Ein Kommentar zu Clubs und Bandlife in der Krise von VIKTORIA KIRNER (DIVES)

Abgesagte Tourneen und Konzerte, zum Zusperren verurteile Clubs und ein Vergleich mit den Jahren davor, in denen vieles noch ganz anders war – VIKTORIA KIRNER von der Band DIVES schildert ihre Eindrücke über dieses für Musik- und Kulturschaffende schweren Jahres 2020.

29.3.2019: Wir spielen in einem Grillrestaurant. Die Speisekarte ist mexikanisch, die Einrichtung “Wild West”. Ich sitze in einem Saloon, namens “Wok Rock”. Auch das Logo ist verwirrend: Ein großer Wok, in dem Gitarre und Drums eingekocht werden. Als Vorband spielt ein Typ in Lederjacke der, gefragt nach seiner Musikrichtung, mit rauchiger Stimme antwortet: “Like Foo Fighters, but acoustic”. Sein Repertoire beginnt mit Zombie und endet mit Teenage Dirtbag, Evergreens auch hier im slowenischen Gornja Radgona. Wir schlafen in der Hobbygarage der Veranstalter zwischen Flipper, Dartscheibe, Shisha und Bong. Es sind die liebsten Leute der Welt.

Wokrock (c) DIVES

Ich habe in den letzten Jahren sehr viel Zeit in unterschiedlichsten Clubs und Venues verbracht. Manchmal waren es Keller, manchmal Hallen, manchmal ehemalige Asia-Restaurants am slowenischen Dorfrand mit so klingenden Namen wie “Wok Rock”, manchmal selbstverwaltete Kunst- und Kulturräume, manchmal Beisln im schwäbischsten Schwaben, das man sich nur vorstellen kann. Manchmal Bars in Bahnhofshallen oder sleeke, gut ausgestattete (=geförderte), clubartige Clubs. Meistens mit Bühne, nicht immer. Oft räudige Orte. Immer Orte mit Seele, trotz kalter Wände, die manchmal mit Penissen und Bandnamen deiner Jugend beschmiert waren. 120 Abende habe ich mit meiner Band DIVES in den letzten drei Jahren an solchen Orten verbracht.

Eine Nacht in einem Prager Gefängnis (c) DIVES

12.6.2018: Wir übernachten in einem Gefängnis. Das Areal, auf dem der Prager Club steht, ist derzeit autonom organisiert und war früher angeblich ein Stützpunkt des tschechischen Militärs. In Zwischennutzung gibt es hier Kunsträume, ein Kino, Urban Gardening und eine Konzerthalle. Und eben ein Militärgefängnis. Wir schlafen auf Pritschen. Die Wände sind beschmiert. Neben Genitalien sind das Hauptmotiv Songzeilen mit Prison-Content: “I want to break free” oder “Unchain my heart”. Wir machen mit: “Give me back what you´ve taken from me” und “How can I feel when these walls are made of stone?”.

30 weitere Abende hätten es allein bis Herbst dieses Jahres werden sollen. Noch im Dezember, Januar und Februar sind wir durch drei Album-Release-Touren geprescht. Und dann der erste Lockdown. Frankreich, Deutschland, Schweiz, alle Destinationen unserer Frühlingstour gecancelt, alles dicht. Das gesamte Ausmaß der Coronakrise und ihre Auswirkungen auf die Kunst- und Kulturszene werden auch für uns erst nach und nach greifbar. Und dann trudelten die ersten Konzertabsagen für (äußerst optimistisch) auf den Herbst verschobene Shows ein. So manchen deutschen Club gibt es zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr. Viele haben nicht mal die ersten sechs Wochen nach dem Lockdown im Frühling finanziell überlebt.

Bild DIVES live
Bohemian Pleasures (c) Michael Königshofer

1.4. 2019: Wir sitzen gerade am Esstisch und warten auf das Menü, das der Booker, gleichzeitig auch Koch der Venue, für uns zubereitet. Viele Aperol Spritz und literweise lokaler Vino sind schon in mir drinnen und lassen mich noch sentimentaler werden. Alles hier ist wie ein riesengroßes italienisches Klischee: Ich meine, da unten ist der Gardasee! Der Club liegt in Mitten einer Piazza, von der aus man halb Verona überblicken kann. Die Red Zone Art Bar wirkt unecht. Sie ist Haubenlokal, Bar, Touricafé, Konzertvenue und linkes Veranstaltungszentrum gleichzeitig, kollektiv betrieben von den Dorfbewohnern und Nachbarn. Wir übernachten heute in der zweihundert Jahre alten Steinvilla, die der 70-Jährigen Bar-Nonna gehört. Sie und ihr Mann bauen im Garten Gras an. Das beste, wie man hört.

