„Ich würde mir wünschen, dass wir Mädchen dazu bekommen, für die diese Welt noch sehr weit weg ist“ – ELISE MORY und DORA DE GOEDEREN (GIRLS ROCK CAMP) im mica-Interview

Das GIRLS ROCK CAMP ist ein Projekt des Vereins PINK NOISE und soll die Musikvermittlung bei Mädchen im Alter von 14 bis 19 Jahren verstärken. In dem Camp, das eine Woche lang dauert (heuer von 27. August bis 2. September 2017) gründen Mädchen – mit und ohne musikalische Vorerfahrung – Bands und schreiben eigene Songs, die sie am Ende der Woche ihren Verwandten, Freundinnen und Freunden und natürlich vielen österreichischen Labels präsentieren. Anne-Marie Darok sprach mit DORA DE GOEDEREN und ELISE MORY über Frauen in der Musik, Erfahrungen im GIRLS ROCK CAMP (GRC) und den diesjährigen Schwerpunkt. Und wer von dem Konzept ebenso begeistert ist, wie es DORA DE GOEDEREN vor ihrem ersten Camp war, hat noch die Möglichkeit, am diesjährigen Camp teilzunehmen, denn es gibt noch freie Plätze!

Stellen Sie sich bitte vor und erzählen Sie uns, welche Rolle Sie beim Girls Rock Camp spielen.

Elise Mory: Ich bin Musikerin, arbeite aber auch mit Jugendlichen im Sozialbereich. Im ersten Jahr war ich als Instrumentencoach dabei, aber dann war ich gleich Feuer und Flamme, sodass ich im nächsten Jahr schon Bandcoach wurde. Dann bin ich schrittweise reingewachsen. Mittlerweile bin ich sogar die Obfrau von Pink Noise, dem Verein, der das GRC ausrichtet.

Dora de Goederen: Ich spiele derzeit in zwei Bands, die ich beim GRC kennengelernt habe. Ich bin also durch das GRC in das Musikmachen reingerutscht, denn ich war zweimal Teilnehmerin – mit 17 und mit 18 Jahren. Seit circa einem Jahr organisiere ich auch viel mit. Dieses Jahr werde ich auch einen Workshop leiten.

Wie sind Sie als Teilnehmerin auf das GRC aufmerksam geworden?

Dora de Goederen: Meine Eltern, die davon von Freunden erfahren hatten, haben das an mich herangetragen

„Ich war bereits ein ziemlicher Fan gewesen, bevor ich dort war.“

Hatten Sie am Anfang Gedanken wie „Oh Mann, ein Camp, ich weiß nicht, wie das werden soll”?

Dora de Goederen: Ich hatte eigentlich ziemlich hohe Erwartungen und die wurden auch erfüllt. Ich hatte schon eine gewisse Vorstellung davon, wie das abläuft. Zuerst einmal habe ich mir nämlich alles angeschaut, was es zum Anschauen gab: Videos, Songs und Artikel. Ich war bereits ein ziemlicher Fan gewesen, bevor ich dort war. Und im GRC selbst bin ich dann schnell draufgekommen, dass ich nicht die Einzige war, der es so ging.

Für mich war es eine riesige Sache, so viele Leute kennenzulernen, da ich schon vorher viel österreichische Musik gehört hatte und deshalb genau gewusst hatte, wer wer war. Es war mein persönliches Highlight, bekannte Musikerinnen kennenzulernen. Ich hatte vorher auch nicht so viele Gleichaltrige gekannt, die sich so für Musik interessierten, allem keine Mädchen. Nur ein paar Burschen aus meiner Klasse, aber mit denen hatte es nicht so funktioniert.

Gab es Mädels, die weniger gehypt waren als Sie?

Dora de Goederen: Da waren sicherlich Mädchen, die sich für eine bestimmte Musikrichtung interessiert haben, aber dann komplett woanders gelandet sind. Und das ist auch eine der Stärken des GRC: Es treffen nicht nur verschiedene Musikrichtungen aufeinander, sondern auch ganz viele verschiedene Leute mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen.

In Ihrem Toolkit für künftige GRC-Veranstaltungen schreiben Sie, dass Sie einen Raum schaffen wollen, der nicht den männlichen Erwartungshaltungen unterliegt. Dora, könnte das auch bei Ihnen das Problem mit Ihren Klassenkameraden gewesen sein?

