Während Klanginstallationen in Österreich eher dünn gesät sind, die Szene eher klein ist, spielt die Elektronik auch im 21. Jahrhundert eine durchaus bedeutende Rolle. Und zwar sowohl in Bereichen experimenteller Musik als auch in „traditioneller“ elektronischer oder elektroakustischer Komposition.
Zwar dauerte es bekanntlich einige Jahre, bis man 1958 in Salzburg und etwas später auch in Wien erste elektronische Studios finanzieren konnte, doch seither ist das Interesse an elektronischer und elektroakustischer Musik nicht verblasst. Zentren befinden sich in Graz und Wien. Und auch die experimentelle Elektronikszene ist nach wie vor äußerst lebendig. Einige KomponistInnen elektronischer und elektroakustischer Musik (Katharina Klement, Karlheinz Essl, Marco Ciciliani, Elisabeth Schimana, Daniel Lercher, Hui Ye, Michael Zacherl, um nur einige wenige zu nennen) komponieren einerseits traditionelle elektronische/elektroakustische Musik (wahlweise pur, als Zuspielung mit InstrumentalistInnen oder in Form von Live-Elektronik), sind andererseits aber auch als Improvisierende in Szenen experimenteller Musik aktiv. Wechselseitige, aber auch fließende Grenzen eingeschlossen.
Waren früher KomponistInnen elektronischer und elektroakustischer Musik an die großen elektronischen Studios gebunden, um ihre Werke zu realisieren, so ist dies inzwischen bekanntlich nicht mehr (ausschließlich) der Fall. Ausnahmen gibt es durchaus, nämlich dann, wenn extrem komplexe Verschaltungen, Klangbearbeitungen oder Klang-Distribution erarbeitet werden müssen, die gewisse Studioausstattungen oder/und technisches Wissen erfordern, die aufgrund der unzähligen Möglichkeiten elektronischen Komponierens und Gestaltens nicht jede(r) Komponist(in) zwingend zu Verfügung hat. Dennoch ersetzt der heimische Laptop mit unterschiedlichen Programmen heute schon in vielem ein einstiges großes elektronisches Studio. In Erinnerung gerufen werden soll dabei auch, dass sich mit der leichten Verfügbarkeit von Rechenleistung zum Teil auch ästhetische Gestaltungsmöglichkeiten erweitert haben. Gerade in den vergangenen fünfzehn bis zwanzig Jahren hat sich hier einiges getan. Nicht nur in der Rechenleistung der heimischen Laptops als Studiocomputer, sondern auch an darüber einfacher realisierbaren neuen Interaktionsformen. Erste Internet-Live-Konzerte (etwa Teil 8 von „Die große Partitur“) von Elisabeth Schimana und Seppo Gründler waren im Jahr 2006 fast noch ein Experiment im Wortsinne – mit zahlreichen Störfaktoren durch Übertragungsverlangsamung etc. inbegriffen. Heute sind sie schon fast Normalität mit der Folge, dass letztlich die Aufmerksamkeit verstärkt auf den ästhetischen Gehalt gerichtet werden muss. Vor allem aber sind im Live-elektronischen Bereich inzwischen auch aufwändige Klanganalyseverfahren wie etwa die Granularsynthese von der Rechenkapazität her möglich, was z. B. Gerhard E. Winkler für seine Kompositionen nutzt.
Rechnerische Höchstleistungen und die einheitlichen mattsilberfarbenen Laptops führen aber umgekehrt auch zu einem „Rollback“ oder besser gesagt zu einem Re-Entry einst Abgelegtem. Trash-Elektronik, selbstgebastelte Kleinelektronik, umfunktionierte Alltagselektronik oder gezieltes Arbeiten mit Low-Fi-Klangqualitäten und Aufnahmegeräten findet Eingang in elektronisches Komponieren und Experimentieren (z. B. bei Tamara Wilhelm, Michael Zacherl oder Angelica Castello).
Als Flucht vor klanglichem Overkill gibt es auch weiterhin nur verfeinert Strömungen reduzierter mikroskopischer Konzentration auf Einzelnes, auf Sinustöne in feinsten Misch- und Schwebungsformen z. B. bei Tim Blechmann.
