„EINE SEHNSUCHT NACH GEWISSEN INTERDISZIPLINÄREN SPIRANKERLN“ – GUDRUN PLAICHINGER UND TOBIAS OTT („¡ IMPROVIZE ! ¡ INSTALLIZE !“-FESTIVAL) im mica-Interview

Unter dem Titel „¡ improvize ! ¡ installize !“ startet im Jänner 2022 ein neues, biennal angelegtes Festival für Improvisations-Kunst. Initiiert und ausgedacht von dem schon lange in der Salzburger Kultur- und Kulturszene umtriebigen Duo GUDRUN PLAICHINGER und TOBIAS OTT soll hierbei an zwei Abenden (21.01./22.01.) das breite Spektrum künstlerischer Auseinandersetzungen rund um das Thema „Improvisation“ praktisch wie interdisziplinär (Musik trifft auf Bildende Kunst) präsentiert werden. Didi Neidhart hat sich mit GUDRUN PLAICHINGER und TOBIAS OTT zum ausführlichen Interview getroffen. (Das Festival wird aufgrund der aktuellen Lage auf den 17. bis 18. Juni verschoben).

Wie ist es zur Idee zu diesem Festival gekommen und wie würdet ihr es innerhalb der zeitgenössischen Musikszene in Salzburg verorten?

Gudrun Plaichinger: Die Idee zum Festival hatte einiges an Vorlauf – ein bißchen Lebensgeschichte und eine simple Idee: Ich bin mit viel musikalischer Improvisation aufgewachsen, wobei das auch hieß, verschiedenste Instrumente zu spielen, um bestimmte Klangfarben zu erzeugen. Ein etwas anderer Zugang, Instrumente zu lernen! Später wurde die Improvisation in meinem Theaterberuf zur Arbeitsweise und so kam die musikalische Improvisation auch auf die Bühne. Unter anderem durch die Barockmusik, durch Tobias Ott und Bandprojekte wie deneb oder Trio Pro. Also, Improvisation überall, aber in unterschiedlichen Ausprägungen: als Selbstverständlichkeit im Blut, als Material-Lieferant für Bühnenstücke und live auf der Bühne.

Tobias Ott: Wir wissen in etwa, wer hier in dieser wunderbaren Stadt in artverwandter Weise zugange ist. Wir alten Hasen sind gut vernetzt, womöglich altbacken, nicht immer up to date. Aber das wird sich ändern, weil das Festival das erste einer Biennale ist. Eine Plattform, auf die hiesige Künstlerinnen und Künstler jederzeit aufspringen werden können.

Salzburger Interpretinnen und Interpreten sind dieses Mal ausreichend zugegen. Und die Musikszene Salzburgs wird sich bestens zusammenfinden mit Kunst- und Kulturschaffenden auch aus dem internationalen Ausland. Das ist das spannende auf unserem Festival.

„Improvisation ist die Geburtsstunde, die Mutter einer jedweden Komposition.“

Wieso „Improvisation“ als Thema?

Gudrun Plaichinger: Vor ein paar Jahren konzipierte ich die Klanggalerie: Sie greift in ihrem Material auf die Bildgalerie zurück: die Exponate sind Unikate und existieren nur ein Mal (von Drucken abgesehen). Die Klanggalerie hat dementsprechend als Ausstellungsstücke Ton-Aufnahmen freier Improvisationsmusik. Musik, die es nur ein einziges Mal gibt und die eigens dafür in Vinyl-Platten geritzt, in der Galerie ausgestellt und mittels Plattenspieler über ein quadrophonisches Sound-System hörbar gemacht wird. Von jeder Improvisation existiert jedoch nur eine einzige Platte – ein Unikat eben. Es ging mir um diese Einzigartigkeit. Auch beschäftigte ich mich mit Vinko Globokars Diktum, der angemessene Umgang mit einer Schallplatte improvisierter Musik sei der, sie einmal zu hören und dann zu vernichten.

