„[E]ine nicht gleichmäßige Maschine” – SCHTUM (MANU MAYR und ROBERT POCKFUSS) im mica-Interview

SCHTUM nennt sich das neue Duo von MANU MAYR und ROBERT POCKFUSS. MAYR gilt als einer der angesagtesten lokalen Jazzmusiker seiner Generation, spielt in den Formationen KOMPOST 3, SYNESTHETIC 4, aber auch in der Pop-Supergroup 5K HD und im akustischen Kammermusik-Ensemble GABBEH, während POCKFUSS sich unter anderem mit dem ENSEMBLE PNEUMA zwischen zeitgenössischer komponierter und improvisierter Musik bewegt. Mit ihrem Duo SCHTUM schlagen sie nun eine andere Richtung ein: So widmen sich die beiden Ausnahmemusiker der experimentellen Elektronik und suchen nach neuen Wegen zwischen Beat- und Noise-Produktion. Besonders ist dabei nicht nur der Verzicht auf die sonst obligatorischen digitalen Mittel, sondern auch das Set-up. Dass sich hinter ihrem Projekt ein forschender Ansatz verbirgt, auf welchem unüblichen Abhängigkeitsverhältnis die Klangerzeugung beruht und welche Herausforderungen der Szene-Clash mit sich bringt, erklärten die Musiker von SCHTUM Shilla Strelka in einem Gespräch.

„[D]ie erste Inspiration war ziemlich technischer Natur.“

Ihr seid in unterschiedlichen musikalischen Feldern tätig. Mit schtum geht ihr jetzt in Richtung experimentelle Elektronik. Welches Bedürfnis steckt dahinter?

Manu Mayr: Wir haben uns vor längerer Zeit kennengelernt und hatten schon lange den Plan, etwas gemeinsam zu machen. Damals sind uns schon ein paar technische Konzepte vorgeschwebt, wie man eine Duo-Situation mit zwei elektrischen Saiteninstrumenten vom technischen Set-up her gestalten könnte. Wir haben uns gefragt, welche Möglichkeiten es gibt, Signale in einem analogen Umfeld zu manipulieren.

Robert Pockfuß: Genau, die erste Inspiration war ziemlich technischer Natur: Wir wollten die Elektronik, die wir zu Hause hatten, auf irgendeine Weise koppeln. Daraus hat sich die gemeinsame Ästhetik, die sich von unseren anderen Projekten unterscheidet, entwickelt. Das hat auch etwas Mysteriöses – wie man auf einen Sound kommt und dann sagen kann: „Ah, das passt.“ Das war in dem Fall einfach etwas ganz was anderes als bei anderen Projekten.

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Inwiefern war der technische Aspekt anregend?

Manu Mayr: Es gab bei uns eine ganz lange Entwicklungs- und Forschungsphase. Um es kurzzufassen: Es hat uns beide interessiert, was in einem Verzerrerpedal passiert. Normalerweise schickst du nur ein Signal in einen Verzerrer und dann mischt du alle Elemente. Wir haben uns gefragt, was passiert, wenn wir beide Instrumente gleichberechtigt in diesen einen Verzerrer schicken. Wir wollten wissen, welche Interferenzen und gemeinsamen Töne wir im Schaltkreis auslösen können. Da passiert dann viel im Obertonspektrum, weil alles, was im hohen Frequenzbereich passiert, nach unten gespiegelt wird. Dadurch wird dieses Spektrum präsenter. Das war tatsächlich Forschungsarbeit. Es gibt ganz kleine Details, die wahnsinnig große Unterschiede machen können. Wir haben versucht, uns in dieser langen Zeit an diese Dinge heranzutasten und an Klängen zu arbeiten, die vom Spielerischen her ganz fein sind, aber am Ende einen sehr druckvollen, verzerrten Sound auslösen.  Das ist immer ganz nah am Brechen oder Zerfallen – da muss man ganz behutsam agieren.

Robert Pockfuß: Ja, wir lösen durch kleine Aktionen eine ganze Kette von Reaktionen aus.

