„EIN RAUM WIRD ZUM HÖRSPIEL“ – WERNER RADITSCHNIG IM MICA-INTERVIEW

Auf seiner aktuellen CD „… et in terra pax“ widmet sich der Salzburger Komponist, Klangkünstler und Veranstalter (Klangraum Kollegienkirche/Zeitachse Organum) WERNER RADITSCHNIG der Musik von J.S. Bach in Form einer „Die Auseinandersetzung mit 8 Kantaten“, die Raditschnig „für Stahlsaitengitarre und akustisches Umfeld“ erforscht. Herausgekommen ist dabei eine ebenso intime, wie offene Auseinandersetzung, die vor allem auch jene Zwischenräume aufsucht, die bei Bach zwar auch schon gegeben sind, die bei Raditschnig jedoch erst hörbar werden – jenseits der Noten und im Klang an sich (und dessen Umfeld). Für mica hat Didi Neidhart mit Werner Raditschnig ein Interview geführt.

Wieso Johann Sebastian Bach? Was reizt daran? Die (mathematische) Strenge, die Variationsmöglichkeiten oder kann das gar nicht so genau gesagt werden?

Werner Raditschnig: Im Lehrerzimmer der Musikschule Rosenheim, war eine kleine Bibliothek verschiedener musikalischer Ausgaben. Davon auch eine ganze Reihe mit Partituren von J. S. Bachs Kantaten. Irgendwie hat mich es dann einmal gereizt, einige mitzunehmen und durchzublättern. Dabei kam mir dann in den Sinn, die graphische Gestaltung des Notendrucks zu verwenden, die Seitenanordnung und das Bild, welche sich aus der Notation ergeben. Also die Augen eines Zeichners zu verwenden, nicht die Umsetzung eines Musikers von Noten in Töne. Da bei Bach auch eine Regelmäßigkeit in der Figuration und Rhythmik vorhanden ist, entsteht ein Bild von Zeichen, die auf jeder Seite der Notation auffällig werden. Daraus entstand für mich eine Regel: Die pro Seite mehrheitlich vorkommende Notenfolge wird isoliert und für mich neu in eine Skizze notiert (Mehrheit gewinnt). Pro Kantate gibt es deswegen unterschiedliche, vereinzelte Fragmente, die in einer eigenen Sammlung, zu einem Material der offenen Form werden. Und dann begann das Abenteuer der Umsetzung.

Der Titel „… et in terra pax“ heißt übersetzt ja „…und Frieden auf Erden“ und steht für den thematischen Rahmen und Hintergrund deiner Auseinandersetzung mit den acht Bach-Kantaten. Jetzt ist die Welt aktuell ja von „Frieden auf Erden“ so weit entfernt wie schon lange nicht mehr. Würdest du sagen, dass „… et in terra pax“ eine direkte (auch politische) Reaktion darauf ist, oder geht es eher darum zu untersuchen, was Kunst (insbesondere Musik) überhaupt noch in solchen Zeiten bewirken kann?

Werner Raditschnig: Der Titel ergab sich aus den Textenden, da die Mehrzahl der Bachkantaten geistlichen Ursprungs ist. Die Stücke sind auch keine direkte Reaktion auf die politische Lage der Jetztzeit. Aber der Grund der Veröffentlichung ist für mich schon eine Art von Protest gegen die Gräueltaten dieser Zeit, obwohl nicht für diese Zeit produziert. Ich finde diese akustischen Aktionen zeitlos, auch in der Zeit los von -Ismen.

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In diesem Zusammenhang fällt mir auch die Stelle auf deiner Homepage ein, wo du von „musikalischer Entschleunigung in acht Statements“ sprichst. Das verweist dann ja auch auf etwas eher Kontemplatives, Zurückgezogenes, wo sich quasi ganz der Musik und den Klängen hingegeben wird. Ist das für dich eher ein Energietanken (damit die aktuelle Realität überhaupt wieder ausgehalten werden kann) oder eine Weltflucht (die letztendlich ja auch zum Bruch mit der Realität führen kann)?

Werner Raditschnig: Wie bereits oben erwähnt: Die Fragmentierung der akustischen Zeichen ergibt als Ansammlung nur ein Gerüst. Ohne eine Neuformulierung von Ton, Zeit, erweiterte Spieltechniken und Aufnahmesituation hätte die Herangehensweise kein brauchbares Ergebnis für mich gebracht. Die Vorlagen sind ja erschreckend konventionell – also was tun?

