„Ein Teppich, an dem wir alle weben.” – otherMother im mica-Interview

Das Trio otherMother will eine rhythmische Klangsymbiose erschaffen, indem es akustische und elektronische Klänge miteinander verschmilzt. Judith Schwarz, Jul Dillier und Arthur Fussy verrieten Markus Deisenberger, wie sie in der ungewöhnlichen Besetzung (erweitertes Schlagzeug, präpariertes Klavier und Modular-Synthesizer) zusammenfanden und wie man unterschiedliche Instrumente mit derselben Vision spielt.

Eure Besetzung (erweitertes Schlagzeug, präpariertes Klavier und Modular-Synthesizer) ist unkonventionell. Wie habt ihr zusammengefunden?

Arthur Fussy: Es war ein Corona-Experiment. Ich lebe mit Judith zusammen, und wir haben zu Beginn des Lockdowns einfach ausprobiert, wie es wäre, wenn wir zusammen etwas machen, ich am Synthesizer und sie am Schlagzeug, das sie wirklich in die Wohnung gestellt hat. Also haben wir angefangen, zu jammen und Rhythmus-Strukturen aufzubauen. Ich habe mit dem Synthesizer vorher noch nie mit Live-Musikern gespielt. Das war für mich also völliges Neuland. Wir haben drei, vier Monate jeden Tag drei, vier Stunden gespielt. Für mich war das eine wirklich gute Übung, um in so etwas mal reinzukommen. Zu sehen, wie man auf einem Modular-Synthesizer jammt.  Es war dann relativ schnell klar, dass wir ein Projekt daraus machen wollen. Und es war auch immer klar, dass wir das nicht zu zweit machen werden, sondern dass da noch jemand drittes dabei sein sollte. Ich habe am Synthesizer eher rhythmische Strukturen erzeugt, Judith am Schlagzeug sowieso, da lag es nahe, dass das jemand sein muss, der das auch kann. Und so war schnell klar, dass das der Jul sein muss.

Warum war das so schnell klar?

Arthur Fussy: Judith kennt Jul schon länger und hat mit ihm davor schon in anderen Bands zusammengearbeitet. Ich kannte seine Arbeit nur von Konzerten, nicht von einer Zusammenarbeit. Klar war uns das, weil er das Klavier sehr geräuschhaft, d.h. wie ein Rhythmusinstrument behandelt. Es gibt kaum jemanden anderen, der dieses Spiel so perfektioniert hat in den letzten Jahren wie er.

War auch von Anfang an klar, dass nicht ein Instrument den Beat vorgibt, und die anderen beiden die Melodie spielen, sondern dass alle drei Rhythmusinstrumente – Schlagzeug, Synthesizer und Klavier – gleichberechtigt agieren, d.h. Rhythmus und Melodie übernehmen und sich überlagern?

Judith Schwarz: Da muss ich ein wenig ausholen. Die Idee, dass Arthur und ich etwas gemeinsam machen, stand immer im Raum, auch weil wir uns von Theater-Projekten kannten. Ich war dann in Saalfelden und hörte einen Jam, an dem drei Schlagzeuger und Schlagzeugerinnen beteiligt waren, die auf melodiöser Ebene miteinander kommunizierten. Der Sound fuhr mir wirklich ein. Ein Projekt das in diese Richtung geht, wäre etwas, dachte ich damals. Nicht unbedingt drei Schlagzeuger:innen, aber percussive Instrumente, die Rhythmus spielen, aber trotzdem auch Melodiegeber sein können, weil Rhythmus-Patterns immer auch Melodiegeber sind. Weil Rhythmen eingängige Strukturen sind. Im Zug zurück fasste ich den Entschluss, etwas in diese Richtung zu starten.
Dann kam die Corona-Phase, man hatte plötzlich mehr Zeit, über Dinge nachzudenken. Und dann war schnell klar: Der Schlagzeuger am Klavier ist der Jul.