Ich dachte eigentlich anfangs, dass sich dieses Reaktive aus Feedbackloops speist. Das ist aber nicht der Fall. Es ist auch die Rede von einem Mono-Summierer?

Manu Mayr: Die Gitarreneffektpedale arbeiten meistens mono, weil du nur ein Gitarrensignal hineinschickst. Die sind nicht dafür ausgelegt, dass du mehrere Instrumente ansteckst. Darum müssen wir unsere beiden Signale zu einem machen. Ja, in den meisten Fällen wird eine beliebige Anzahl von Signalen letztendlich zu einer Stereo-Summe zusammengemischt.

Robert Pockfuß: Der Clou daran ist, dass sich unsere Signale gegenseitig beeinflussen. Sie drücken sich gegenseitig weg. Das heißt, wenn ich ein bisschen lauter spiele, ist Manus Stimme weg und umgekehrt genauso.

Manu Mayr: Wir jonglieren immer an dieser Grenze.

Robert Pockfuß: Und das Resultat klingt dann interessanterweise genauso wie die Sidechain-Kompressoren, die man aus der elektronischen Musik kennt.

„Es ist total interdependent.“

schtum (c) Vincent Ducard

Aber ist es so nicht auch viel anstrengender zu spielen?

Manu Mayr: Es ist total interdependent.

Robert Pockfuß: Ja, ich spiele auch oft etwas, was ich nicht höre. Ich spiele z. B. einen Rhythmus und immer wenn Manu einsteigt, bin ich quasi weg. Nur wenn sein Signal leiser wird, kommt meines wieder durch.

Manu Mayr: Aber trotzdem ändert sich der Grundsound, wenn du spielst. Das ist dann nicht der Originalklang, weil der eben nicht so durchkommt. Es ändert auch immer etwas am Gesamten.

Robert Pockfuß: Also eine ziemlich nerdige Partie [beide lachen].

„[e]in ständiger Kampf gegen sich selbst.”

Wie viel passiert spontan, also im unmittelbaren Live-Kontext, und wie viel wird vorher ausprobiert?

Robert Pockfuß: Wir wissen oft sehr genau, was passieren wird. Es können aber trotzdem komische, unerwartete Dinge passieren. Dieses Gegenspiel ist sehr intensiv. Es ist ein ständiger Kampf gegen sich selbst. Man muss sich ständig zurücknehmen. Das ist auch das Spannende daran. Was mich persönlich immer abgeturnt hat, sind elektronische Musikerinnen und Musiker, die diese harte Musik machen, dann aber nur an ein paar Knöpfen herumdrehen. Das, was wir machen, ist schon körperlich.

Manu Mayr: Ja, und auch handwerklich. Das Schönste daran ist die Abhängigkeit voneinander. Es ist nicht durchgehend so, aber man kann den anderen nie allein lassen. Der Klang, der rauskommt, ist immer von uns beiden abhängig.

Dieses Abhängigkeitsverhältnis, dem ihr euch aussetzt, inwiefern hat euch das auch etwas über das Improvisieren und gemeinsame Spiel generell gelehrt? Ist diese Aufmerksamkeit, die ihr dem anderen gegenüber aufbringen müsst, nicht eine sehr spezielle? Ihr werdet ja wirklich zu einem Körper. Beziehungsweise liegt die Schwierigkeit vermutlich auch darin, den Rhythmus zu halten, oder?

Robert Pockfuß: Ja, es hat auf ein jeden Fall eine Zeit gedauert, sich an diese spezielle Art des Zusammenspiels zu gewöhnen, und unsere Rhythmen sind ja auch nicht immer ganz einfach. Wie schon vorher gesagt löst das, was man spielt, oft nur eine kleine Änderung des Gesamtsounds aus oder ist mitunter kurz gar nicht hörbar. Das ist dann manchmal wie ins Leere zu treten. Doch erweitert das Zusammenspiel auf eine so vielfältige Art das eigene Instrument, dass es auch viele Sachen einfacher macht, wenn man sich so in das Klangfeld des anderen einbetten kann.

schtum (c) Camille Blake

Eure Soundästhetik bei schtum dockt am Elektronik-Noise-Underground an, kann aber auch mit Doom Metal assoziiert werden. Jetzt ist es so, dass ihr ja nicht von dort kommt. Gibt es dennoch ästhetische Referenzpunkte?