„Der Grund der Veröffentlichung ist für mich schon eine Art von Protest gegen die Gräueltaten dieser Zeit.“

Jetzt ist in deiner Musik und vor allem bei den vorliegenden Arbeiten das „akustische Umfeld“ ein ganz wichtiges Element. Damit bezeichnest du „die Geräusche, die während der Aufnahmen durch ein gekipptes Fenster von außen in den Raum dringen. Zum Beispiel Arbeiten an der Hausfassade, Vögel, Autos, Flugzeuge.“ Dient dieses Umfeld bei den Bach-Bearbeitungen diesmal thematisch vielleicht auch als jene Elemente, durch welche die Momente der Entschleunigung nicht plötzlich in Komfortzonen oder Wohlfühloasen kippen können. Eben, weil sie ein Außen (eine Realität) markieren, die auch jenseits der Musik zu verorten ist.

Werner Raditschnig: Wohlfühloase – der Ausdruck gefällt mir sogar. Da ich eigentlich mehr elektroakustische Musik als akustische Gitarrenmusik produziere, sind mir die Außenräume, die hier ja nicht immer auftreten, als akustisches Beiwerk, unplanbar, irgendwo, quasi live eben, bei den Aufnahmen wichtig erschienen. Sie nehmen dem musikalischen Material vorübergehend die „Wichtigkeit“. Ein Raum im Raum wird zum Hörspiel.

Wie diszipliniert muss eigentlich gespielt werden, wenn „eine Zeitlosigkeit mit akustischen Ereignissen“ angestrebt wird? Es könnte einem ja auch selber „passieren“, in dieser Zeitlosigkeit zu versinken.

Werner Raditschnig: Nein, nein. nein. Die Arbeits-Situation war ja so: ein Schreibtisch voll mit notierten Blättern der Fragmente, diverse Utensilien für die erweiterte Klangproduktion, ein H4 Recorder, eine Ovation, ein gekipptes Fenster und ein Produzent, der im Augenblick des Status „Aufnahme“ das Spiel beginnt und sich ad hoc mit Vorlage und improvisatorischen Varianten in einen eigenen Hörraum begibt. Da gibt es kein Versinken, da bei geöffneten Augen die Zukunft oder die Vergangenheit vor einem liegt. Höchste Konzentration.

Du arbeitest auch öfters im Zusammenhang mit Installationen und nicht umsonst findet sich im Zusammenhang mit deinen Arbeiten auch der Begriff „skulpturale Musik“. Da geht es dann weniger um „Zeit“ als um „Raum“. Also das akustische „Ausfüllen“ von schon bestehenden Räumen wie „Bauen“ von Räumen durch akustische Interventionen. Spielt in diesem Zusammenhang die Wahl von Bach hier vielleicht auch eine Rolle? Seine Musik kann ja durchaus auch als eine wahrgenommen werden, die quasi (sakrale) Räume (Kirchen, Kathedralen) entstehen lassen kann.

Werner Raditschnig: Diese Form von Aktionen, geht bei mir nicht ohne Beiwerk diverser Instrumente, in Verbindung mit elektroakustischen Gerätschaften. Also stehende Polycorde, liegende, hängende E-Gitarren etc. sowie auch zusätzliche Zuspielungen von Datenträgern. An Bach habe ich bei solchen konzertanten Installationen nie gedacht. Ich habe auch bei dieser CD nicht an Bach gedacht.

„Die Vorlagen sind ja erschreckend konventionell – also was tun?“

Bei den Aufnahmen wurde die „die prima vista Methodik, als optischer Zugriff“ verwendet. Das bedeutet, dass die einzelnen Stücke ohne vorheriges Einüben quasi live vom Blatt gespielt wurden.

Werner Raditschnig: Wie bereits oben erwähnt, ist die gesamte Vorlage der Fragmente aus einer Kantate in Skizzen notiert. Die Vorarbeit bezog sich darauf, den einzelnen Motiven spezielle Farbe sowie Spieltechniken zuzuordnen. Das Stück im Verlauf wird nicht geprobt, da die Kombinatorik, die Zeit (Dauer) erst im Verfahren der Aufnahme gemacht wird. Einige Passagen die mir nicht gefallen haben, wurden am Computer geschnitten.

In den Unterlagen zur CD findet sich eine sehr schöne Stelle, in der es um „die Gelassenheit im Umgang mit akustischem Material“ geht. War diese Gelassenheit schon vorher gegeben, oder hat sich die erst während der Arbeiten an den einzelnen Kantaten ergeben?

