„Eine gewisse Trauer trägt man immer in sich […]” – KENJI ARAKI und YBSOLE (enns) im mica-Interview

Es ist spät. Du bist verloren. Hoffentlich ruft jemand an. Diesen Depri-Dreiklang hat auch schon länger keine Band gegenwartsgehaltiger über ein paar Gitarrensaiten geschrien als ENNS. Über das Hitpotenzial des Namen darf man streiten, die Musik soll es richten. Dafür reichen sich KENJI ARAKI und YBSOLE die Hände, live greift auch ein DJ ein. Mag Rock sein, jedenfalls die Zukunft – sagt die Vergangenheit. Und fängt mit „everyone’s trying so hard, it breaks my heart” (VÖ: 8.11.2024, Kodomo Kuni) erstmal an.

Ich hab das Album gehört. Es hat mich traurig gemacht.

Ybsole: Eine gewisse Trauer trägt man immer in sich, I guess?

Kenji: Wir scherzen, aber eigentlich trösten wir uns die ganze Zeit.

Ybsole: Traurigkeit kann ja ein schönes Gefühl sein, vor allem wenn man sie von jemand anderem hört. In a way kann man sich darin aufgehoben fühlen. So hält man sich besser aus. 

Kenji: Vielleicht sagen wir nicht traurig, sondern tröstend. Ich mein, Musik kann schnell traurig klingen, das hat keinen Mehrwert, es ist ein Verständnis. Trost ist viel komplexer. 

Ybsole: Aber Traurigkeit klingt nur leicht, wenn man sie mit Happiness behandelt. Klar, ich kann mir einen schönen Funksong anhören und es wird mir kurz besser gehen. Nachhaltiger ist aber traurigere Musik. Ich höre sie. Ich arbeite mit dem Gefühl. Ummantel es. Und lebe damit, ohne es zu bekämpfen. Weil es nichts bringt, das Traurige zu vertuschen. 

Kenji: Plakative Happy-Songs, in der jemand singt, wie schön es ist, jung zu sein – das ist doch die eigentliche Traurigkeit, weil darin eine Erwartungshaltung steckt: Du musst jung sein oder glücklich. Und wenn du es nicht bist, bist du selbst schuld. Dann bin ich lieber ehrlich und sag, dass ich gestern nicht allein sein wollte.

Es ist ehrlich, verletzt zu sein?

Ybsole: In meiner Welt schwingt überall Trauer mit. Vielleicht war das immer schon so, aber: Heute gibt es sehr viel …

Kenji: Weltschmerz. 

Ybsole: Ja, es ist wirklich Weltschmerz. Viele reden über Depressionen, psychische Probleme, alles. Es mag mein Algorithmus sein, der mir das immer wieder reinspielt. Aber vielleicht ziehen wir uns damit auch alle runter.

Kenji: Deshalb präsentieren wir uns nicht als Brand, wir konstruieren kein öffentliches Bild – nur damit die Welt weiß, wie es uns geht. Das war nie unser Plan, wir machen einfach Musik.

Ybsole: Und schreiben vor allem keine traurigen Songs, sie passieren halt – eben weil wir eine Grundtraurigkeit in uns tragen. Das sind wir, das ist one hundred percent real.

„LYRICS ZU SCHREIBEN, IST SCARY.” KENJI ARAKI

Kenji: Mit Lyrik verbindet uns außerdem eine praktische Naivität. Wir waren beide lange im Club, haben nur stumme Musik geschrieben. Bei enns gibt es Gitarren, wir schreiben Texte. Das ist nicht mehr der Club, aber auch kein Pop, weil wir gar keine Ahnung haben, wie gute Pop-Lyrik geht.

Ybsole: Deshalb fühlt es sich für dich so traurig an, es …

Kenji: Sind ehrliche Gefühle, keine konstruierten.

Bei unserem letzten Gespräch hast du, Kenji, gemeint, dass es dir schwerfällt, Texte zu schreiben, die nicht verkopft sind. Was hat sich geändert?