Robert Pockfuß: Mein Gedächtnis ist in dieser Hinsicht etwas unzuverlässig. Für mich ist das eher eine Ästhetik-Wolke, eine Melange aus verschiedenen Dingen. Man spielt sich sicher gegenseitig Sachen vor, aber wir sind sicher nicht einfach Teil einer Szene. Und wer weiß, vielleicht brechen wir bald mit dieser Ästhetik?

Manu Mayr: Ich glaube nicht, dass wir irgendwann mit Samples arbeiten werden, aber vielleicht kooperieren wir einmal mit einer Sängerin oder einem Sänger. Ich finde es auch interessant, dass wir eigentlich zu gar keiner Szene so wirklich gehören.

Robert Pockfuß: Oder zu verschiedenen Szenen.

Manu Mayr: Genau, das ist so Teil von unserem Ding. Zumindest kann ich von mir sagen, dass ich das gar nicht missen will, überall ein bisschen was mitzukriegen und ein Gefühl dafür zu bekommen, wie andere Leute ticken.

Das klingt so, als wärt ihr Zaungäste, andererseits könntet ihr ja auch eine Vermittlerposition einnehmen, oder nicht?

Manu Mayr: Ja, so fühle ich mich und so rede auch gerne von mir, aber ich weiß nicht, ob ich das schaffe.

„[I]n einem Klang total aufzugehen”

Ich glaube schon, dass euch das gelingen kann. Dass sich das Publikum einer Ästhetik öffnet, weil es euch als Musikern vertraut und dem vielleicht noch mal anders begegnen kann. Gleichzeitig ist diese Ästhetik in den letzten Jahren total im Kommen gewesen. Was hat euch ausgerechnet an dem Sound so fasziniert? Man kann ja an vielen Dingen forschen, ohne es zu einem Bandprojekt zu machen.

Manu Mayr: Es gibt da schon eine nerdige Faszination dahinter, sich zu fragen, mit wie viel Aufmerksamkeit und Genauigkeit und gleichzeitig mit wie wenig Mitteln man sich einem Sound hingibt.

Ich habe das Gefühl, dass wir es in dieser Konstellation schaffen, in einem Klang total aufzugehen und dem Tiefe zu geben, alle Nuancen kennenzulernen und zu versuchen, den Klang als solchen zu beleuchten. Auch wenn es keine bewusste Entscheidung war, ist es etwas, was mich beschäftigt – die Aufmerksamkeit auf ein Detail zu lenken und die Aufmerksamkeit des Publikums an einen Zustand zu binden.

Robert Pockfuß: Ja, für mich fühlt sich das auch nicht so anders an als bei meinen Impro-Projekten. Immer wenn die Improvisation funktioniert, haben wir uns einfach in ein kleines Detail verliebt. Sobald alle darauf fokussieren, ist es, als hätten wir den Schlüssel gefunden. Vorher beißt man sich vielleicht die Zähne aus. Ich habe das in allen Projekten, vielleicht klingt das dann immer anders, aber das ist dieses Zen [lacht]

Manu Mayr: … ja, die Schnittstelle von einem Gefühl, einer Haltung, einer Emotionalität und gleichzeitig der Bezug zur Wissenschaft. Obwohl schtum nur zweistimmig ist, gibt es so viele Faltungen und Brechungen und Beatings, d .h., wenn sich  Frequenzen aneinanderreiben und Infradruck erzeugen – an der Schnittstelle, wo Impulse zu Wellen werden, und vice versa.

Robert Pockfuß: Wahrscheinlich haben wir einfach nur die Emo-Welle versäumt [beide lachen].

