„Er wollte viel mehr sein” – Georg Hübner aka “Guru” im mica-Interview

GEORG HÜBNER aka “GURU” kennt man von GURUS ŠRÂMŁ KVAȚET oder dem BILLY RUBIN TRIO. Er steht für originelle Musik zwischen Blues, Jazz und Wienerlied und komponiert deutschsprachige Lieder mit hintergründigem Grinsen. Dass man da früher oder später über die Lieder von Georg Kreisler stolpert, versteht sich irgendwie von selbst. Dass es dann ein Projekt zum 101. Geburtstag des Altmeisters wurde, ist schräg, hätte Kreisler deshalb aber wohl umso besser gefallen. Im Gespräch mit Markus Deisenberger erklärt er, wie er vom Metal zum Wienerlied kam und was die Gemeinsamkeiten von Hippie- und Punk-Kultur sind.

Obwohl es bei dir mit Heavy Metal anfing, bist du heute im Jazz, Blues und Wienerlied unterwegs. Genau dort, zwischen all diesen Stühlen, ist auch die auf Preiser Records erschienene Hommage “Kreisler 101” zu verorten. Ist es, wenn man sich mit dem Wienerlied beschäftigt, eine logische Entwicklung, früher oder später über Georg Kreislers Lieder zu stolpern?

Georg Hübner: Ich glaube schon. Einige Kreisler-Lieder sind sehr nahe am Wienerlied dran. “Wien ohne Wiener” ist eigentlich ein klassisches Wienerlied. Auch “Der Tod, das muss ein Wiener sein” ist ein klassisches Wienerlied. Oder “Am Totenbett”. Er ist halt nie in der klassischen Wienerlied-Szene unterwegs gewesen. Die blühte knapp vor ihm mit Moser und Hörbiger und knapp nach ihm bzw. nachdem er seine große Zeit hatte, mit Qualtinger und Heller, die das Wienerlied wieder aufleben ließen. Von der Wahrnehmung des Publikums, nicht aber von seiner Qualität, war er also genau dazwischen.

Wie kam es zu dem Projekt? Was ist die Entstehungsgeschichte?

Georg Hübner: Ich war auf der Suche nach Liedern für mein Schrammelquartett, das Wienerlied im orientalischen Gewand präsentiert, in orientalischer Panier sozusagen. Da kam mir “Wien ohne Wiener” in den Sinn. Wenn ein Türke, ein Perser und ein halber Kanadier gemeinsam “Wien ohne Wiener” singen, wäre das doch schön zynisch, fand ich. Und je mehr ich mich mit Kreisler beschäftigte, desto mehr prallte ich frontal gegen ihn. Dann entdeckte ich, dass er im kommenden Jahr hundertsten Geburtstag haben würde. Da wäre es doch eine tolle Idee, ihn mit einer Hommage zu ehren, oder? Also habe ich ein paar Leute aus der Wienerlied-Szene und verwandten Gebieten angeschrieben, um draufzukommen: Schön, es machen alle mit, aber rechtzeitig zum Jubiläum schaffen wir das nicht. Die Lösung war: Ich erklärte das Jahr ab seinem hundertsten Geburtstag am 18. Juli 2022 bis zum 18. Juli 2023 einfach eigenmächtig zum Georg Kreisler-Jahr und veröffentlichte jeden Monat ein Lied. 101 ist auch mehr Kreisler als 100.

Das Ergebnis ist die auf Preiser Records erschienene CD mit all diesen Liedern. Was fasziniert mehr als hundert Jahre nach seiner Geburt noch immer an Kreisler?

Georg Hübner: Dass er unglaublich pointiert und treffsicher mit seinen Formulierungen ist. Es gibt ein paar Menschen, die Songtexte geschrieben haben, indem sie einen Schalter umlegten und die Schleusen einfach öffneten. Georg Danzer konnte das oder Gert Steinbäcker von STS. Die setzten sich hin und schrieben in einer halben Stunde einen Text, der schlichtweg genial ist. Pathetisch ausgedrückt ist das ein Zustand der Gnade. Diese Gabe hat man oder man hat sie nicht. Üben kann man nur das Zulassen.