Jul Dillier: Der Begriff der rhythmischen Klangsymbiose, den wir im Pressetext verwenden, fasst es ganz gut zusammen, wonach wir suchen: Eine Musik, die auf klangorientierten Rhythmusstrukturen aufbaut. Und den symbiotischen Ansatz. D.h. dass wir nicht Aufgaben verteilen, wem welche Rolle zukommt, sondern dass wir uns zu einem einzigen Amalgam zusammenfügen, das wie ein großer Rhythmuskomplex klingt, aber gleichzeitig reichhaltiger als ein reines Schlagzeug-Ensemble ist, das nur seine klanglichen, harmonischen Möglichkeiten erweitert. Wir spielen unterschiedliche Instrumente, aber mit derselben Vision.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Es geht also um die Verschmelzung?

Jul Dillier: Das ist etwas sehr Zentrales, ja. Man merkt beim Spielen, dass das eine Kommunikation über Klänge ist. Da kommt ein Klang vom Modular-Synthesizer, auf den man reagiert. Dann ein anderer Klang etc. Es entsteht ein Teppich, an dem wir alle gleichermaßen beteiligt weben.

Wie wird das präparierte Klavier eingesetzt bzw. wie wird es präpariert?

Jul Dillier: Mein erstes Instrument war Schlagzeug. Das hat mich sehr geprägt. Ich hatte also zunächst drei Jahre Schlagzeugunterricht, bevor ich mit dem Klavierspielen begann, und hatte dann zumindest zehn Jahre lang parallel Unterricht. Und: Ich komme aus der Schweiz, bin deshalb sehr beeinflusst von der starken Tradition an wirklich tollen Schweizer Schlagzeugern und Rhythmikern. Das hat mich immer sehr inspiriert und mein Piano-Spiel beeinflusst. Beim Schlagzeug ist es üblich, dass man mit unterschiedlichen Klangnuancen arbeitet, indem man z.B. unterschiedliche Sticks verwendet oder etwas auf die Drums oder Cymbals legt, damit es länger mitschwingt. Beim Piano gibt es immer diesen einen Klang…

Ich kenne das von Akkordeon und Saxophon. Während der Gitarrist vierzehn Effektgeräte angestöpselt hat, wird vom Saxophonisten ein ganz bestimmter, ewig gleicher Sound erwartet, weil jeder mit dem Instrument diesen einen, charakteristischen Sound verbindet.

Jul Dillier: Wobei du beim Saxophon wenigstens die Möglichkeit hast, mit deinem Mund noch etwas zu verändern. Beim Klavier ist es aufgrund der Konstruktion ungleich abstrakter, und ich habe bald gemerkt, dass mit das zu wenig ist und begonnen einzugreifen, habe Stocke verwendet, im Innern des Flügels gespielt oder die Saiten mit den Händen abgedämpft, um einen anderen Klang zu erzielen. Inzwischen habe ich ein eigenes Arsenal an Sound-Tools, die ich einsetze, um unterschiedliche Effekte zu erzielen. Magneten etwa, um glockenartige Sounds zu erzielen, oder auch Tools, die ich von anderen Instrumenten geklaut habe, Geigenbögen etwa, um streicherähnliche, langgezogene Töne erzeugen zu können. Ich lasse mich immer wieder auch von anderen Pianisten und anderen Instrumentalisten inspirieren, wie sie ihre Instrumente bedienen und wie ich das auf mein Instrument übertragen könnte.

Judith, was verstehst Du unter “erweitertem Schlagzeug”? Heißt das, dass es um weitere Instrumente erweitert ist und wenn ja welche sind das?

Judith Schwarz: Einerseits präpariere ich das Schlagzeug, darüber hinaus habe ich kleine Tools. Ich würde nicht Percussion dazu sagen, weil ich Bongos oder Congas nicht spielen kann. Konkret ist es eine Metal-Drum, aber auch Dinge, die ich gefunden habe.

Wie leicht oder schwer ist es, mit einem Modular-Synthesizer zu improvisieren?

Arthur Fussy: Das Gute am Modular-Synthesizer ist, dass es, weil er eben modular ist, tausende Hersteller für die Module gibt. Dass man sich also im Laufe der Zeit das eigene Traum-Instrument zusammenstellen kann und es auf das hintrimmen kann, was es letztendlich sein soll bzw. was es können soll. Als wir begannen, sah das noch ganz anders aus, es verändert sich ständig, ist wie eine Tool-Box, die immer größer wird und die ich versuche zu perfektionieren.

Bild otherMother
otherMother (c) Simon Raab

„Im Prinzip ist kaum etwas komponiert.”

