Erforschung immer noch entlegener Winkel des akustischen Kosmos

Der Bludenzer Kulturverein „allerArt“ feiert sein fünfundzwanzigstes Gründungsjahr mit einer Festausgabe der „Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik“. Die in den Anfängen von Hans-Peter Frick initiierten und betreuten Konzerte zeitgenössischer Musik wurden in den vergangenen Jahrzehnten als „Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik“ von Georg Friedrich Haas, zwischen 1995 bis 2006 von Wolfram Schurig und seit 2007 von Alexander Moosbrugger zu einem anerkannten Festival entwickelt. Die Qualität der Konzerte wird weit über die Landesgrenzen hinaus geschätzt und die Bludenzer Tage sind mittlerweile ein begehrter Treffpunkt für KomponistInnen und MusikerInnen. Die Besonderheit der btzm liegt wohl auch darin begründet, dass die Programme nicht von Kulturmanagern, sondern von Komponisten konzipiert worden sind. Aufgrund der bescheidenen finanziellen Mittel leidet jedoch die Öffentlichkeitsarbeit und nicht zuletzt auf diesem Manko beruhend, gibt es vor allem in Vorarlberg ein Imageproblem. Wer sich jedoch die Mühe macht, genauer hinzuschauen und mit offenen Sinnen die Festivalprogramme aufnimmt, findet durchdachte und klug komponierte Werkzusammenstellungen und entdeckt anregend Neues.

Die Leitgedanken

Alexander Moosbrugger hat sich während seiner Studienjahre intensiv mit der Topologie des Hörens auseinandergesetzt und Eigenschaften sowie Wirkzusammenhänge in der Musik und Philosophie erforscht. Die „Bilderlehre“ die der römische Dichter Lukrez vor mehr als 2.000 Jahren in seiner Abhandlung „Über die Natur der Dinge“ in epischer Form niedergeschrieben hat, diente Alexander Moosbrugger als Leitgedanken des Festivalmottos „Gegenstandsbezirke und herumfliegende Häutchen“. Mit dem Bild der herumfliegenden Häutchen veranschaulichte Lukrez die Wahrnehmung. „Das Innere der Klänge nach außen stülpen“, lautet eine weitere Intention der aktuellen Programmgestaltung.

In Anlehnung an das sechsteilige epische Versmaß, den Hexameter, hat Alexander Moosbrugger die Anzahl der dargebotenen Kompositionen angepasst. An jedem Konzertabend stecken die einzelnen Kompositionen ihre eigenen Bezirke ab. Nicht gemeinsame Schnittmengen oder Beziehungen zwischen den Werken sollen bei dieser Festivalausgabe im Vordergrund des Interesses stehen, sondern einzelne Positionen erlebbar werden.

Georg Friedrich Haas und seine Schüler

Anlässlich des Jubiläumsjahres machte der Verein „allerArt“ den Vorschlag, den drei bisher tätigen Kuratoren jeweils einen Konzertabend zu widmen. Alexander Moosbrugger nahm diesen Gedanken auf und gewährte Raum für seine Kollegen. Georg Friedrich Haas ist seit dem September 2013 Professor an der Columbia Universität in New York. Seinen allerersten Kompositionsauftrag hat der mittlerweile weltweit gefeierte Komponist von Hans-Peter Frick für die „Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik“ erhalten. Dankbar erinnert sich G.F. Haas an die für ihn damals wichtige Wertschätzung seiner künstlerischen Arbeit am Beginn seiner Karriere.

Georg Friedrich Hass ist auch ein begehrter Kompositionslehrer und er nutzt gerne Aufführungsmöglichkeiten für seine StudentInnen. Deshalb werden neben eigenen Werken auch die Komponisten Yair Klartag und Helena Winkelman in Bludenz präsent sein. Yair Klartag ist ein klangsinnlicher Komponist, „unglaublich hart im musikalischen Ausdruck. Ein Mensch, der etwas zu sagen hat und es auch sagen kann“, so Haas. Als Komponistin hat Helena Winkelman sich bereits einen Namen gemacht. Selbst ist sie eine hervorragende Geigerin, die auch mit traditionellen Schweizer Instrumenten arbeitet.

