Alle zwei Jahre wird der Kompositionspreis des Landes Vorarlberg vergeben. Erstmals erhält eine Frau die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung. Die Kunstkommission der Sparte Musik fasste den Entschluss für Johanna Doderer einstimmig.
Seit zwanzig Jahren lebt die Komponistin freischaffend in Wien und feiert auf zahlreichen internationalen Bühnen Erfolge. In den vergangenen Monaten konzentrierte sich ihre Arbeit auf die Komposition ihrer achten Oper. Eng wirkte sie dabei mit dem Autor Peter Turrini zusammen, denn er hat das Libretto für die Oper „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“ verfasst. Das Musiktheater ist das Metier, in dem Johanna Doderer – sie ist die Urgroßnichte des Schriftstellers Heimito von Doderer – ihre musikalische Ausdruckskraft im Spannungsverhältnis zwischen Literatur und Musik sowie Schauspiel und Tanz zur Geltung bringen kann.
Bewegte Kindheit und Jugend
Johanna Doderer ist in Vorarlberg mit vier Schwestern aufgewachsen. Sie ist gleichermaßen temperament- und humorvoll und bezieht einen Gutteil ihrer Kreativität aus dem Naturerleben, sei es bei großen Wanderungen oder direkt am Berg mit Seil und Haken. An ihre Kindheit und Jugend in Vorarlberg erinnert sie sich gerne, denn sie wuchs in einem fantasiereichen Elternhaus auf. Im Gespräch mit Ulrike Lampert (Gesellschaft der Musikfreunde Wien) erzählt Johanna Doderer von der Schulzeit und den Jahren am Vorarlberger Landeskonservatorium, wo sie von Gerold Amann maßgeblich gefördert wurde. Mit siebzehn Jahren verließ Johanna Doderer zugunsten ihres Klavierstudiums die HTL, mehrere Schulwechsel waren vorangegangen. Eine richtige Querulantin sei sie gewesen, sehr schwierig und im Grunde immer auf der Flucht. Allerdings: „Der Bösendorfer meines Vaters war mein Tempel. Zuerst saß ich darunter, dann irgendwann daran. Damit bin ich aufgewachsen, ich habe viel improvisiert.“
Überall Musik erleben
Johanna Doderers erste Kompositionen entstanden noch während ihres Klavierstudiums am Vorarlberger Konservatorium in Feldkirch. Sie schrieb auf, was sie hörte und wie sie es hörte – „ich hatte keine Ahnung von Theorie“. Die Begegnung mit Gerold Amann bezeichnet sie als „das größte Glück“, das ihr widerfahren konnte. Ein Bekannter hatte dem Komponisten heimlich Noten von Johanna Doderer übermittelt – so kam es zu erstem Kompositionsunterricht. „Ich habe ihm meine Werke gezeigt, und er hat die richtigen Fragen gestellt.“ In der Folge ging sie nach Graz, studierte dort bei Beat Furrer und wechselte dann zu Erich Urbanner nach Wien, wo sie das Diplom ablegte und bis heute lebt.
Musik erlebt Johanna Doderer immer und überall, aber vornehmlich in der Natur und am Wasser. Hier wird sie inspiriert von Klängen, Farben sowie dem Fließen der Bewegungen in all seinen Nuancen. „Das eine ist der Klang, den ich fast optisch sehe, der greifbar wird, das andere sind Melodien, Intervallspannungen. Ich habe ein mathematisches Gedächtnis, in dem ich all das ordne. Diese Schlüssel bleiben so lange, bis ich sie aufgeschrieben habe – dann sind sie weg“, erklärt die Komponistin.
Doch auch die körperliche und sportliche Erfahrung sind wichtige Kraft- und Inspirationsquellen. Da stoße man an seine Grenzen und in Extremsituationen sei die Wahrnehmung ganz anders geschärft, erzählt sie. Diese Klangwelten fasst Johanna Doderer in ihrem bereits auf etwa 130 Werke umfassenden Oeuvre. Es beinhaltet unter anderem zwei Symphonien, Konzerte für Akkordeon und ein Klavierkonzert, zahlreiche Lieder und Kammermusik sowie inzwischen acht Opern, darunter zwei Kinderopern.
Langjährige Künstlerfreundschaften
Im Jahr 2014 wurde die 1969 geborene Künstlerin für ihre Oper „Der leuchtende Fluss“ nach einem Libretto von Wolfgang Hermann mit dem Ernst-Krenek-Preis ausgezeichnet. Im April 2020 hätte ihre achte Oper mit dem Titel „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“ am Münchener Gärtnerplatztheater zur Uraufführung kommen sollen. Dieses Ereignis musste auf April 2021 verschoben werden. Derzeit arbeitet Johanna Doderer an einer kleineren Orchesterbesetzung, damit die Aufführung in jedem Fall stattfinden kann. Es ist bereits der zweite Kompositionsauftrag, den der Intendant Josef Köpplinger an Johanna Doderer vergeben hat. Vor vier Jahren ging ebendort die erfolgreiche Uraufführung der Oper „Liliom“ über die Bühne. Am Tiroler Landestheater wurde das Werk im Jänner 2019 in einer Neuinszenierung als österreichische Erstaufführung gezeigt.
Enge und lange Künstlerfreundschaften pflegt Johanna Doderer unter anderem mit Peter Turrini, Patricia Kopatchinskaja, Angelika Kirchschlager oder Nikola Djoric, um nur einige zu nennen. „Viele Musikerinnen und Musiker begleiten mich, ihnen verdanke ich alles. Ich schreibe für sie und durch die jahrelange Auseinandersetzung mit den Instrumenten, mit ihren Stimmen, kann sich meine Musik erst entfalten. Sie sind es, die meine Musik tragen“, betont die Komponistin.
Sozial engagiert
Johanna Doderer ist eine in vielen Belangen engagierte Frau. Der arabische Kulturkreis fasziniert sie. Sie bereiste Syrien, leitete in Teheran Kompositionsworkshops und war und ist in der Flüchtlingshilfe aktiv. Darüber hinaus setzt sie sich für den Umweltschutz ein, insbesondere der Schutz der Meere liegt ihr am Herzen. Ihr Sohn Patrick Doderer (* 1995) ist im Bereich der elektronischen Klangsynthese und des Experimentalfilms tätig. Gemeinsame Projekte zogen bereits eine breitere Öffentlichkeit auf sich. Derzeit entsteht im Auftrag der Gesellschaft der Musikfreunde und anlässlich des Beethovenjahres das Musikfilmprojekt „Licht“. Darüber hinaus zeichnet Johanna Doderer im niederösterreichischen Kulturverein hören:sitzendorf als Kuratorin für das Musikprogramm verantwortlich.
Silvia Thurner
Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft im September 2020 erschienen.
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Johanna Doderer (Musikdokumentation Vorarlberg)
Johanna Doderer (mica-Datenbank)