Werner-Raditschnig (c) Archiv Werner Raditschnig

Letztes Jahr erhielt ich ein Arbeitsstipendium, um über Improvisation schreiben zu können: Die Improvisation hält ja immer mehr Einzug in das Arbeitswesen vieler künstlerischer Institute, als öffentliche Jam-Session und als wunderbare Konzertstücke, wie z.B. kürzlich in der Kollegienkirche mit dem Ensemble NAMES und Werner Raditschnig.  Aber, anders als in Wien und Graz gibt es in Salzburg diesbezüglich keine Schwerpunkt-Tage, wobei Salzburg in den verschiedensten Kunst- und Musikbranchen wahnsinnig tolle Improvisationskünstlerinnen und -künstler zu bieten hat: INFLUX – Netzwerk für Tanz, Theater und Performance, die Reihe „Sweet Spot“, oder „Performing Sound“ von Martin Loecker usw. So entstand die Idee zum Festival für freie Improvisation und diese für zwei Tage absolut in den Mittelpunkt zu stellen.

Zudem begrenzen sich viele Musikerinnen und Musiker ja nicht mehr nur auf eine bestimmte Musikszene, sondern bewegen sich ausübend innerhalb mehrerer z.B. durch die Konzertpraxis mit Repertoire der Alten und Neuen Musik, dem Zusammenspiel in einer Jazz-, Rock-, Pop-Band, oder der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Literatur, Theater, Medienkunst etc. Hier haben sich die Grenzen seit langem schon geöffnet. Werden in einem Bereich neue Spieltechniken erworben und entdeckt, halten sie Einzug in den anderen. So beeinflussen und befruchten sie sich gegenseitig.

Das Festival der Freien Improvisation verortet sich als bindendes Glied zu allen Bereichen des bei uns als Begriff etwas weiter gefassten, zeitgenössischen Musik in Salzburg. Die geladenen Festival-Künstlerinnen und -Künstler entstammen aus den verschiedensten Musikszenen mit der Gemeinsamkeit der Improvisation. Wir wünschen uns sehr, dass dies wahrgenommen wird, und freuen uns auf ein Publikum, das aus den verschiedensten (Hör-)Richtungen kommt.

Tobias Ott: Weil Improvisation Neues schafft! Im Gegensatz zu einer zum x-ten Mal aufgeführten Mozart-c-Moll-Messe. Improvisation ist die Geburtsstunde, die Mutter einer jedweden Komposition, sie spendet Ideen. Man denke nur an die Sternstunden im Krautrock der 60er und 70er. Zum Beispiel ist in der nordindischen klassischen Musik eine kleine Komposition die Grundlage für die Improvisation an und für sich, während diese „kleine“ Komposition wohl meist nach einer tollen Improvisation geschrieben worden ist.

Gudrun und ich improvisieren unsre Musik in erster Linie und üben uns in dieser Disziplin, wie sonst so viele Musikerinnen und Musiker, gerade in der außereuropäischen Welt. Auch die Musik auf Festivals wird nicht wiederholbar, reproduzierbar sein. Sie passiert in sinnüberlagernden Eindrücken und improvisierbaren Raumklanginstallationen. Aber Improvisation an und für sich passiert ja eh jeden Tag im Alltag (Familie, Arbeit, Hobby). Sie ist allgegenwärtig, also nichts Besonderes. Das Festival bietet nichts Statisches, Wiederholbares, allerdings: Konzentration und Verbundenheit auf höchstem Niveau.

„Die Sternstunden einer gelungenen Improvisation hängen damit zusammen, wie sehr man sich zusammenschließen und auch Kompromisse finden kann.“

Im Programmheft definiert ihr Improvisation als „die Sprache der Musik, in der WELTWEIT ohne Grenzen und Kategorisierungen künstlerisch kommuniziert werden kann.“ Jetzt mal ganz blöde gefragt: Kann dabei nicht auch einfach nur Chaos entstehen? Also eine Nicht-Kommunikation, wo dann eher aneinander vorbei kommuniziert wird, anstatt miteinander?