Wolfram Schurig

Wolfram Schurig prägte die btzm elf Jahre lang und er merkt lachend an, dass die Kuratierung der Programme höchst eigennützig war. „Es kam nur Musik aufs Programm, von deren Qualität ich schon von vornherein überzeugt war oder aber solche, auf die ich besonders neugierig war, auch wenn – oder wohl eher  weil – ich mir zuweilen keinen Reim auf sie machen konnte.“ Die meisten Konzertprogramme boten herausragende Inhalte, aber nicht alle bewährten sich. Doch genau diese Überraschungsmomente und die Spannungsverhältnisse boten Anreize für Diskussionen und belebten die musikalischen Erlebnisse.

Der italienische Komponist Giorgio Netti und seine Musik begleiten die btzm schon über ein Jahrzehnt lang. Immer wieder finden sich seine Werke auf Konzertprogrammen und sie sind inzwischen auch „eine Messlatte geworden für künstlerische Authentizität und die Integrität eines hoch entwickelten kompositorischen Metiers“, so Wolfram Schurig. Im Mittelpunkt des Bestrebens der btzm über die vergangenen fünfundzwanzig Jahre hinweg stand stets die „Erforschung immer noch entlegener Winkel des akustischen Kosmos“, unabhängig von den Prioritäten, die die drei bisherigen Kuratoren gesetzt haben.

Wolfram Schurig präsentiert an „seinem“ Abend drei Uraufführungen. Neben Werken von Giorgio Netti und Christopher Trebue Moore stellt das Ensemble PHACE auch Schurigs neuestes Werk „gesänge von der peripherie“, einen Liederzyklus nach Gedichten von Daniela Danz, vor. Diese Uraufführung ist in zweifacher Hinsicht eine Premiere, denn zum ersten Mal hat der in Feldkirch lebende Komponist ein Vokalwerk geschaffen. „Es gibt viel Lyrik, die mich fasziniert“, erzählt er. „Doch es war nicht einfach, einen passenden Text zu finden. Manche Gedichte sind selber in so hohem Ausmaß musikalisch, dass eine Vertonung gewissermaßen tautologisch wäre. Man denke etwa an die Lyrik von Thomas Kling oder Mara Genschel.“

Rhythmus und Sprachmelodie

Zufällig hat Wolfram Schurig Gedichte von Daniela Danz entdeckt und diese haben ihn unmittelbar angesprochen. „Das ist genau das, was ich gesucht habe und Lyrik, die mir vertonbar schien. Die Sprache ist in dem Sinne durchlässig, als ihr rhythmisch-melodischer Duktus direkt ins Musikalische übertragbar ist, ohne dass darunter ihr semantischer Anteil leiden würde. In anderen Worten; wenn der Komponist es richtig anstellt, ist es nicht zwingend notwendig, dass man jedes einzelne Wort versteht.“, so Schurig. „Eigentlich habe ich bei allen Gedichten nichts anderes gemacht, als sie für mich laut gelesen und transkribiert. Vom Rhythmus und der Sprachmelodie habe ich unterschiedliche Versionen angefertigt, entsprechend der verschiedenen Möglichkeiten, den Text zu lesen und zu betonen.“

Das Komponieren des Liederzyklus ist Wolfram Schurig, der sonst eher langsam schreibt, leicht von der Hand gegangen. „Das war eine sehr schöne und befriedigende Erfahrung für mich, es ist sicher nicht die letzte Vertonung, die ich mache“, erzählt er. Gleichzeitig hat der Kompositionsprozess eine Seite in ihm angesprochen, die ihm als Blockflötisten von einem anderen Blickwinkel aus bestens bekannt ist. „Zum ersten Mal habe ich etwas wirklich verstanden, womit ich als Instrumentalist der Alten Musik ständig zu tun habe, wie die musikalische Rhetorik funktioniert und wie sie sich von der sprachlichen unterscheidet.“

Auftragslage

Im Gespräch mit dem Komponisten kommt auch die derzeitige Auftragsvergabe neuer Werke zur Sprache. Denn angefangen mit der Komposition des Liederzyklus hat er ohne Kompositionsauftrag und noch bevor er eine geeignete Interpretin gefunden hatte. Während der Werkentstehung hat er jedoch mit Almut Hellwig eine geeignete Sängerin gefunden, so dass sie in das Werk hineinwachsen konnte. Dies ist mittlerweile Schurigs bevorzugte Vorgangsweise, bietet sie ihm doch die Chance, sich nur mit solchen Projekten zu befassen, die ihn wirklich interessieren, ohne sich an den Gegebenheiten einer Auftragslage ausrichten zu müssen. So sucht er sich die idealen Interpreten für die jeweiligen musikalischen Erfordernisse seiner Stücke meist selber. Als nächstes entsteht etwa ein Werk für Cembalo für Johannes Hämmerle sowie ein Ensemblewerk für zwei Klaviere mit Streich- und Bläsertrio, das das ensemble „surplus“ übernächstes Jahr präsentieren wird.