Werner Raditschnig: Auf das Instrument bezogen erst bei diesem Projekt. Es gibt elektroakustische Stücke (siehe „Marsyas“ ekr069), bei denen sehr weite Klangabstände vorkommen. Aber mit traditionellen Motiven auf einem traditionellen Instrument ca. 80 Prozent in Zeitlupe zu spielen, war der Reiz.

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Wie war das eigentlich, Bachs Musik auf deine Stahlsaitengitarren zu übertragen (bzw. zu übersetzen) und zu spielen?

Werner Raditschnig: Es ist wie bei anderen Übertragungen, die Tonhöhen müssen auf die Gitarre angepasst werden. Wobei ich mir auch hier die Freiheit der Oktavierungen genommen habe. Im Grunde spiele ich nicht mehr Bach, auch nicht Raditschnig/Bach, sondern, da die akustischen Vorgänge monophon sind, Raditschnig/Beethoven oder eben nur Raditschnig. Reicht auch.

Bis auf zwei Kantaten widmet sich die CD vor allem sakraler Musik. Gehst du mit so einer Musik anders um, als mit einer Musik, die eher profan daherkommt?

Werner Raditschnig: Nein, bei meiner angewendeten Methodik atomisiert sich die Vorlage.

„Das Stück im Verlauf wird nicht geprobt.“

Beim Hören war mir oft nicht klar, was ich da jetzt höre. Ich wusste schon, es muss eine Stahlsaitengrítarre sein, aber manchmal klingt es auch wie eine Mischung aus Spinett, Harpsichord oder Cembalo. War das bewusst?

Werner Raditschnig: Nun, ich war mit dem Recorder recht nah an der Gitarre. Da der H4 keine hochwertige Aufnahme produziert und ich die Gitarre, wenn möglich, voll schwingen lasse, also wenig dämpfe, ergeben sich Mehrfachschwingen, die eventuelle an ein anderes Instrument denken lassen. Alle anderen Klänge sind bewusst so gestaltet, dass es sich nicht um eine Gitarre handeln muss. Es hängt da viel von der Spieltechnik ab.

Wenn im Zusammenhang mit den Bearbeitungen von „neue Spielskizzen über Rhythmen und melodische Folgen“ die Rede ist, wie soll man sich das vorstellen? Wurden hier einzelne Parts (Takte) genommen und dann mit ihnen weitergearbeitet?

Werner Raditschnig: Die Methodik habe ich eigentlich schon oben erklärt. Die einzelnen Parts sind nur notiert. Wie und was ich daraus mache, ist die Spielsituation. Also auch die Wiederholungen, Klangfarben etc.

Wie wichtig sind Pausen, also die „Räume“ zwischen den Noten für dich?

Werner Raditschnig: Pausen hängen sehr stark vom musikalischen Material ab. Stehklänge, Einzeltöne, Geräusche brauchen manchmal viel Raum. Tonkombinatorik sowie Gliederungen sind mit Pausen durchsichtiger, auch spannender. Es gibt aber durchaus motorische Wellen, die richtig gut laufen müssen und in den denen Pausen nicht gut kommen.

„Mit traditionellen Motiven auf einem traditionellen Instrument ca. 80 Prozent in Zeitlupe zu spielen war der Reiz.“

Im Barock gab es ja schon mal die „Kunst des Zitats“ als etwas, was nicht erst in der Postmoderne erfunden wurde. Wer zitiert wurde und von wem es Variationen gab, war gleichsam ein Star. Das Thema „Wiederholungen und Variationen der Motive“ taucht nun bei dir hier auch wieder auf. Ist das dieser barocken Variationslust geschuldet oder eher generell deiner Arbeitsweisen?

Werner Raditschnig: Nix Barock, es ist die Arbeitsweise.

Wie „frei“ waren diese „Wiederholungen und Variationen“ wirklich bzw. was ist unter dieser Freiheit zu verstehen?

Werner Raditschnig: In der Kombinatorik war ich relativ frei. Bei den mehr durchgehenden Rhythmen waren die Variation und die improvisatorische Laune im Vordergrund.

Sind ähnliche „Auseinandersetzungen geplant?

Werner Raditschnig: Derzeit habe ich keine Über oder Umschreibung vor.

Wird es „… et in terra pax“ auch live zu hören geben?

Werner Raditschnig: Nein, diese Aufnahme ist ein Solitär und kann nicht wiederholt werden. Eine konzertante Aufführung durch Abspielen des Materials erscheint mir nicht sinnvoll. Vielleicht wäre eine Variante mit einer szenischen Verquickung möglich.

Danke für das Interview.

Didi Neidhart

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