Gudrun Plaichinger: Natürlich können Chaos und Nicht-Kommunikation entstehen. Das sind auch Gründe, warum einige Improvisations-Musikerinnen und -Musiker niemals öffentlich auftreten würden! Die Angst, dass eine Improvisation misslingt, da man keinen Bezug zueinander findet, oder die Musik stagniert und keine Höhepunkte erreicht, ist für manche zu groß und die Sache zu riskant. Ich führte einige Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen, in denen genau dies das Thema war.

Die Gründe für ein improvisatorisches Desaster liegen für mich darin, dass man die grundlegenden Parameter der Musik missachtet, wie z. B. den gemeinsamen Puls (es kann eine tolle, polyrhythmische und auch polymetrische Improvisation entstehen) oder den gemeinsamen Impuls (ich gehe mit dir – ich gehe gegen dich, ich gehe neben dir – ich gehe ganz woanders). Oder man versteift sich zu sehr darauf, die Improvisation wie eine Komposition zu behandeln und zwingt ihr deren Gesetzmäßigkeiten auf. Das kann nicht immer funktionieren!

Bild Mia Zabelka
Mia Zabelka (c) LERACHEF

Weltweit kommen Musikerinnen und Musiker zum Improvisieren zusammen und sind von ihren verschiedensten Kulturen geprägt. Darüber, wie die österreichische Improvisationspraxis durch die österreichische, klassische Musikgeschichte geprägt ist, wird Mia Zabelka bei der Eröffnung des Festivals reden!

Die Sternstunden einer gelungenen Improvisation hängen damit zusammen, wie sehr man sich zusammenschließen und auch Kompromisse finden kann, das macht auch ihren Artenreichtum aus. Ohne Grenzen und Kategorisierungen künstlerisch zu kommunizieren, meint, dass die Festival-Musikerinnen und -Musiker die unterschiedlichsten Hintergründe und Herkünfte haben, vom Autodidakten bis zum klassisch Ausgebildeten, vom Iran bis Ungarn über Sizilien und Indien. Das möchte das Festival zeigen und sollte es Chaos geben, dann ist es spannend, wie die Künstlerinnen und Künstler damit umgehen.

Tobias Ott: Du sagst „nur“ Chaos! Die Frage klingt so, als würdest du dich ein wenig davor fürchten, dass da auf dem Festival etwas entgleitet. Chaos, wie auch immer, kann auch ganz nett sein. Anregend. Tohuwabohu. Eines der ersten Wörter in der Bibel und, wie man weiß, Grundlage für so Vieles. Es ist Chaos, aber womöglich Sternstunde, etwa die Kollision zweier Galaxien, in der völlig unterschiedliche Klangsprachen, Klangreden im Moment eben nicht harmonieren, sondern sich reiben. „Chaos“ ist in einer gediegenen improvisatorischen Musik oder bildenden Kunst Stilmittel, ein dramaturgisches Aneinander-vorbei-Reden, wie auch im tagtäglichen Leben.

Und wenn ich noch weiter ausholen darf: Meine Schwester hatte mal eine Malergruppe, B.O.M. (Binder-Ott-Maier), also gemeinsam malend ein Bildhauer, eine Malerin und ein Grafiker. Es passierten ähnliche Prozesse wie in jeder Garagenband: „Der Mutigste wagt den ersten Schritt“, man musste damit rechnen, dass etwas im nächsten Moment überpinselt wird usw. Da sind auch mitunter recht unharmonische, zerstörerische Sachen passiert. Aber die Philosophie der Gruppe war: „Lieber etwas kaputtmalen, als unvollendet lassen“.