Manu Mayr: Ja, ich bin schon sehr emotional.

Robert Pockfuß: Ja, wir sind beide sehr romantisch.

„[E]s gibt da diese Kraft …“

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Was assoziiert ihr mit dem Sound? Der hat ja etwas sehr Abgründiges.

Manu Mayr: Ja, das Düstere – oder sagen wir Moll-Harmonien – hat mich schon immer mehr berührt. Ich fühle mich dem näher. Ich kann von mir nicht behaupten, dass ich etwas Fröhliches musikalisch sofort übersetzen könnte.

Robert Pockfuß: Es ist schon düster, aber ich glaube das Unheimliche kommt auch oft von dem Klinischen. Ich glaube nicht, dass wir das emotional aufgeladen performen, aber es gibt da diese Kraft …

Wenn du sagst, dass ihr mit keiner großen Geste performt, dann ließe sich vielleicht auch weiterführend sagen, dass ihr auch ein bisschen den Machismo aus den amplifizierten Gitarrensounds nehmt – der ja oft mitschwingt –, weil ihr euch im Dialog befindet und es eben immer um einen Kompromiss geht. 

Robert Pockfuß: Ja, da sind wir wieder beim Emotionalen. Das Geräusch einer großen Welle oder eines einstürzenden Gebäudes ist ja nicht unbedingt aggressiv, nur weil es sehr laut ist. Es wirkt einfach nur sehr mächtig. Also wir schreien den Leuten nicht ins Gesicht, sondern summen ihnen relativ intensiv ins Ohr.

„Traditionellen Instrumenten neue Klänge zu entlocken ist ganz einfach ein Kernbereich meines künstlerischen Schaffens.“

Es gibt internationale Projekte wie Emptyset, Ben Frost und Roly Porter, die ästhetisch in eine ähnliche Richtung ziehen, aber größtenteils digital arbeiten. Vielleicht ist ja ein Teil eures Erfolgs damit zu erklären, dass ihr tatsächlich mit Instrumenten arbeitet und diese Energie noch mal unmittelbarer und körperlicher wird, ihr aber eben – anders als jetzt im Doom- oder Drone-Bereich – mit Beats arbeitet?

Manu Mayr: Ja, ich muss schon sagen, dass mich der No-Laptop-Aspekt beim Live-Spielen als Digital Native stark beschäftigt. Mein restliches Leben dreht sich natürlich ständig um den Computer. Dass ich bis heute noch nie mit Laptop auf der Bühne gestanden bin, ist aber trotzdem mehr meiner Sozialisierung als Instrumentalist geschuldet als einer grundlegenden Abneigung gegenüber dem Digitalen im Live-Kontext. Traditionellen Instrumenten neue Klänge zu entlocken ist ganz einfach ein Kernbereich meines künstlerischen Schaffens, und ja, ich denke schon, dass es dafür immer eine besondere Faszination geben wird.

schtum donaufestival (c) David Višnjić

Ihr wurdet ja dieses Jahr mehr oder weniger vom Fleck weg vom Festivalnetzwerk SHAPE nominiert und seid dann auch direkt auf das CTM nach Berlin geflogen, habt aber auch schon am donaufestival und am Elevate Festival gespielt und das, obwohl ihr in dieser Szene eigentlich nicht beheimatet seid. Was ist eure Erklärung dafür? Ist es nicht das spezielle Konzept?

Manu Mayr: Das Gefühl habe ich eigentlich nicht. Um ehrlich zu sein, bezweifle ich eher, dass es uns gelungen ist, das Konzept nach außen zu vermitteln. Letztendlich ist es schön, dass es gerade diese Naivität des Klangs ist, die angekommen ist. Wir haben schon im Vorfeld Booking-Arbeit geleistet und haben einfach ein Video an internationale Festivals geschickt, wie nach Frankreich und Brasilien. Wir sind zwar keine big names, aber das hat trotzdem funktioniert.