Kenji: Ich war in einer Erkundungsphase und enns war die richtige challenge, weil: Lyrics zu schreiben ist scary. Ich bin aber meinem Bauchgefühl gefolgt. Das hat mich excited.

Die Texte sind so hingeschludert wie ein Post-it am Kühlschrank.

Ybsole: Das find ich gut, ja. Ich mein, ich bin kein native-speaker … 

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Dass es trotzdem so klingt, ist was? Überaffirmation?

Ybsole: Nein, nein, ich lebe in einer englischsprachigen Beziehung … Aber ich verwende in meinen Texten nur Wörter, die ich in meinem Alltag anwende, also: Ich googel nicht nach englischen Wörtern, damit es englischer klingt. Das wäre ja nicht nahbar, nicht ich. In den Texten muss meine Person mitschwingen – selbst in losen Phrasen, die intuitiv irgendwas bedeuten können.

In einem Song kommt das Wort Tesseract vor. Verwendest du im Alltag?

Ybsole: Na, ich hab das nicht gekannt, das kommt von Kenji.

Kenji: Das ist ein vielseitiger Würfel. 

Ybsole: Ah, ich hab das doch schon einmal gewusst.

Kenji: Der Würfel im vierdimensionalen Raum, ja. Ich mein auch literally einen Würfel. Mit Zahlen drauf und vielen Seiten: „The chance is low my tesseract.”

Und … warum?

Kenji: Wegen Dungeons & Dragons und Baldur’s Gate, das sind Rollenspiele, die wir spielen.

Welche Rolle spielt ihr da?

Kenji: Ich bin ein Barde. 

Ybsole: Und ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Weißt du es noch?

Kenji: Du warst ein Troll. 

Ybsole: As always

Bild enns
enns (c) Sam Fuentes

Habt ihr euch beim Zocken kennengelernt?

Kenji: Wir kennen uns vom, äh, Gürtel.

Ybsole: Im Venster, oder?

Kenji: Ich hab dich auf ein Bier eingeladen.

Ybsole: Wir haben aber schon davor voneinander gewusst. Wir haben halt nie geredet. Und dann doch – ich hab Kenji gleich überredet, mit mir ins Studio zu gehen. Weil … naja, ich mach mein Leben lang Musik, es mit Hauptding. Aber Covid war da und plötzlich hat sich das alles nicht mehr richtig angefühlt. Ich wollte Musikmachen teilen. Also habe ich auf den richtigen Moment gewartet …

Kenji.

Ybsole: Ja, er hat gemeint, let’s do something, ich war nervös und so haben wir angefangen. Ihm rechne ich übrigens auch hoch an, dass ich wieder singe.

Hast du davor gesungen?

Ybsole: In einer früheren Band halt. Seitdem hab ich ein Trauma gehabt. Dabei hab ich daheim immer gern gesungen. Aber irgendwann hab ich mir eingeredet, dass ich es nicht kann. Jetzt denk ich mir: Ich kann es vielleicht noch immer nicht, aber es macht zumindest Spaß.

Das Hingeschluderte hilft.

Kenji: Ja, der erste Track, den wir gemacht haben, war ein dummer Jersey-Club-Cloudrap-Bänger. Der zweite war schon „Weekender”. Da hab ich gesagt: We should make a band.

Ybsole: Na, das stimmt nicht. Ich wollt sofort ein Album machen und …

Kenji: Ich hab mir gedacht: Was, ein Album? 

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Ybsole: So inkonsequent ich in manchen Dingen bin, für mich war in dem Moment wirklich klar: Das muss passieren, that’s what I want to do. Jetzt haben wir eh nur zwei Jahre gebraucht. 

Kenji: Wir haben ja keinen Stress gehabt, wir haben einfach nur gemacht. So sind 30 Songs entstanden …

Ihr habt größere Auftritte ohne Release gespielt.