Ausbildung und Forschung
Obwohl das Heimstudio am Laptop inzwischen längst zum Standard einer jeden Elektronikerin und eines jeden Elektronikstudenten zählt, sind Ausbildungsstätten und elektronische Studios nicht verschwunden. An der Grazer Kunstuniversität ist es das 1965 gegründete IEM, das Institut für Elektronische Musik und Akustik. Am IEM unterrichten Komponisten wie Gerhard Eckel (intermediale Arbeiten, Integration elektronischer Interfaces) und Winfried Ritsch (u. a. Entwickler von computergesteuerten Klaviere, Zusammenarbeit mit Peter Ablinger, Bernhard Lang etc). Künstlerische Forschung spielt eine bedeutende Rolle. Der IEM Cube, ein mittelgroßer Aufführungsraum, bietet eine flexible Infrastruktur, allen voran die Möglichkeit, über unzählige, im gesamten Raum inklusive der Decke verteilte Lautsprecher verschiedenste Klangprojektionen quasi dreidimensional zu realisieren. Vergleichbare Räumlichkeiten bietet keine andere österreichische Universität bzw. Institution.
An der Universität Wien gibt es zwei Wege, elektronische Komposition zu erlernen. Zum einen das reguläre Studium der Komposition mit Schwerpunkt Elektronik und Elektroakustik (Leitung Karlheinz Essl), zum Anderen den an der Musikuniversität angeschlossenen “Lehrgang für Computermusik und elektronische Medien”, das ELAK. Der Name ELAK geht zurück auf die alte Bezeichnung und verweist auf die Integration elektroakustischer Musik. Dem ELAK fällt eine besondere Bedeutung zu. 1963 gegründet, bietet der dreijährige Lehrgang gerade für diejenigen Interessierten die Möglichkeit einer Ausbildung auf dem Weg zur elektronischen Komposition, aber auch zur Klangkunst oder zum Klangregisseur, für die eine traditionelle Aufnahmeprüfung an der Universität (etwa aufgrund mangelnder Klavier- oder Tonsatzkenntnisse) nicht in Frage kommt.
Viele Jahre hatte Dieter Kaufmann die Leitung inne. 2002 bis 2006 folgte der Komponist Germán Toro Pérez, der seit 2007 dem ICST – Institute for Computer Music and Sound Technology in Zürich vorsteht. Katharina Klement leitete einige Jahre interimsmäßig, seit 2010 steht Johannes Kretz dem ELAK vor, mit im Team u. a. Katharina Klement, Marco Ciciliani und Wolfgang Musil. Wolfgang Musil zählt übrigens zu den letztlich das Live-Musik-Leben elektroakustischer Musik in Österreich mitprägenden Klangregisseuren, zusammen mit Alfred Reiter, Christina Bauer und natürlich auch den Klangforums-Klangregisseuren Florian Bogner und Peter Böhm, und Christoph Amann (auch wenn er primär hervorragende Live-Mitschnitte und Studioaufnahmen produziert).
Unter heute bekannten Namen im Bereich Elektronik und Elektroakustik unterschiedlicher Ausprägung aus Österreich finden sich zahlreiche ELAK-AbsolventInnen. Wie wichtig gerade dieser offene und dennoch konsequent ästhetische und handwerkliche Kenntnisse vermittelnde Lehrgang für viele Komponierende war, betont z. B. auch Katharina Klement in einem mica-Interview. Und: Es sind v. a. auch einige Frauen, die sich im Bereich elektroakustischer Musik etablieren konnten. Neben Katharina Klement u. a. Andrea Sodomka („Alien Productions“), Elisabeth Schimana (IMA), Tamara Wilhelm (Velak, experimentelle Elektronik) oder Mia Zabelka.
Ebenfalls an das Institut für Komposition und Elektroakustik der Universität Wien gekoppelt ist das 2008 gegründete Zentrum für innovative Musiktechnologie (ZiMT). Geleitet wird es ebenfalls von Johannes Kretz. Ziel ist Forschungsarbeit auf dem Gebiet computer-unterstützter Musiktheorie, aber auch der Computermusik und multimedialen Performance.