Wie schwer ist das live? Du musst den ganzen Synthesizer mit seinen Modulen ja mit zum Gig schleppen, oder?

Arthur Fussy: Das muss mit den ganzen Patch-Kabeln ausgeklügelt sein. Es sind ja sehr viele Kabel, die vorgepatcht sind und das Ganze zusammenhalten. Es ist also schwer, ja.

Judith Schwarz: Arthur hat das Ding gut unter Kontrolle, aber das Gute daran ist auch, dass trotzdem immer etwas Unvorhergesehenes passieren kann, das alle überrascht und wir im freien Spiel drauf reagieren müssen. Deshalb ist das “im Moment sein”, das Gefühl für das freie Spiel sehr wichtig.

Wie viel ist an der Musik des Albums komponiert, wie viel improvisiert?

Arthur Fussy: Im Prinzip ist kaum etwas komponiert. Wir arbeiten mit Klangbausteinen, die wir in bestimmte Klangfarben unterteilen oder denen wir bestimmte Attribute geben. Es gibt keine vordefinierten Kompositionen. Es ist alles frei improvisiert.

Vor wenigen Tagen habe ich die Wiener Band Radian interviewt, die mir den äußerst aufwendigen Entstehungsprozess ihres aktuellen Albums geschildert hat, eine Mischung aus Spielen, Prozessieren, Remixen und Dinge über das bereits Aufgenommene drüber aufnehmen. Wie ist das bei euch?

Judith Schwarz: Das Album entstand auf drei Live-Konzerten. Das heißt, wir haben im Sommer drei Konzerte gespielt, die mitgeschnitten wurden. Wir haben uns schon auch überlegt, ob wir ins Studio gehen sollen, haben uns aber in den Probenzeiten so gut kennengelernt, dass wir verschiedene Codes mit- und füreinander entwickelt haben, deshalb im Spiel gar nicht mehr nachdenken müssen, und uns dagegen entschieden haben. Unseres ist einfach die freie Improvisation. Das Album ist also ein Art Best Of aus drei Live-Konzerten.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

D.h. die Nummern wurden auch nicht neu eingespielt?

Judith Schwarz: Nein, wir haben Sequenzen aus den Live-Konzerten genommen und veröffentlicht

Jul Dillier: Allerdings haben wir die Live-Mitschnitte schon neu miteinander kombiniert. Es war also trotzdem eine ziemliche Tüftelei, weil wir nach den spannendsten Momenten gesucht haben, die unser Zusammenspiel am besten repräsentieren und diese Momente dann zu einem Album zusammengefügt, das in sich wieder einen Bogen haben muss und sich wie ein Live-Konzert anfühlen soll.

Und live orientiert ihr euch nicht am Album, sondern macht etwas völlig Neues?

Jul Dillier: Ja. Grundsätzlich ganz neu und komplett improvisiert. Keine Themen, die wir in variierter Form spielen. Aber was wir uns erarbeitet haben, ist eine eigene Klangsprache, die wir improvisatorisch bedienen. Denn was es in der improvisierten Musik oft gibt, ist, dass diese Magic Moments passieren, man aber nicht wirklich weiß, warum das jetzt so magisch, so gut war. Drum proben manche improvisierte Orchester nicht zu oft, damit das Konzept frisch bleibt und jedes Mal etwas Neues passieren kann. Wir haben einen anderen Weg gewählt: Wir haben uns in der Corona-Zeit viel Zeit genommen, um lange, improvisierte Sets zu spielen, haben uns die dann angehört, analysiert und versucht, die magischen Momente auch zu benennen. Wir haben uns also bemüht zu benennen, was die Momente sind, die uns spannend machen, und herauszufinden, wie wir die definieren und als Module nutzen und weiterbearbeiten können. Das, was man als magisch bezeichnet, durch den Versuch, die Strukturen zu üben ohne sie auszuschreiben oder auszukomponieren, ein wenig zu entmystifizieren, fand ich einen sehr spannenden Prozess.

Das heißt, die genaue Analyse ermöglicht euch, das Magische zu wiederholen.

Jul Dillier: Genau, es auszupacken und weiter daran zu feilen.

Ist Nachvollziehbarkeit ein Kriterium? Oder anders gefragt: ist es euch wichtig, dass eure Musik durch ein durchgängiges Pattern leichter verständlich wird oder ist euch das egal?