Hans Weigel schrieb einmal, Kreisler sei ein „ein Könner und ein Kauz zugleich“ und “von sublimer Verspieltheit“. Würdest du ihm zustimmen?

Georg Hübner: Absolut. Die sublime Verspieltheit gefällt mir sehr, sehr gut. Das ist ziemlich genau das, was ihn ausmacht. Da kommt nur ganz selten der Holzhammer zum Einsatz, vieles spielt sich in der Zwischenebene ab, die immer durchschimmert.

Ich habe Georgs Kreisler 2009, als er auf Einladung Daniel Kehlmanns zu Gast bei den Salzburger Festspielen war, interviewt. Meine erste Frage „Sind sie eigentlich immer noch Anarchist?” hat der damals 87-Jährige mit einem erbosten „Was denn sonst?” quittiert. Und über seinen Dienst in der US-Army hat er mal geschrieben, er hätte die Erfahrung gemacht, dass einem nichts passiert, wenn man konsequent ungehorsam ist. Ist es auch diese Widerständigkeit – er ließ sich nach dem Krieg und seinem Exil in den USA weder vom österreichischen Staat noch von Israel vereinnahmen – etwas, das an Kreisler reizt?

Georg Hübner: Da kann ich nur von mir sprechen, aber: Ja! Ich weiß nicht, wie es den eher angepassten Individuen unserer Gesellschaft damit geht, aber ich entdecke mich da wieder. Das Subversive macht ihn aus. Dass er auf deine Frage mit „Was denn sonst?” antwortet. Ich hätte vielleicht gesagt: „Klar bin ich das noch”. Er aber sagt „Was denn sonst?” und hat damit schon wieder einen Punkt getroffen. Ich bin auch Anarchist, nur befürchte ich, dass wir alle noch nicht so weit sind.

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Er hat zu mir damals gesagt, er führe eigentlich ein bürgerliches Leben. Villa in Salzburgs teuerster Gegend und einen großen Mercedes vor der Tür. Was die Sprengkraft besaß, waren seine Gedanken, oder?

Georg Hübner: Ich weiß nicht, ob mit dem Mercedes durch die Welt zu gurken, schon ausreicht, um bürgerlich zu sein. Andererseits, es gab zu seiner Zeit wohl kaum etwas Subversiveres als ein bürgerliches Leben zu führen.

Kreisler sympathisierte offen mit der 1968er-Bewegung, war einer der ersten, der Diskussionen mit dem Publikum führte. Er hatte auf dem Klavier eine kleine Glocke. Wenn er die mitten im Abend läutete, ging das Saallicht aus und er forderte die Leute auf, sich mit ihm über Politik zu unterhalten. Da flogen auch schon mal Stühle, erzählt er in seiner Biographie. Andererseits schrieb er damals: „Es hat keinen Sinn mehr Worte zu wählen, die Zeiten sind vorbei.“ Das klang schon mehr nach Ulrike Meynhof als nach Hippie-Kultur. War er mehr Hippie oder doch eher Punk?

Georg Hübner: Es ist nicht schwer beides zu sein, weil beides – da werden mich jetzt sowohl die Alt-Hippies als auch de Spät-Punks steinigen wollen – im Grunde genommen zwei Seiten derselben Münze sind. Gegen das, was als Establishment wahrgenommen wird, zu sein und sich selbst verwirklichen zu wollen, ist in beiden Bewegungen drinnen, und beide waren auch nicht materiell gepolt. Dass aus beiden Bewegungen letztlich ein hedonistisch- rücksichtloses Ich-Ding geworden ist, ist ein bitterer Treppenwitz der Geschichte. Also: Von der Frisur vielleicht nicht, aber vom Herzen geht das schon zusammen.

Aufgrund seiner Lieder fühlte sich Kreisler zu Unrecht auf schwarzen Humor reduziert. Er wollte lieber für seine Opern und seine Romane als seine Lieder geliebt werden. Der Pop blieb an ihm kleben, wenn man so will. Ist es nicht schräg, etwas aufzubereiten, wovon sich der Autor selbst immer wieder distanziert hat?