Robert Pockfuß: Wir sind schon auch Opportunisten und nicht nur Nerds. Am Schluss wollen wir einfach, dass es für uns gut klingt und uns bewegt. Da tritt der Prozess in den Hintergrund. Und das ist die Ästhetik, die wir gemeinsam für uns gefunden haben.

Robert, du hast vorher von Zen gesprochen, was ich schön finde, weil ich auch die Assoziation eines Zustands der fokussierten Gelassenheit hatte, wo ihr euch als Musiker einem Klang hingebt, aber auch anvertraut.

Manu Mayr: Das hat sich entwickelt, ist flüssiger geworden. Im Entstehungsprozess mussten wir uns Dinge noch zum Teil mechanisch erarbeiten, aber richtig aufgehen tut es erst, wenn man merkt, dass man ständig in Kommunikation ist und es immer hin- und hergeht, ohne dass man gemeinsam ein abstraktes Zeitraster oder Tempo fixiert. Man merkt, wie man es gegenseitig beeinflussen kann, und reagiert sofort auf den anderen. Dadurch entsteht eine nicht gleichmäßige Maschine.

Ein Organismus.

Manu Mayr: Ja, voll. Aber ja, ich finde es schön, wie du es beschrieben hast – diese konzentrierte Gelassenheit. Das ist für mich eine Haltung, mit der ich mich total identifizieren kann. Ganz generell eigentlich, als Performer auf der Bühne und in allen Kontexten.

„Kein anderes Projekt bietet uns die Möglichkeit, so ins Detail zu gehen.“

Aber was sich schon vermittelt, ist, dass die Körperlichkeit des Klangs eine ganz andere ist als bei euren anderen Projekten. Du kannst die gewaltige Energie spüren, die von den verstärkten Gitarrensignalen ausgeht. Das muss ja auch etwas Befriedigendes haben, vielleicht auch, weil ihr euch den Instrumenten und Geräten anders aussetzt?

Manu Mayr: Ja genau, definitiv. Kein anderes Projekt bietet uns die Möglichkeit, so ins Detail zu gehen und über die physischen Eindrücke von Klang zu forschen. Es ist super, dass wir uns da so gezielt in Richtung einer klanglichen Essenz bewegen können. Normalerweise ist man ein Klang in einem Mix von Klängen. Wir reduzieren aber eben ganz stark auf einen Klang und bauen von dem weg alles auf. Diesen Weg für uns gefunden zu haben ist das Ergebnis einer Suche, die uns schon seit drei Jahren beschäftigt. Das nächste Ziel ist jetzt, jedes Jahr unsere Konzerte zu verdoppeln. Letztes Jahr waren es zwei, dieses Jahr sind es schon mehr als acht. Jetzt müssen wir sehen [lacht].

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Womit wir gleich bei der nächsten Frage wären, denn der Raum und Räumlichkeit spielen in diesem Projekt ja auch eine zentrale Rolle. Ihr habt mittlerweile sowohl in einem so aseptischen Raum wie der Alten Schmiede gespielt, aber auch im legendären Berliner Club Berghain. In euren Videos vermittelt sich die Faszination für die Akustik in Industriehallen. Inwiefern bezieht ihr also Räumlichkeit mit ein?

Manu Mayr: Während des Entstehungsprozesses haben wir immer im Studio gearbeitet und hatten einen ganz nackten, direkten Sound. Wir haben zwar mit einem künstlichem Hallgerät gearbeitet, um verschiedene Dimensionen herzustellen, aber es gab letztendlich einfach diese trockene Ebene. Und ich habe mich gefragt, wie es wäre, diesen synthetischen Klang für Videos abzumischen. Uns war schon schnell klar, dass der Klang noch mehr Wirkung bekommt, wenn er einen Raum tatsächlich ausfüllt. Darum haben wir für die Videos den Raum mit einer PA-Anlage beschallt und darin live gespielt. Diese Auseinandersetzung mit dem Raum haben wir auf Video festgehalten. Konkret haben wir mit Raummikrofonen gearbeitet und das mit dem Direkt-Signal gemischt. Aber es war arg zu sehen, wie viel stärker es wirkt, wenn man das Gefühl eines großen Raums hat. Diesen Eindruck festzuhalten war uns sehr wichtig für die Videos.