Nach einem viel zu kurzen sommerlichen Ausflug zurück in ein zumindest vage angedeutetes kulturelles Leben, finden wir uns erneut mittendrin, im Lockdown. Und jetzt? Was machen wir in den nächsten Monaten? Was machen all die Leute, die das ganze Jahr über mit so viel Liebe und Hingabe Clubs betreiben und Festivals organisieren? Die, die jedes Wochenende mit neuem Enthusiasmus eine semi-bekannte Band willkommen heißen, zum tausendsten Mal Chili sin Carne kochen, eine örtliche Postkarte mit Widmung im Backstage als Andenken hinterlassen, Liptauer-Igel bauen und Nussschnaps von der Oma mitbringen? Die, die jeden Abend mit wenig Budget und aus tiefster Überzeugung professionelle Arbeit leisten? Was tun die ganzen Tontechniker*innen, Lichtler*innen, Barleute? Was tun die ganzen Freiwilligen, ohne die so viele Veranstaltungen gar nicht möglich wären?

Bild (c) DIVES

4.10.2018: Wir treffen den Veranstalter und Clubbetreiber Chico in der Freiburger Kfz-Werkstatt “Walter Hätti”. Ein Scheinwerfer unseres Tourbus ist defekt. Der Hätti ist ein guter Freund von Chico, der eigentlich Camelo heißt. Chico ist ein Ü60- Musikfreak, den halb Freiburg zu verehren scheint. Er muss ein echt guter Mensch sein denk´ich mir. Er tut viel für die Szene in Freiburg. Und dann hat er auch noch ein Buch über Fußball geschrieben. Im Hinterzimmer des 30 Quadratmeter großen Beisls wartet liebevoll angerichtet Schnitzel mit Pommes Rot-Weiß auf uns.  Das Swamp ist ein super ranziger Club mit ganz viel Seele. Hier ist´s berstend voll, wir haben den Laden ausverkauft. Das liegt eigentlich primär an Chico´s Street Credibility, sagen die Leute, “Der macht hier immer was Gutes.”

Bild Viktoria Kirner
Viktoria Kirner (c) Tina Bauer

Leute, die an Orten nichts wirtschaftlich Lukratives, dafür aber was Gutes machen, sind rar. Die Orte dafür bald ebenso. Auf dass diese Menschen und ihre Orte der kulturellen Vielfalt, der Zerstreuung, des Müßiggangs, Exzesses und der Abschweifung, irgendwann in vielleicht doch nicht ganz so ferner Zukunft wieder Schönheit in unsere faden Leben bringen. Tschüss Clubs, ich hoffe, wir sehen uns nächstes Jahr!

19.9.2020: Es wirkt, als wäre das eine Art Abschlusskonzert. Das ist ein bisschen melodramatisch, ja. Der Ort ist so schön. Ideologisch ist er schirch, der Tivoli im Prater gehört viel zu oft den Rechten. Darüber diskutieren wir heute viel. Die letzten Wochen haben den Veranstalter des Bohemian Pleasure Festivals Einiges abverlangt. Ein Verbot, dann Beschränkungen, noch mehr Beschränkungen, und dann ist Wien orange. Und trotzdem stehen wir da. Es gibt ihn doch, diesen Konzertabend, mit knapp 200 zugelassenen Festivalgästen, die trotz mangelnder Bewegungsfreiheit und strengem Ablauf ganz tief drinnen sind in diesem Abend. Hinter uns das nicht so große Riesenrad, vor uns das Bierzelt. Die Sonne geht unter und 200 Lampions gehen an. Überall unsere Freunde und Menschen, die Kultur schaffen. Danach trinken wir mit den Veranstaltern Cremant und sinnieren über die Worte unserer Gitarristin: „Das sind sie, die Momente, an die wir uns erinnern werden.“ Daran und an das Autodrom danach.

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