir herausfinden, desto zielgerichtetere Maßnahmen kann man ableiten. Aber auch die Kulturpolitik hat sich zu wenig damit auseinandergesetzt, wie das Werk funktioniert und wo die Problembereiche liegen.

„Eine neue Wertschöpfungsstudie wäre ein wichtiges Signal in Richtung Kultur- und Wirtschaftspolitik …“

Denken Sie, es fehlt an der realistischen Einschätzung, wie groß und wirtschaftlich bedeutend dieses Feld eigentlich ist? Da geht es ja nicht um ein paar versprengte Künstler:innen, sondern um einen wirtschaftlich bedeutsamen Bereich. Fehlt es an Tiefenschärfe, die entsprechend wahrnimmt, dass die Kreativwirtschaft ein wichtiger Zweig in der Gesamtwirtschaft ist?

Peter Tschmuck: Absolut. Aber auch darüber gibt es bereits Studien. Es wäre gut, so eine Studie über die Wertschöpfung der Musik in Österreich zu wiederholen, die letzte ist auch schon wieder zehn Jahre alt. Damals wurde klar aufgezeigt, wie groß der Sektor ist, wie viel Wertschöpfung generiert wird, wie viele Arbeitsplätze dadurch abgesichert werden und wie viel Einkommen generiert wird. Wer will, kann auch diese Studie nachlesen. Offensichtlich hat aber auch das nicht allzu viel bewirkt. Eine neue Wertschöpfungsstudie wäre ein wichtiges Signal in Richtung Kultur- und Wirtschaftspolitik, um zu zeigen, wie groß der Sektor ist und wie gefährlich es ist, nichts zu tun, weil enorm viele Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.

Die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler hat in einem Interview mit mir einmal gemeint, die Erhöhung des Budgets sei nur ein erster Schritt gewesen. „Im Grunde genommen ist das der Anfang einer fundamentalen Weichenstellung in der Kulturpolitik“, sagte sie. „Dass wir sagen: Wir müssen hier anders agieren, weil wir uns sonst ein Feld kaputt machen.“ Würden Sie zustimmen?

Peter Tschmuck: Ja, aber es müssen Taten folgen. Die Erkenntnis ist da. Dass sich etwas ändert, scheitert an der eingangs bereits besprochenen Praxis, wie man in Österreich Steuergeld verteilt. Repräsentativkultur wird gefördert und die freie Szene kriegt kaum etwas ab.

Die große Befürchtung, die ich derzeit habe, ist: Die Corona-Pandemie, die jetzige Inflation, die Kostensteigerungen, die Energiekrise – das alles hat Maßnahmen erfordert, die das Budget massiv belasten. Bald schon wird deshalb der Ruf laut werden, dass wir wieder sparen müssen, um das Budgetdefizite zu stopfen: Die Folge wird eine neuerliche Austeritätspolitik sein.

Und wo kann man sparen? Bei den großen Kulturtankern kaum, weil die gesetzlich verbindliche Förderzusagen haben. Sparen kann man nur bei den so genannten Ermessensausgaben, und das sind die klassischen Förderinstrumentarien, von denen Künstler:innen abhängig sind.

Vielen Dank für das Gespräch!

Markus Deisenberger


Peter Tschmuck ist Professor am Institut für Popularmusik der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.


Link:
Peter Tschmuck (Musikwirtschaftsforschung)