„[…] eine Mischung aus Übersteigerung und Coolness“ – Clemens Posch (Tents) im mica-Interview

Im Mai bringt das Wiener Duo TENTS nach einigen Singles nun ihr zweites Album „Limbo“ (Siluh Records) heraus. Auf ihm überzeugen CLEMENS POSCH und PAUL STÖTTINGER mit konzisen Lo-Fi-Nummern, in denen sich viele Referenzen tummeln. Melancholische Melodien und ausgeklügelte Rhythmen, sehnsüchtige 80ies Synths- und Gitarren und die nonchalante Stimme POSCHS fügen sich zu schnörkellosem Pop mit nostalgischem Flavour. Shilla Strelka spricht mit dem TENTS Sänger und Gitarrist CLEMENS POSCH über Schwebezustände, Retromanien und Pop-Exorzismen.

Limbo“ ist ein treffender Titel für den Zustand unserer Welt. The world in limbo. Wann habt ihr mit der Produktion des Albums begonnen?

Clemens Posch: Die Songs sind, bis auf „Renovation“, alle 2018 entstanden. Manche haben wir ins Live-Set geholt, andere waren sozusagen reine hard drive-Gespenster, die uns irgendwie nicht losgelassen haben. Erst im Laufe des letzten Jahres haben wir beschlossen, die Songs endlich abzuschließen und ein Album draus zu machen. Was die Anspielung auf die Pandemie im Albumtitel betrifft, schwingt die Situation da natürlich mit, aber direkten Bezug gibt es keinen, nachdem weder Lyrics noch Musik im letzten Jahr entstanden sind. Vielmehr ging es um den unentschlossenen Zustand des Materials. Dazu kam die Beschreibung des ‘Limbo’ von Dan Fox, wo der Begriff von der rein negativen Konnotation gelöst und als Möglichkeitsraum in der Kunstproduktion dargestellt wird. Dass sich das jetzt nicht weniger nach einem neoliberalen ‘die Krise als Chance’-Narrativ anhört, ist die ironische Pointe unseres patscherten Versuchs, kein Corona-Album zu machen.

Das macht mich neugierig. Inwiefern geht es in eurem Album um Möglichkeitsräume, um Schwebezustände?

Clemens Posch: Bei einigen Songs war immer die Frage, was damit passieren soll, weil sie ohne die Absicht, ‘verwertet’ zu werden, entstanden sind und insofern auch eine eigene Form hatten, die z.B. nicht nach der Spielbarkeit als Band orientiert war. So ein Ort abseits des Probe- oder Touralltags bringt nicht nur technisch gesehen, sondern vor allem durch seine Intimität andere Freiheiten mit sich. Hin und wieder auch das Gefühl, in dem lächerlichen Haufen an Möglichkeiten erst recht mit einer Leere konfrontiert zu sein. Es geht vielleicht einfach um die naheliegende Idee eines Ortes, wo etwas Neues entstehen kann, ohne sofort kategorisiert zu werden und ohne den Anspruch, dass es der große Wurf wird.

[…] eine freie Interpretation der vorgefundenen Formen“

Ihr gleitet mühelos zwischen den Genres, die in den 1970ern und 1980ern groß geworden sind, von Post-Punk zu Minimal/Cold Wave zu Synth Pop. Woher kommt die Faszination für diese Dekaden?

Clemens Posch: In der Phase ab dem Ende der 1970er Jahre passiert einfach sehr viel Gutes. Band-Musik nimmt z.B. im Postpunk ganz neue Formen an, die gerade in ihrer Diversität immer inspirierend waren (ESG, Slits, Talking Heads, Siouxsie, Scritti Politti). Das Postpunk-Klischee des angry young man à la Mark E. Smith selbst zu performen, interessiert mich weniger. Auch musikalisch gesehen ging es bei uns meistens um eine freie Interpretation der vorgefundenen Formen. Die quasi zur gleichen Zeit auftauchenden Synth Pop-Sachen von Japan, OMD, YMO, Ryuichi Sakamoto, Kate Bush, beinhalten oft so eine Mischung aus Übersteigerung und Coolness, die interessant ist. Und sicher geht es auch um eine Vorliebe für Melodien, Soundtexturen und Räumlichkeiten.