„Angewandte Improvisation ist im Kapitalismus, in den höchsten Chef-Etagen natürlich ebenso toll wie wichtig.“

„Improvisation“ bzw. „Improvisations-Talent“ und dementsprechende Skills werden mittlerweile ja auch bei fast jeder Management-Schulung vermittelt. Wodurch unterscheidet sich Improvisation als „ästhetische Praxis“ von Improvisation als quasi ultraschnelles Reagieren auf Belange der Wirtschaft?

Gudrun Plaichinger (c) Gabriele Schwab

Gudrun Plaichinger: Wie die Improvisation als Taktik in der Wirtschaft verwendet wird, ist mir nicht geläufig und war auch (noch) nicht Gegenstand meiner Recherchen und Erfahrungen. Die ästhetische Praxis der Kunst umfasst die aktive Sinneswahrnehmung, die immer verbunden ist mit einer wahrnehmenden Person. Außerdem reflektiert diese Person das Wahrgenommene und betrachtet ein Ereignis oder ein Ding als Medium, durch welches ästhetische Erfahrung vermittelt wird. Dieser Begriff ist nicht nur auf die Künste beschränkt: Ästhetische Praxis gibt es auch im Alltag. Im Zusammenhang von ästhetischer Praxis und Improvisation befinden sich die Fähigkeiten zur Intuition, Empathie und Offenheit, genauso wie Mut, aktives Zuhören und Reaktion, das Vorausdenken und dennoch ganz präsent zu sein.

Die Improvisation in der Musik ist nicht fixiert auf ein Ziel ausgerichtet. Sie hat vielmehr den sich prozesshaft entwickelnden Weg als Ziel und jede ihrer Etappen kann geprägt sein von entstehenden Strukturen und Wiederholungen, oder Transformationen, aber auch vom Suchen nach Vokabular und Ausdruck. Das Ende einer Improvisation ist häufig weit entfernt von dem, was am Anfang stand. So scheint wiederum die Improvisation als quasi ultraschnelles Reagieren auf Belange der Wirtschaft ein bewusst angestrebtes Ziel und eine Absicht zu haben. Auch wird hier mit dem Faktor Zeit anders umgegangen: Die Musik-Improvisation unterliegt keinem Stress, obwohl dies eine rasche Interaktion seitens der Künstlerinnen und Künstler nicht ausschließt.

Aber die Musik kann nicht brachial in ein Zeitschema gepresst werden: Manche Improvisationen dauern sogar sehr lange, manche wiederum erscheinen als Miniaturen. Dies ist wohl der größte Unterschied. Gemeinsam ist ihnen bestimmt der spontane, praktische Gebrauch von Kreativität und – vor allem auf die Wirtschaft bezogen – zur Lösung auftretender, unerwarteter Probleme.

Tobias Ott: Angewandte Improvisation ist im Kapitalismus in den höchsten Chef-Etagen natürlich ebenso toll wie wichtig. Eh klar. Ich war mal Kaufmann und habe Holzschindeln verkauft und verlegt – das ist auch die alltägliche, allgegenwärtige, improvisierte, hochpsychologische Praxis. Ob sie immer ästhetisch ist, sei dahingestellt.

Der Improvisationsbereich scheint gerade in den letzten Jahren (vor Corona) einen kleinen Boom zu erleben. Liegt das am allgemeinen Live-Boom oder spielen hier noch andere Faktoren mit? Es gibt ja auch immer mehr neue elektronische Tools, die dezidiert für Live-Interaktionen hergestellt werden.

Gudrun Plaichinger: Einige Faktoren spielen beim Live-Boom mit, der sich in die zwei Bereiche teilt: dem präsenten Dabeisein und dem virtuellen Dabeisein – die neue Parallelwelt unseres Alltags. Die Kunst öffnet sich und lässt Proben-Einblicke in künstlerische Prozesse durch öffentliche Showings zu. Performative Shows haben ebenso verstärkt Einzug gehalten. Diesen Wandel erlebe ich selbst in meiner 20-jährigen Theatertätigkeit. Künstlerinnen und Künstler müssen digital gehen, um verstärkt wahrgenommen zu werden und sich anzukündigen. Sie müssen ständig das Netz „füttern“.

