Die Wiener Philharmoniker sowie Cellist Clemens Hagen ehrten im Eröffnungskonzert des Musikfestes der Wiener Festwochen Joseph Haydn. Unter Nikolaus Harnoncourt (heuer 80 Lenze alt und zumindest am Sonntag kein bisschen müde, wie es scheint) erklangen zwei großartige “Londoner” Symphonien. Clemens Hagen spielte im Violoncellokonzert C-Dur zwei erlesene Kadenzen aus der Hand von Georg Friedrich Haas und dann das Presto-Finale mit atemberaubender Verve und einem Tempo an der Grenze des Möglichen.
Man kann über “unsere” Philharmoniker ab und zu schimpfen soviel man will, aber am Sonntag unter Harnoncourt spielten sie wirklich (fast) immer ausgesprochen toll. Manchmal vielleicht ein bisschen zu weich, meist aber wirklich spannend – in Ehrerbietung auch vor dem Verdienst des Doyens der Alten Musik, der das pejorative “Papa”-Image dieses großen Komponisten der europäischen Klassik (er bleibt der “Vater” der Symphonie und des Streichquartetts) maßstabsetzend mit demontiert hat.
Das galt auch in diesem Konzert. Schon bei der der seltener zu hörenden D-Dur-Symphonie Hob. I/93 (später auch “Glocken-Symphonie” genannt), die Haydn vor dem Hintergrund eines Rivalitätsstreits zweier Konzertunternehmer 1792 in London zu Gehör bringen ließ: Die neuen so genannten “Professionals” kündigten nämlich damals für jedes ihrer Konzerte Novitäten von Ignaz Pleyel an, der aus Paris angekommen, in London weilte. Dieser Konkurrenz mussten die auf Haydn setzenden Konzerte des Geigers und Managers Johann Peter Salomon standhalten.
“Um also Worth zu halten”, schrieb Haydn an seine Freundin Marianne Genzinger, “und um den armen Salomon zu unterstützen, muß ich das Sacrifice seyn und stets arbeithen. Ich fühle es aber auch in der That, meine Augen leyden am meisten, und hab viele schlaflose Nächte .” Erleichtert konnte er konstatieren, das sein neues symphonisches Werk “tiefsten Eindruck auf die Hörer machte”, wiewohl er selbst an der Qualität des finalen Satzes zweifelte und erklärte, diesen noch überarbeiten zu wollen.” Gegenüber Pleyel wahrte Haydn die Courtoisie: “Man kritisiert sehr Pleyels Kühnheit, unterdessen liebe ich Ihn dennoch, ich bin jederzeit in seinem Concert und bin der erste, so ihm applaudiert.” (zitiert nach dem Programmheft-Artikel von Matthias Walz/Dominik Schweiger).
Den Schlusspunkt des Konzertes bildete die Symphonie Es-Dur, Hob. I/103, uraufgeführt am 2. März 1795.Haydn selbst soll sie als seine beste bezeichnet haben. Nikoalus Harnoncourt ließ es sich nicht nehmen, vor der Aufführung im Konzerthaus dem Publikum einiges zu dem Werk zu sagen: Diese Symphonie – “Mit dem Paukenwirbel” – werde zwar vermutlich noch in dreihundert Jahren so genannt werden, die Bezeichnung sei aber nicht richtig, die ausnotierte Einleitung sei nämlich in Wahrheit nicht nur ein “Wirbel” sondern eine ganze Pauken-“Intrada”. Daher sollte man die Symphonie besser als die “Mit der Pauken-Intrada” bezeichnen. Zweitens, bemerkte Harnoncourt, sei das schöne Violinsolo im “Andante più tosto Allegretto”-Variationensatz von Haydn eigens für den damaligen Konzertmeister Viotti komponiert worden und -“authentischer geht’s nicht” – der Philharmoniker- Konzertmeister bei dieser Symphonie sei Volkmar Steude, der das Solo auch auf eben dieser Viotti-Stradivari spielen werde. Menuett-Trio und auch das Finale enthielten drittens viele europäische Genres der damaligen Volksmusik, besonders die aus der Gegend, wo Haydns sich langjährig aufgehalten hat: also neben “österreichischen” vor allem auch kroatische, ungarische und besonders auch die Musik der Zigeuner-Bandas.
Clemens Hagen mit dem Cellokonzert in C-Dur
Wir schön man Haydns erst zwei Jahrhunderte später in Prag aufgefundenes Cellokonzert spielen kann, das bewies Clemens Hagen (nach etwas zu süßlicher Orchestereinleitung) vom ersten Takt seines Solo-Spiels an. Der Haydn-Forscher Harold Robbins-Landon vermutet, dass es Haydn bereits 1765 für Joseph Weigl, einen Cellisten der Esterházyschen Kapelle geschrieben hatte. Es ist in seiner Mischung auch spätbarocken und frühklassischen Elementen ein tolles Werk des Übergangs.
Und Clemens Hagen spielte es draufgängerisch, nicht sentimental und (im Mittelsatz) mit großer, nicht-süßer Lyrik. Haydns Musik wird da zu einem erlesenen Wein – oder (im Finale “Allegro con spirito”, fast als “Presto” in Angriff genommen) eben auch zu einem perlenden “Sturm” erster Güte. Hochspannend die beiden auch mikrotonal und oberton-spektral organisierten, gar nicht lauten Haas-Kadenzen, wiewohl sie von einigen Kritikern als “zu wenig zum Werk passend” verunglimpft wurden. Wir meinen hingegen, dass Georg Friedrich Haas – ähnlich György Kurtàg – imstande ist, großer “alter” Musik staunend nach-zu-lauschen, ja nachzusinnen. Chapeau für diese große Wiedergabe.
Nun ja, die Hagens, zumal der vortreffliche Cellist Clemens Hagen, kennen halt die “Haas-Intonation”, Das hat auch Haas selbst im mica-Interview 2007 schon gesagt. “Da kann ich auch noch etwas anderes erzählen: Das Zweite Streichquartett, das 1998 im Wiener Konzerthaus uraufgeführt wurde, habe ich für das Hagen Quartett geschrieben, das der Moderne gegenüber sehr aufgeschlossen ist, aber dessen Schwerpunkt doch eher in der Vergangenheit liegt. Clemens Hagen, der auch der erste Solist meines Cellokonzerts war, hat mir später erzählt, sie verwenden den Ausdruck “Haas-Intonation”, wenn sie romantische oder klassische Musik in reiner Intonation spielen.
Es wurde ihnen also durch die Auseinandersetzung mit meinem Stück auch die Problematik bewusst gemacht, mit der sie in der anderen Musik auch zu tun haben. Meine große Hoffnung ist, dass das auch in den Orchestern verstanden wird, obwohl das dort durch die Gruppengrößen noch viel schwerer zu erreichen ist. Dass denen auch klar wird, dass ich genau mit dem arbeite, womit sie sich bei Schubert und Bruckner herumschlagen. Die Aufführungsqualität würde davon sehr profitieren (mica-Interview mit Georg Friedrich Hass vom 1.11. 2007) .
Heinz Rögl
Harnoncourt © styriarte
Clemens Hagen © Mozarteum