Aber der Release von schtum wurde ausschließlich im Studio produziert?

Robert Pockfuß: Ja, die Aufnahmen sind nur im Studio passiert. Wir spielen mit synthetischem Hall und bringen unsere Musik dadurch in verschiedene Räume, von ganz direkt zu ganz weit. Live mischen wir den künstlichen Hall gern mit echtem Hall: Wir haben zum Beispiel ein Konzert in einer Tiefgarage in Linz gespielt, wo die Bühne nur einen kleinen, unauffälligen Teil des Raumes ausgemacht hat. Die Leute sind während des Konzert in der gesamten Tiefgarage herumgegangen. Es hatte also mehr von einer Klanginstallation. Und in Brasilien sollen wir im Dezember auch eine Halle in diesem Sinne bespielen.

Manu Mayr: Das war auch bei unserem Gig in Frankreich so. Die Veranstalterinnen und Veranstalter kommen schon von selbst auf die Idee, uns in einem großen Raum auftreten zu lassen, wo wir mit Distanzen spielen können.

Dieses Projekt ist ja mehr als andere für den Clubraum geeignet. Aber da ist das Publikum ein anderes und die Erwartungshaltung ist wahrscheinlich eine andere und auch das Feeling auf der Bühne. Was macht das mit einem, wenn man in einen so anderen Kontext eintaucht? Manu, du bist ja gehypter Jazzmusiker, spielst in den Supergroups 5K HD und Kompost 3 und bist da, nehme ich mal an, auch sehr verwöhnt von den Publikumsreaktionen.

Manu Mayr: Ich habe trotzdem mit fast allen Projekten die unterschiedlichsten Erfahrungen in unterschiedlichen Kontexten gemacht. Aber ja, es stimmt schon – ich bin nicht so beheimatet im avancierten, experimentelleren Club-Ding. Aber ich bin mittlerweile schon viel vertrauter damit und habe auch das Gefühl, dass ich jetzt viel genauer weiß, wie unser Sound dorthin passt. Am Anfang war ich schon ein bisschen verunsichert. Aber letztendlich muss ich sagen, dass es mir immer und überall am Arsch geht, wenn Leute während des Konzerts reden. Da ist der Kontext egal. Das verstehe ich einfach nicht.

Lauter drehen?

Manu Mayr: Genau, aber das Lauterdrehen sehe nicht ein. Obwohl ich glaube, dass wir mittlerweile schon konkreter wissen, wie wir mit unserem Sound umgehen, um so was nicht zuzulassen.

Robert Pockfuß: Ja, ich glaube sehr viel haben wir uns eh noch nicht getraut. Die Elektronikfestivals, auf denen wir mit schtum jetzt spielen, sind schon etwas anderes als die Grelle Forelle an einem Samstag.

schtum (c) Sonic ProBrest

Sind diese Kontexte bewusst gewählt? Ihr kämt jetzt nicht auf die Idee, das z. B. beim Festival Konfrontationen in Nickelsdorf vorzuschlagen?

Manu Mayr: Weiß ich gar nicht. Eher vielleicht beim Unlimited in Wels? Es ist so eine Mischung. Es könnte in Zukunft vielleicht auch mehr darum gehen, eine neue Situation zu schaffen, also z. B. nicht nur frontal zu spielen. Da sind auch schon ein paar Veranstalterinnen und Veranstalter selbst auf die Idee gekommen …

Robert Pockfuß: Wenn Nickelsdorf uns einen eigenen Raum geben würde, den wir bespielen könnten, würde es schon passen, aber wenn wir nach einem Free-Jazz-Act kämen, weiß ich nicht …

Und wie sieht es mit Wien Modern aus?

Manu Mayr: Ja, da sind wir gerade dran [beide lachen].

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Shilla Strelka

Termin:
7. Juni 2019 – schtum Release-Show “Feed”, rhiz Wien

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