Die neuen Informationsquellen heißen: Facebook und Instagram und ihr Algorithmus. Welten, in denen viele Menschen fast schon genauso zu Hause sind wie im realen Leben. Es scheint Usus zu sein, sich über einen Menschen über das Netz zu informieren. Auch die Förderer tun und kontrollieren dies. Was macht das mit dem Berufsstand der Musikerinnen und Musiker? Kunst und Kultur waren und sind nach wie vor abhängig von einem Mäzenatentum, angewiesen auf Aufträge und Förderungen, die ihr Sein und Wesen bestimmen. Als Ausdruck der Gesellschaft ändert sich die Kunst. Sie befindet sich also ständig in einer Pendelbewegung.

Zum einen konservieren und erhalten wir, zum anderen streben wir nach ständiger Innovation. Wir gehen zurück zur Natur und ihrer natürlichen Langsamkeit und gleichzeitig in die totale digitale Vernetzung, die uns immer mehr im Alltag stresst, sodass wir nicht mehr auf einen simplen Brief und seinen Postweg warten können. Nicht alles im virtuellen Leben ist übel: Die neuen elektronischen Tools für Live-Interaktionen sind spannend und lassen einen tagelang vor dem Computer hocken. Das erleben Tobias und ich selbst.

Improvisation bewegt sich meiner Meinung nach außerhalb dieser Fakten. Ihre verstärkte Präsenz hängt für mich vor allem damit zusammen, dass sich die Grenzen der künstlerischen Bereiche geöffnet haben. Ihre Rückkehr auf die Bühne fand bereits vor längerer Zeit statt, auch hat sie nie aufgehört zu existieren. Sie setzt sich einfach ab in ihren Eigenschaften und kann nicht mit einem „Live-Ausprobieren“ auf der Bühne verglichen werden.

Tobias Ott: Jedoch ist der Impro-Boom durch Corona sehr ins Stocken gekommen. Im Internet zusammen spielen, geht nach wie vor nicht wegen zu viel Latency, also Zeitverzögerung.

„Eine Improvisation setzt die natürlichste Art des Zuhörens voraus, nämlich die des prozesshaften Zuhörens.“

Was unterscheidet Improvisation eigentlich von Komposition? Steht nicht am Anfang fast jeder Komposition eine Improvisation?

Tobias Ott: Improvisation ist immer die Inspiration für eine mögliche Komposition. Beethoven muss auch mal auf seinem Klavier herumgeklimpert haben, oder nicht? Komposition ist aber auch die Grundlage, die Basis für eine abgefahrene Improvisation. So in etwa ist unter anderem klassisch nordindische Musik konzipiert.

Gudrun Plaichinger: Ja, am Anfang vieler Kompositionen (was ja „Zusammensetzung“ heißt) steht oft die sogenannte Improvisation, aber als eine weitere Definition der Improvisation. Sie ist ja auch verwandt mit Vision. Es ist ein natürlicher Vorgang, musikalische Möglichkeiten auszuprobieren oder durch die Improvisation Material auszugliedern, die man für eine Komposition weiterverwendet. Daher wird die Improvisation auch heute noch „die kleine Schwester der Komposition“ genannt. Die improvisatorischen Einfälle dienen als Materialsammlung, die danach weiterverarbeitet und strukturiert wird.

Die Komposition kann jederzeit wiederholt werden. Dies ist bei einer Improvisation kaum möglich. Bei einer Improvisation „passieren“ Dinge, die selten wiederholbar sind, vor allem im Zusammenspiel etwa mit Synthesizern und Modularen oder wenn viele Künstlerinnen und Künstler daran beteiligt sind. Da müsste man glatt ein minutiöses Gedächtnis besitzen.