Judith Schwarz: Das ist das, was wir selber fühlen. Wenn wir fühlen, dass es eine Zeit lang ohne Beat war und wir deshalb das Gefühl haben, es wäre wieder Zeit für etwas Konkretes, dann machen wir das. Es ist nichts verboten. So wie wir das in dem Moment fühlen, so passiert es. Und ich glaube, dass es bisher, wenn es für uns funktioniert hat, auch für den Raum funktioniert hat.

Bild otherMother
Bild otherMother (c) Simon Raab

Ein zweites Mal probiere ich es mit Radian, deren Musik offenbar ganz anders entsteht, deren Amalgam aus elektro-akustischer Musik mich trotzdem ein wenig an euch erinnert. Bandmitglied Martin Siewert hat euer Album gemastert. Eine bewusste Wahl?

Jul Dillier: Martin Siewert ist halt jemand, von dem wir wussten, dass er unsere Musik versteht und deshalb gut umsetzen könnte, was wir uns vorstellen.

Arthur Fussy: Ich wollte noch was zur Verständlichkeit, zum durchgehenden Pattern sagen: Ein Synthesizer funktioniert so, dass eigentlich ständig eine Time rennt. Ein Loop, ein Rhythmus.
Daher bin auch oft ich der Taktgeber für die Band, weil ich der Einzige bin, der sich nicht so gut auf das Tempo der anderen draufsetzen kann. Aber auch daran haben wir gearbeitet und Möglichkeiten gefunden, dass Judith oder Jul den Rhythmus vorgeben und ich dazu komme.
Oft wissen wir auch gar nicht, wer von uns einen spezifischen Klang erzeugt. Ich höre etwas und denke mir: Komisch, das war doch gar nicht ich, obwohl es nach einem Klang von mir klingt und komme dann drauf, dass es Jul war. Das kommt während des Spiels öfters einmal vor: Dass wir uns gegenseitig imitieren. Das passiert ganz unbewusst auf dem Weg zur Symbiose. Dass man oft nicht wisse, wer welchen Sound erzeugt, schreiben auch viele Journalisten und ich finde es spannend.

Jul Dillier: Besonders Tontechniker haben deshalb Stress beim Mischen, weil sie oft nicht wissen, wer das gerade macht, was sie leiser drehen wollen. Aber noch etwas zur Hörbarkeit: Ich glaube, es war nie die Idee, dass wie gut verdaulichen Freejazz machen und deshalb einen Beat drunter legen. Aber wir spielen halt alle rhythmischen Instrumente, und wir sind inspiriert von Clubmusik, obwohl wir nicht aus dieser Ecke kommen. Unser aller Ansatz war: Wir kommen zwar alle aus der experimentellen Musik, es darf aber durchaus auch tanzbar sein. Umgekehrt war es nie Ziel, das so abstrakt und intellektuell zu halten, dass sich niemand dazu bewegen darf.

Wie kam es eigentlich zum Namen otherMother?

Jul Dillier: Das Instrument von Arthur ist ein “Moog Drummer From Another Mother”. Das fanden wir ein cooles Motto. Schön auch, dass dieses “Other” vorkommt, weil wir ja auch oft die Rollen vertauschen, und auch die Assoziationen zu Mutter wie Muttererde, Urmutter und Geburt haben uns gefallen.

Apropos Geburt. Ihr habt einen Pressetext, der sagt, die Musik von otherMother leite “elektrische Druckwellen in die klangschwangere Bauchgegend”. Die Musik sei “Mutter Marias pränataler Tauchgang in der rhythmisch pulsierenden Ursuppe”. Dann gibt es noch einen zweiten Pressetext, der ein wenig bodenständiger die besprochene rhythmische Klangsymbiose abhandelt.  Wieso diese zwei Varianten?

Jul Dillier: Ich habe diesen etwas abstrakten Pressetext geschrieben, der ein Gefühl dafür vermitteln soll, in welchen Welten wir uns bewegen und in welche Welten wir die HörerInnen entführen wollen. Wir finden den Text auch alle cool, aber manche Veranstalter wollen nüchterne Fakten, also haben wir einen nüchternen Text nachgelegt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

++++

Links:
otherMother
otherMother (Facebook)