Eine Künstlerin mit vielen Facetten – KATHARINA ROTH im Porträt

Dieses Porträt von Jil Paul entstand im Zuge der Lehrveranstaltung „Ästhetischer Diskurs, Reflexion, Kritik: Schreiben und Sprechen über Neue Musik“ von Monika Voithofer im Wintersemester 2022/23 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien und wird als Teil einer Kooperation mit mica – music austria hier im Magazin veröffentlicht. Für diese Aufgabenstellung konnten die Studierenden frei eine aufstrebende Persönlichkeit aus dem Bereich der neuen Musik wählen.

Mit leerem Kopf …

… so kann sich Katharina Roth dem Schaffensprozess am besten hingeben. Deswegen findet man sie vor allem zur ersten Tageshälfte komponierend am Schreibtisch. Wenn sich die Eindrücke des Alltags noch nicht in ihre Gedanken- und Gefühlswelt geschlichen haben. Häufig warten da nämlich dann noch viele andere Aufgaben, die zum Leben der Komponistin dazugehören: Vom Organisieren von Konzerten über die Programmzusammenstellung für Ensembles (wie z. B. das Lizard Ensemble), die sie kuratiert, bis hin zum Verfassen von Förderanträgen ist ein Teil ihrer Tageszeit für ebendiese Dinge gepachtet. Auch deswegen genießt sie die sich immer wieder ergebenden Artist-Residencies, bei denen von früh bis spät komponiert werden kann. Im kommenden Sommer etwa reist sie als Stipendiatin der Jungen Akademie der Künste Berlin für drei Monate nach Olevano (Italien), um sich einem neuen Orchesterwerk zu widmen.
Schreibblockaden? Klar, die gibt es. Die kennt wahrscheinlich jeder schöpferisch tätige Mensch. Roth hat sich über die zwanzig Jahre, die sie bereits als Komponistin tätig ist, eine Notfallplanliste erstellt und ist für diese unangenehmen Momente gewappnet. Entgegen der vielleicht ersten Intention ist ein Punkt darauf (die anderen sind geheim): ins Tun kommen, einen Tag lang irgendetwas aufschreiben, weil man dann „ganz bestimmt etwas zu Papier gebracht hat, was man verbessern möchte und an dem man dann weiterarbeitet“.

Katharina Roth
Katharina Roth (c) Tobias Leibetseder

Seiltänzerin der Disziplinen

20 Jahre?! Ja, genau! 1990 in Koblenz geboren, wurde Katharina Roth erstmals 2003 durch Tilo Medek zum Komponieren angeregt. Dieser unterrichtete an ihrer Schule, dem Landesmusikgymnasium Rheinland-Pfalz, was sie als großes Glück beschreibt. Ihr Hauptinstrument ist das Klavier, dem Komponieren näherte sie sich durch diese Begegnung und ließ es fortan nicht mehr los. Es folgte ein Kompositionsstudium (2009–14) an der Musikhochschule Lübeck bei Dieter Mack, mit dessen Musik sie bereits als Pianistin im JugendEnsembleNeueMusik Rheinland-Pfalz/Saar erste Berührungspunkte hatte. Drei Jahre später begann sie zudem in der Klasse von Jaques Ammon ein Klavierstudium, welches sie 2015 abschloss. Weitere Studienaufenthalte führten Roth nach Frankreich (2011/12) zu Daniel D’Adamo sowie nach Indien (2015/16).

Das Interesse für die Musik anderer Kulturen entwickelte sich u. a. durch den Austausch mit Dieter Mack. So stieß sie auf den indischen Dhrupad-Gesang, welchen sie vor Ort kennenlernen und verstehen wollte. Im Anschluss daran absolvierte Katharina Roth ihren Master in Komposition bei Carola Bauckholt an der Anton Bruckner Privatuniversität (2018–21), die Roth insbesondere für die musiktheatralische Arbeit begeistern konnte. Parallel ist die vielseitige Künstlerin klavierpädagogisch tätig und steht aktuell kurz vor dem Abschluss des Musiktherapie-Studiums an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Einen weiteren Seiltanz vollführt die Komponistin als Gründerin und Leiterin von Lizard – dem Linzer Ensemble für aktuelle Musik. Hier geht es ihr nicht darum, dass ihre eigenen Werke gespielt werden, und auch nicht ausschließlich solche, die ihrem Geschmack entsprechen, sondern es geht ihr um das Abbilden einer stilistischen Heterogenität. Roth ist es wichtig, auf das Schaffen ihrer Kolleginnen hinzuweisen, die sie im derzeitigen Konzertbetrieb noch unterrepräsentiert sieht. Mit dem Lizard Ensemble versucht sie dem entgegen zu steuern und bewusst einen hohen Anteil an Komponistinnen in die Programme zu inkludieren.