„Mein Gesang steckt nicht selten in einem Rhythmus-Korsett“

Deine Performance ist sehr reduziert. Da gibt es keine großen Gesten. Mich persönlich erinnert das an Minimal oder Cold Wave. Welchen Einfluss haben dieses Genres auf euch?

Clemens Posch: Die Musik beim Ausgehen ging bei uns beiden früher oft in diese Richtung – das Transformer-DJ-Kollektiv war da nicht unbeteiligt -, das kommt womöglich immer noch durch. Mein Gesang steckt nicht selten in einem Rhythmus-Korsett, anstatt ein entkoppeltes, autonomes Element zu sein. Das erinnert vielleicht an die monotonen Stimmen entfremdeter Ichs im Cold-Wave, die ich allerdings gar nicht so als großen Einfluss sehe. Der ältere, aber ähnliche Ansatz in Bryan Ferrys stilisiertem Gesang bei Roxy Music hat da sicher mehr Eindruck auf mich gemacht.

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In manchen Nummern, wie „Fiji Falls“, referenziert die Gitarre eindeutig die 1980er, fast schon überspitzt. Ist da ein Funke Ironie drinnen oder ist das eher eine offene Hommage?

Clemens Posch: Das Gitarrensolo in „Fiji Falls“ ist relativ naiv entstanden, vielleicht mit einem Augenzwinkern, das ist oft schwer zu sagen. Nach mehreren Überlegungen haben wir es jedenfalls genau so belassen, weil die Mischung aus dem protzigen 80s-Sound und der Melancholie, der Verlorenheit, passte.

„[…] die Heimkehr hat keinen konkreten Ort“

Euer Sound ist dadurch aber auf gewisse Art auch nostalgisch. Kannst du mit dem Begriff der Nostalgie etwas anfangen, oder ist der zu wertend?

Clemens Posch: Ich weiß nicht, ob das alles bewusst entsteht, aber es ist jedenfalls ein Thema, das immer wieder auftaucht. Die im vergangenen Jahr veröffentlichte Single „Locker“ z.B. dreht sich konkret um eine Form der Nostalgie, wobei das Schwelgerische auch in den Instrumentals durchkommt. Es ging um eine recht absurde Sehnsucht zurück zu schlechten, aber wenigstens klar vom Privatleben getrennten Arbeitsverhältnissen. Wenn nostalgische Momente in unserer Musik auftauchen, führen sie wahrscheinlich ins Nichts, die Heimkehr hat keinen konkreten Ort.

Gerade bei Synths ist es aber so, dass bestimmte Modelle eine gewisse Patina und das Feeling einer bestimmten Zeit mit sich bringen. Macht ihr euch darüber keine Gedanken?

Bild Tents
Tents (c) Raphaela Riepl

Clemens Posch: Wir verwenden Synths ziemlich dilettantisch, d.h. sie sind mehr Mittel als Instrumente, die wir stark manipulieren, wie man wahrscheinlich hören kann. Im Idealfall passt das Preset schon, das wir dann nur noch ein bisschen einstellen. Es wäre sicher auch mal spannend, mit jemandem mit mehr Skills zusammenarbeiten. Am Album sind einige DX7 Sounds zu hören, die definitiv mit den 1980ern in Verbindung stehen. Mir fallen aber keine bewussten Anspielungen auf dem Album ein, außer ein paar Sakamoto-artige Melodien, die zumindest in meiner Vorstellung assoziiert waren. Es kommen auch Jupiter 8-Plugin-Sounds vor, die wohl auch nicht unbekannt sind, und sonst beliebige andere, die gerade zur Hand waren. Bei aller Randomness habe ich aber das Gefühl, dass die Sounds vieles in Gang setzen und oft vorgeben, in welche Richtung ein Song geht – das hilft beim Songwriting.

Warum sind eure Songs so melancholisch? „The skies turned black as can be. There’s a shadow anywhere you go.“ – Entspricht das der Stimmung einer Generation?

Clemens Posch: In dem konkreten Song geht’s zwar um ein surreales Battle-Ground-Szenario, das eine recht platte Goth-Metaphorik bedient, aber ich sehe schon Entsprechungen dazu im Alltag, z.B. im politischen Diskurs, wo sich so viele Fronten gleichzeitig gegenüberstehen. Ich weiß nicht, ob daher die Melancholie kommt. Aber auch das Gefühl, dass zwischen uns und den Erfahrungen, die wir machen, fast immer ein seltsamer Schleier liegt, kann ich gut nachvollziehen.