Das Alte in einen neuen Zusammenhang stellen

Alexander Moosbrugger ist als Organist mit der traditionellen Musik der Renaissance und des Barock bestens vertraut. Im Festivalprogramm spiegeln sich auch die traditionellen Wurzeln wieder. Den Hymnus „Ave maris stella“ von de Grigny sowie ein Werk von Gioanpietro del Buono hat Alexander Moosbrugger für Ensemble eingerichtet. Diese und weitere Kompositionen aus seiner Feder, ergänzt durch Texte, die die Ausdrucksqualitäten des Lukrez verdeutlichen, und einer Diskussion zum Festivalthema, bilden den Schwerpunkt jenes Abends, der Alexander Moosbrugger gewidmet ist.

Konzerte in Berlin und Venedig

Neben seiner Kuratortätigkeit für die btzm ist Alexander Moosbrugger derzeit viel beschäftigt. Für das italienische Ensemble „L’Arsenale“ beispielsweise komponierte er vor kurzem ein Werk für zwei Synthesizer, das im Rahmen eines Porträtkonzertes in Venedig uraufgeführt wird. Ein Orgelkonzert im Französischen Dom in Berlin folgt Anfang November und im Frühjahr findet ein Komponistenporträt im Berliner Konzerthaus statt.

Über den Stadtrand hinaus wirken

Es ist erfreulich, dass die btzm den Aktionsradius in Richtung der Landeshauptstadt und über Genregrenzen hinweg ausweiten. Ein Künstlerteam rund um den Berliner Musiker und Künstler Serge Baghdassarians gestaltet im Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis in Bregenz auditive Bezirke, die zwischen Installation, Musikperformance und Bildender Kunst angesiedelt sind. Ausgangspunkt ist die Überlegung dass „jeder Text in eine Lautform transformiert werden muss, damit er vom menschlichen Gehirn abgespeichert werden kann. Diese Veränderung erfolgt durch inneres Sprechen des Textes. Damit werden die schriftsprachlichen Einheiten in eine phonetische Form kodiert“. Diese mündet in der Frage, ob diese Kodierung nicht auch durch ein inneres Singen erfolgen kann. Alessandro Bosetti, Brandon LaBelle und Achim Lengerer sind dem in ihren Arbeiten nachgegangen und nehmen mit Hilfe von Gitarrenstimmgeräten darauf Bezug.

Ein weiteres Projekt mit dem Titel „Bodybuilding“ ist die Live-Version eines ursprünglich für Radio realisierten Stückes. Ausgehend vom Mathematiker und Astronomen Charles-Marie de La Condamine erforschen die Klangkünstler Serge Baghdassarians und Boris Baltschun den Weg von ihrem Wohnort in Rio de Janiero bis zum dreieckigen Platz „Largo do Guimaraes“ mit Mikrofon und Aufnahmegerät.
Silvia Thurner

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft im November 2013 erschienen.
Factbox:

Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik, Remise Bludenz

Mittwoch, 20. November 2013, 20 Uhr
Werke von G.F. Haas, Yair Klartag, Alexander Moosbrugger und Helena Winkelman
ensemble recherche

Donnerstag, 21. November 2013, 20 Uhr
Werke von Wolfram Schurig (UA), Giorgio Netti (UA) und Christopher Trebue Moore (UA)
Ensemble PHACE, Anna Spina (Viola; Almut Hellwig, Sopran

Freitag, 22. November, 2013, 20 Uhr
Werke von Alexander Moosbrugger und G.F. Haas. René Block, Gerrit Gohlke, Stefan Neuner Musik und Festivaltitel
Formalist Quartet

Samstag, 23. November 2013, Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis Bregenz, 11 Uhr bis Mitternacht.
Ein Komponisten-, Performer-, Künstlerteam mit Serge Baghdassarians und Boris Baltschun, Alessandro Bosetti und Achim Lengerer
Foto Ensemble PHACE: Oliver Topf
Foto Alexander Moosbrugger: Katja Hiendlmayer
Foto Georg Friedrich Haas: Universal Edition/Eric Marinitsch
Foto Wolfram Schurig: privat

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