Dora de Goederen: Es lag auf keinen Fall an diesen Jungs im Besonderen. Es hing viel mehr mit der Erwartungshaltung zusammen, die ich an mich selbst hatte. Ich hatte das Gefühl, ich müsste den Burschen etwas beweisen, obwohl ich selbst gar nicht geglaubt habe, dass ich es draufhabe. Und ich glaube, die eine Erfahrung, die viele am GRC machen, ist zu sehen, dass der Raum ohne Männer und Burschen einem selbst viele Möglichkeiten eröffnet.

GRC Hollabrunn (c) Tina Bauer

„Frauen brauchen viel mehr, um zu glauben, dass sie gut genug sind.“

Das scheint wirklich eine Sache mit der Erwartungshaltung von Frauen im Umgang mit Männern zu liegen. Oft scheint das Gefühl zu herrschen, dass man sich beweisen muss.

Elise Mory: Das lässt sich sogar empirisch beweisen! Im Jazzbereich ist es vor allem so, dass Männer noch immer dominieren und die Frauen, die Jazz studieren, meist schon ein anderes Studium wie etwa das Klassik-Studium absolviert haben. Frauen brauchen viel mehr, um zu glauben, dass sie gut genug sind.

Das habe ich auch in den vier Bands, in denen ich spiele, bemerkt. Da ist es so, dass das ganze Spektrum abgedeckt wird: Von mir als einziger Frau bis hin zu einer reinen Frauenband ist alles dabei. Und wenn ich mit meinem Frauen-Trio probe, schaut das tendenziell so aus, dass es heißt: „Ich war scheiße, aber ihr wart super.” Und wenn ich mit Männer proben, ist es genau das Gegenteil: „Boah, jetzt habe ich ein geiles Riff gespielt. Machen wir einen Song aus meinem Riff?” Das sind natürlich nur meine Beobachtungen.

Beim GRC ist es so, dass die Mädchen die Erfahrung machen sollen, dass sie alles schaffen können, wenn sie es versuchen. Zum Beispiel in einer Band-Situation: Beim GRC ist es oft so, dass keine am Schlagzeug sitzen will. Sie sagen dann Dinge wie „Ich kann das nicht so gut” oder „Ich habe das ja noch nie gemacht”. Das Schlagzeug ist sehr männlich konnotiert, weshalb alle erst mal Nein sagen.

Und nach einem Tag fehlt das Schlagwerk dann doch, sodass sich dann eine herantraut. Erstaunlicherweise ist es gar nicht so schwierig, es ist erlernbar. Und nach einer Woche will sie gar nicht mehr vom Schlagzeug weg. Wäre es aber eine gemischte Band, wage ich zu behaupten, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass diese Rolle schon früher besetzt wird.

Dora de Goederen: Es ist so, dass dieses Sichzurücknehmen beim GRC relativ schnell wegfällt, weil man realisiert, dass es der perfekte Zeitpunkt ist, um alles auszuprobieren.

Woher kommt das stärkere Selbstbewusstsein bei Männern – ohne natürlich generalisieren zu wollen?

Dora de Goederen: Es hat sicherlich sehr viel mit den Vorbildern zu tun. Wenn ich noch nie eine Frau am Schlagzeug gesehen habe, dann werde ich am Anfang wahrscheinlich Schwierigkeiten haben, mir vorzustellen, dass ich das Schlagzeug genauso gut beherrschen kann wie ein Mann. Am Mikro zu stehen, das sieht man schon öfter bei Frauen. Das traut man sich eher zu und denkt dann auch eher daran, dass man das ja auch probieren könnte.

Elise Mory: Und Männer, also Burschen, werden nach wie vor anders sozialisiert als Frauen. Sie werden ermutigt, laut zu sein, oder es wird eben nicht bemängelt. Wohingegen sich bei einem Mädchen Lärm nicht gehört. Bei Mädchen wird es noch immer nicht gerne gesehen, wenn sie sich in den Mittelpunkt stellen und sich Raum nehmen. Bei Mädchen wird das zwar nicht bestraft, aber immer reguliert.

Dora de Goederen: Interessant ist auch, wofür man nach einem Konzert gelobt wird. Als Frau nämlich immer für das Äußere. Da sagen dann nachher manchmal Leute zu mir – und die sehen das als tolles, lieb gemeintes Kompliment –: „Ihr seht so super aus auf der Bühne.” Und wenn wir dann so ein bisschen grantige Gesichter ziehen, wundern sie sich, was mit uns los ist.