Elektronische Musik hören – Spielorte
Elektronische Musik ist an verschiedenen, meist kleineren Veranstaltungsorten zu hören. Dezidierte Konzertreihen finden im IEM in Graz statt, aber auch in der Alten Schmiede (elektronischer Frühling) und vor allem im Brut Konzerthaus. Unter dem Namen VELAK-Gala haben sich 2007 Daniel Lercher, Peter Kutin und Stefan Brunner, einstige Studierende des ELAK, zusammen getan, um allmonatlich Konzerte mit elektronischer, elektroakustischer und experimenteller Musik zu veranstalten. Hier kann man Musik aus Österreich ebenso hören wie diejenige internationaler Gäste. Gut besucht, gerade auch von jungem Publikum, sind hier vor allem kleinere Projekte zu hören. Aufwändig und in Österreich einzigartig betreibt der Komponist Thomas Gorbach 2007 seine Reihe „The electroacoustic project“. Das Besondere dieser Konzertreihe für elektronische und elektroakustische Musik sind ihre Lautsprecher. Die Idee der Akusmatik wurde in den 1970er Jahren in Frankreich entwickelt. Kurz gefasst versteht man darunter ein Lautsprecherorchester, das aus Lautsprechern unterschiedlicher Klangcharakteristik besteht und je nach aufzuführendem Werk speziell zusammen gesetzt und aufgestellt bzw. ausgerichtet wird. Thomas Gorbach trägt somit mit seinem Acousmonium der Tatsache Rechnung, dass die Gestaltung elektroakustischer Musik nicht bei der „Speicherung der Komposition“ beendet ist, sondern dass unterschiedliche Lautsprecher ebenfalls zu einer Interpretation beitragen.
Zurück in die Zukunft oder: IMA – Institut für Medienarchäologie
Zusammen mit Seppo Gründler gründete Elisabeth Schimana 2005 das Institut für Medienarchäologie in Hainburg. Ziel des als Verein organisierten Institutes ist es, Leistungen von Frauen im Bereich Technik und Medien im vorwiegend akustisch-musikalischen Bereich, aber auch intermedial zu dokumentieren und dieses Wissen zugänglich zu machen. Forschung, Dokumentation und Vermittlung ergänzen sich. Ausstellungen, Konzerte und kleine Festivals zählen zum Programm. Die wohl umfangreichste und tragendste Ausstellung im Bereich der Medienarchäologie war die von Elisabeth Schimana initiierte Ausstellung „Zauberhafte Klangmaschinen“ (2008/2009), zu der im Schott-Verlag zudem eine umfangreicher Buchdokumentation entstanden ist. Die Ausstellung brachte nicht nur einen historischen Überblick über mechanische bis elektronische Klangmaschinen, sondern zugleich Transferleistungen in die Gegenwart, einige Kompositionen für historische Klangmaschinen, allen voran den Max-Brand-Synthesizer, entstanden.
KomponistInnen
Alle KomponistInnen aufzuzählen, die sich in Österreich seriös und intensiv elektronischer bzw. elektroakustischer Musik widmen, ergäbe – erfreulicherweise! – eine lange, lange Liste. Vertreten wären KomponistInnen der älteren Generation, der mittleren bis jüngeren Generation. KomponistInnen, die sich rein elektronischer Musik widmen, wie solche, die die Elektronik bevorzugt als Zuspielung, integriert in Instrumentalkompositionen oder Performances verwenden. KomponistInnen, die sich der Live-Elektronik als Performancekunst im Bereich konzeptioneller wie frei improvisierter Musik konzentrieren oder aber solche, die sich als KlangregisseurInnen oder Studioleiter einen Namen gemacht haben. Grenzüberschreitungen inbegriffen. Ebenso unübersichtlich wäre es, in knapper Form all die unterschiedlichen ästhetischen Ansätze der KünstlerInnen trennscharf und aussagekräftig darstellen zu wollen. Eine mehr oder weniger einheitliche Strömung oder eine „österreichische Schule“ elektronischer oder elektroakustischer Art lässt sich nicht herausheben, ein Phänomen, das einerseits der Tatsache der Allverfügbarkeit von ästhetischem- wie Produktionswissen, aber auch technischer Möglichkeiten in Zeiten des scheinbar unbegrenzten, internetbasierten Medienflusses Rechnung trägt, andererseits aber auch den verschiedenen Lehr- und Vermittlungsansätzen elektronischer Musik in Österreich – ob an Universitäten, im Lehrgang oder, auch dies nicht zu vergessen, autodidaktisch.
Produktive ästhetische Vielfalt, eine kleine Liste: Konzentration auf Klang – Klangschichtungen und Changierungen, Entwicklung und Nutzung interaktiver Systeme, Übertragungen naturwissenschaftlicher Ideen auf elektronische Klangstrukturen, algorithmisches Komponieren unter Berücksichtigung autopoetischer Systeme, verschiedenste Systeme der Live-Interaktion und Live-Transformation, Arbeit mit Fieldrecordings, Klanganalyse- und syntheseverfahren, eingebettet in zahlreiche alte und neue Klangbearbeitungsverfahren, finden Verwendung und führen je nach KomponistIn zu unterschiedlichen ästhetischen Klangergebnissen.
Nina Polaschegg