Georg Hübner: Das geht doch vielen so. Wenn du mit einer Masche oder nur einem Song megaberühmt wirst. Bowie hat es geschafft, sich immer wieder neu zu erfinden, aber Deep Purple sind jetzt eine Cover-Band ihrer eigenen Songs. Das ist ein Weg, den man durchziehen kann, auch die Stones sind als so ein Unternehmen durchaus erfolgreich. Aber wenn man Kreisler kennt, ist es nur logisch, dass er damit, mit dieser Zuschreibung, nicht zufrieden war. Er wollte sich nicht festlegen, und er wollte viel mehr sein als nur der Komponist schwarzhumoriger Lieder. Aber wenn du in einer Sache einmal so stark warst, ist es halt schwer davon wieder wegzukommen.

In Interviews ließ Kreisler zu Lebzeiten gern mal durchblicken, dass er sich und seine Kunst nicht ausreichend wertgeschätzt fühlte und wirkte darob verbittert. Sein Label Preiser Records bezeichnet er als „eine kleine Firma, die eigentlich auf Teppich-Import spezialisiert ist” und Kip Records, sein Schweizer Label, als „Liebhaberprojekt”. In Aussagen wie diesen schwang immer auch eine gehörige Portion Verbitterung mit. Spürt man diese Verbitterung auch in seiner Kunst?

Georg Hübner: Ob man die spürt, weiß ich nicht, aber man spürt auf jeden Fall, dass ihn Wien, obwohl er immer noch einen Draht zur Stadt hatte, irgendwie zurückgewiesen haben muss.

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Der österreichische Staat hat ihm meines Wissens erst 1974 die österreichische Staatsbürgerschaft angeboten. Er hat verständlicherweise abgelehnt.

Georg Hübner: Ich glaube aber, dass er sich eher als Wiener denn als Österreicher begriffen hat.

Über das Wienerische sagte er, er akzeptiere es, aber die Raunzerei und das Verlogene seien ihm nicht unbedingt sympathisch. Eine klassische Hassliebe?

Georg Hübner: Für mich klingt es eben eher danach, dass er enttäuscht wurde.

Ist das Projekt denn wienerisch, findest du?

Georg Hübner: Wenn Kreisler Dialekt verwendet hat, dann immer mit jiddischem Einschlag. In den “Nichtarischen Arien” zum Beispiel. Da hat er ganz bewusst seine Kenntnis von jüdischem Humor einfließen lassen. Wienerisch sind seine Songs vom Dialekt her eigentlich nicht, aber von den Worten, die er verwendet und der Art, wie er sie verwendet, schon. Die politischen Sachen später sind keinem spezifischen Ort zuordenbar.

Nach welchem Aspekt hast du die Leute für das Projekt ausgewählt?

Georg Hübner: Ich habe Agnes Palmisano und Tini Kainrath kontaktiert, die eindeutig dem Wienerlied zugeordnet sind. Zu Wolfgang Bachofner (den man aus Fernsehserien wie “Kommissar Rex” und “Schnell ermittelt” kennt, Anm.) kam ich über Timna Brauer, die ich unbedingt dabeihaben wollte, die damals aber so mit dem Nachlass ihres Vaters beschäftigt war, dass sie mir absagen musste, mir aber ihren Bühnenpartner Wolf Bachofner empfahl. So kam ich zu Wolf, mit dem ich mich von Anfang an großartig verstand. Selber Jahrgang, selber Schmäh, selbe Liebe zur Musik. Wir haben das Lied zwei, dreimal gesungen und drin wars. Wunderschön. Maria Frodl wiederum ist keine Wienerlied-Musikerin, sondern spielt Cello bei den vereinigten Bühnen. Ich wollte einfach einmal in meinem Leben etwas mit einer singenden Säge gemacht haben. “Am Totenbett” bot sich dafür an. Jammernd wie das Instrument ist und jammernd wie der Song ist, passte das einfach. Hans Zinkl wollte ich haben, weil ich schon lange mit diesem Ausnahmekönner zusammenspiele Das Billy Rubin Trio etwa habe ich mit ihm gemacht und gemeinsam mit ihm und Cornelius Obonya ein Charles Bukowski-Projekt. Und Gurus Schrammel-Quartett durfte natürlich auch nicht fehlen. Ich kann mich selbst ja nicht ausschließen.

