„Ein zweites Stück, bei dem ich auf das Cello klopfe, brauche ich nicht“ – LUKAS LAUERMANN im mica-Interview

Mit „I N“ veröffentlicht LUKAS LAUERMANN sein zweites Soloalbum auf col legno. Der Wiener Cellist, der in diesem Jahr bereits Alben mit DONAUWELLENREITER und EMILY STEWART produziert hat, löst sich auf „I N“ von einem literarischen Sicherheitsnetz. Das Cello wird zum Klangkörper von Klavier, Stimmgabeln und Synthesizer, der Klang entwickelt sich zur Möglichkeit. Warum das Fehlen von Tönen kein Fehler ist, welche Herausforderung in der Vollständigkeit der Reduktion liegt und wie er zur Stille im Klang gefunden hat, erzählt LUKAS LAUERMANN im Gespräch mit Christoph Benkeser.

Beim Albumtitel „I N“ fällt der Abstand zwischen den beiden Buchstaben auf. Er eröffnet einen Zeithorizont, der einen Raum aufmacht, wo keiner vorgesehen ist. Was hat sich geöffnet?

Lukas Lauermann: Das ist eine Lücke, die ich auf dem Album suche. Es gibt viele Einschnitte, die ich danach benannt habe. Den Titel mit den Buchstaben „I“ und „N“ kann man unterschiedlich verstehen – im Sinne von „In“ oder anhand der separaten Buchstaben. Das hängt mit den einzelnen Titeln der Stücke zusammen. Man müsste die Buchstaben ergänzen, weil sie bei den Wörtern fehlen. Sie sind der Input von außen, der die Titel der Stücke ausmacht.

„I N“ lässt sich auch semantisch deuten –, als ein In-Sich- oder Nach-Innen-Gehen.

Cover I N
Cover “I N”

Lukas Lauermann: Das „I N“ als Titel ist reduziert, trotzdem hat sich, ausgehend von diesen beiden Buchstaben, viel entwickelt. Es ist ein Keim, so wie musikalisch auch Keime eine Rolle spielen, weil bei den Stücken oft eine kleine Zelle den Ausgangspunkt markiert hat. Außerdem bin ich ein ruhiger Mensch. Zeit für mich alleine zu haben, ist wichtig –, auch um mich und mein Tun zu reflektieren. Das heißt nicht, dass ich aus der Gesellschaft flüchten will. Ich suche das Alleinsein innerhalb der gesellschaftlichen Struktur und ihrem Input.

„Als Musiker ist man oft genug alleine mit seinem Instrument.“

Du schottest dich nicht ab, sondern lieferst dich dem Alleinsein innerhalb der Gesellschaft in bestimmten Momenten aus. 

Lukas Lauermann: Meistens schreibe ich erste Ideen meiner Stücke am Klavier. Dann bin ich mit der Musik alleine. Wenn ich mir Konzepte überlege, sitze ich lieber unter Menschen. Ich mag das Gefühl, fremde Menschen um mich zu haben. Das ist keine Ablenkung, sondern eher die Möglichkeit, meine Gedanken freier schweifen zu lassen. Als Musiker ist man oft genug alleine mit seinem Instrument.

Bei deinem letzten Album „How I Remember Now I Remember How“ hast du dich konzeptuell auf Textstellen von Bachmann und Pessoa bezogen. Auf was nimmt das aktuelle Album Bezug?