Würdet ihr euch als weltabgewandt sehen oder fühlt ihr euch dafür zu sehr mittendrin?

Clemens Posch: Es ist in den letzten Jahren schwer geworden, nicht ‘mittendrin’ zu sein. Aber gerade das Ausgesetztsein führt doch oft zum Eskapismus, was angesichts der komplexen Verflechtung von Marketing und politischen Realitäten einleuchtet. Wenn ‘weltabgewandt’ bedeutet, weder eine Auswirkung der ‘Geschehnisse’ auf sich zu spüren, noch sich damit auseinanderzusetzen, bin ich das nicht. Die Fragen, die ich mir sonst so stelle, spielen auch in der Musik eine Rolle.

Leerstellen zuzulassen und einen Projektionsraum aufzumachen“

Die Lyrics sind zeitlos gehalten. Sie sind poetisch, lesen sich wie surreale Gedichte. „your cheeks like doric columns, the antique statue’s fallen“ („Fiji Falls“), „six legs, fedora hat pushed back yellow gloves and debonair halo“ („Power of O“), ein Titel lautet „Orlando“ – wie literatur-affin seid ihr? Wo schöpft ihr Inspiration?

Clemens Posch: Ich vermische oft Textmaterial aus dem Internet, aus Filmen, Büchern und oft aus Romanen mit eigenen Parts zu Collagen. „Power of O“ ist u.a. von Neil Gaimans „Anansi Boys“ beeinflusst, das auf dem westafrikanischen Trickster-Mythos aufbaut. „Orlando“ ist ziemlich unvermittelt nach dem Film von Sally Potter entstanden, den Roman von Virginia Woolf habe ich erst nachher gelesen – großartig! Orlando ist auch so eine inspirierende Figur, die eigentlich gut zu den anderen shape shifters auf dem Album passt. In „Power of O“ und „You Take Over“ geht es z.B. um die Beziehung zu Tricksterfiguren, die freiwillige Unterwerfung und das gemeinsame Eintauchen in eine Art Schwellenrealität. Grundsätzlich sehe ich die Lyrics als ein Ausdrucksmittel, das die gleichen Freiheiten wie das Instrumentale haben sollte. Weil den Inhalten aber oft so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, bietet es sich an, mit der Autorität der Stimme zu spielen, also z.B. verschiedene Erzählstimmen zu verschmelzen, Leerstellen zuzulassen und einen Projektionsraum aufzumachen. Dass „Cold Bliss“ die Weltabgewandtheit zelebriert und „Jitter“ einen allgemeinen Angstzustand beschreibt, passt zufälligerweise gar nicht so schlecht zum letzten Jahr.

Gibt es auch klassische Love Songs auf dem Album?

Clemens Posch: Das war für mich kein Thema, außer vielleicht beim pathetischen ‘it’s just us now’-Teil von „Jitter“, wo der romantisch-apokalyptische Schluss von Leif Randts Coby County-Roman die Inspiration war.

Kommunikation durch musikalische Referenzen“

Den referentiellen Raum gibt es also eigentlich nicht nur auf akustischer, sondern auch auf der Textebene. Wie sieht es mit dem Konzept von Retromania aus? Sagt dir die Idee von Simon Reynolds zufällig etwas?

Bild Tents
Tents (c) Raphaela Riepl

Clemens Posch: Es ist schwierig, sich der Rückwärtsgewandtheit bzw. der Gleichzeitigkeit, die Reynolds beschreibt, zu entziehen, wenn man in einer Recycling-Kultur aufwächst und in einem eigentlich ‘gestrigen’ Setup wie einer Band unterwegs ist. Auf der anderen Seite haben wir immer versucht, einen Bogen um die allzu brave Wiedergabe von Vergangenem zu machen. Ich würde mich mit dem Projekt Tents z.B. auch nicht wohl dabei fühlen, eine sich im Kreis drehende Ästhetik einer Szene zu bedienen. Das macht das Booking natürlich auch nicht leichter, weil es doch oft um bestimmte Codes geht, damit irgendwer zu deiner Show kommt. Ich sehe zwar so etwas wie einen Pop-Exorzismus in unserer Musik – womöglich ist er irgendwann überwunden -, aber es ist nicht unsere Absicht, ein generisches Paket mit den perfekten Synth-Sounds und dem ganzen Analog-Kitsch abzuliefern. Wir wollen die Musik für uns selber spannend halten und sehr wohl ‘nach vorne’ schauen. Ich finde es produktiver, einen eigenen Umgang mit der Musikgeschichte zu finden, als andauernd mit Originalität beschäftigt zu sein. Diese kreuz und quer-Kommunikation durch musikalische Referenzen hat ja auch etwas Schönes an sich.