Die beiden Praxen sind also voneinander zu unterscheiden. Improvisation ist jedoch nicht strukturlos, denn fast jeder Mensch ist mit der Fähigkeit ausgestattet, auf Basis seiner Fantasie eine Geschichte zu erzählen, und Geschichten haben nun einmal einen natürlichen Ablauf von Einleitung, Beschreibung, Entwicklung hin zu einem Höhepunkt und einem Ende. Dazu kommen die Parameter der Musik (schnell, langsam, leise, laut, usw.), die diese Geschichte färben und lebendig werden lassen. Das Phänomen liegt im Zusammenspiel und dem gemeinsamen schöpferischen Akt. Eine Improvisation setzt die natürlichste Art des Zuhörens voraus, nämlich die des prozesshaften Zuhörens. Das Publikum hört entstehende Echtzeit-Musik.

Ist es angesichts all der Musik, die wir hören, und all dessen, was uns mittlerweile medial vermittelt wird, überhaupt möglich, ganz frei, also unbeleckt von auch nur irgendwas, zu improvisieren?

Gudrun Plaichinger: Nein. Das Musizieren ist nie ganz unbeleckt, da müsste man mit fremden Zungen sprechen können, von einem fremden Planeten kommen oder kulturlos sein. Individuelle Erfahrungen prägen und formen die eigene Musiksprache. Das bewusste Hören von Musik ist ja eine Bereicherung. Jeder von uns kennt das, wenn man seine Lieblingsmusik unaufhörlich vorwärts und rückwärts hört, bis sie in Fleisch und Blut übergegangen ist. Es sind Lehrstunden und unendliche Ozeane. Ausprobieren, imitieren, mit seinem Wesen vereinen, transformieren und weiterentwickeln, das ist ein lebenslanger Entwicklungsprozess. Das größte Glück ist, mit Künstlerinnen und Künstlern zusammen zu arbeiten, die diesen Prozess in einem auslösen. Das kann kein Radio.

Tobias Ott (c) Gabriele Schwab

Tobias Ott: Ja. Das sollte schon gelingen. Natürlich improvisieren oder bewegen wir uns innerhalb unserer „Klangrede“, wie es einst Harnoncourt beschrieben hat. Wir sind immer irgendwie beeinflusst, geprägt durch unsere Hörgewohnheiten, spezielle Musikgattungen, womöglich Online-Channels, Radio etc. Aber die Fähigkeit, als Musikerin und Musiker auch mal ungeachtet der Hörgewohnheiten in der Session wirklich abgefahren zu spielen, über den eigenen Schatten zu springen – genau das ist das xenophile Vorhaben, nämlich der Weg weg vom Zuhause. Am besten im Zuge jahrelanger, intensiver Ausbildung und Erfahrung auf der Bühne oder im Studio.

„Ohne Empathie und ,einander Raum lassen‘ kann keine Improvisation gelingen.“

Ein wichtiger Punkt scheint neben den „Fähigkeiten zur Intuition“ auch Empathie zu sein, durch die das „Zusammenspiel verschiedener Charaktere“ erst zu einer „kollektiven Vielstimmigkeit“ werden kann. Ist das quasi auch ein, oder das politische Statement des Festivals?

Tobias Ott: Ja, durchaus, mitunter, notwendig, automatisch und logisch.

Gudrun Plaichinger: Es ist ein Statement in dem Sinne, als dass es genau beschreibt, was am Festival beim Improvisieren so vor sich geht. Es BRAUCHT verschiedene Charaktere, um Neues und Interessantes erschaffen und als Team wirken zu können: die Denkerin und den Denker, die Stille und den Stillen, die Laute und den Lauten, die Solistin und den Solisten, die Aus-dem-Bauch-heraus Spielende und Spielenden, die Offene und den Offenen, die Verschlossene und den Verschlossenen usw. Aber ohne Empathie und „einander Raum lassen“, kann keine Improvisation gelingen, da heilloses Chaos entstehen würde, oder man einen Mitspielenden regelrecht „absaufen“ lässt, indem man ihn in Grund und Boden spielt.