Kenji: Dadurch hat sich auch die Art, wie wir Musik machen, geändert. Die Leute haben uns am Anfang ja eher als Weirdo-Cloudrap-Ding wahrgenommen. Irgendwann waren wir eine Band. Und dann haben wir uns überlegt, was wir eigentlich darstellen wollen. 

Ybsole: Haben wir uns das überlegt?

Kenji: Ja, sicher. Deshalb haben wir ja jetzt zwei große Amps und einen DJ. 

Ybsole: Gut, am Anfang haben wir echt keine Instrumente gespielt, es war elektronisch. Wir haben früher aber beide Rockbands gehabt und Gitarrenmusik gehört. enns hat diese Leidenschaft wiederbelebt. Es macht halt zu viel Spaß, laut zu sein und rumzuschreien.

„ICH LES MIR ALTE TEXTE DURCH UND VERSTEHE, WAS ICH DAMALS NOCH NICHT VERSTANDEN HABE.” YBSOLE

Kenji: Wenn ich mir einen Bass umhänge, entsteht Musik außerdem ganz anders, als wenn ich nur vor dem Computer sitze. Ein Song ist zum Beispiel beim Soundcheck entstanden, das ist band shit.

Ybsole: Dafür haben wir keinen Schlagzeuger, aber wir wollen auch nicht nach der nächsten Indieband klingen. 

Kenji: Außerdem wollen wir nicht der klassische Archetyp von Rockstars sein. enns ist keine Revivalband von irgendwas, sondern offen und modular. Da ist kein Platz für Drummer-Drama. 

Ybsole: Und das Schlagzeugschleppen sparen wir uns auch.

Kenji: Ja, wir sind eine Rockband mit DJ. Das funktioniert. Nach Konzerten kommen manchmal Leute zu uns und sagen: Boah, das hat mich gscheid fertig gemacht. Ich muss sie dann trösten …

Ybsole: Der Christoph war ja auch traurig.

Kenji: Und das ist ok, es geht allen besser danach. Uns ja auch. 

Ybsole: Ja, seit es enns gibt, geht es mir besser.

Oje, Musik als … Therapie?

Ybsole: Ja, eh.

Kenji: Na jo …

Ybsole: Es sollte halt nicht die einzige Therapie sein, aber es stimmt schon. Wenn ich unsere Songs anhöre, lerne ich etwas über mich, also: Ich kann besser mit meinen Gefühlen umgehen. Das ist somekind of Therapie. 

Kenji: Also Ego-Betrachtung aus der dritten Person – so als wäre das ein Freund, der mir das erzählt. 

Ybsole: Der erzählt dir das immer aus der Vergangenheit. Ich les mir alte Texte durch und verstehe, was ich damals noch nicht verstanden habe. Das ist schon schön.

Letzte Frage: Was mögt ihr aneinander?

Ybsole: Äh …

Kenji: Das fühlt sich jetzt an wie … Partnertherapie.

Ybsole: Ja, äh, wir sagen uns oft, was wir toll aneinander finden.

Und, was?

Kenji: Wir unterstützen uns und wir nerven uns wie zwei siblings. Außerdem weiß ich, dass Juri musikalisch genau das macht, was ich will. Einfach weil wir uns verstehen.

Ybsole: Ja, früher hab ich manchmal Sessions gehabt, man sitzt gemeinsam am Computer und denkt sich: Was macht der da? Ich mein das gar nicht präpotent, ich hab nur eine klare Idee von Musik in meinem Kopf. Wenn das jemand nicht hat, steig ich aus. 

Kenji: Deshalb ist die Mischung aus dem, was wir denken, genau enns.

Ybsole: Ja, wir zeigen uns nichts, wir lernen gemeinsam. So jemanden wie Kenji gefunden zu haben, ist unglaublich. 

Danke für die Aufmerksamkeit!

Christoph Benkeser

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Links:
enns (Bandcamp)
enns (Instagram)