„Das Bedürfnis nach eingängigen Melodien, nach der Wiederholung von tief verankerten Pop-Elementen“

Was meinst du mit Pop-Exorzismus?

Clemens Posch: Das Bedürfnis nach eingängigen Melodien, nach der Wiederholung von tief verankerten Pop-Elementen bestimmen das Songwriting mit. Das zuzulassen, obwohl mich die Vorstellung langweilt, dass ich nur Vertrautes nachempfinde, hat etwas von einer Austreibung. In meiner naiven Vorstellung wäre ich irgendwann davon befreit. Let’s see…

Würdet ihr euch als Pop-Acts verstehen?

Clemens Posch: Die Vagheit des Begriffs vermittelt eine gewisse Unabhängigkeit, insofern würde ich sagen, ja. Pop hat für mich viel mit der Freiheit zu tun, nicht sofort identifizierbar zu sein und den Genre-Gedanken zu ignorieren.

Bild Tents
Tents (c) Raphaela Riepl

Beschäftigt ihr euch auch mit progressiven, experimentellen Sounds?

Clemens Posch: Es gibt auf jeden Fall spannende Musik, die über die depressive lost futures-Diskussion hinausgeht und einem das Gefühl vermittelt, an einem noch nicht definierten Ort zu sein. Das geht mir oft bei Rhythmus-orientierten Sachen so. Es ist aber auch interessant zu sehen, dass noise-lastige experimentelle Musik inzwischen oft mit der Verletzlichkeit von so klassischem Singer-Songwritertum vermischt wird.

Seit eurem letzten Album ist einiges passiert. Ihr seid nur mehr zu zweit und von Numavi zu Siluh gewechselt. Es beginnt ein neues Kapitel? Habt ihr das Gefühl, dass ihr euch ästhetisch weiterentwickelt habt?

Clemens Posch: Durch den Ausstieg von unserem Bassspieler damals hat sich schon vieles nach Hause verlagert, was wir vorher noch im Proberaum gemacht haben. Die Musik verändert sich natürlich, wenn sie in der DAW entsteht und da schon so viele Entscheidung getroffen werden. Das Material ist aus der Zeit nach dem Release von „Stars on the GPS Sky“ – Paul hatte einen Verkehrsunfall, ich eine unangenehme Begegnung mit einer aggressiven Kuh, wodurch wir, beide lädiert, mehr von daheim ausgearbeitet haben, woran sich bis heute nicht viel geändert hat. Ästhetisch haben wir damals das Gitarrenlastige von Indierock oder Postpunk oder wie man das nennen will, hinter uns gelassen und ein bisschen ins Blaue hineingearbeitet. Einiges war schwer in ein Liveset übertragbar – vielleicht auch ein Grund, warum das Material so lange liegen geblieben ist. Für das nächste Album ist aber geplant, zu mehrt ins Studio zu gehen, ohne vorher schon alles ausarrangiert zu haben und wieder mehr selbst einzuspielen als bisher.

Ihr habt im Oktober euer letztes Konzert im Wiener Fluc gespielt. Wie sehr vermisst ihr die Bühne? Wie sehr eure Community?

Clemens Posch: Eine Zeit lang habe ich mich gut davon ablenken können, inzwischen geht mir das Live-Spielen aber sehr ab. Obwohl wir relativ selten auf Tour waren, weiß ich, wie gut es ist, ein Set öfters zu spielen, jeden Abend lockerer dabei zu werden und die Performance für das Publikum spannender zu machen. Diese Art der Kommunikation ist über Online-Releases schwer zu kompensieren. Vor allem vermisse ich aber, andere Acts auf der Bühne zu sehen.

Was macht ihr hauptberuflich?

Clemens Posch: Ich habe gerade meinen Uniabschluss nachgeholt, mein Brotjob ist hauptsächlich an der Theaterkassa. Paul arbeitet ebenfalls im Theater und als Veranstaltungstechniker.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Shilla Strelka

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