Die Kunst des gemeinsamen Improvisierens liegt darin, einander aufmerksam zuzuhören und darauf zu antworten, oder sich miteinander gleichzeitig zu verbinden. Das schließt Reibung genauso mit ein, wie einen harmonischen Dialog. Vokabular zu übernehmen, aufgefordert zu werden, etwas Neues auszuprobieren und seine festgesetzten Grenzen zu überschreiten, lässt die eigene Klangsprache ständig ein wachsendes, sich erneuerndes Kontinuum werden.

Über den gegenseitigen Respekt braucht es aber noch einen Schritt hinaus: wir spielen nicht nach Noten, sondern wir spielen aus unserem Innersten selbst heraus. Das verlangt eine unglaubliche Bereitschaft, sich zu öffnen, aber auch, jemand anders in sich hinein zu lassen. Dem einen fällt dies nicht so schwer, weil er sich darüber keine Fragen stellt, manch’ anderem aber schon – der Blick in die Seele.

Miles Davis sprach über das Improvisieren genau das: „I’ve always told my musicians in my band to play what they know and then play above it. Because then anything can happen, and that’s where great art and music happens. (…) It takes a long time to sound like yourself. First you imitate, then you innovate. Always listen to, what you can leave out.”

Wie habt ihr überhaupt die einzelnen Acts ausgewählt und auf was können sich Impro-Fans speziell freuen?

Gudrun Plaichinger: Das Programm ist sehr vielfältig, darauf kann sich das Publikum freuen! Tobias hat eingeladen und ich habe eingeladen. Wir haben uns hier gut ergänzt! Dadurch ist eine bunte, außerordentliche Vielfalt entstanden, die wir sehr gut gegliedert und gereiht haben. Mir war es ein großes Anliegen, Künstlerinnen zum Festival einzuladen, um eben auch den Blickpunkt auf die Frauen in der Improvisation zu richten, da männliche Kritiker und sogar auch Musiker den Frauen die Kunst der Improvisation abgesprochen hatten. Hier hat sich mittlerweile das Bild etwas gewandelt. Es gibt wesentlich mehr aktive Improvisatorinnen, wie auch Turntablistinnen, Elektronikerinnen, Experimentatorinnen und Komponistinnen. Gemischte Formationen sind meist die Regel und eine Selbstverständlichkeit.

Golnar Shahyar (c) Ina Aydogan

Es freut mich riesig, dass Golnar Shahyar, Mia Zabelka und Sigrid Langrehr sofort zusagten und uns kräftig unterstützen! Golnar hat ihren musikalischen Ausnahme Partner András Dés mitgebracht, der bereits im Jazzit aufgetreten ist, genauso wie der wunderbare Benny Omerzell. Werner Raditschnig und Gerhard Laber sind ein absolutes Muss am Festival. Thomas Kleinschmitt und Christoph Reiserer sind weitere Highlights des Festivals.

Tobias Ott: Zur zweiten Frage: Ich glaube, echte Improfans freuen sich nicht auf etwas im Vorfeld. Die lassen sich lieber überraschen.

Die Prozesshaftigkeit des Interdisziplinären beschränkt sich jedoch nicht nur auf Musik. Es wird auch Raum-Installationen, Medienkunst und Performance Art geben. Wieso diese Erweiterung des Spektrums und was wird es dabei zu sehen und zu hören geben?

Gudrun Plaichinger: Alle Kunstformen sind miteinander verbunden und so gestaltet, dass sie sich gegenseitig nähren und erhalten. Diesen Aspekt in das Festival einzubringen, war uns sehr wichtig. Noch dazu war ja die Klanggalerie einer der Ausgangspunkte für das Festival. Gemeinsam im Gespräch mit Sigrid Langrehr, Christoph Reiserer, Thomas Kleinschmitt, Gerhard Laber und Werner Raditschnig haben wir diesen Aspekt weiterentwickelt. Es war ein sehr interessanter Prozess, der Frage nachzugehen, wie sich die Medienkunst improvisatorisch artikuliert, ohne im ausführenden Künstler das Gefühl zu erzeugen, dass ihm „beim Arbeiten zugeschaut“ wird.