Wie kamst du auf die Idee, die Videos mit einem Oldschool-Fernsehrahmen zu verzieren?

Georg Hübner: Wenn du kein Video hast bist du auf Youtube nicht präsent. Dann existiert der Song nicht. Ich wollte etwas drehen, ohne dass ich einen professionellen Regisseur, einen Cutter etc. brauche, die ich dann eh nicht zahlen kann. Deshalb machte ich es erst einmal selbst. Meine Videokamera ist gut genug. Ich habe es “One Shot” aufgenommen und dann ein bisschen der Zeit Georg Kreislers angepasst.

Er selbst hat Fernsehen gehasst. „Da schau ich schon nicht mehr hin”, hat er damals zu mir gesagt. Und: „Gelegentlich überzeuge ich mich noch davon, dass es auch wirklich nicht gut ist. Und dann lass ich’s wieder.” Hätte ihm das gefallen, was er sieht, hätte er “euren” Fernseher eingeschalten?

Georg Hübner: [lacht] Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hätten ihm die Interpretationen nicht gefallen, vielleicht hätte er sie großartig gefunden.

Schräg und beeindruckend zugleich fand ich, wie zeitgemäß vieles von den Texten heute noch ist.

Georg Hübner: Vor allem das Politische, ja. Du brauchst nur den Kohl durch den Kurz austauschen, ein bisschen zeitgemäßer formulieren, und schon passt es. Ich habe mit Frau Peters [seiner Witwe und Erbin, Anm.] telefoniert, um mir das OK zu holen und mit ihr ein wirklich nettes Gespräch geführt. Ich habe sie gefragt, ob es okay ist, wenn ich manche Passagen leicht umändere. Sie gab mir prinzipiell grünes Licht, sagte aber, sie wolle nur nicht, dass ich die Lieder so verändere, dass man sie nicht mehr kennt. Das bloße Aktualisieren war für sie okay.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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Georg Hübner: Vom Metal zum Wienerlied

Georg Hübner wurde als Sechsjähriger von seinen Eltern “zum Klavierspielen getreten”, wollte es dann zwar spielen, aber nicht so, wie von ihm gewollt. Deshalb, aus Protest also, und um die Damen zu beeindrucken, die sich damals noch von Gitarren beeindrucken ließen, stieg er als Frühpubertierender auf Gitarre um und blieb so der Musik erhalten. Schnell wurde eine Band gegründet (Stilrichtung: laut und verzerrt), und nachdem sich kein Bassist fand, übernahm er diese Rolle. Heute spielt er beides, Gitarre und Bass, in unterschiedlichen Projekten, komponiert und ist in vielen, wechselnden Formationen unterwegs.

Obwohl er in jungen Jahren gnadenlos am Jazz gescheitert sei, wie er sagt, weil er ihn einfach nicht kapierte, hat er später, als er begriff, „dass das alles gar nicht so schwierig ist“, eine Jazz-Band gegründet, um noch später beim Wienerlied zu landen.

Unlängst erschien nicht nur die Kreisler-Hommage “Kreisler 101”, sondern auch das erste und einzige Album seiner Band “St. Marx”. 25 Jahre zu spät. Die Geschichte dahinter: “Unser Label Spray Records wurde damals an BMG und die wiederum an Sony verkauft. Die mussten ein Album mit uns machen, wussten aber nicht, was mit uns anzufangen. Also haben sie nichts gemacht. Das fix fertige Album blieb liegen. Genau 25 Jahre später haben wir uns dazu entschieden, dieses Album rauszubringen. “Einfach nur, damit es da ist.” So wurde quasi das 25-jährige Nichterscheinen des Albums gefeiert. Parallele zum Kreisler-Projekt: „Die Texte haben nicht viel verloren, die sind noch erschreckend aktuell.”

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Link:
Georg Hübner / GURU
Preiser Records