Auch als Pianistin tritt Katharina Roth immer wieder auf, etwa mit dem Improvisationsensemble trio silberfisch. Geht es jedoch um die Aufführung eigener Werke, die eine Klavierstimme beinhalten, überlässt sie diese lieber jemand anderem, weil dies ein anderes Zuhören ermöglicht, nämlich: „Einen Schritt rausmachen und das Stück von außen hören zu können“.

Flexibel sein – Möglichkeiten erkennen

Jede:r Komponist:in hat es bestimmt einmal erlebt: Man hat alles notiert, die Vorstellung des Stücks ist im Kopf, die Partitur liegt bei den Interpret:innen, dann beginnt die Probenarbeit. Und dann: Stellen klingen nicht oder funktionieren nicht so, wie gedacht. Etwas passt nicht ganz. Das kann, trotz besten handwerklichen Rüstzeugs passieren. Der Umgang damit entscheidet darüber, was aus dem Stück wird. Katharina Roth findet es spannend und bereichernd, in den gemeinsamen Lösungsprozess zu gehen. Mit den Musiker:innen also im Kollektiv herauszufinden, was adaptiert werden muss. Was für manche Komponist:innen schier ein Tabu sein mag, findet die Komponistin einen wichtigen Arbeitsschritt. Grundsätzlich ist sie im engen Austausch mit den Aufführenden ihrer Werke, schreibt etwa nie eine Gesangsstimme, bevor sie die spezifische Stimme nicht in ihrer Beschaffenheit kennengelernt hat. Die Stimme ist neben dem Schlagwerk ihr favorisiertes Instrument, weil sie beide enorm vielseitig und vielfarbig sind. Zudem hat sich ihr Wunsch nach dem gemeinsamen Ausloten klanglicher Möglichkeiten schon häufiger in Zusammenarbeiten mit Perkussionisten wie etwa Manuel Clemente oder auch Max Riefer erfüllt. Da sie in einem solchen Austausch enorm viel Potenzial sieht, strebt Katharina Roth nach mehr intensiven Kollaborationen mit Interpret:innen und anderen Kunstschaffenden über einen längeren Zeitraum. Eine Möglichkeit dazu bietet ihr die Arbeit an einem durch das Stipendium Akademie Musiktheater heute der Deutsche Bank Stiftung geförderten Musiktheaterprojekt, bei welchem sie in Zusammenarbeit mit Bühnen- und Kostümbildner:innen, Dramaturg:in, Regisseur:in, Dirigent:in und dem Ensemble Modern ein gemeinsames Kunstprojekt realisiert. Das Ergebnis wird voraussichtlich am 23. Oktober 2023 im Frankfurt LAB in Frankfurt am Main zu sehen und zu hören sein.

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„Vodka Lemon oder Gin Tonic?“

Was wie die Frage eines Barkeepers klingt, ist in Wirklichkeit der Titel von Katharina Roths zweitem Musiktheater, welches sie 2020 komponiert und dann ein Jahr später in Linz zur Uraufführung gebracht hat. In „Vodka Lemon oder Gin Tonic?“ illustriert sie die gesellschaftlich relevante Frage: Was ist normal? Die Protagonistin (Mezzosopran) leidet an einer bipolaren Störung (gegenwärtig manische Phase), wobei Roth die stark gegensätzlichen Zustände in den Gesang hineinkomponiert hat: „Es gibt eben solche Momente der Normalität und großen Anpassung und dann wieder Momente des Ausflippens“. Dass es für die Sängerin eines Alter Egos bedarf, war der Komponistin schnell klar: eine Tänzerin, die man als den depressiven Part interpretieren könnte. 

Auch wenn sich Roths verschiedene Professionen nicht immer absichtlich verschränken, so hat sie die thematische Inspiration für „Vodka Lemon oder Gin Tonic?“ aus der Beschäftigung mit psychischen Krankheiten im Zuge ihres Musiktherapie-Studiums gewonnen. Die musikalische Besetzung entstand intuitiv, Roth hatte sehr schnell eine Vorstellung davon, was sie klanglich braucht und welche Instrumente sich dafür eignen würden. Auch hier hört man neben der Gesangsstimme und weiteren Instrumenten auch wieder das Schlagwerk.

Das Libretto hat die Komponistin selber zusammengestellt, aus einem Auszug von Klaus Chattens „Karrussell. Rolle der Suzanne“ (hieraus stammt auch die Textzeile, die dann zum Titel des Musiktheaters wurde), von ihr selbst geführten Interviews zum Thema „Normalität“ und medizinisch-psychologischen Fachlexika.
Mit dem Musiktheater verfolgt Roth etwa das Nachspüren der Frage: „Wie kann man Ansichtsweisen entwickeln, die nicht nur zwischen Schwarz und Weiß unterscheiden?“, wie sie in einem früheren Interview erläutert.