Zu sehen gibt es nun einen Konzertraum, der durch die Präsenz der Installationen das gesamte Geschehen in ein Raumkonzert verwandelt und Publikum, Musikerinnen und Musiker in dem gleichen Boot sitzen und agieren lässt. Dies ermöglicht ein weiteres Spektrum der auditiven und visuellen Wahrnehmung. Die Musikerinnen und Musiker können performativ in die Projektionen eintreten und zwischen den Installations-Objekten agieren. Die meisten von ihnen sind ja auch darstellend im Theater tätig.

Tobias Ott: Die meisten Künstlerinnen und Künstler, die Musik machen, im Theater performen, Bilder malen und hauen oder einfach nur handwerken, machen das nicht nur ausschließlich. Eine Sehnsucht nach gewissen interdisziplinären Spirankerln haben viele Musikerinnen und Musiker oder bildende Künstlerinnen und Künstler. Die wird auf dem Festival befriedigt.

Zum Programm selbst: Es gibt bereits konkrete Eckpunkte im Programmablauf und es liegt in der Natur unseres Festivals: Wir können und wollten auch nicht mehr verraten, und es liegt in der Natur des „total improvisierten Festivals“, dass wir uns auf einige Überraschungen gefasst machen müssen.

Wie habt ihr das Festival finanziell aufgestellt? Gab es Subventionen?

Gudrun Plaichinger: Ja, es gibt Subventionen seitens der Stadt Salzburg und seitens des Landes und des Bundes. Wir stemmen uns dagegen, bei geringen Subventionen die Gagen der Künstlerinnen und Künstler automatisch zu kürzen und Fair Pay zu demontieren. Dies scheint ein gängiger Fakt und Akt in unserer Veranstaltungskultur zu sein. Deswegen verlangen wir auch Eintritt zu vernünftigen Preisen. Der künstlerische Beruf ist zwar eine Berufung, aber eben auch ein Beruf und dementsprechend gehört er honoriert.

Tobias Ott: Wir haben mit wohlwollenden Beamtinnen zu tun und hatten ein gutes Gespräch mit dem Vizebürgermeister. Es ist halt zurzeit alles ein bisschen schwierig, wie man weiß. Es ist das erste Festival unserer „¡ improvize ! ¡ installize !“-Biennale. Wir üben uns in Geduld und wollen ja nicht gleich übers Ziel hinausspringen.

Was passiert, wenn euch die Corona-Politik einen Strich durch die Rechnung macht?

Gudrun Plaichinger: … dann wird das Festival verschoben!

Tobias Ott: Niemand weiß im Moment, inwiefern uns Analysen, Zahlen und die Politik in einem Monat oder in zwei Tagen einschränken könnten. Wir werden dann das Festival in Richtung Juni verschieben und dann halt noch besser vorbereitet sein.

Danke für das Interview.

Didi Neidhart

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Festival „¡ improvize ! ¡ installize !“

Sam, 21.01.2022 – Son, 22.01.2022 – ab 17:00

Feat. Christoph Reiserer, Mia Zabelka, Thomas Kleinschmitt, Sigrid Langrehr, Golnar Shahyar, András Dés, Benny Omerzell, Werner Raditschnig, Gudrun Plaichinger, Ramesh Shotham, Geoff Goodman, Sebi Tramontana, Tobias Ott, Gerhard Laber, Michael Fischer, Klubkulturklub Freakadelle

Jazzit Musik Club
Elisabethstraße 11
5020 Salzburg

Salon Hotel Hohenstauffen
Elisabethstraße 19
5020 Salzburg

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Links:
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Jazzit