Lukas Lauermann: Ich wollte den Background mit den Texten weglassen und nach anderen Lösungen suchen. Die Beschäftigung mit Weltliteratur beim ersten Album war eine Absicherung. Ich habe Zitate aus Texten gelöst, die für sich alleine schon stark sind, und meine Musik darauf bezogen. Von diesem Sicherheitsnetz wollte ich mich auf „I N“ lösen. Deshalb habe ich den Bezug mehr in der Musik selbst gesucht. Auf dem Album hört man einige Klavierstücke, die manchmal wie ein Fragment wirken. Bei diesen Stücken wollte ich von einem sehr begrenzten Tonmaterial ausgehen, mit dem ich – ohne meinem persönlichen Geschmack zu erliegen – musikalisch-kompositorisch umgehe. Dazu habe ich mir ein bestimmtes System zurechtgelegt. Auf Rezitationston und Finalis der verschiedenen Kirchentonarten habe ich Dreiklänge gebildet und ihre Töne oktaviert und umgekehrt. Eine Reduzierung auf vier, fünf oder sechs Töne. Aber ich habe entdeckt, dass dazwischen trotzdem alle klingenden Intervalle auftauchen. Weil es auf dem Album auch um Vollständigkeit geht, hat mir das gefallen und ich habe mit diesem Material jeweils ein Klavierstück komponiert. Ein Ansatz, mit dem ich mich selbst herausfordern konnte.

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„Die Kompositionen erzählen damit keine Geschichten mehr, sondern werden für sich zum Klangerlebnis“, steht im Begleittext. Bedingt das Erlebnis nicht eine Geschichte? 

Lukas Lauermann: Ich erzähle keine Geschichte im herkömmlichen Sinn und die Titel beschreiben auch nicht bildhaft die Musik, sondern sind Teil der Komposition. Das ist der Unterschied. Die Musik ist für diejenigen, die sie hören, ein Erlebnis. Mark Rothko hat gesagt, dass er mit seinen Bildern nichts nacherzähle, sondern das Bild an sich das Erlebnis sei. Ich bin kein Singer-Songwriter, wo das Geschichtenerzählen über allem steht. Ich lasse den Leuten lieber Raum, in dem sie ihre eigenen Geschichten finden können.

Einige Titel der Stücke bestehen aus zwei Worten. 

Lukas Lauermann: Ausgehend von „I N“ ist für mich der nächste gedankliche Schritt „Indeed“ und „No“, also Ja und Nein. Das spielt wiederum mit Binärcodes zusammen, die in rhythmischer Form vorkommen. Jedes Problem lässt sich in Ja-Nein-Entscheidungen zerteilen und letztlich auf eine solche reduzieren – auch wieder so ein Keim.

Dadurch gibt es kein Dazwischen – entweder Ja oder Nein. 

Lukas Lauermann: Die Titel – und damit in gewisser Weise die Form – haben sich aus diesem Gedanken entwickelt. Bei „equality justice“ zum Beispiel finde ich es spannend, dass die Erweiterung durch „In“ das Gegenteil des ursprünglichen Wortsinns bildet. Außerdem spielt der Schrägstrich zwischen manchen Wörtern eine Rolle. Man weiß nicht genau, ob das eine das andere bedingt oder ausschließt. Kann man sich für eines entscheiden oder braucht es beides? Das hängt mit der Art der Stücke zusammen. Wo der Strich fehlt, stellt sich keine Frage. Die Entscheidung liegt in der Auswahl, ob man das Wort als solches – oder durch die Erweiterung als Gegenteil begreift. „ception“ funktioniert zum Beispiel auch ohne den Zusatz als verständliches Wort, wird durch die Erweiterung um „In“ aber zum „Anfang“.

„Das Cello leiht seinen Klangkörper für andere Instrumente.“

Von Anfang an hört man auf „I N“ auch Klavier, Stimmgabeln und Synthesizer. Du hast deren Schwingungen auf den Korpus deines Cellos übertragen. Wie hat das funktioniert? 

Lukas Lauermann: Ich wollte das Erweitern des Instruments so weit treiben, dass es nur noch Körper für andere Schallquellen ist. Das Cello leiht seinen Klangkörper für andere Instrumente. Ich habe ein Set von Stimmgabeln, die ich anschlage und auf den Steg halte. Den Synthesizer kann ich – genauso die Klavierparts – durch einen Körperschallwandler über das Cello klingen lassen.

Akustische Schwingungen führen über „Input“ zu einer Durchdringung – in deinem Fall des Corpus’ – der dabei von außen zum Mitschwingen gerät. Aus einer Grenze wird eine Verbindung. 