Bitte keine Schublade: „kreativ-eigenständige musikalische Sprache“

Bei einem solch vielfältigen Repertoire, das einen Schwerpunkt auf Kammer- und Vokalmusik und zunehmend auch im Bereich des Musiktheaters setzt, fällt es gar nicht leicht, Katharina Roth einem ästhetischen Ansatz zuzuordnen. Vielleicht ist dieses Bemühen auch überholt, schränkt es doch auch ein, wie sie selber findet. Wollte man Charakteristika ihres Stils beschreiben, so könnte man sagen, dass sich nicht selten klangliche und atmosphärische Gegensätze in ein und demselben Werk begegnen. Obwohl in der Regel nicht geplant, so „passiert“ es ihr trotzdem immer wieder, dass sich einerseits fragile, intime und andererseits gewaltige, ausladende Momente einen Weg in ihre Musik bahnen.

In aller Munde – in aller Ohren

Die freischaffende Komponistin und Künstlerin arbeitete mit namhaften Ensembles wie etwa hand werk, Neue Vocalsolisten Stuttgart, Schlagquartett Köln oder dem Schallfeld Ensemble zusammen. Aufträge erhielt sie bereits von der Ernst von Siemens Stiftung, Young Euro Classics, dem Landesmusikrat Rheinland-Pfalz sowie dem Land Tirol.

Zudem konnte Katharina Roth schon viele bedeutende Stipendien und Preise für sich gewinnen, darunter: das Arbeitsstipendium der österreichischen Bunderegierung (2020), ein Stipendium des Künstlerhauses Lukas für einen Arbeitsaufenthalt in Skagaströnd (2021, Island), das Arbeits- und Aufenthaltsstipendium des Otte 1 – Künstlerhaus Eckernförde (2019) sowie aktuell das Stipendium der Akademie Musiktheater heute (2021–23).

Jil Paul

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Termine:

Donnerstag, 23. März, 2023, 20 Uhr
Anton Bruckner Privatuniversität Linz, Kleiner Saal
im Rahmen des Festivals Leicht über Linz 2023

„schmelzen“ für Zither, Akkordeon und Elektronik
Kooperation mit IGNM
Lizard Ensemble
Jonathan Fiegl, Zither
Jakob Steinkellner, Akkordeon
Isabella Forciniti, Elektronik

Dienstag, 18. April 2023, 19:30Uhr
Sargfabrik, Wien
„zupfend tupfend“ für Streichquintett, Harfe, E-Gitarre und Elektronik (UA)
Janus Ensemble, Christoph Cech (Leitung)

Samstag, 22. April 2023, 19:30Uhr
Ursulinenkirche Linz
„ballet blanc“ für Bassflöte, Bassklarinette, E-Gitarre und Violoncello
Lizard Ensemble

Sonntag, 23. April 2023, 19:00 Uhr
Versöhnungskirche Dornach
„ballet blanc“ für Bassflöte, Bassklarinette, E-Gitarre und Violoncello
Lizard Ensemble

Samstag, 06. Mai 2023, 19:30 Uhr
Brucknerhaus Linz, im Rahmen des Festivals 4020
„Hit him when he cry out“ für Schlagzeug solo
Max Riefer, Percussion

Sonntag, 25. Juni 23, 11:00 Uhr
Musikschule Heidenheim
„Verwobene Linien – gesponnene Fäden“ für Violoncello und Akkordeon
Natalie Hahn, Violoncello
Julius Schepansky, Akkordeon

Sonntag, 22. Oktober 2023
Aalen
„Verwobene Linien – gesponnene Fäden“ für Violoncello und Akkordeon
Natalie Hahn, Violoncello
Julius Schepansky, Akkordeon

Freitag. 27. Oktober 2023
Frankfurt LAB
Im Rahmen des Festakts der Akademie Musiktheater heute
[Neues Werk] für Schauspieler:innen, Sänger:innen und Ensemble (UA)
In Kooperation mit dem Ensemble Modern
Rafael Ossami Saidy, Regie
Raphaëlle Blin, Dramaturgie
Friederike Scheunchen, Musikalische Leitung         
Ariane Stamatescu, Bühne / Raum  
Adrian Stapf, Kostüm / Maske

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Links:
Katharina Roth
Katharina Roth (SoundCloud)
Katharina Roth (YouTube)
Katharina Roth (music austria Datenbank)
Lizard Ensemble (music austria Datenbank)
„Unsere Ohren sind sehr viel sensibler als unsere Augen.“ ‒ KATHARINA ROTH im mica-Interview
DorfTV: Vodka Lemon oder Gin Tonic? von Katharina Roth – MusikTheaterLabor