Elise Mory: Ich habe da Bandkollegen, denen das natürlich auffällt und die genieren sich dann fast schon, dass sie nicht auch Komplimente für ihr Aussehen bekommen. Das sind natürlich Dinge, die man ändern kann. Das Ziel vom GRC ist es auch, diese Dinge zu ändern. Es ist das Ziel, die anderen Vorbilder zu zeigen, denn es gibt sie ja, es gibt ja Frauen in allen Bereichen. Deshalb ist es auch ganz wichtig, dass alle Rollen – von der Tontechnik bis zum Kabelreinstecken – von Frauen besetzt werden.

Aufgrund Ihrer Erzählungen bekam ich den Eindruck, dass sich das GRC sehr gut zum Netzwerken eignet, vor allem das Abschlusskonzert, wo viele österreichische Labels vorbeischauen.

Dora de Goederen: Das GRC ist ein einziges Netzwerk.

Elise Mory: Vor allem der Abschlussabend ist so ausgelegt, dass wir Labels einladen, sich vorzustellen. Es ist einfach ein schöner Abend.

GRC Hollabrunn (c) Tina Bauer

Das GRC hat jedes Jahr einen bestimmten Schwerpunkt, welcher ist es dieses Jahr?

Elise Mory: Der Schwerpunkt dieses Jahr heißt „Construct Record Produce”. Es ist vor allem ein Technikschwerpunkt. Ich glaube, wenn man in einer Band spielt, sollte man bestimmte Skills haben, die über das Spielen eines Instrumentes hinausgehen. Ich merke es ja auch, dass immer eine gewisse Zurückhaltung besteht, wenn man das erste Mal in einen Proberaum geht, weil man nicht genau weiß, wie alles abläuft.

Die Tontechnik spielt eine große Rolle, aber oft weiß man gar nicht, wie das genau funktioniert. Deshalb haben wir gedacht, dass wir mit diesem Schwerpunkt genau dort ansetzen und zeigen, dass das alles keine Magie ist und man keine falsche Scheu haben sollte.

Wir fangen gleich mal damit an, ein Kabel zu löten, und das ist etwas, womit viele zuerst gar nichts anfangen können. Für mich war es noch mit Mitte 30 eine große Erkenntnis, obwohl es eigentlich nur das Zusammenfügen von zwei, drei Drähten ist.

Dann werden wir Kontaktmikrofone löten, um zu zeigen, dass das alles gar nicht so kostenintensiv sein muss. Diese selbst gelöteten Kabel und Mikrofone verwenden wir in den nächsten Schritten weiter, um zu schauen, wie das klingt. Und zuletzt gibt es noch eine Werkstatt zu „Record“, wo man etwas über die verschiedenen Aufnahmetechniken lernt.

Am vorletzten Tag gibt es einen Soundcheck-Workshop, wo man erfährt, warum man überhaupt einen Soundcheck macht und wo man über das Mischpult schauen kann. Die Idee ist, dass man aus jeder Werkstatt etwas in die nächste mitnimmt, verknüpftes Lernen also.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich dann für das GRC wünschen?

Dora de Goederen: Ich würde mir wünschen, dass die Schulferien länger wären und das Camp länger dauern könnte.

Elise Mory: Ich würde mir wünschen, dass wir die Mädchen erreichen könnten, die wir noch nicht erreichen können. Die so richtig etwas davon hätten, Empowerment und ein befürwortendes Umfeld zu erleben. Und ich glaube, dass viele, die bei uns sind, auch sonst das Glück haben, in einem offenen Umfeld zu leben. Ich würde mir wünschen, dass wir Mädchen erreichen könnten, für die diese Welt noch sehr weit weg ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

Anne-Marie Darok

 

PINK NOISE GIRLS ROCK CAMP 2017
27.8. – 2.9.2017, täglich von 09.30–22.00 Uhr
Öffentliches Abschlusskonzert am 2.9.2017 ab 17h
Ort: Alter Schlachthof Hollabrunn, Niederösterreich
Teilnahme: Mädchen_ zwischen 14 und 19 Jahren, mit und ohne musikalische Vorkenntnisse
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