Lukas Lauermann: Dieses extreme Ausreizen der Möglichkeiten des Instruments war für mich eine logische Weiterentwicklung von spieltechnischen Ansätzen am ersten Album. Das Cello wird zu einem Adapter. Es macht nicht nur sich selbst, sondern auch anderes hörbar und schafft zusätzlich die Möglichkeit, die elektronische Effektkette, durch die ich das Cellosignal laufen lasse, auch für diese externen Schallquellen zu nutzen.

Im Zuge deiner Aufnahmen zum ersten Album hast du von der Wichtigkeit der Räume gesprochen. Wie zeigt sich das auf „I N“? 

Lukas Lauermann: Die Konzeption des Albums und seine Form entstand auf dem Papier. Mit der intellektuellen Seite wollte ich intuitiv spielen. Im ersten Schritt haben wir Live-Aufnahmen im Kabeltunnel des Siemens-Werkes gemacht, wo ich mit mehr oder weniger ausgefeiltem Material improvisiert habe. Allerdings hatte ich nicht vor, diese Session für das Album zu verwenden. Man hört davon nur eine Cellospur auf „finite distinct“. Das Cello als Raum war diesmal wichtiger, als verschiedene Orte.

Bild Lukas Lauermann
Lukas Lauermann (c) Julia Haimburger

Dich interessiert die Philosophie von John Cage, die sich vor allem auf Momente der Stille beruft und das Verständnis von Geräuschen hinterfragt. Was bedeutet Klang auf „I N“? 

Lukas Lauermann: Weil der Texthintergrund weg war, musste ich mich fragen, wie ich zu Fundiertem komme. Das wirft generelle Fragen auf: Welches Material verwende ich? Was ist dem Klang inhärent? Was steckt in ihm, das ich weiterentwickeln kann? Ich habe für mich dann einen ‚Leitsatz‘ gefunden: „Geleitet durch Möglichkeiten“ –, das meint technische Möglichkeiten aber auch meinen Horizont und die Beschränkungen des Tonmaterials, die ich mir selber gesetzt habe.

Im Vergleich zum ersten Album ist das Album stiller geworden. Welchen Stellenwert nimmt Stille in deinen Werken ein? 

Lukas Lauermann: Ich habe weniger ausprobiert und gewusst, was ich wollte. Dadurch hat sich eine Stille im Klang ergeben. Neue Spieltechniken haben mich auf „I N“ weniger interessiert als auf dem ersten Album. Ein zweites Stück, bei dem ich auf das Cello klopfe, brauche ich nicht.

„Es braucht ein bewusstes Hinhören.“

„Die Stille im Klang“ ist ein interessanter Gedanke. Gibt es sowas wie Stille für uns Menschen überhaupt noch?

Lukas Lauermann: Stille ist ein Zustand, dem man sich, glaube ich, nur annähern kann. Ich versuche es über meine Musik. Leute würde es durcheinanderbringen, wenn nicht ständig ein Lärmteppich unsere Umgebung beschallt –, weil man Dinge unter diesen Teppich kehren kann, mit denen man sich nicht auseinandersetzen möchte. Ich suche hingegen die bewusste Stille. Dafür muss es nicht im herkömmlichen Sinn still sein. Es braucht ein bewusstes Hinhören.

Und eine Offenheit gegenüber der Stille.

Lukas Lauermann: Ich habe mich zum Beispiel sehr genau mit den Übergängen zwischen den Stücken beschäftigt und gefragt, wo sie eine Nahtlosigkeit im Klang oder übermäßig viel Stille verlangen. Dinge, die viele Menschen – auch durch die Nutzung digitaler Plattformen –nicht mehr gewohnt sind, weil es immer gleich automatisierte Fade Ins-, Outs und Pausen gibt.

„Silence is sexy“ hat Blixa Bargeld gesungen, und im nächsten Satz nachgebessert: „Silence is not sexy at all“.

Lukas Lauermann: Es ist schnell fad, wenn es um einen herum still ist, weil scheinbar nichts passiert und doch eine ungewisse Erwartungshaltung entsteht. Damit kann man spielen. Auf dem Album passiert das durch den Umstand, dass die Stücke verschiedene Richtungen haben. Manches wirkt nach, anderes bezieht sich auf das Vorangegangene. Zukunft und Vergangenheit fallen in der Gegenwart zusammen. Diese Verknüpfungen beziehen sich auf den Klang.

Was sich auf das Sein-Lassen des Klanges bezieht, zu dem John Cage gesagt hat: „Was Stille und Lärm gemeinsam haben, das ist der Zustand der Absichtslosigkeit.“ Welchen Zustand suchst du auf „I N“? 

Lukas Lauermann: Es ist nicht nur ein Zustand, sondern ein Netz an Verbindungen zwischen unterschiedlichen Zuständen. Manche Töne sind harmoniefremd, weil sie ein eigenes, geschlossenes Netz für sich spinnen und etwas weiterverfolgen, das parallel zu anderen Netzen abläuft. Es ist aber kein Störelement. Ich habe vielmehr versucht, diese einzelnen Töne zu integrieren, um aus einem Nebeneinander gleichzeitig eine Verbundenheit zu schaffen. Das erste Stück am Album – „trusion / clusion“ – spricht das gleich an.

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Auf „I N“ gibt es im Vergleich zum Vorgänger kaum stilistische Ausreißer. Wo vorher noch Ausflüge ins Rauschen waren, schwebt man auf fließenden Drone-Klängen. Das Klingende ereignet sich, indem du es klingen lässt. 

Lukas Lauermann: „I N“ ist als Kreis gedacht, stilistisch präziser und geschlossener. Es gibt im Vergleich zum ersten Album durchgehende musikalische Verbindungen. Manche Elemente spannen sich über die gesamte Spieldauer und werden Teil eines Organismus. Ich stelle mir dazu ein Kreismodell vor: größere Kreise stellen größere Stücke dar, in deren Zwischenräumen sich Fäden spannen und Verbindungen über Knotenpunkte bilden. Kleinere Kreise sind einzelne Töne, die für sich stehen – aber auch auf andere wirken.

Das letzte Stück auf „I N“ verschwindet nach seiner Zersetzung durch Übersteuerung in abgehakten Synthesizer-Tönen, die das Eröffnungsstück einleiten. 

Lukas Lauermann: Auf der Titelliste des Albums erkennt man die Einschnitte und Verbindungen, weil sie numerisch gruppiert sind. Die Stücke am Album bilden, wie gesagt, einen Kreis, in den es verschiedene Einstiegspunkte gibt.

Ist das der perfekte Loop, der sich schließt? 

Lukas Lauermann: Es ist im Großen das, was ich im Kleinen durch All-Ton-All-Intervall-Kreise gesucht habe –Vollständigkeit und Zusammenhang. Sie sollten jeden Ton und jedes Intervall innerhalb einer Oktave genau einmal beinhalten und mit demselben Ton beginnen und enden. Das ist kompliziert. Deshalb hat es mir ein befreundeter Mathematiker ausgerechnet und zunächst scheinbar überraschend viele Möglichkeiten in der entstandenen Matrix gefunden. Als ich mich intensiver damit beschäftigt habe, musste ich erkennen, dass immer ein Ton fehlt. Dieses Fehlen hat mir gefallen, weil das Vollständige offensichtlich unmöglich ist. Das Fehlen ist kein Fehler, es ist die Verbindung.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Christoph Benkeser

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Lukas Lauermann solo
13.09. Take the A-Train, Salzburg
24.09. tba, Linz
26.09. tba, Saalfelden
02.10. Container25, Wolfsberg
08.10. Kino im Kesselhaus, Krems
09.10. Time Zones Festival, Bari (ITA)
10.10. Time Zones Festival, Bari (ITA)
15.10. Konzerthaus, Wien, (Albumrelease)
16.10. Kulturmue, Hollabrunn w/ Alicia Edelweiss
06.11. Freuraum, Eisenstadt
13.11. Halle 424, Hamburg
14.11. Schlachthof, Bremen
21.11. KlangFarben, Kufstein w/ Alicia Edelweiss

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